„Bienen und Bauern retten!“ – Anhörung zur EBI im EU-Parlament am 24. Januar 2023

Mehr als 1,1 Millionen EU Bürger*innen haben erfolgreich mit ihrer Unterschrift die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ unterstützt. Die EBI fordert ein Ende des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU bis 2035, Maßnahmen zur Erholung der Artenvielfalt sowie Unterstützung der Landwirte, um die Transformation zu einer nachhaltigen, agrarökologischen Landwirtschaft zu schaffen.

Am Dienstag, 24. Januar 2023 von 14:30 bis 18:30 Uhr, findet eine Anhörung im EU Parlament dazu statt, bei der die Forderungen und Vorschläge der Bürgerinitiative vorgestellt und anschließend mit den Abgeordneten diskutiert werden. Die Anhörung kann im Livestream verfolgt werden.

Den Link zum Livestream und das Programm zur Anhörung finden Sie bei PAN Europe unter: https://www.pan-europe.info/save-bees-and-farmers-hearing#

Unter anderem gibt es Beiträge von:

  • Assistenzprofessor Jeroen Candel, Initiator eines von 739 Wissenschaftlern aus ganz Europa unterzeichneten Appells für eine ehrgeizige und nicht weiter zu verzögernde Pestizidreduktions-Gesetzgebung in der EU).
  • Der französische Landwirt Jean-Bernard Lozier zeigt, wie er den Pestizideinsatz auf seinem 80 Hektar großen Ackerbaubetrieb um 80 % reduziert hat – ohne Ertragseinbußen und bei gleichzeitiger Gewinnsteigerung und geringerer Arbeitsbelastung.
  • Die Bodenwissenschaftlerin Professorin Violette Geissen gibt Einblicke in die neuesten Studienergebnisse zu Pestizidrückständen und erläutert die Kombinationswirkungen von Pestizidgemischen auf unsere Gesundheit und Umwelt.

Die Anhörung im EU Parlament findet zu einem wichtigen Zeitpunkt statt. Der Vorschlag der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50 % zu reduzieren, stößt bei der Agrarindustrie auf heftige Kritik. Vor dem Hintergrund der russischen Aggression in der Ukraine und aus Angst vor möglichen Produktionsverlusten und Nahrungsmittelengpässen stimmten 19 Mitgliedsländer im EU-Rat dafür, von der EU Kommission eine neue Folgenabschätzung für die derzeit verhandelte Pestizidreduktions-Verordnung (SUR) zu fordern. Diese erneute Verzögerung könnte die Umsetzung des „EU Green Deal“ ernsthaft gefährden. PAN Germany berichtete darüber.

Sowohl die Verordnung zur Pestizidreduktion (SUR) als auch ein neuer Gesetzesvorschlag zur Wiederherstellung der Natur sind Teil des „EU Green Deal“ und der „Farm to Fork“-Strategie deren Entwürfe derzeit im EU-Rat und im Parlament erörtert und noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollen.




Vergiftete Profite – Schwerpunkt Pestizide im FUE-Rundbrief

Das falsche Mantra „Pesticides feed the World“ hält sich hartnäckig in den Köpfen vieler Entscheidungsträger*innen. Agrar- und Chemiekonzerne werden nicht müde, Pestizide und chemische Düngemittel als Lösung gegen den Welthunger zu präsentieren. Doch dem weltweit steigenden Pestizideinsatz zum Trotz steigt die Zahl der Hungernden. Der Blick auf die weltweiten Pestizidvergiftungen, die ubiquitäre Belastung natürlicher Ressourcen mit umweltschädlichen Pestiziden, die Gefährdung ökologischer Schlüsselfunktionen und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit großflächigen Pestizidanwendungen zeigen, dass die industrielle Landwirtschaft zugleich Treiber und Leidtragende der ökologischen, aber auch wirtschaftlichen Krisen unserer Zeit ist. Dennoch wird weltweit wenig investiert, um die Landwirtschaft resilienter und ökologischer zu gestalten und den in der Landwirtschaft Beschäftigten zukunftsfähige Perspektiven zu bieten. „Follow the Money“ – wie in jedem Krimi lohnt es auch hier den Blick zu schärfen, wer von dem System profitiert.

Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Artikel des Rundbriefs „Vergiftete Profite“ vom Forum für Umwelt & Entwicklung beleuchten nicht nur die Schattenseiten, sondern zeigen auch, wie es anders geht. Hier eine Auswahl aus dem Rundbrief:

Den gesamten Rundbrief lesen




Der Notwendigkeit entgegen: EU verzögert Pestizidreduktion

Es grenzt schon an Realsatire. Während die Weltgemeinschaft in Montreal auf dem UN-Gipfel für biologische Vielfalt (COP 15) eine Halbierung der Pestizidrisiken beschließt, verzögert fast zeitgleich der EU-Rat, diese Pestizidreduktion in der EU rasch und verbindlich auf den Weg zu bringen.

Bis zur letzten Sekunde appellierten die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ (EBI) sowie 718 Wissenschaftler*innen an die Entscheidungsträger*innen in der EU, eine Verschleppung der Verhandlungen zur neuen Pestizidverordnung (Sustainable Use Regulation, SUR) noch abzuwenden. Doch nun gab der EU Rat am 19.12.22 dem Vorstoß zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten (PAN Germany berichtete) statt, mit dem Hebel einer zusätzlichen Folgenabschätzung die Verhandlungen zum Verordnungsentwurf und damit ein harmonisiertes Vorgehen zur Pestizidreduktion in der EU zu verzögern.

Der Zusammenhang zwischen dem massiven Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und dem Rückgang der Artenvielfalt sowie negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die weltweite Ernährungssicherheit ist wissenschaftlich belegt. So wundert es auch nicht, dass die weltweite Reduzierung des Pestizideinsatzes eines der wichtigsten Verhandlungsergebnisse des am Montag zu Ende gegangenen Biodiversitätsgipfels der Vereinten Nationen in Montréal war. In der als „historisch“ bezeichneten Abschlusserklärung einigten sich die rund 200 Teilnehmerstaaten darauf, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen und die Risiken von Pestiziden für Mensch und Umwelt bis 2030 zu halbieren (vgl. BMUV-Pressemitteilung).

In Brüssel konnten sich dagegen die Stimmen durchsetzen, die eine rechtlich verbindliche Verankerung der Pestizidreduktionsziele der Farm-to-Fork Strategie und der Biodiversitätsstrategie in die SUR besonders kritisch gegenüberstehen. Zwar begrüßte der EU-Rat grundsätzlich das Ziel der Kommission, die nachteiligen Auswirkungen des Pestizideinsatzes auf die Umwelt zu verringern und nachhaltige alternative Pflanzenschutzmittel und -methoden zu fördern, dennoch stimmte der EU-Ministerrat am 19. Dezember für eine zusätzliche, bis zu 6 Monate dauernde Folgenabschätzung, bei der die EU-Kommission die vereinbarten Pestizidreduktionsziele noch einmal im Lichte des Russischen Angriffskriegs in der Ukraine betrachten und ergänzende Daten und Informationen generieren solle. Zwar besagt der Beschluss, dass während der Arbeit an der Folgenabschätzung die Verhandlungen am SUR-Entwurf fortgesetzt werden können, jedoch nur zu technischen Fragen und nur für solche Bereiche, die nicht von der Folgenabschätzung betroffen sind. Damit droht in dieser Zeit faktisch ein Stillstand in der fachlich-politischen Debatte um die SUR.

Für PAN Germany zeigen die Forderung nach der Erhebung weiterer Daten und die Auflistung der zu beantwortenden Fragen eindrücklich die eindimensionale Sichtweise auf die Aufgaben und Risiken landwirtschaftlicher Produktion. PAN Germany appelliert nun an die EU-Kommission, schnell, also deutlich vor den sechs Monaten, die Folgenabschätzung vorzulegen und dabei auch die vielen positiven Auswirkungen von Pestizidreduktion zu berücksichtigen. Hierzu zählt auch in der Analyse zu berücksichtigen, wie sich die Reduktion des Pestizideinsatzes bei gleichzeitiger Ausdehnung agrarökologischer Verfahren auf die Resilienz landwirtschaftlicher Systeme und somit auch auf die Stabilität von Erträgen angesichts sich verschärfender klimatischer Extreme auswirkt, welche positiven Effekte die Förderung der biologischen Vielfalt auf notwendige Ökosystemfunktionen, Bodenfruchtbarkeit und Wasserqualität haben und welchen positiven Einfluss der Ausbau alternativer Pflanzenschutzverfahren auf eine größere Unabhängigkeit der europäischen Landwirtschaft von erdölbasierten Rohstoffen hat.

Die Bundesregierung sprach sich in den vergangenen Wochen – anders als die meisten anderen EU-Regierungen – deutlich gegen Verzögerungen bei den Verhandlungen der SUR aus. PAN Germany begrüßt die Position Deutschlands, auch wenn sie sich am Ende leider nicht durchsetzen konnte. Dass die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten offenbar der Lobby der Pestizidhersteller gefolgt ist, ist bitter und behindert den dringend notwendigen Fortschritt hin zu einer ökosystembasierten nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Im neuen Jahr wird es aus Sicht von PAN Germany darum gehen müssen, den SUR-Entwurf konstruktiv zu verbessern und das Gesetzgebungsverfahren in dieser Amtszeit von EU-Kommission und EU-Parlament abzuschließen. Die Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“, die von 1,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger getragen wird, sind in die Debatten einzubeziehen.

Die Organisator*innen der EBI werden am 24. Januar 2023, von 14.30 bis 18.30 Uhr (mit Live Stream) im Europaparlament den Abgeordneten und der Europäischen Kommission ihre Forderungen zur Pestizidreduktion, zur Wiederherstellung der Biodiversität und zur angemessenen Förderung der Landwirte für diese Maßnahmen vorstellen.




Dringender Handlungsbedarf in der Tierproduktion um Antibiotikaresistenzen zu stoppen

Hamburg, 23.11.2022. Pressemitteilung. Antibiotika zur Behandlung von Infektionen sind aus der modernen Medizin nicht wegzudenken. Aber die zunehmende Entwicklung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen sind ein Problem mit nicht absehbarem Ausmaß. Anlässlich der europäischen Antibiotika Woche 2022 warnt PAN Germany, die Bedeutung des regelmäßigen Einsatzes von Antibiotika in der Tierproduktion nicht zu unterschätzen, und mahnt, dem „One-Health“-Ansatz Rechnung zu tragen, um die Pandemie der Antibiotikaresistenz erfolgreich zu bekämpfen.

Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen bei Menschen und die damit in Verbindung gebrachten Todesfälle nehmen deutlich zu. Das Robert-Koch-Institut (RKI) warnt bereits vor einer „schleichende Pandemie“.[1] Laut dem Institut für Health Metrics und Evaluation (IHME) sind rund 1,3 Millionen Todesfälle jährlich direkt auf antimikrobielle Resistenzen zurückzuführen, davon knapp 9.700 Todesfälle pro Jahr in Deutschland.

Wenn Antibiotika bei der Aufzucht und Mast von lebensmittelliefernden Tieren zum Einsatz kommen, können sie entlang ihres gesamten Lebenszyklus – von der Produktion, über den Einsatz, bis hin zur Entsorgung –  in die Umwelt gelangen. In freien Aquakulturen gehen bis zu 75 % der eingesetzten Antibiotika in die Umgebung verloren.[2] Wirkstoffrückstände können sich in Pflanzen und Nichtzieltieren anreichern, negative Wirkungen auf Ökosysteme haben und Gewässer und Lebensmittel, einschließlich Trinkwasser, kontaminieren. Da jede antimikrobielle Dosis die Resistenzentwicklung fördert, tragen Tier-Antibiotika in der Umwelt ebenfalls dazu bei, dass sich antimikrobielle Resistenzen schneller entwickeln und verbreiten.

Der Einsatz von Antimikrobiotika wie Antibiotika gehört heute zur gängigen Praxis in der Behandlung von Infektionen bei Nutztieren. Allerdings werden Arzneimittel in der Tierproduktion auch missbräuchlich eingesetzt, um wirtschaftliche Praktiken aufrechtzuerhalten, die Profit über Umwelt, menschliche Gesundheit und Tierwohl stellen. Stress durch wenig Platz und Bewegungsmangel, unangemessene Futtermittel, Hochleistungsansprüche, frühes Absetzen der Jungtiere und mangelnde Hygiene können nachweislich die Gesundheit der Nutztiere negativ beeinflussen. Tamara Gripp, Referentin für Landwirtschaft und Umwelt bei PAN Germany, sagt dazu: „Es ist jetzt an der Zeit, ein gesundheitsorientiertes System in der Tierproduktion zu schaffen, das Tierwohl und Gesunderhaltung in den Vordergrund stellt und eine verantwortungsvolle Reduktion des Antibiotikaeinsatzes ermöglicht. Das ist im Sinne der Ziele der EU „Farm to Fork“-Strategie (vom Hof auf den Tisch), ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem zu erreichen, und im Sinne des One-Health-Ansatzes für einen gemeinsamen Kampf gegen Antibiotikaresistenz.“

Der gemeinsam von PAN Germany und Healthcare without harm (HCWH) Europe Anfang des Jahres veröffentlichte Bericht „Tierarzneimittel in der europäischen Lebensmittelproduktion: Perspektiven für die Umwelt, die öffentliche Gesundheit und den Tierschutz“ zeigt Tendenzen beim Einsatz von Tierarzneimitteln, verdeutlicht die Auswirkungen von Tierarzneimitteln auf Umwelt, öffentliche Gesundheit und Tierwohl und stellt die wichtigsten rechtlichen Änderungen bei der Verwendung von Tierarzneimitteln durch den neuen EU-Rechtsrahmen für Tierarzneimittel vor.[3] Zudem gibt der Bericht Empfehlungen für den Lebensmittelsektor für ein gesundheitsorientiertes System und eine verantwortungsvolle Verwendung von Tierarzneimitteln.

Kontakt:

Tamara Gripp, MSc. Environmental Management
Referentin Landwirtschaft / Umwelt (Advisor Agriculture / Environment)

E-Mail: tamara.gripp@pan-germany.org

[1] Pressemitteilung RKI (18.10.2022) https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/06_2022.html

[2] Grigorakis, K. et al. (2011) Aquaculture effects on environmental and public welfare. www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0045653511008344

[3] PAN Germany & HCWH Europe (2022) Tierarzneimittel in der europäischen Lebensmittelproduktion: Perspektiven für die Umwelt, die öffentliche Gesundheit und den Tierschutz. https://pan-germany.org/download/bericht-tierarzneimittel-in-der-europaeischen-lebensmittelproduktion/




Pesticide Atlas – englische Ausgabe jetzt erhältlich

Seit 1990 ist der weltweite Einsatz von Pestiziden um 80% gestiegen, jährlich erleiden rund 385 Millionen Menschen weltweit Pestizidvergiftungen und manche Pestizide werden mit der Luft über Tausend Kilometer weit verfrachtet.

Diese und weitere Fakten und Daten präsentiert der überarbeitete und heute in englischer Sprache veröffentlichte „Pesticide Atlas – facts and figures about toxic chemicals in agriculture“.

Der Atlas enthält Beiträge und Infographiken zum weltweiten Einsatz und Handel von Pestiziden, beschreibt die negativen Auswirkungen auf Mensch, Gesundheit und Umwelt und zeigt alternative Lösungen auf. Der englische Atlas basiert auf dem deutschsprachigen „Pestizidatlas – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft“, der im Januar 2022 von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung und PAN Germany veröffentlicht wurde.

Für die nun vorliegende englische Ausgabe wurde der Fokus um weitere europäische und internationale Aspekte erweitert. Herausgegeben wurde der englische Pesticide Atlas von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, Friends of the Earth Europe und PAN Europe.

Englische Publikation „Pesticide Atlas – facts and figures about toxic chemicals in agriculture“




Erfolg für Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“!

Heute wurde die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“ offiziell von der EU Kommission als erfolgreiche Eingabe anerkannt. Das ist ein großer Erfolg! Über eine Millionen Bürger*innen in der EU haben diese Initiative unterzeichnet.
Sehr groß war die Unterstützung aus Deutschland. PAN Germany sagt DANKE für dieses starke Votum, im Namen aller 200 Organisations- und Unterstützergruppen, die diese Initiative mitgetragen haben. Von bislang 97 EBIs haben nur 7 erfolgreich die Hürde von 1 Million Unterschriften genommen, darunter zwei gegen den Einsatz von Pestiziden, die EBI “STOP Glyphosat” im Jahr 2017 und die aktuelle.

Die EBI „Bienen und Bauern retten!“ hat drei Forderungen gegenüber der EU und den EU-Mitgliedsstaaten formuliert:

  • einen schrittweisen Ausstieg aus dem Einsatz synthetischer Pestizide zu 80% bis 2030 und zu 100% bis 2035,
  • die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen sowie
  • eine finanzielle Unterstützung für Landwirte bei der Umstellung auf agrarökologische Verfahren.

Die nächsten Schritte sind ein Gespräch der Vertreter*innen der EBI, darunter PAN Europe als Hauptorganisator, mit der EU-Kommission und die Durchführung einer Anhörung über die EBI-Forderungen im Europäischen Parlament innerhalb der nächsten drei Monate.

Mehr Statements und Hintergrundinformationen stehen in der gemeinsamen Pressemitteilung von PAN Europe und Global 2000.

 




Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen vor Pestizidbelastungen reichen nicht aus

Hamburg, 4. Oktober 2022. Pressemitteilung. Eine neue Studie, die in der italienischen Provinz Bozen-Südtirol durchgeführt wurde, zeigt, dass trotz der von den lokalen Behörden ergriffenen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung immer noch synthetische Pestizide, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt schaden können, auf Kinderspielplätzen und Schulhöfen nachgewiesen werden.

Die Studie [1,2], eine Zusammenarbeit von Experten der Health and Environment Alliance (HEAL), des Pesticide Action Network (PAN) Europe, PAN Germany und der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU), wurde in einer der wichtigsten europäischen Anbauregionen für Äpfel und Wein durchgeführt. Die Forscher untersuchten die offiziellen Daten von 306 Grasproben, die zwischen 2014 und 2020 auf 88 nicht landwirtschaftlich genutzten öffentlichen Flächen wie Kinderspielplätzen und Schulhöfen gesammelt wurden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die bestehenden lokalen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidabdrift in der Region nicht wirksam genug sind, um die Pestizidexposition in öffentlichen Räumen zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen gehören Warnschilder und Einschränkungen der Pestizidausbringung in Bezug auf Tageszeit und Entfernung [3].

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Trotz eines leichten Rückgangs der gemessenen Pestizidrückstände zwischen 2014 und 2020 konnten an 73 % der beprobten Standorte immer noch Rückstände von mindestens einem Pestizid nachgewiesen werden, und im Jahr 2020 wurden an 27 % der Standorte Mehrfachrückstände gefunden.
  • Fluazinam, ein Fungizid, das im Verdacht vorgeburtliche Schäden zu verursachen, und das in Tierversuchen mit Krebs in Verbindung gebracht wurde, wurde an 74 % der kontaminierten Standorte nachgewiesen. Andere bedenkliche Pestizide wurden ebenfalls häufig nachgewiesen, so das Fungizid Captan (60 %) und das Insektizid Phosmet (49 %).
  • Der prozentuale Anteil der Rückstände von Pestiziden, die als schädigend für die menschliche Fortpflanzung klassifiziert sind, ist deutlich gestiegen, und zwar von 21 % im Jahr 2014 auf 88 % im Jahr 2020. Der Prozentsatz der Rückstände von Pestiziden mit spezifischer Organtoxizität, stieg ebenfalls von 0 % im Jahr 2014 auf 21 % im Jahr 2020 [4].
  • Der Prozentsatz der Stoffe mit Potenzial zur Hormonschädigung (89 %) oder zur Verursachung von Krebs (45 %), blieb während des Untersuchungszeitraums unverändert.
  • Würden diese Konzentrationen von Pestizidrückständen in lokal angebauten Lebensmitteln gefunden, so lägen sie um ein Vielfaches über den Werten, die in der EU als sicher für den Verzehr gelten.
  • Der Prozentsatz der nachgewiesenen Pestizidrückstände mit akuter Toxizität für Honigbienen blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums hoch.

Diese Ergebnisse stützen sich auf eine frühere Studie, in der Pestizidrückstände in Entfernungen zwischen 5 und 600 Metern von den landwirtschaftlichen Standorten, an denen sie ursprünglich eingesetzt wurden, nachgewiesen wurden [2].

„Eine konsequente Überwachung ist unabdingbar, um die Effizienz von Minderungs-maßnahmen und die Verringerung potenzieller Risiken für Mensch und Umwelt durch gefährliche Pestizide zu gewährleisten“, betont Dr. Caroline Linhart, Hauptautorin der Studie.

In der Europäischen Union werden bei der Risikobewertung von Pestiziden Vorhersagemodelle verwendet, um deren Verteilung in der Umwelt abzuschätzen. Diese Modelle berücksichtigen jedoch keine Daten aus der Praxis.

„Unsere Daten zeigen, dass die offiziellen Risikobewertungen die tatsächliche Exposition von Nicht-Zielorganismen, einschließlich des Menschen, gegenüber Pestiziden zu unterschätzen scheinen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das, was wir in dieser Studie gezeigt haben, höchstwahrscheinlich die Situation in anderen Regionen mit intensiver Apfel- und Weinproduktion in Europa und weltweit widerspiegelt“, erklärt Professor Johann Zaller, Mitautor von der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU).

„Die Daten deuten darauf hin, dass es in Regionen mit geringem Abstand zwischen Hausgärten und intensiv behandelten Flächen wie Obstplantagen immer wieder zur Kontamination der Gärten und des dort angebauten Obstes und Gemüses kommt. Das EU-Pestizidrecht von 2009 schreibt vor, alle als besonders gefährlich eingestuften Pestizide („Substitutionskandidaten“) durch weniger gefährliche, am besten durch nicht-chemische Verfahren zu ersetzen. Die Befunde zeigen die Dringlichkeit, diese Regelung endlich umzusetzen“, sagt Mitautor Dr. Peter Clausing, Toxikologe und wissenschaftlicher Berater des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany).

Die Ergebnisse der Studie kommen kurz nachdem die Europäische Kommission einen Entwurf für eine neue Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) veröffentlicht hat. Darin werden rechtsverbindliche Reduktionsziele festgelegt, um den Einsatz von Pestiziden in allen EU-Mitgliedsstaaten bis 2030 zu halbieren, insbesondere von solchen, die bekanntermaßen gesundheitsgefährdend sind. Der Vorschlag zielt auch darauf ab, den Einsatz von Pestiziden in allen „sensiblen“ Gebieten, die von der Allgemeinheit genutzt werden oder von ökologischer Bedeutung sind, sowie in einem Umkreis von drei Metern zu verbieten.

Interessanterweise sind mehrere dieser vorgeschlagenen EU-weiten Maßnahmen weniger streng als die der Landesregierung von Bozen-Südtirol, wo Pestizide mit gefährlichen Eigenschaften nicht in Bereichen eingesetzt werden dürfen, die von der Allgemeinheit und von Kindern genutzt werden, und auch nicht in einem Umkreis von 30 Metern von ihnen.

„Unsere Studie zeigt, dass regionale Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung, selbst wenn sie strenger sind als die von der EU-Kommission vorgeschlagenen, einfach nicht ausreichen, um die Exposition von Kindern und der Allgemeinheit gegenüber Substanzen zu verhindern, die das Potenzial haben, Krebs zu verursachen oder die Fortpflanzung zu schädigen. Eine drastischere Reduzierung aller Pestizide und eine deutliche Ausweitung der vorgeschlagenen Pufferzonen auf mindestens 50 Meter sind dringend erforderlich, um die Gesundheit zu schützen“, erklärt Dr. Angeliki Lyssimachou, Senior Science Policy Officer bei HEAL und Mitautorin der Studie.

Kontakt zu den Autor*innen:

Quellen:

  1. Pesticide drift mitigation measures appear to reduce contamination of non-agricultural areas, but hazards to humans and the environment remain’, Science of the Total Environment volume 854 (2022) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969722059137
  2. Die neue Studie baut auf früheren Untersuchungen auf, die sich mit Pestizidrückständen in Abhängigkeit vom Anwendungsort in Südtirol befasst haben: ‘Pesticide contamination and associated risk factors at public playgrounds near intensively managed apple and wine orchards’, Environmental Science Europe Volume 31 (2019) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-019-0206-0
  3. Im Fall von Bozen-Südtirol hat die Regierung 2014 damit begonnen, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Exposition gegenüber Pestiziden einzuführen. Dazu gehört eine 30-Meter-Pufferzone für Pestizide der Kategorie „hochgefährlich“ für Gesundheit und Umwelt, wenn sie in der Nähe von öffentlichen Flächen, die von Kindern und der Allgemeinheit besucht werden, zum Einsatz kommen. Nur bei zusätzlichen Schutzmaßnahmen (z. B. Barrieren in Form von Bäumen oder Hecken), kann der Abstand auf fünf oder zehn Meter Pufferzonen reduziert werden.
  4. Die Tabellen der Publikation stehen hier zur Verfügung: https://ars.els-cdn.com/content/image/1-s2.0-S0048969722059137-ga1_lrg.jpg

 




EILIG – Beteiligung an Konsultation zu neuer EU-Pestizidverordnung nur noch bis 19.09.2022 möglich

Helfen Sie mit, eine Landwirtschaft zu schaffen, die nicht von chemisch-synthetischen Pestiziden dominiert wird, die die Gesundheit besser schützt, die biologische Vielfalt unterstützt und mit der Natur arbeitet, anstatt gegen sie.

Die EU hat einen Vorschlag für eine neue Verordnung zur Reduzierung und Verwendung von Pestiziden vorgelegt. Dieses Gesetz wird den Umgang mit Pestiziden für viele Jahre regeln und kann ein echter Wendepunkt sein, bedarf aus unserer Sicht aber noch einiger Verbesserungen.

In der laufenden öffentlichen Konsultation dominieren aktuell die Pestizid-Befürworter die Kommentare. Dabei stehen viele Menschen in Deutschland hinter dem Ziel einer Pestizidreduktion in der Landwirtschaft. Die Beteiligung von mehr Menschen, die sich gegen den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden und für mehr agrarökologische Verfahren und Bioanbau aussprechen, ist deshalb dringend erforderlich.

Unterstützen Sie unser Anliegen und machen Sie bis zum 19. September 2022 mit!
Als EU-Bürgerin und -Bürger können Sie Ihre Meinung in der öffentlichen Konsultation kundtun.

PAN Europe hat ein Tool entwickelt, das Ihnen die Teilnahme erleichtert und Argumentationshilfen in deutscher Sprache bietet. Die Registrierung ist einfach, erfolgt sicher und direkt auf der EU-Konsultations-Website und es gibt die Möglichkeit anonym teilzunehmen.

Beteiligen Sie sich an der öffentlichen Konsultation zur neuen EU-Pestizidverordnung noch bis 19. September 2022!

 




Schulworkshop-Reihe „Bildung für eine zukunftsgerechte Landwirtschaft, Ernährung & Lebensweise“

Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit – diese globalen Herausforderungen betreffen die Gegenwart und die Zukunft junger Menschen hier bei uns und weltweit. Dass sich etwas ändern muss daran, wie wir Landbewirtschaftung betreiben und unsere Lebensmittel produzieren, aber auch an unserer Lebensweise, ist klar.

Wie sieht dieser Wandel aus? Und wie können wir ihn gemeinsam gestalten?

Eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn das Wissen, der Wille und die Fähigkeit für zukunftsgerechte Lösungen, die natürliche Ressourcen schonen, das Klima und die Biodiversität schützen, die Natur und die Gewässer sauber halten, und die Menschenrechte achten, in unserer Gesellschaft weiter wachsen.

Hier sieht PAN Germany dringenden Handlungsbedarf und bietet mit der dreiteiligen Schulworkshop-Reihe „Bildung für eine zukunftsgerechte Landwirtschaft, Ernährung & Lebensweise“ einen konkreten Beitrag für Bildung für nachhaltige Entwicklung im außerschulischen Bildungsbereich.

Unser Workshopangebot:

  • 3 Themen-Workshops
  • Moderation, Material und Methoden für jeweils 90 Minuten
  • Termine in Rücksprache nach Verfügbarkeit
  • Kostenfrei für Hamburger Schulen

Mehr Informationen unter dem Thema Bildung / Schulworkshops

 




Ein zukunftsfähiges Ernährungssystem in Hamburg verlangt nach ambitionierten Maßnahmen des Senats

Von der Produktion, über Transport und Lagerung bis zur Zubereitung unserer Lebensmittel – das Ernährungssystem steht in komplexen Wechselwirkungen zu unserer Umwelt und hat Einfluss auf Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit weltweit. Diese globalen Krisen machen den dringenden Handlungsbedarf für eine Wende im Sinne einer zukunftsgerechten Landwirtschaft, Ernährung und Lebensweise deutlich.

Von zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft und Nachhaltigkeitsinitiativen getragen, wurde heute ein Positionspapier mit Vorschlägen für konkrete Maßnahmen für eine Ernährungswende in öffentlich finanzierten Einrichtungen an den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg übergeben. Gemeinsam fordern wir, dass der Senat seine Verantwortung wahrnimmt, eine nachhaltige Ernährung in öffentlich finanzierten Einrichtungen zu gestalten und so zu einer nachhaltigen Entwicklung in unserer Gesellschaft beizutragen.

Folgende vier Kernmaßnahmen werden dafür vorgeschlagen:

  1. Bestandsaufnahme: Wie nachhaltig ist die Verpflegung in öffentlich finanzierten Einrichtungen in Hamburg?
  2. Ernährungsstrategie entwickeln und Mindeststandards für eine nachhaltige Ernährung in öffentlich finanzierten Einrichtungen in Hamburg verbindlich verankern.
  3. Förderprogramm „Bildung und Beratung für nachhaltige Verpflegung“ starten.
  4. Koordination, Evaluation und Kontrollen verbindlich festlegen.

Eine wirkungsvolle Ernährungsstrategie sollte klar formulierte Mindeststandards für eine nachhaltige Ernährung vorgeben. Dazu zählen unter anderem die Verwendung von ökologisch produzierten Lebensmittel, sowie Tier-, Gesundheits- und Klimaschutzstandards für tierische Produkte, als auch die Realisierung von sozial-verantwortlichen Lieferketten.

Weitere Informationen und die Hintergründe zum Thema können dem gemeinsamen Positionspapier entnommen werden.

Pressemitteilung der Agrar Koordination vom 01.09.2022