25. Oktober 2023 · Rubrik: Pestizide

Kompromiss des EP-Umweltausschusses zur Pestizidreduktions-Verordnung SUR

Der federführende Umweltausschuss des Europäischen Parlaments (ENVI) entschied gestern über ein Paket von Änderungsvorschlägen zum Verordnungsentwurf der Sustainable Use of Pesticides Regulation (SUR). Der angenommene Kompromisstext enthält zwar einige Verbesserungen, lässt jedoch weiterhin wichtige Bestimmungen zum Schutz der Menschen und der Umwelt in der EU vermissen.

Die Abstimmung im ENVI-Ausschuss bedeutet einen wichtigen Verhandlungsschritt in dem Gesetzgebungsverfahren. Im November wird noch im EP-Plenum und dann mit dem EU-Rat und der EU-Kommission im Trilog abschließend beraten. Die Ratsposition der EU-Mitgliedsstaatensteht steht noch aus und wird ebenfalls im November erwartet.

Der jetzt im Umweltausschuss mit 47 Stimmen von den Fraktionen der Grünen (Greens/EFA), der Linken (The Left), der Sozialdemokraten (S&D) und den meisten Liberalen (Renew) angenommene Vorschlag wird voraussichtlich im folgenden Verhandlungsprozess noch verändert werden. Deshalb ist es aus PAN-Sicht weiterhin notwendig, Verbesserungen einzufordern und drohenden Abschwächungen entgegen zu treten. Die 37 Ablehnungen und 2 Enthaltungen bei der Abstimmung im ENVI-Ausschuss kamen von der EVP-Fraktion (CDU/CSU), der rechtspopulistischen ECR-Fraktion (u.a. PiS-Partei) sowie der rechtsextremen ID-Fraktion (u.a. AFD). Sie hatten gemeinsam „alternative Kompromisse“ formuliert, um Vorschriften für eine Pestizidreduktion zu stoppen. Die viel beschworene „Brandmauer“ gegenüber den Rechtsextremen wie der AFD funktioniert im EU-Parlament offensichtlich nicht, stellte Sarah Wiener, ENVI-Berichterstatterin der SUR, in ihrer Pressekonferenz zu Abstimmung am 24.10.23 fest.

Tatsächlich zeigen aktuelle investigative Berichte von Corporate Europe Observatory und DeSmog, wie intensiv die Pestizidlobby versucht, Einfluss auf politische Entscheider*innen zu nehmen und wissenschaftlich basierte Entscheidungen im Interesse der Zivilgesellschaft zu verhindern. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der angenommene Kompromissvorschlag weiterhin eine Verordnung mit rechtsverbindlichen Definitionen und Verpflichtungen befürwortet, trotz der starken Bemühungen, den Vorschlag vollständig abzulehnen oder ihn in eine wenig effektive Richtlinie umzuwandeln.

Eine Verbesserung zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag wurde beim Ziel der Mengenreduzierung bei besonders gefährlichen Pestiziden (den „Substitutionskandidaten“) angenommen. Statt einer darin vorgeschlagenen Mengenreduktion von 50% einigte sich der Umweltausschuss auf eine Mengenreduktion von 65% bei diesen besonders schädlichen Pestiziden bis 2030. Aus PAN-Sicht müssten Anstrengungen unternommen werden, alle, also 100% der Substitutionskandidaten in dieser Zeit durch weniger gefährliche und durch nicht-chemische Verfahren im Rahmen des Integrierten Pflanzenschutzes (IPM) zu ersetzen.

Positiv ist, dass nicht-chemische Verfahren verpflichtend bevorzugt eingesetzt werden sollen und dass verbindliche kulturspezifische IPM-Vorschriften für die jeweils 5 wichtigsten Anbaukulturen bezüglich Menge und Risiken in den Mitgliedsstaaten festzuschreiben sein werden. Anders als im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, der dies als Ziel für 90% aller Nutzflächen inklusive der Dauergrünlandflächen vorsah, soll diese Vorgabe nun nur noch auf 60% der gesamten landwirtschaftlichen Anbaufläche (ohne Dauergrünland) gelten. Dies ist eine deutliche Abschwächung.

Eine Verbesserung stellen die neu eingefügten Artikel im SUR-Entwurf dar. Diese regeln ein Exportverbot für die in der EU aus Umwelt- und Gesundheitsgründen verbotenen Pestizidwirkstoffe und –produkte sowie die Einführung besonders strenger Rückstandsobergrenzen für importierte Erzeugnisse, die mit solchen bei uns verbotenen Pestiziden belastet sind. PAN Germany engagiert sich seit langem für entsprechende Regelungen in Deutschland und in der EU und begrüßt diese Ergänzungen in der SUR ausdrücklich. Zudem wurde eine umfassende Überwachung von Pestizidbelastungen in der Umwelt (Boden, Luft, Wasser, Biota) und bei Menschen verankert mit dem Ziel, die rückwirkende Bewertung von Zulassungsvoraussetzungen für Pestizide zu verbessern. Neu ist auch das Recht auf Zugang zu Rechtsmitteln („access to justice“).

Trotz einiger Verbesserungen und dem Gegenhalten des Umweltausschusses gegen weitere Abschwächungen, bleiben aus PAN-Sicht noch viele Schwachstellen auch in diesem Kompromissvorschlag. Zentral ist die Kritik am irreführenden Indikator „Harmonized Risk Indikator (HRI1) zur Messung der Pestizidreduktion. Dieser Indikator ist ungeeignet, das Pestizidrisiko adäquat abzubilden. Er suggeriert Erfolge auf dem Papier und diskriminiert zudem die weniger bedenklichen Biopestizide des Ökoanbaus gegenüber chemisch-synthetischen (s. IFOAM-Presseerklärung und  ECI/Global 2000 Erklärvideo). Wie die Umweltverbände, fordert auch das Umweltbundesamt, die vogeschlagene Messmethode zu korigieren. Auch wurde der Bemessungszeitraum um 2 Jahre vergrößert und nach hinten versetzt, von jetzt 2013 – 2017 (anstatt 2015-2017), was letztlich bei vielen Mitgliedsstaaten dazu führen wird, dass mit weniger Ambition an einer tatsächlichen Pestizidreduktion gearbeitet wird und – allerdings nur auf dem Papier – schneller das Ziel einer 50%igen Pestizidreduktion in ihrem Land erreicht werden kann.

Außerdem gibt der Vorschlag, den Mitgliedsstaaten viel mehr Spielraum einzuräumen, bei der Bestimmung, welche Gebiete in ihrem Zuständigkeitsbereich als „sensible Gebieten“ festgelegt werden und der SUR-Entwurf des Umweltausschusses gewährt ihnen größere Freiheit, dort Ausnahmen für den Einsatz von dort verbotenen wie Substitutionskandidaten und alle chemisch-synthetischen Pestiziden zu gewähren. Die vorgesehenen Pufferstreifen zum Schutz der sensiblen Gebiete (wie Naturschutzgebiete, Natura 2000 Gebiete, Gebiete mit vulnerablen Gruppen wie Kindergärten) konnten als Kompromiss von 3 auf 5 Metern ausgeweitet werden. Umweltverbände wie PAN halten solche minimalen Schutzabstände bei Weitem für nicht ausreichend und fordern in einem aktuellen Joint Statement u.a. Pufferstreifen ohne Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide um solche sensible Gebiete zum Schutz von Menschen und Biodiversität von mindestens 100 Metern. Letztlich braucht kein Mitgliedsstaat Repressalien zu fürchten, sollten die Reduktionsziele in der vorgegebenen Zeit nicht erreicht werden, eine plausible Begründung reicht aus.

PAN Germany hält es für unerlässlich, dass bei der anstehenden Plenarabstimmung (in der KW 47) diese und weitere Mängel der Gesetzesvorlage noch behoben werden. Jede interessierte Person kann sich noch äußern und den deutschen Repräsentanten im Europaparlament schreiben. Dafür haben wir ein Online-Tool auf der PAN Germany Website zur Verfügung gestellt. (s. auch unseren gestrigen Webbeitrag).

 

Europäisches Parlament Press Release, 24.10.2024

PAN Europe Press Release, 24.10.2023

 

 

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