13. Juli 2020 · Rubrik: Pestizide

Mit Vielfalt und Solidarität durch die Krise

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2020

Die letzten Monate haben uns auf besonders eindrückliche Weise vor Augen geführt, wie wichtig unser PAN-Motto „Eine gesunde Welt für alle“ tatsächlich ist. Seit Monaten behaupten sich die Menschen überall auf der Welt in der Covid-19-Krise und versuchen, mit der Pandemie und ihren Folgen zurechtzukommen. Während in einigen Ländern schrittweise Lockerungen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen umgesetzt werden und die Menschen wieder ein Stück Normalität erleben, schränken in anderen Regionen hohe Infektions- und Todeszahlen das Berufs- und Alltagsleben weiterhin ein. Wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen in der Krise gemacht. Angesichts des Leids, das wir weltweit gesehen haben, sind wir voller Trauer. Doch wir sind auch beeindruckt von der großen Hilfsbereitschaft und Solidarität von Menschen überall auf der Welt.

Gegenseitige Hilfe rund um die Welt

Auch innerhalb unseres PAN-Netzwerks unterstützen wir uns gegenseitig. Unsere Partner*innen von PAN Asien & Pazifik (PANAP) helfen, die Folgen der Krise für die Ernährungssouveränität und Existenz von Millionen von Menschen in besonders betroffenen Gemeinschaften abzumildern. Sie machen sich unter anderem für die von der Krise und dem Lockdown besonders betroffenen Landarbeiter*innen stark und fordern die Einhaltung von Arbeitsrechten auch für Wanderarbeiter*innen. Im Rahmen ihrer gestarteten COVID-19-Kampagne „Food and Rights Talk“ hat PANAP zahlreiche Interviews geführt und zugehört, wie es den Menschen in den ländlichen Regionen in Asien in der Krise tatsächlich geht und wie ihre Situation ist, in Bezug auf Ernährungssicherheit und Menschenrechte.

In Afrika haben tausende Bio-Baumwollbäuer*innen Geld für Saatgut eingesetzt und Monate hart dafür gearbeitet, beste Baumwolle zu produzieren ohne schädliche Pestizide einzusetzen. Nun suchen unsere afrikanischen und englischen Kolleg*innen gemeinsam nach Lösungen für die Bäuer*innen und ihre Familien, die von unterbrochenen Lieferketten in der Textilbrache in Folge der Pandemie betroffen sind und unterstützen sie dabei, statt Baumwolle zu exportieren, Lebensmittel anzubauen und dafür lokale Märkte zu finden. Genau hierfür setzt sich auch PAN Afrika ein und sensibilisiert die Staaten Westafrikas für die Notwendigkeit eines widerstandsfähigen Ernährungssystems – insbesondere angesichts der Pandemie. Dabei unterstützen z.B. unsere Kolleg*innen in Senegal Landwirt*innen darin, widerstandsfähige, nachhaltigere Anbauverfahren umzusetzen, die gleichzeitig eine Steigerung der Produktion ermöglichen und so dazu beitragen, das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern zu verbessern.

Agrarökologie stärkt die Widerstandsfähigkeit des Ernährungssystems

Es ist längst bekannt, dass agrarökologische Anbauweisen widerstandsfähiger auf Klimaveränderungen reagieren. Nun beweisen vielfältige Anbausysteme – wie der biologische Baumwollanbau, in dem Baumwolle in vielfältiger Fruchtfolge mit anderen Kulturpflanzen wie Hibiskus, Fonio, Cashew und Sesam abgebaut wird – auch angesichts der Covid-19 Krise, in der Absatzmärkte für bestimmte Güter plötzlich weggebrochen sind, größere Widerstandsfähigkeit.

Angesichts unterbrochener Lieferketten setzt sich PAN Lateinamerika (RAPAL) für die Förderung lokaler und agrarökologischer Nahrungsmittel-Produktion ein, indem sie das Wissen hierüber über Radioprogramme, Videos, Plakate, Webinare, Informations- Materialien und über Telefon-Schaltungen verbreitet. Hierzu zählt auch die Konzeption einer Reihe von Video-Workshops, um den urbanen Anbau von Nahrungsmitteln sowie die Eigenproduktion von Saatgut zu fördern.

Unsere Partner*innen von PAN Nord-Amerika (PANNA) setzen sich derweil dafür ein, dass Notgelder tatsächlich bei den Farmer*innen ankommen und nicht bei den großen Agrarkonzernen versickern. Sie arbeiten gemeinsam mit Partnern daran, Investitionen in resilientere Lebensmittelsysteme zu fördern, die die Förderung gesunder Böden genauso einschließen, wie die lokale Produktion von Lebensmitteln. Zudem  macht PANNA auf die besondere Betroffenheit landwirtschaftlicher Hilfskräfte in der Pandemie aufmerksam und setzt sich dafür ein, die systemischen Ungerechtigkeiten, die in unserem Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssystem verankert sind, abzubauen.

Ein nicht-nachhaltiges, ungerechtes System

Ob in Amerika, Asien oder Europa – überall auf der Welt hat die Covid19-Pandemie die Schwachstellen unseres industriellen Ernährungssystems bloßgestellt. Das System der industriellen Tierhaltung wird schon lange wegen der schlechten Tierhaltungsbedingungen und der großen Mengen eingesetzter Arzneimittel kritisiert. Nun steht es, mit seinen riesigen Schlachthöfen, in denen im Akkord Tiere gekeult und zerlegt werden, auch wegen besonders hoher Infektionsraten bei den meinst prekär beschäftigten und schlecht untergebrachten Beschäftigten – ob in Deutschland in Nordrhein-Westfalen oder in den USA in Minnesota – im Fokus der Öffentlichkeit.

Andere Beschäftigte, die bislang kaum von der Gesellschaft bemerkt wurden, wie Wanderarbeiter*innen und landwirtschaftliche Hilfskräfte, wurden in der Krise plötzlich bzw. endlich als „systemrelevante Arbeitskräfte“ erkannt. Die Krise hat offenbart, wie schlecht wir mit diesen Arbeiter*innen umgehen, die oft ohne Verträge, ohne soziale Sicherung, häufig in Kontakt mit hochgefährlichen Pestiziden, unterbezahlt und ebenfalls schlecht untergebracht auf den Feldern und in den Plantagen und Gewächshäusern der Welt für unser aller Ernährung hart arbeiten. Vieles soll sich nun ändern. Als Vertreter*innen der Zivilgesellschaft engagieren wir bei PAN uns dafür, unseren Beitrag zu leisten, damit ein gerechteres Landwirtschaft- und Ernährungssystem Wirklichkeit wird.

Hierzu gehört, dass wir uns im PAN Netzwerk dagegen stemmen, dass die Pandemie ausgenutzt wird, um notwendige Reformen im Umweltschutz, im Biodiversitätsschutz und in der Agrarpolitik hinauszuzögern, zu verwässern oder gänzlich in Frage zu stellen.

Die Zukunft gestalten

RAPAL arbeitet aktiv daran, die Einfuhr neuer transgener Nutzpflanzen nach Chile zu blockieren und stemmt sich gegen eine Senkung von Importzöllen auf Pestizide in Argentinien. PANNA kämpft gegen die Zurücknahme wichtiger Pestizidvorschriften in den USA. Im gesamten Netzwerk unterstützen wir unsere Kolleg*innen von PAN UK in ihren Bemühungen, sicherzustellen, dass die britische Pestizidgesetzgebung nach dem „Brexit“ nicht gänzlich verwässert wird.

Gemeinsam mit unseren Partner*innen von PAN Indien freuen wir uns über die Ankündigung, dass 27 hochgefährlichen Pestiziden (HHPs) in dem Land verboten werden sollen. Hier in Europa engagieren wir uns im Verbund mit zahlreichen europäischen Partnerorganisationen und Unterstützer*innen in der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ und setzen uns dafür ein, dass die EU einen Wandel einleitet – weg vom Pestizideinsatz und hin zu agrarökologischen Anbauverfahren – und dabei die Landwirt*innen begleitet und unterstützt. Alle EU-Bürger*innen können dies mit ihrer Stimme einfordern: www.savebeesandfarmers.eu/deu/.

Die europäische Farm-to-Fork-Strategie für nachhaltige Lebensmittelsysteme und die neue EU-Biodiversitätsstrategie lassen uns hoffen. Sie verfolgt die Ziele, den Einsatz chemischer Pestizide und das damit verbundene Risiko bis 2030 um 50 % zu reduzieren, gefährlichere Pestizide um 50 % zu verringern und durch agroökologische Verfahren zu ersetzen sowie den Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen in der EU bis 2030 auf 25 % landwirtschaftlicher Nutzflächen zu erhöhen. Nun wird es darauf ankommen, dass entsprechende Maßnahmen beschlossen und tatsächlich umgesetzt werden.

Egal ob im Norden, Süden, Osten oder Westen – wir brauchen dringend den Wandel weg von der Abhängigkeit von chemisch-synthetischen Pestiziden hin zu vielfältigeren Anbausystemen, um nachfolgenden Generationen eine Umwelt zu hinterlassen, die nicht krankmacht und in der es genüg Vielfalt gibt, um gute Ernten zu erzielen und gut leben zu können.

(Susan Haffmans)

Der Artikel ist auch auf English verfügbar im PANNA-Blog unter dem Titel „A healthy world for all“

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