Exportstopp für in der EU verbotene Pestizide schadet der europäischen Wirtschaft nicht und kommt Drittländern zugute

Hamburg/Brüssel 18.04.2024. Pressemitteilung.
Ein europäischer Ausfuhr-Stopp von in der EU verbotenen Pestiziden würde weder massiv Arbeitsplätze gefährden noch die Wirtschaft in Europa belasten. Dies ist die Schlussfolgerung eines heute veröffentlichten Berichts, der von einer Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen in Auftrag gegeben wurde. Ein solcher Exportstopp würde sich positiv auf die Gesundheit der Menschen und die Umwelt in den Importländern auswirken. Für die Landwirtschaft in der EU würde er den unfairen Wettbewerb beenden und EU-Bürger*innen besser vor giftigen Rückständen in importierten Lebensmitteln schützen.

Die Doppelmoral hinsichtlich gefährlicher Pestizide muss ein Ende haben. Es gibt keine Gründe, die die EU daran hindert, strenge Maßnahmen zu ergreifen. Ein Exportverbot wird sich kaum auf die EU-Wirtschaft auswirken, aber ein deutliches Zeichen gegen die Verbreitung giftiger Chemikalien in Drittländern setzen, in denen Pestizidunternehmen die laxe Gesetzgebung ausnutzen. Die EU muss jetzt handeln“, betont Rina Guadagnini, Policy Officer bei PAN Europe, im Namen der Koalitionsmitglieder.

„Der Bericht sollte auch in Deutschland ein Weckruf und Ansporn für alle politischen Entscheidungspersonen sein, die bislang den Entwurf des Agrarministeriums für eine entsprechende Verordnung blockieren.“ sagt Susan Haffmans, Referentin bei PAN Germany.

Während bestimmte Pestizide in Europa verboten sind, weil sie als zu gefährlich für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt eingestuft wurden, dürfen Unternehmen in der EU sie weiterhin herstellen und in andere Teile der Welt exportieren. Die EU versprach in ihrer Chemikalienstrategie, Maßnahmen zu ergreifen, um solche Exporte zu unterbinden. Die Industrie reagierte und schürte Ängste vor dramatischen Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft. Doch der Bericht zeigt: die Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU wären minimal, die positiven Auswirkungen in den Drittländern wären erheblich.

Basierend auf den Exportdaten von 2022 der wichtigsten Ausfuhrländer der EU – darunter Deutschland, Frankreich und Belgien – und den Erfahrungen mit dem französischen Ausfuhrverbot kamen die Autoren zu dem Schluss, dass ein Exportverbot in der gesamten Europäischen Union 25 Arbeitsplätze gefährdet hätte. Diese Arbeitsplätze ließen sich sehr wahrscheinlich vollständig erhalten, wenn Personal intern verlagert oder mit anderen Aufgaben betraut würde. Das Exportverbot könnte zudem Anreize für Unternehmen schaffen, in die Produktion von sichereren, nachhaltigen Alternativen zu investieren.

Die EU ist der weltweit führende Exporteur von Pestiziden. Strengere Regeln für die Ausfuhr besonders gefährlicher Pestizide hätte daher weitreichende positive Auswirkungen auf globaler Ebene. Ein Ausfuhr-Stopp von in der EU verbotenen Pestiziden würde die Exposition gegenüber hochgefährlichen Pestiziden und alle damit verbundenen Risiken für die Gesundheit von Landarbeiter*innen, der Landbevölkerung und der Umwelt verringern. Davon würden insbesondere Länder mit geringem und mittlerem Einkommen (LMIC) profitieren, in denen spezifische Vorschriften, Kontrollen und Schulungen für den Einsatz von Pestiziden häufig fehlen oder nicht umgesetzt werden, ein höherer Anteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitet, der Anteil hochgefährlicher Pestizide hoch ist, es Kinderarbeit gibt und Schutzausrüstungen für die Arbeiter*innen nicht oder unzureichend zur Verfügung stehen.

Pressekontakte:

  • Deutsch: Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), Tel +49 176 4379 5932, peter.clausing@pan-germany.org
  • Englisch: Angeliki Lyssimachou, PAN Europe, Tel +32 496 392 930, angeliki@pan-europe.info

Weiterführende Informationen:




Europäische Bevölkerung ist über Obst und Gemüse zunehmend PFAS-Pestiziden ausgesetzt

Hamburg / Brüssel, 27.02.2024. Pressemitteilung.
Ein heute veröffentlichter Bericht des Europäischen Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Europe) und seinen Mitgliedsgruppen enthüllt eine bittere Wahrheit: Europäische Bürger*innen sind über ihre Lebensmittel zunehmend Cocktails von PFAS-Pestiziden ausgesetzt. Der Anteil dieser für Gesundheit und Umwelt hoch problematischen Stoffe hat sich in den untersuchten Lebensmitteln in nur einem Jahrzehnt nahezu verdreifacht. Dies ergibt die Auswertung der Befunde aus dem amtlichen EU-Monitoring von Pestizidrückständen in Lebensmitteln der Jahre 2011 bis 2021,   in dem heute vorgestellten Bericht „Toxic Harvest: The rise of forever pesticides in fruit and vegetables in Europe“.

Die Ergebnisse geben Anlass zu ernster Sorge für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Als Reaktion darauf fordern die herausgebenden Organisationen ein zügiges EU-weites Verbot aller PFAS-Pestizide.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Studie gehören:

  • Zwischen 2011 und 2021 wurden in Obst und Gemüse in der EU Rückstände von 31 verschiedenen PFAS-Pestiziden nachgewiesen;
  • Die Zahl der Obst- und Gemüsesorten, die Rückstände von mindestens einem PFAS-Pestizid enthalten, hat sich in der EU innerhalb von 10 Jahren verdreifacht;
  • Im Jahr 2021 waren in Europa angebaute Früchte wie Erdbeeren (37 %), Pfirsiche (35 %) und Aprikosen (31 %) besonders häufig kontaminiert und enthielten oft Cocktails aus drei bis vier verschiedenen PFAS in einer einzigen Probe;
  • Innerhalb der EU stammen die am stärksten mit PFAS-kontaminierten Lebensmitteln aus den Niederlanden, Belgien, Österreich, Spanien, Portugal und Griechenland, bei den in die EU importierten Lebensmitteln aus Costa Rica, Indien und Südafrika.

In den deutschen Obst- und Gemüseproben wurden insgesamt 26 verschiedene PFAS-Pestizide detektiert, dabei sind auch deutsche Produkte betroffen wie Erdbeeren oder Blattsalat. „Das am häufigsten in Deutschland nachgewiesen PFAS-Pestizid ist das Insektizid lambda-Cyhalothrin. Der Wirkstoff ist immer noch in 22 Mitteln zugelassen, obwohl er als sogenannter „Substitutionskandidat“ längst hätte durch weniger problematische Alternativen ersetzt werden sollen. Außerdem bilden viele von den PFAS-Pestiziden das für unsere Trinkwasserressourcen problematische Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA)“, kritisiert Susanne Smolka, Referentin für Pestizide und Biozide beim Pestizid Aktions-Netzwerk Germany.

 „Die Daten zeigen eindeutig, dass wir ein Problem haben. Obst und Gemüse sollte rückstandsfrei produziert werden, und in der Umwelt sollten die sehr langlebigen Pestizide und deren Abbauprodukte nicht vorkommen. Sie sind ein bleibendes Risiko.“ betont Lars Neumeister, Pestizidexperte.

„Unsere Studie zeigt, dass europäische Konsument*innen einem Cocktail von PFAS-Pestiziden in Obst und Gemüse ausgesetzt sind“, erklärt Salomé Roynel, Policy Officer bei PAN Europe und Studienkoordinatorin: „Wenn man sich die am häufigsten nachgewiesenen PFAS-Pestizide genauer ansieht, sind die Beweise für ihre Persistenz in der Umwelt und ihre Toxizität für den Menschen gut dokumentiert. Dazu zählen insbesondere Risiken für ungeborene Kinder, Hirnschäden, Beeinträchtigung des Immunsystems, hormonelle Störungen und Krebs.”

Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), die wegen ihrer außergewöhnlichen Langlebigkeit als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden, verursachen erhebliche Umwelt- und Gesundheitsrisiken, besonders  für empfindliche Gruppen wie Kinder und Schwangere, so die Europäische Umweltagentur. Sie verschmutzen Wasserressourcen und reichern sich in Böden an, belasten Nahrungsmittelpflanzen und lebende Organismen. Der aktuelle Bericht zeigt, dass die europäische Landwirtschaft zu dieser PFAS-Belastung beiträgt.

Im Rahmen des European Green Deal hat sich die Europäische Union verpflichtet, PFAS-Chemikalien im Einklang mit ihrem Ziel einer schadstofffreien Umwelt schrittweise zu verbieten. Im Februar 2023 veröffentlichte die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) einen Vorschlag für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und der Einfuhr von mindestens 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Nicht erfasst von diesem Vorschlag sind allerdings jene 37 von der ECHA als PFAS eingestufte, derzeit in der EU genehmigte Pestizidwirkstoffe, da deren Zulassung in der EU-Pestizidverordnung “geregelt” werde.

„Landwirt*innen sind sich wohl selten bewusst, dass sie unter anderem „ewige Pestizide“ auf ihre Pflanzen und damit in die Umwelt sprühen, denn dies wird auf dem Etikett nicht angegeben. Rund 16 % aller genehmigten synthetischen Pestizide in der EU sind PFAS-Pestizide. Sie müssen schnellstens verboten und am besten durch nicht-chemische,  biologische und agrarökologische Pflanzenschutzmethoden ersetzt werden“, so Susanne Smolka abschließend.

Zur Studie:

Die Studie konzentriert sich auf Obst und Gemüse aus konventionellem (d.h. nicht ökologischem) Anbau. Sie stützt sich auf amtliche Überwachungsdaten von Pestizidrückständen in Lebensmitteln aus den Mitgliedstaaten, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, um eine repräsentative Exposition der EU-Verbraucher widerzuspiegeln. Die Analyse erfolgte sowohl für die europäische Ebene (nach Aggregation aller nationalen Daten) als auch für jeweils acht verschiedene Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Niederlande, Spanien). Der Bericht stellt die Ergebnisse der Studie vor. Er wird in Zusammenarbeit mit Ecocity, Ecologistas en Acción, Magyar Természetvédők Szövetsége (Friends of the Earth Hungary), Générations Futures, Global 2000 (Friends of the Earth Austria), PAN Netherlands,  Nature & Progrès Belgique und PAN Germany veröffentlicht.

Links zu den Materialien:

Weitere Informationen:

Pressekontakte: 




NGOs leiten rechtliche Schritte gegen EU-Glyphosat-Wiedergenehmigung ein

Brüssel/Wien/Hamburg Donnerstag, 25. Januar 2024, Pressemitteilung.

Ein Konsortium aus sechs NGOs – PAN Europe, ClientEarth (EU), Générations Futures (Frankreich), GLOBAL 2000 (Österreich), PAN Germany und PAN Netherlands – hat juristische Schritte zur Anfechtung der jüngsten Entscheidung der Europäischen Kommission zur Wiedergenehmigung von Glyphosat eingeleitet. Nach einer eingehenden Prüfung des Verfahrens zur Wiedergenehmigung von Glyphosat und der Feststellung mehrerer kritischer Mängel haben die Verbände bei der EU-Kommission gestern einen Antrag auf interne Überprüfung eingereicht, was den ersten Schritt in diesem Rechtsstreit darstellt.

Die Europäische Kommission, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) sind ihrer Verpflichtung zum Schutz der europäischen Bürgerinnen und Bürger und der Umwelt nicht nachgekommen, sie haben sich nicht an das EU-Recht und die Rechtsprechung zur Pestizidverordnung und das Vorsorgeprinzip gehalten.

Die Europäische Kommission hat Glyphosat erneut für 10 Jahre zugelassen, obwohl es eine Fülle wissenschaftlicher Beweise für dessen Toxizität für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gibt. Die Europäische Kommission hat nun 22 Wochen, also bis Ende Juni, Zeit, um formell auf den Antrag zu antworten. Sollte die Kommission die Zulassung von Glyphosat nicht widerrufen, werden die NGOs vor Gericht ziehen.

Angeliki Lyssimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, sagte: „Wir sind bestürzt über die unglaubliche Anzahl von Verstößen gegen das EU-Recht. Wissenschaftliche Erkenntnisse über die erhebliche Toxizität von Glyphosat für die Gesundheit und die Umwelt wurden von der EFSA und der ECHA nicht korrekt an die Kommission weitergegeben. Landwirtinnen und Landwirte sind die ersten Opfer. Die Kommission hat Glyphosat trotz der verfügbaren Informationen über dessen Toxizität und der zahlreichen Datenlücken erneut zugelassen. Dabei hätten diese ein Verbot zur Folge haben müssen.“

Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures, sagte: Die Behörden haben systematisch alle Daten aus der unabhängigen wissenschaftlichen Literatur verworfen und ihre Bewertung ausschließlich auf die von den Herstellern gelieferten Daten gestützt. Darüber hinaus scheinen einige wichtige Studien für verschiedene Bereiche der Bewertung noch zu fehlen, was die Kommission hätte veranlassen müssen, das Dossier wegen Unvollständigkeit nicht zu akzeptieren.“

Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, fügt hinzu: „Angesichts der in den US-Gerichtsverfahren aufgedeckten Beweise für die Beeinflussung früherer EU-Genehmigungsverfahren durch Monsanto hätten wir erwartet, dass die Behörden die Studien der Glyphosathersteller diesmal besonders genau unter die Lupe nehmen würden. Doch die Behörden wiederholten die Schlussfolgerungen früherer Genehmigungsverfahren in Copy-and-Paste-Manier – selbst dort wo die Argumente auf veralteten Herstellerstudien beruhten, die inzwischen allgemein als inakzeptabel gelten.“

Margriet Mantingh, Vorsitzende von PAN Netherlands, sagte: „Die Risikobewertung von Glyphosat durch die EFSA vernachlässigt die möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Parkinson-Krankheit und von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern, während Untersuchungen unabhängiger Wissenschaftler auf eine mögliche Wirkung hinweisen. Wir sind sehr besorgt darüber, dass die Kommission ihre Bürger nicht angemessen schützt. Deshalb fordern wir die Kommission auf, das Vorsorgeprinzip anzuwenden und die Genehmigung von Glyphosat zurückzuziehen.“

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany sagte: „Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweise für die krebserregende Wirkung von Glyphosat verzerrt, um zu dem falschen Schluss zu kommen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend.“

ClientEarth Senior Juristin Juliette Delarue sagte: „Glyphosat ist eine gefährliche Substanz – mit ihrer erneuten Genehmigung hat die Kommission einen offensichtlichen Fehler begangen und sich über das Gesetz und die unabhängige und zuverlässige Wissenschaft hinweggesetzt. Darüber hinaus ist die Kommission nach den EU-Verträgen verpflichtet, umsichtig zu handeln, um Schäden für Mensch und Natur zu vermeiden. Wir fordern die Kommission auf, endlich die Wissenschaft zu berücksichtigen und ihre Genehmigung zurückzuziehen.“

Weitere Informationen zu den Hintergründen finden Sie hier.

Kontakt:

  • Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker, GLOBAL 2000, helmut.burtscher@global2000.at, +43 699 14 2000 34
  • Martin Dermine, Executive Director, Pesticide Action Network (PAN) Europe
    martin@pan-europe.info, +32 486 32 99 92
  • Angeliki Lysimachou, Head of Science and Policy, Pesticide Action Network (PAN) Europe, angeliki@pan-europe.info +32 496 39 29 30
  • Tjerk Dalhuisen, Senior Communications Officer, Pesticide Action Network (PAN) Europe tjerk@pan-europe.info +31 614699126
  • Susanne Smolka, Referentin für Pestizide und Biozide, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), susanne.smolka@pan-germany.org, +49 (0)40 399 19 10-24

 




Gutachten zeigt: Glyphosat-Ausstieg in Deutschland immer noch möglich

Gemeinsame Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany)

Berlin / Hamburg, 17.1.2024. Trotz der Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene hat die deutsche Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Zulassung glyphosathaltiger Produkte zu verweigern oder ein Anwendungsverbot zu erlassen. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Damit könnte die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen, Glyphosat vom Markt zu nehmen.

Das Rechtsgutachten zeigt, dass die Bundesregierung, basierend auf den Vorgaben der Pflanzschutzmittel-Zulassungsverordnung, trotz Glyphosat-Wiedergenehmigung auf EU-Ebene begründet entscheiden kann, glyphosathaltigen Pestizidprodukten die Zulassung zu verweigern oder für diese ein nationales Anwendungsverbot zu erlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit gesetzlich festgelegter Anwendungsbeschränkungen. Dabei komme es vor allem auf die Begründung an, mit der diese Maßnahmen gerechtfertigt werden. Diese müssten strengen wissenschaftlichen bzw. technischen Begründungsmaßstäben entsprechen, und es brauche Nachweise von konkreten Risiken, so das Gutachten.

Lena Luig, Referentin für Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die jüngste Wiedergenehmigung von Glyphosat in Brüssel war ein herber Rückschlag. Für den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten in der Landwirtschaft, die mit dem krebserregenden Wirkstoff arbeiten, aber auch für die Artenvielfalt. Gerade für die Bodenlebewesen hat Glyphosat nachweislich schädigende Auswirkungen. Dabei sind gesunde Böden unsere Lebensversicherung – wie wir auch in unserem neuen Bodenatlas zeigen.“ Mit dem heute veröffentlichten Gutachten bekomme das Bundeslandwirtschaftsministerium nun konkrete Empfehlungen an die Hand, wie ein Glyphosatverbot doch noch national durchgesetzt werden könne.

Peter Clausing, Toxikologe vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany): „Mit der Wiedergenehmigung von Glyphosat ignoriert die EU-Kommission die vielen inzwischen verfügbaren Belege dafür, dass Glyphosat die menschliche Gesundheit schädigt. Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweislage für die Krebseffekte von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend. Ferner häufen sich überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse über negative Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom und das Nervensystem, die nicht berücksichtigt wurden. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, ihre nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen und den lange angekündigten Glyphosatausstieg umzusetzen.“

Die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat wurde am 28. November 2023 von der EU-Kommission um weitere zehn Jahre verlängert – ohne eine qualifizierte Mehrheit für die Genehmigung unter den Mitgliedstaaten. Mit der Wiedergenehmigung wurde den Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung hinsichtlich Anwendungsbeschränkungen glyphosathaltiger Pestizidprodukte zugewiesen. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Glyphosat bis Ende 2023 „vom Markt zu nehmen“.

Veranstaltungshinweis: Im Rahmen der Grünen Woche in der Heinrich-Böll-Stiftung findet am Freitag, 19. Januar, 10-12 Uhr, folgende Veranstaltung statt: Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schon längst nicht mehr leisten kann. U.a. mit Martin Häusling, MdEP: Mehr Infos und Anmeldung: https://calendar.boell.de/de/event/pflanzenschutz-oder-umweltschmutz

Weiterführende Informationen

Rechtsgutachten „Handlungsspielräume Deutschlands für ein nationales Glyphosatverbot nach EU-Recht“ von Ida Westphal(Ass. iur.) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/2024/01/15/rechtsgutachten-handlungsspielraeume-deutschlands-fuer-ein-nationales-glyphosatverbot

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / TMG Thinktank for Sustainability: Bodenatlas 2024 – Daten und Fakten über eine lebenswichtige Ressource: www.boell.de/bodenatlas

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / PAN Germany: Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft: https://www.boell.de/de/pestizidatlas

Deutsche Zusammenfassung der Studie „Glyphosate and Oxidative Stress: ECHA‘s superficial approach neglects existing hazards“ von Peter Clausing, Siegfried Knasmüller und Christopher Portier: https://pan-germany.org/download/studie-glyphosate-and-oxidative-stress/

Weitere PAN Germany Informationen zu Glyphosat unter https://pan-germany.org/pestizid_kat/glyphosat/

 

Fachkontakte

  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: 030 28534312
  • Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), E-Mail: peter.clausing@pan-germany.org; Telefon: +49 176 4379 5932

 




PAN-Report: Pestizide können aus „geschlossenen“ Gewächshäusern entweichen

Brüssel, Hamburg, 12. Dezember 2023. Pressemitteilung. Probenahmen von Regen- und Oberflächenwasser in der Umgebung von Gewächshäusern in Belgien, den Niederlanden, Spanien und Deutschland zeigen eine alarmierend hohe Belastung durch Pestizide. Dazu gehören Stoffe, die üblicherweise in Gewächshäusern verwendet werden, aber auch solche, die schon vor Jahren verboten wurden. Der Bericht “It rains pesticides from greenhouses!” wurde heute vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) Europa veröffentlicht. Er unterstreicht das Problem, dass Gewächshäuser keine geschlossenen Räume sind und insofern nicht weniger strenge Vorschriften bei der Pestizidzulassung verdienen.

Dutzende von Pestiziden wurden in Proben von Regen- und Oberflächenwasser nachgewiesen, die in Gebieten entnommen wurden, in denen der Anbau in Gewächshäusern die einzige oder vorherrschende landwirtschaftliche Tätigkeit ist. In einer Regenwasserprobe aus den Niederlanden wurden 35 verschiedene Pestizide nachgewiesen, in einer Oberflächenwasserprobe aus Spanien 23. Die Zahl der nachgewiesenen Pestizide war in dieser Momentaufnahme in allen vier EU-Mitgliedstaaten hoch.

Die Konzentrationen der einzelnen Pestizide lagen zwar unter den – sofern überhaupt vorhandenen –  Umweltqualitätsnormen für Oberflächengewässer, aber ihr kombiniertes Vorhandensein gibt Anlass zur Sorge. In der Studie wurden Pestizidgemische von bis zu 90 μg/l in belgischem Oberflächenwasser und 21 μg/l in Regenwasserproben festgestellt. Das sind 180 bzw. 42 Mal mehr als der kürzlich vorgeschlagene Summengrenzwert von 0,5 μg/l für Pestizide in Oberflächengewässern.¹

Dies ist besorgniserregend, da die (Öko-)Toxizität in Form von Mischungseffekten noch immer nicht ausreichend in die Risikobewertung im Rahmen der EU-Pestizidregulierung² einbezogen wird, obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass kumulative – additive oder sich verstärkende – Effekte berücksichtigt werden müssen.

Entsprechende Pestizidemissionen in die Umwelt stellen somit ein Risiko für die Ökosysteme, die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit dar. Dennoch gehen viele nationale und die europäischen Behörden weiterhin davon aus, dass Gewächshäuser geschlossene Räume sind, die die Freisetzung von Pestiziden in die Umwelt verhindern. Hans Muilerman, Koordinator für Chemikalien bei PAN Europe, appelliert: „Die EU sollte dringend aufhören, ansonsten verbotene Pestizide für den Einsatz in Gewächshäusern zu genehmigen. Gewächshäuser sind nicht geschlossen und müssen einer angemessenen Risikobewertung unterzogen werden.“

Die Probenbefunde fügen sich in bereits vorhandene Untersuchungen ein, die im aktuellen Bericht dargestellt werden. Demnach ist der Einsatz von Dauergewächshäusern als Schutzmaßnahme gegen Freisetzungen in die Umwelt für Pestizide, die laut Genehmigungsprüfung für einen Einsatz auf offenem Feld zu gefährlich sind, mehr als fragwürdig. Dieses gängige Verfahren zeigt eine relevante Rechtslücke in der Pestizidverordnung (EU/1107/2009) auf und verstößt außerdem nach Ansicht von PAN Europe gegen das Vorsorgeprinzip des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

„Es ist zu begrüßen, dass die deutschen Zulassungsbehörden durch eine realistischere Definition von Gewächshäusern die Möglichkeit geschaffen haben, Pestizidemissionen aus solchen Anwendungen im Rahmen der nationalen Produktzulassung zu bewerten“, betont Susanne Smolka, Referentin für Pestizide und Biozide beim Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany). „Allerdings muss Deutschland oft Zulassungsentscheidungen aus anderen Mitgliedsstaaten anerkennen. Deshalb ist es notwendig, endlich ein einheitliches und ein gleichbleibend hohes Niveau bei den nationalen Zulassungsprüfungen zu gewährleisten oder zumindest sicherzustellen, dass der Umweltschutz in Staaten wie Deutschland nicht ausgehebelt wird“, so die Biologin Smolka. Das Umweltbundesamt kritisiert, dass im Zuge der geltenden Rechtslage der „gegenseitigen Anerkennung“ Pestizide in Deutschland Zulassungen erhalten müssen, obwohl sie nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der Umwelt schaden.3

Genannt werden in diesem Zusammenhang unter anderem der Unkrautvernichter Flufenacet und S-Metolachlor. Beide Pestizide konnten in vergleichsweise hohen Konzentrationen von 0,097 µg/l und 0,31 µg/l im Rahmen dieser Studie in deutschen Regenwasserproben nachgewiesen werden. Weitere nachgewiesene Pestizide, die aus der Anwendung aus Gewächshäusern stammen können, sind u.a. Tetrahydrophthalimid, ein Metabolit des Fungizids Captan, das im Erdbeer- und Zierpflanzenanbau eingesetzt wird, das PFAS-Fungizid Fluopyram4 sowie Fluxapyroxad. Das Ackerbaufungizid Boscalid (0,11 µg/l) sowie das Herbizid Terbutylazin (0,21 µg/l) und sein Metabolit Desethylterbutylazin (0,24 µg/l) fielen mit besonders hohen Konzentrationen in den deutschen Proben auf. Zu erwähnen ist auch der Fund von Dimethomorph, ein für Mensch und Umwelt identifiziertes hormon- und fruchtbarkeitsschädigendes Pestizid. Wie langwierig Gewässerbelastungen mit Pestiziden sein können, verdeutlicht der Nachweis des seit rund 30 Jahren verbotenen Herbizids Atrazin im beprobten Bach (0.091 µg/l). In den deutschen Proben wurden jeweils 20 verschiedene Pestizide im Regenwasser nachgewiesen und im beprobten Bachlauf insgesamt 17.

PAN Europe (Belgien) führte zusammen mit seinen Mitgliedern und Partnern: Ecologistas en Acción (Spanien), PAN Germany (Deutschland), Natuur en Milieufederatie Zuid-Holland und PAN Netherlands (Niederlande) in zwei Runden im April und im Mai/Juni 2023 Oberflächen- und Regenwasserprobenahmen in der Umgebung von Gewächshäusern durch. Die Proben wurden auf eine Auswahl von 164 zugelassenen und verbotenen Pestiziden untersucht. Die EU-Datenbank verzeichnet derzeit etwa 450 zugelassene Pestizide. Insofern ist somit wahrscheinlich, dass die Gewässerbelastung durch Pestizide tatsächlich noch höher ist.

Der Bericht belegt, dass Gewächshäuser keine geschlossenen Systeme darstellen und stützt sich auf Recherchen nationaler Vorschriften und Pestizidzulassungen, die von den PAN Europe-Mitgliedern und Partnern in den vier betrachteten Ländern durchgeführt wurden.

 Quellen:

1) Proposal for a Directive amending the Water Framework Directive, the Groundwater Directive and the Environmental Quality Standards Directive: https://environment.ec.europa.eu/publications/proposal-amending-water-directives_en

2) Pestizidzulassungsverordnung EG/1107/2009: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:309:0001:0050:de:PDF

3) Umweltbundesamt (2022) Pestizidzulassungen hebeln Umweltschutz aus: https://www.umweltbundesamt.de/themen/pestizidzulassungen-hebeln-umweltschutz-aus

4) PAN Europe (2023) New report exposes hidden threat: PFAS presence in pesticides: https://www.pan-europe.info/press-releases/2023/11/new-report-exposes-hidden-threat-pfas-presence-pesticides

Kontakt:

  • Manon Rouby, Policy Officer / Legal Adviser, Pesticides Action Network (PAN) Europe, manon@pan-europe.info, +336 43 24 33 79
  • Hans Muilerman, Chemicals Coordinator, Pesticides Action Network (PAN) Europe, hans@pan-europe.info, +316 55807255
  • Susanne Smolka, Referentin Pestizide / Biozide, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), Susanne.smolka@pan-germany.org, +49 (0)40 399 19 10-24

 




Es ist höchste Zeit, die Giftgeschäfte zu beenden

Pressemitteilung anlässlich des Besuchs von Brasiliens Präsident Lula in Berlin.

Berlin/Brasilia/Hamburg/Köln/, 04.12.2023. Anlässlich des Besuchs von Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva in Berlin und den deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen ruft ein Bündnis deutscher und brasilianischer Menschenrechts- und Umweltorganisationen dazu auf, den Pestizidhandel zwischen den Ländern zu regulieren. Die deutsche Bundesregierung muss dringend die von ihr angekündigte Verordnung eines Exportverbots für bestimmte Pestizide umsetzen.

Jedes Jahr erleiden nachweislich 385 Millionen Menschen unbeabsichtigte Vergiftungen durch den Einsatz von Pestiziden, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika. Brasilien zählt zu den besonders betroffenen Ländern. Zwischen 2000 und 2019 wurden in dem Land 56.870 Menschen durch Pestizide vergiftet, so eine universitäre Untersuchung. Darunter waren 3.750 Kinder und 542 Babys unter 12 Monaten. Das Ministerium selbst geht davon aus, dass auf jeden berichteten Fall 5 Fälle kommen, die nicht dokumentiert sind. Auch die Umwelt der Menschen ist durch die Pestizide stark kontaminiert. In jeder vierten brasilianischen Gemeinde finden sich Rückstände von mehreren Pestiziden im Trinkwasser. Pestizide, die in der EU als zu gefährlich für die hiesigen Beschäftigten in der Landwirtschaft und die eigene Bevölkerung gelten, werden weiterhin aus Deutschland exportiert und tragen zu diesen Vergiftungen bei. An den Exporten sind auch deutsche Chemiekonzerne wie die Bayer AG oder BASF beteiligt.

„Vor diesem Hintergrund ist es untragbar, dass das im Koalitionsvertrag vereinbarte und vom Bundeslandwirtschaftsminister bereits im letzten Jahr angekündigte Exportverbot für bestimmte Pestizide, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind, immer noch nicht umgesetzt wurde. Wirtschaftliche Interessen dürfen niemals Vorrang vor Gesundheit und Umweltschutz haben.“. kritisiert Susan Haffmans, Referentin beim Pestizid Aktions-Netzwerk.

EU-Mercosur Abkommen verhindert die sozial-ökologische Transformation

Bei den aktuell in Berlin stattfindenden brasilianisch-deutschen Regierungskonsultationen steht neben handelspolitischen Fragen auch die Zusammenarbeit im Energiesektor und Klimaschutz auf der Tagesordnung. Dr. Silke Bollmohr, Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft beim INKOTA netzwerk fordert: „Wir erwarten ein verbindliches Bekenntnis zu agrarökologischen Alternativen. Solche würden die negativen Folgen durch Pestizidvergiftungen drastisch reduzieren und das Menschenrecht auf Nahrung nachhaltig stärken.“

„Das Handelsabkommen, das die EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abschließen will, verschärft das Problem hingegen, da es die Importzölle des Mercosur auf Chemikalien aus der EU weitestgehend abschafft. Menschenrechte und Umweltschutz dürfen keine Lippenbekenntnisse bleiben, sondern müssen der Kompass der deutsch-brasilianischen Beziehungen sein“, ergänzt Marian Henn, Referent für Lateinamerika bei FIAN Deutschland.

Brasilien: Lula muss Giftpaket stoppen

Die brasilianische Zivilgesellschaft appelliert zusätzlich an den Präsidenten Lula, das nationale Rahmenwerk zur Zulassung und Verwendung von Agrargiften nicht weiter aufzuweichen. Vergangene Woche ist die das sogenannte „Giftpaket“ zur weiteren Flexibilisierung von Agrarchemikalien im Senat verabschiedet worden. Nun hängt es an Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, sein Veto einzulegen.

Pedro Vasconcelos Rocha von der brasilianischen Menschenrechtsorganisation FIAN Brasil und Teil der Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida (Ständige Kampagne gegen Pestizide und für das Leben) hierzu: „Mit dem Gesetz wird es nicht nur eine Schwemme an neuen Pestizidprodukten geben, die bekanntermaßen gefährlich für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sind. Es vermittelt auch die alarmierende Botschaft, dass Präsident Lula entgegen seinen Wahlkampfversprechen weiterhin auf ein Agrarmodell setzt, das in hohem Maße von der Verwendung hochgefährlicher Agrargifte abhängig ist. Dass deutsche Chemie-Konzerne durch ihre Lobby-Arbeit in Brasilien daran mitgewirkt haben, ist skandalös.“

Neben der Lockerung der Gesundheits- und Umweltauflagen fördert das Gesetz die Konzentration die Befugnisse für die Registrierung von Pestiziden im Landwirtschaftsministerium, das traditionell von Großgrundbesitzern und der Agrarindustrie dominiert wird.

Daher fordern wir von der deutschen Bundesregierung:

  • … ein Export-Verbot von allen Pestiziden und Pestizidwirkstoffen aus Deutschland, die aufgrund ihres Gefahrenpotentials für Menschen und Umwelt in der EU nicht genehmigt sind. Die zügige Umsetzung der aktuellen Exportverbots-Verordnung ist ein wichtiger erster Schritt.
  • …das EU-Mercosur in seiner jetzigen Form abzulehnen und sich für ein gerechtes und ökologisches Abkommen mit einklagbaren Verpflichtungen Umwelt- und Klimaschutz sowie bei sozialen Belangen einzusetzen.
  • …die Erreichung verbindlicher Zusagen, Brasilien bei der Stärkung agrarökologischer Alternativen zu unterstützen.
  • … Präsident Lula zu überzeugen, dass brasilianische Giftpaket nicht zu genehmigen.

Kontakt:

Hintergrund:

Bombardi, L. M. (2021): Geography of Asymmetry: the vicious cycle of pesticides and colonialism in the commercial relationship between Mercosur and the European Union

Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida (2021): Dossiê Contra o Pacote do Veneno e Em Defesa da Vida.

FIAN Brasil et al. (2020): Pesticides in Latin America: Violations Againste the Right to Food and Nutrition

FIAN Österreich (2023): Pestizidfreie Ernährungssysteme, Recht auf Nahrung und Klimagerechtigkeit.

PAN Germany, Inkota, RLS (2021): Doppelstandards und Ackergifte von Bayer und BASF




NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

PAN Germany & PAN Europe: Rechtliche und wissenschaftliche Kriterien stehen in direktem Widerspruch zu Zulassung durch EU-Kommission

Brüssel/Wien/Paris/Berlin/Hamburg, 21. November 2023. Pressemitteilung.
Die Europäische Kommission wird in den nächsten Tagen das Herbizid Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Europe, PAN Germany und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten. Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer*innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. „Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich dabei auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die beteiligten Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen. Gegen die Wiedergenehmigung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und dann auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für eine Verlängerung stimmten Länder, die lediglich 42 % der EU-Bürger*innen repräsentieren.

„Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung der Krebsgefahr von Glyphosat hin: „Nicht nur, dass die ECHA mit Hilfe von Verstößen gegen geltende Richtlinien eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen unter den Tisch kehrte. Auch die EFSA verwarf neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom, mit der Begründung, dass dafür internationale Richtlinien zur Risikobewertung fehlten.“

„Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert*innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich).

Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler*innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor*innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Margriet Matingh, Präsidentin von PAN Netherlands, betont: „Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.“

„Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun auch Umwelt-NGOs und Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, hinzu.

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: „Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

Die Aufzeichnug zur Pressekonferenz von heute Morgen finden Sie hier (25 Minuten).

 




Zusagen im neuen UN Rahmenwerk für Chemikalien sollte globale Pestizid-Maßnahmen vorabtreiben

2. Oktober 2023. Presseimitteilung / Pesticide Action Network (PAN) International begrüßt die bedeutenden Vereinbarungen zur die Gründung einer Globalen Allianz zu Pestiziden und zum Ausstieg aus hochgefährlichen Pestiziden in der Landwirtschaft, die von Regierungen, dem Privatsektor und anderen Interessengruppen auf der Fünften Internationalen Konferenz zum Chemikalienmanagement (ICCM5) getroffen wurden.

Am 30. September verabschiedete die ICCM5 das Global Framework on Chemicals: For a planet free of harm from chemicals and waste“ (Für einen Planeten ohne Schäden durch Chemikalien und Abfälle), das als Nachfolgeabkommen zu SAICM, die Richtung der globalen Chemikalien- und Abfallpolitik, einschließlich Pestiziden, vorgibt. Vertreten durch regionale Zentren aus Afrika, dem asiatisch-pazifischen Raum, Lateinamerika, Europa und Nordamerika ging PAN mit starken Vorschlägen in die Verhandlungen. Dazu zählten bis 2030 die weltweit gefährlichsten Pestizide schrittweise aus der Landwirtschaft auszuschließen und die Ausfuhr von auf nationaler Ebene verbotenen Pestiziden zu untersagen.

Zum Abschluss der ICCM5 wurden u.a. die folgenden Ziele verabschiedet:

  • „Bis 2035 haben die Beteiligten wirksame Maßnahmen ergriffen, um hochgefährliche Pestizide in der Landwirtschaft auslaufen zu lassen, wenn die Risiken nicht beherrscht wurden und sicherere und erschwingliche Alternativen zur Verfügung stehen, und den Übergang zu diesen Alternativen zu fördern und sie verfügbar zu machen.“ (Zielvorgabe A7)
  • „Bis 2030 arbeiten die Regierungen darauf hin, die Ausfuhr von Chemikalien, die sie auf nationaler Ebene verboten haben, im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen zu notifizieren, zu regulieren oder zu verbieten.“ (Zielvorgabe A5)

Obwohl die Beteiligten während des intersessionalen Prozesses und hier in Bonn hart gearbeitet haben, zeigt das Ergebnis der ICCM5 nach Meinung von PAN nicht die Dringlichkeit, den Ehrgeiz und das Engagement, die erforderlich sind, um der wachsende Bedrohung durch die Verschmutzung durch Chemikalien und Abfälle zu begegnen und die zunehmende Notwendigkeit, die Verschmutzung zu verhindern und Schäden für Mensch und Umwelt zu beseitigen, anzugehen.

Dennoch erkennt PAN an, dass Fortschritte erzielt wurden, auch in Bezug auf Pestizide – die Gruppe von Chemikalien, die weltweit in größten Mengen und absichtlich in die Umwelt freigesetzt werden und mit denen Hunderte von Millionen von Landwirt*innen und Landarbeit*innen direkt umgehen – von denen viele keinen Zugang zu ausreichenden Informationen haben und nur begrenzt oder gar nicht in der Lage sind, sich selbst oder ihre Familien ausreichend vor Schäden durch Pestizide zu schützen.

Wir begrüßen die von den Regierungen eingegangenen Verpflichtungen, sicherere und nachhaltigere landwirtschaftliche Praktiken, einschließlich der Agrarökologie, zu unterstützen:

  • „Bis 2030 setzen die Regierungen politische Maßnahmen und Programme, um sicherere und nachhaltigere landwirtschaftliche Praktiken, einschließlich Agrarökologie, integriertem Pflanzenschutz und der Verwendung von nicht-chemischen Alternativen, zu unterstützen, soweit dies angemessen ist.“ (Zielvorgabe D5)

Darüber hinaus ist PAN zuversichtlich, dass die Gründung einer Globalen Allianz für hochgefährliche Pestizide (HHPs) den Ausstieg aus der Verwendung dieser besonders gefährlichen Pestizide beschleunigen kann. Die Gründung einer „Global Alliance on HHP“ war ein Vorschlag der afrikanischen Region und wurde und wird von PAN nachdrücklich unterstützt. Die Allianz hat den Auftrag, Maßnahmen zu HHPs zu mobilisieren und zu koordinieren, und soll von der FAO als führender UN-Organisation zusammen mit der WHO, der ILO und dem UNEP koordiniert werden.

In einem Brief an die Präsidentin der ICCM5, Dr. Anita Breyer, forderten fast 400 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 74 Ländern ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus HHPs und zur Beendigung von Doppelstandards im Handel mit Pestiziden. Wir bedauern, dass unsere Forderungen in dem neuen Rahmenwerk nur teilweise erfüllt wurden und unterstreichen, dass mehr getan werden muss, um wirksame Maßnahmen gegen Schädigungen durch Pestizide umzusetzen.

Die Zusagen, die im neuen globalen Rahmenwerk „Global Framework on Chemicals“ eingegangen wurden, sind zwar unzureichend, aber dennoch bedeutsam und sollten als Katalysator für globale Reformen in der Pestizidpolitik dienen. Nur wenn wir dem Schutz und dem Wohlergehen der Menschen und des Planeten Vorrang vor Profit-Interessen einräumen, können wir hoffen, unsere Vision eines Planeten ohne Schäden durch Pestizide zu erreichen.

 

Pressekontakt:

Tadesse Amera, Co-Coordinator, PAN International: atadesse2002@yahoo.com | +251 91 124 3030

Maïmouna Diene, Chair, PAN International; Director, PAN Africa: maimounadiene@pan-afrique.org | +221 775449689

Sarojeni Rengam, Executive Director, PAN Asia Pacific (PAN AP): sarojeni.rengam@panap.net | +60 12-974 0611

Susan Haffmans, Senior Advisor, PAN Germany:  susan.haffmans@pan-germany.org | +49 157 315 640 17

Maria Isabel Carcamo, Coordinator RAPAL Uruguay: coord@rapaluruguay.org | +598 99613193




Mehr als erwartet, weniger als notwendig – Globale Vereinbarung liefert keinen ausreichenden Schutz vor Chemikalien

Gemeinsame Pressemitteilung vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, European Network for Environmental Medicine, Forum Umwelt und Entwicklung, Health and Environment Justice Support, Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland und Women Engage for a Common Future

Bonn, den 30.09.2023: Trotz einiger Erfolge blieb der erhoffte Durchbruch auf der Weltchemikalienkonferenz in Bonn aus. Umweltverbände zeigen sich enttäuscht, dass das neue globale Chemikalienabkommen unter dem Titel “Global framework on chemicals – for a planet free of harm from chemicals and waste”, das heute in Bonn verabschiedet wurde, nicht die dringend benötigte Trendwende einleitet. Angesichts der rasant und unkontrolliert wachsenden Produktion und Nutzung von Chemikalien sind die Ziele der neuen Vereinbarung an zentralen Stellen zu schwach und das Instrument finanziell zu schlecht ausgestattet. Damit dürfte der Zweck, die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Chemikalien zu verringern, nicht erreicht werden.

Die Verbände begrüßen die Zusage Deutschlands, 20 Millionen Euro als erste Finanzierung für die Umsetzung des neuen Rahmenwerks bereitzustellen. Um jedoch der Dimension des Problems gerecht zu werden, sind mehr finanzielle Mittel erforderlich. Weitere Zusagen für Gelder anderer Industrieländer sind unabdingbar und strukturelle Änderungen notwendig. Hierzu zählt, das Verursacherprinzips (Polluter Pays Principle) umzusetzen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, das European Network for Environmental Medicine, Forum Umwelt und Entwicklung, Health and Environment Justice Support, Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland und Women Engage for a Common Future fordern entsprechend, endlich auch die chemische Industrie stärker in die Verantwortung zu nehmen und zur Kasse zu bitten. Mit einer Einigung auf eine Abgabe auf Primärchemikalien und der Bereitstellung dieser Gelder über einen Fonds, wie von der Afrikanischen Region und NGOs vorgeschlagen, hätte die Konferenz tatsächlich Geschichte schreiben können. Stattdessen werden die Länder im Globalen Süden mit der Verschmutzung, die Industrien und Staaten aus dem globalen Norden mit zu verantworten haben, allein gelassen.

Die Verschmutzung der Erde mit Chemikalien, Pestiziden, Plastik und Abfällen ist die dritte große Umweltkrise unserer Zeit. Die Lücke zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem notwendigen Handeln, um die chemische Verschmutzung einzudämmen, wird stetig größer. Die Weltchemikalienkonferenz hätte dazu beitragen können, diese Lücke zu schließen und eine Trendwende einzuleiten.

Positiv anzumerken ist das wachsende kritische Bewusstsein unter den Delegierten für die negativen Auswirkungen der steigenden Produktion und Nutzung von Chemikalien. Auch konnten Teilerfolge errungen werden:

  • Unter massivem Druck der Zivilgesellschaft konnte erreicht werden, dass hochgefährliche Pestizide künftig stärker adressiert werden. Erstmals gibt es ein globales Ziel, die Nutzung dieser besonders gefährlichen Pestizide auslaufen zu lassen und sie durch weniger gefährliche, insbesondere nicht-chemische Alternativen zu ersetzen.
  • Die beschlossene High-level Deklaration sendet ein klares Zeichen und einen eindeutigen politischen Willen. Die dort gesetzten Ambitionen finden sich aber zu wenig in der neuen Vereinbarung wieder.
  • Um der unterschiedlichen Empfindlichkeit und Belastung hinsichtlich der Geschlechter im neuen Rahmenwerk Rechnung zu tragen, wurde eine Resolution zu Gender verabschiedet. Damit wurde der Grundstein gelegt, Geschlechter-Unterschiede stärker zu berücksichtigen und somit den Schutz vieler Menschen zu verbessern.

Deutlich kritisieren die Verbände das Verhalten des Bundeskanzlers in dieser Woche. Während sich Vertreter*innen von Staaten, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Industrie in Bonn getroffen haben, um einen neuen globalen Ansatz zum Chemikalienmanagement zu verhandeln, gab der Kanzler einem Treffen  mit den Spitzen der deutschen Chemieindustrie in Berlin den Vorzug. Nach Bonn wurde lediglich eine Videobotschaft gesendet, die einseitig die Interessen der Industrie widerspiegelt. So sendet der Kanzler des Gastgeberlandes der Weltchemikalienkonferenz das Signal, die Profitinteressen einiger über den Schutz von Mensch und Umwelt vor Chemikalien auf der ganzen Welt zu stellen.

Hintergrund

Die WHO führt weltweit 2 Millionen Todesfälle auf die Auswirkungen von gefährlichen Chemikalien zurück. Jährlich gibt es fast 400 Millionen akute Pestizidvergiftungen, vor allem im globalen Süden. Allein die gesellschaftlichen Kosten der Folgen der Exposition von Blei beträgt 10% des globalen Bruttosozialprodukts. Die Produktion und Nutzung von Chemikalien hat einen Anteil von 8% der globalen Treibhausgasemissionen. Lebewesen und Ökosysteme werden durch die Exposition mit Chemikalien nachhaltig beeinträchtig, leiden unter chronischen Erkrankungen oder sterben. Auch in Europa sind Menschen, besonders Kinder und Jugendliche, stark mit Chemikalien wie Weichmacher oder Fluor Chemikalien belastet. Die Dimensionen der negativen Auswirkungen von Chemikalien auf Mensch und Umwelt sind kaum vorstellbar. Immer deutlicher wird, dass es so nicht weitergehen kann, wenn wir auch künftigen Generationen eine saubere und gesunde Umwelt hinterlassen wollen.

Bereits 2006 einigten sich Staaten und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Industrie darauf, die negativen Auswirkungen von Chemikalien bis 2020 drastisch zu reduzieren. Dazu wurde der Strategische Ansatz für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) beschlossen. Das Ziel, bis 2020 einen nachhaltigen Umgang mit Chemikalien zu schaffen, wurde nicht erreicht. Ausschlaggebend dafür waren fehlende finanzielle Mittel, Druck seitens der Industrie und ein fehlender politischer Wille. Seit 2015 lief der Prozess zur Entwicklung eines Folgeabkommens. Bedingt durch die Corona-Pandemie geriet der Prozess ins Stocken und konnte nicht, wie geplant, 2020 abgeschlossen werden. Erst jetzt konnten die Staatengemeinschaft und weitere Stakeholder in Bonn für die Weltchemikalienkonferenz zusammenkommen und ein Folgeabkommen beschließen. Die Bundesregierung hat die Präsidentschaft in dem Prozess inne und war damit Gastgeberin für die Weltchemikalienkonferenz.

 

Kontakte

Manuel Fernandez, Bund für Umwelt und NAturschutz Deutschland;
Tel.:       +49 151-19336210
Mail:       manuel.fernandez(at)bund.net

Johanna Hausmann, Women Engage for a Common Future
Tel.:       +49 173-8010040,
Mail:      johanna.hausmann(at)wecf-consultant.org

Alexandra Caterbow, Health and Environment Justice Support
Tel.:       +49 179-5244994
Mail:      alexandra.caterbow(at)hej-support.org

Susan Haffmans, Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland
Tel.:       +49 157-31564017
Mail:       susan.haffmans(at)pan-germany.org

Florian Schulze, European Network for Environmental Medicine
Tel.:       +49 178-1812729,
Mail:      florian.schulze(at)envmed.org

Tom Kurz, Forum Umwelt und Entwicklung
Tel.:       +49 151-57793215
Mail:      kurz(at)forumue.de

 




Weltchemikalienkonferenz: Ehrgeizige Maßnahmen zur schrittweisen Abschaffung der gefährlichsten Pestizide der Welt angemahnt

Bonn, 25. September 2023. Pressemitteilung. 373 Organisationen der Zivilgesellschaft und indigener Völker aus 74 Ländern fordern die Staats- und Regierungschefs auf der bedeutenden internationalen Weltchemikalienkonferenz dazu auf, dringend zu handeln, um hochgefährliche Pestizide (HHP)[1] aus dem Verkehr zu ziehen. HHPs sind eine bestimmte Gruppe von Pestiziden, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in besonderer Weise schaden und als zu gefährlich für den Einsatz gelten.

Der gemeinsame Appell an Regierungen und andere Akteure des Strategischen Ansatzes für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) wurde bei der heutigen Eröffnung der Weltchemikalienkonferenz (ICCM5) unterbreitet. Der Appell fordert, in den neuen SAICM-Rahmen „Beyond2020“ ein ehrgeiziges Ziel für den Ausstieg aus der Verwendung von HHPs in der Landwirtschaft bis 2030 aufzunehmen. Auf der Konferenz wird die zukünftige Rahmenvereinbarung abgestimmt, die für die nächsten Jahrzehnte die Richtung der globalen Chemikalienpolitik vorgeben wird.

„Von allen Sektoren setzt der Agrarsektor systematisch und beabsichtigt die größte Menge giftiger Chemikalien – Pestizide – in die Umwelt frei, wodurch jährlich Milliarden Hektar Land verschmutzt werden und erhebliche Schäden für die biologische Vielfalt, das Klima, die Gesundheit und die Menschenrechte entstehen. Die Konferenz hat die Möglichkeit und die Verpflichtung, dieser Belastung zu begegnen und Lösungen festzuschreiben, damit die alltägliche Vergiftung endlich gestoppt wird.“, sagt Susan Haffmans, Referentin für Pestizide und Internationale Angelegenheiten bei PAN Germany.

Zu den Unterstützern des Appells zählen Organisationen aus aller Welt, die Landwirt*innen, Landarbeiter*innen, indigene Völker und ländliche Bevölkerungsgruppen vertreten, Wissenschaftler*innen und Akademiker*innen, Opfer von Pestizidvergiftungen, Verbraucher- und Menschenrechtsaktivist*innen, Umwelt- und Gesundheitsgruppen und Gewerkschaften. Gemeinsam rufen sie die Teilnehmenden an der ICCM5 dazu auf, sich für folgende Kernpunkte im neuen Regelwerk einzusetzen:

  • Die Aufnahme eins Ziels für alle Länder, die Ausfuhr von Stoffen zu untersagen, die sie auf nationaler Ebene verboten haben. Bei vielen dieser Stoffe handelt es sich um Pestizide.
  • Die Aufnahme eines Ziels für alle Länder, Strategien und Programmen zur Förderung sichererer und nachhaltigerer, nicht-chemischer Alternativen zu HHPs, umzusetzen, insbesondere von Agrarökologie.
  • Den Vorschlag von 54 afrikanischen Ländern mitzutragen, eine Globale Allianz für hochgefährliche Pestizide[2] zu gründen, die sich für den Ausstieg aus der Verwendung hochgefährlicher Pestizide einsetzt.

„Wenn die Ziele für nachhaltige Entwicklung erreicht, der ökologische Kollaps abgewendet und die Menschenrechte gewahrt werden sollen – einschließlich des Rechts auf Nahrung und des Rechts künftiger Generationen auf eine saubere und gesunde Umwelt – müssen alle zusammenarbeiten, um die gefährlichsten Pestizide der Welt zu beseitigen und sicherere agrarökologische Alternativen einzuführen und zu verbreiten“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben.

Die Gruppen entgegneten Befürchtungen, die Abschaffung von HHPs könne die Ernährungssicherheit gefährden, und erklärten, dass im Gegenteil die toxischen Auswirkungen von HHPs, die Ökosysteme und die Produktivität negativ beeinflussen. HHPs wurden in der Landwirtschaft in einer Reihe von Ländern schrittweise abgeschafft, ohne die landwirtschaftliche Produktivität zu beeinträchtigen. Dies wurde auch von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt.[3] Es gibt bereits sicherere Alternativen zu synthetischen Pestiziden. Vor allem agrarökologische Ansätze haben sich als wirksame und nachhaltige Alternativen erwiesen.[4]

Jedes Jahr werden fast 400 Millionen Landwirt*innen und Landarbeiter*innen durch Pestizide vergiftet, was zu etwa 11.000 Todesfällen führt – die meisten davon ereignen sich im globalen Süden. Weil sie äußerst giftig sind, sind HHPs für eine große Zahl dieser akuten Vergiftungsfälle verantwortlich[5].

Nur ein Bruchteil der weltweit auf dem Markt befindlichen Pestizide wird über verbindliche Konventionen reguliert. Das jetzt verhandelte neue Chemikalienabkommen unter dem Dach des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) soll Lösungen erarbeiten, für die zunehmende Belastung unseres Planeten und der Gesundheit aller Menschen mit Chemikalien und Abfällen.

Kontakt für deutsche Medien: Susan Haffmans, susan.haffmans@pan-grmany.org, mobil: +49 157 315 640 17

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[1] Highly Hazardous Pesticides (HHPs) are pesticides that present particularly high levels of acute or chronic hazards to health or the environment according to internationally accepted hazard classification systems, their listing in relevant binding international agreements or conventions, or under conditions of use in a country

[2] Die Global Alliance on HHPs ist ein freiwilliger Multi-Stakeholder-Mechanismus zum schrittweisen Ausstieg aus der Verwendung von hochgefährlicher Pestizide, der von 54 Regierungen aus der afrikanischen Region bei der ICCM5 vorgeschlagen wurde. Die Allianz soll mit der Entwicklung und Umsetzung eines globalen Aktionsplans mit klaren Zielen und Meilensteinen für den Fortschritt bei der Erreichung eines weltweiten Ausstiegs aus der Verwendung von HHPs beauftragt werden.

[3] FAO and WHO. 2019. Detoxifying agriculture and health from highly hazardous pesticides – A call for action. Rome

[4] Pesticide Action Network UK and IRET (2017). Alternatives to Highly Hazardous Pesticides; GIST Impact Report (2023). Natural Farming Through a Wide-Angle Lens.

[5] Boedeker, W., Watts, M., Clausing, P. et al. (2020) The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning: estimations based on a systematic review. BMC Public Health.