20. September 2021 · Rubrik: SAICM

Handlungsbedarf: Immer mehr Chemikalien belasten uns und unseren Planeten

Die Welt wird immer chemischer. So könnte man die Entwicklung vereinfacht skizzieren. Chemikalien und deren Abfälle belasten Meere, Böden, unsere Luft zum Atmen, unsere Lebensmittel und behindern eine nachhaltige Entwicklung. Kinder kommen heute bereits „pre-polluted“ auf die Welt. Auf internationaler Ebene, angesiedelt unter dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen, hatte sich der „Strategische Ansatz zum internationalen Chemikalienmanagement“ (SAICM) zum Ziel gesetzt, die Folgen von Chemikalien und Abfällen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bis 2020 zu minimieren. Auch das Thema hochgefährliche Pestizide (HHPs) wird unter SAICM verhandelt. Das gesteckte Ziel wurde nicht erreicht. Im Juli 2021 wollten die beteiligten Akteure auf einer großen internationalen Konferenz zur Chemikaliensicherheit (ICCM5) in Bonn beschließen, wie es mit SAICM weitergehen soll. Die Corona-Pandemie kam dazwischen und alle Präsenz-Konferenzen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben.

Auf Einladung von Bundesumweltministerin Schulze, fand statt der verschobenen Konferenz und als Ergänzung zum SAICM-Prozess im Juli 2021 eine virtuelle Veranstaltung mit hochkarätiger Beteiligung statt: Das Berlin Forum. Die Idee dahinter war, die laufenden Multi-Stakeholder-Vorbereitungen für die verschobene ICCM5 zu inspirieren und zu ergänzen. Nun liegt der zusammenfassende Bericht über die Veranstaltung vor (Summary Report), der folgende Ergebnisse herausstellt:

  • Krise durch chemische Verschmutzung: Die zunehmende Produktion und Verbreitung von Chemikalien ist und bleibt eine große Bedrohung für die menschliche und globale Gesundheit, wenn nicht dringend etwas unternommen wird. Dabei sind die ärmsten und ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen am stärksten gefährdet und betroffen.
  • Versäumnisse bei der Umsetzung: Trotz zahlreicher Fortschritte im Bereich des sicheren Umgangs mit Chemikalien und Abfällen (SMCW) hat die Weltgemeinschaft die vereinbarten Ziele für 2020 verfehlt. Bleibt es beim „Business-as-usual“ werden die Ziele der Agenda 2030 und die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) ebenfalls nicht erreicht werden. Alle Teilnehmer*innen waren sich einig, dass ein sofortiges, entschlossenes und umfassendes Handeln dringend erforderlich ist.
  • Die Arbeit am SMCW geht weiter: Trotz des allgemeinen Mangels an notwendigen Fortschritten geht die konstruktive und kreative Arbeit zur Förderung des SMCW auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene weiter. Während der Diskussion wurden mehrere inspirierende Beispiele und Verpflichtungen vorgestellt.
  • Lösungen sind vorhanden: Gegenwärtige Gesetze, Richtlinien, Institutionen, Technologien und das Wissen bieten bei stärkerer Verbreitung und Anwendung Möglichkeiten für wesentliche und frühzeitige Verbesserungen.  Ein neues und ehrgeizigeres, globales Instrument ist erforderlich, um diese Lösungen für alle zugänglich zu machen und den notwendigen Wandel zu beschleunigen und zu verankern.
  • ICCM5 ist von entscheidender Bedeutung: In dieser Hinsicht bietet die ICCM5-Konferenz – für die Deutschland angekündigt hat, sie weiterhin auszurichten – eine historische Chance, sich auf ein verbessertes SAICM- und SMCW-Instrument zu einigen, das Regierungen und Interessengruppen in die Lage versetzt, effektiver zusammenzuarbeiten, um die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen und die SDGs zu erreichen.

Besonders positiv aufgefallen sind auf dem Forum aus Sicht von PAN Germany vor allem folgende Erkenntnisse und konkrete Forderungen von einzelnen Teilnehmer*innen:

  • Die Erkenntnis, dass Armut und Ungleichheit zwischen den Ländern einen relevanten Einfluss darauf haben, wie stark Menschen von Chemikalien betroffen sind und dass Menschen, die in Armut leben, stärker unter giftigen Chemikalien leiden. Darum engagiert sich PAN auch für den Abbau von Doppelstandards im Pestizidhandel.
  • Das vom NGO-Vertreter und IPEN Co-Chair Tadesse Amera vorgetragene deutliche Statement: Er forderte gemeinsames Handeln, um Doppelstandards im Chemikalienbusiness zu beenden und hochgefährliche Pestizide schrittweise zu verbieten und forderte, dass die chemische Industrie für ihren Anteil und ihre Schadstoffe und deren Folgen zahlen müsse.
  • Auch die belgische Ministerin für Klima, Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Green Deal Khattabi, fiel mit einem engagierten Statement positiv auf und bekräftigte ebenfalls, dass hochgefährliche Chemikalien, die verboten sind, nicht hergestellt oder exportiert werden dürften, und sie sprach sich gegen Doppelstandards und für einen Ausstieg aus der Verwendung von hochgefährlichen Chemikalien aus.
  • Virginijus Sinkevičius, EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei, wies darauf hin, dass der EU-Green Deal ein wichtiger Teil des globalen Ziels ist, ein vernünftiges Management von Chemikalien und Abfällen zu erreichen. Er verwies auf das in der EU-Chemikalien-Strategie vermerkte „Exportverbot für verbotene schädliche Chemikalien“. Er erwähnte insbesondere EDCs (hormonschädliche Chemikalien / endokrine Disruptoren) und PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen ) und dass die am stärksten gefährdeten Personen besonders exponiert seien. „Deshalb kämpfen wir für die Substitution der schädlichen Chemikalien“.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bekenntnisse zum Handeln nun auch von allen Beteiligten in Taten umgemünzt werden und dass die globale Bedrohung durch die Chemikalienkrise die kontinuierliche hochrangige Aufmerksamkeit erhalten, die sie benötigt, um politische Veränderungen dauerhaft zu erwirken.

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