NGOs leiten rechtliche Schritte gegen EU-Glyphosat-Wiedergenehmigung ein

Brüssel/Wien/Hamburg Donnerstag, 25. Januar 2024, Pressemitteilung.

Ein Konsortium aus sechs NGOs – PAN Europe, ClientEarth (EU), Générations Futures (Frankreich), GLOBAL 2000 (Österreich), PAN Germany und PAN Netherlands – hat juristische Schritte zur Anfechtung der jüngsten Entscheidung der Europäischen Kommission zur Wiedergenehmigung von Glyphosat eingeleitet. Nach einer eingehenden Prüfung des Verfahrens zur Wiedergenehmigung von Glyphosat und der Feststellung mehrerer kritischer Mängel haben die Verbände bei der EU-Kommission gestern einen Antrag auf interne Überprüfung eingereicht, was den ersten Schritt in diesem Rechtsstreit darstellt.

Die Europäische Kommission, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) sind ihrer Verpflichtung zum Schutz der europäischen Bürgerinnen und Bürger und der Umwelt nicht nachgekommen, sie haben sich nicht an das EU-Recht und die Rechtsprechung zur Pestizidverordnung und das Vorsorgeprinzip gehalten.

Die Europäische Kommission hat Glyphosat erneut für 10 Jahre zugelassen, obwohl es eine Fülle wissenschaftlicher Beweise für dessen Toxizität für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gibt. Die Europäische Kommission hat nun 22 Wochen, also bis Ende Juni, Zeit, um formell auf den Antrag zu antworten. Sollte die Kommission die Zulassung von Glyphosat nicht widerrufen, werden die NGOs vor Gericht ziehen.

Angeliki Lyssimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, sagte: „Wir sind bestürzt über die unglaubliche Anzahl von Verstößen gegen das EU-Recht. Wissenschaftliche Erkenntnisse über die erhebliche Toxizität von Glyphosat für die Gesundheit und die Umwelt wurden von der EFSA und der ECHA nicht korrekt an die Kommission weitergegeben. Landwirtinnen und Landwirte sind die ersten Opfer. Die Kommission hat Glyphosat trotz der verfügbaren Informationen über dessen Toxizität und der zahlreichen Datenlücken erneut zugelassen. Dabei hätten diese ein Verbot zur Folge haben müssen.“

Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures, sagte: Die Behörden haben systematisch alle Daten aus der unabhängigen wissenschaftlichen Literatur verworfen und ihre Bewertung ausschließlich auf die von den Herstellern gelieferten Daten gestützt. Darüber hinaus scheinen einige wichtige Studien für verschiedene Bereiche der Bewertung noch zu fehlen, was die Kommission hätte veranlassen müssen, das Dossier wegen Unvollständigkeit nicht zu akzeptieren.“

Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, fügt hinzu: „Angesichts der in den US-Gerichtsverfahren aufgedeckten Beweise für die Beeinflussung früherer EU-Genehmigungsverfahren durch Monsanto hätten wir erwartet, dass die Behörden die Studien der Glyphosathersteller diesmal besonders genau unter die Lupe nehmen würden. Doch die Behörden wiederholten die Schlussfolgerungen früherer Genehmigungsverfahren in Copy-and-Paste-Manier – selbst dort wo die Argumente auf veralteten Herstellerstudien beruhten, die inzwischen allgemein als inakzeptabel gelten.“

Margriet Mantingh, Vorsitzende von PAN Netherlands, sagte: „Die Risikobewertung von Glyphosat durch die EFSA vernachlässigt die möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Parkinson-Krankheit und von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern, während Untersuchungen unabhängiger Wissenschaftler auf eine mögliche Wirkung hinweisen. Wir sind sehr besorgt darüber, dass die Kommission ihre Bürger nicht angemessen schützt. Deshalb fordern wir die Kommission auf, das Vorsorgeprinzip anzuwenden und die Genehmigung von Glyphosat zurückzuziehen.“

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany sagte: „Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweise für die krebserregende Wirkung von Glyphosat verzerrt, um zu dem falschen Schluss zu kommen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend.“

ClientEarth Senior Juristin Juliette Delarue sagte: „Glyphosat ist eine gefährliche Substanz – mit ihrer erneuten Genehmigung hat die Kommission einen offensichtlichen Fehler begangen und sich über das Gesetz und die unabhängige und zuverlässige Wissenschaft hinweggesetzt. Darüber hinaus ist die Kommission nach den EU-Verträgen verpflichtet, umsichtig zu handeln, um Schäden für Mensch und Natur zu vermeiden. Wir fordern die Kommission auf, endlich die Wissenschaft zu berücksichtigen und ihre Genehmigung zurückzuziehen.“

Weitere Informationen zu den Hintergründen finden Sie hier.

Kontakt:

  • Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker, GLOBAL 2000, helmut.burtscher@global2000.at, +43 699 14 2000 34
  • Martin Dermine, Executive Director, Pesticide Action Network (PAN) Europe
    martin@pan-europe.info, +32 486 32 99 92
  • Angeliki Lysimachou, Head of Science and Policy, Pesticide Action Network (PAN) Europe, angeliki@pan-europe.info +32 496 39 29 30
  • Tjerk Dalhuisen, Senior Communications Officer, Pesticide Action Network (PAN) Europe tjerk@pan-europe.info +31 614699126
  • Susanne Smolka, Referentin für Pestizide und Biozide, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), susanne.smolka@pan-germany.org, +49 (0)40 399 19 10-24

 




Gutachten zeigt: Glyphosat-Ausstieg in Deutschland immer noch möglich

Gemeinsame Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany)

Berlin / Hamburg, 17.1.2024. Trotz der Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene hat die deutsche Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Zulassung glyphosathaltiger Produkte zu verweigern oder ein Anwendungsverbot zu erlassen. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Damit könnte die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen, Glyphosat vom Markt zu nehmen.

Das Rechtsgutachten zeigt, dass die Bundesregierung, basierend auf den Vorgaben der Pflanzschutzmittel-Zulassungsverordnung, trotz Glyphosat-Wiedergenehmigung auf EU-Ebene begründet entscheiden kann, glyphosathaltigen Pestizidprodukten die Zulassung zu verweigern oder für diese ein nationales Anwendungsverbot zu erlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit gesetzlich festgelegter Anwendungsbeschränkungen. Dabei komme es vor allem auf die Begründung an, mit der diese Maßnahmen gerechtfertigt werden. Diese müssten strengen wissenschaftlichen bzw. technischen Begründungsmaßstäben entsprechen, und es brauche Nachweise von konkreten Risiken, so das Gutachten.

Lena Luig, Referentin für Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die jüngste Wiedergenehmigung von Glyphosat in Brüssel war ein herber Rückschlag. Für den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten in der Landwirtschaft, die mit dem krebserregenden Wirkstoff arbeiten, aber auch für die Artenvielfalt. Gerade für die Bodenlebewesen hat Glyphosat nachweislich schädigende Auswirkungen. Dabei sind gesunde Böden unsere Lebensversicherung – wie wir auch in unserem neuen Bodenatlas zeigen.“ Mit dem heute veröffentlichten Gutachten bekomme das Bundeslandwirtschaftsministerium nun konkrete Empfehlungen an die Hand, wie ein Glyphosatverbot doch noch national durchgesetzt werden könne.

Peter Clausing, Toxikologe vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany): „Mit der Wiedergenehmigung von Glyphosat ignoriert die EU-Kommission die vielen inzwischen verfügbaren Belege dafür, dass Glyphosat die menschliche Gesundheit schädigt. Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweislage für die Krebseffekte von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend. Ferner häufen sich überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse über negative Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom und das Nervensystem, die nicht berücksichtigt wurden. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, ihre nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen und den lange angekündigten Glyphosatausstieg umzusetzen.“

Die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat wurde am 28. November 2023 von der EU-Kommission um weitere zehn Jahre verlängert – ohne eine qualifizierte Mehrheit für die Genehmigung unter den Mitgliedstaaten. Mit der Wiedergenehmigung wurde den Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung hinsichtlich Anwendungsbeschränkungen glyphosathaltiger Pestizidprodukte zugewiesen. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Glyphosat bis Ende 2023 „vom Markt zu nehmen“.

Veranstaltungshinweis: Im Rahmen der Grünen Woche in der Heinrich-Böll-Stiftung findet am Freitag, 19. Januar, 10-12 Uhr, folgende Veranstaltung statt: Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schon längst nicht mehr leisten kann. U.a. mit Martin Häusling, MdEP: Mehr Infos und Anmeldung: https://calendar.boell.de/de/event/pflanzenschutz-oder-umweltschmutz

Weiterführende Informationen

Rechtsgutachten „Handlungsspielräume Deutschlands für ein nationales Glyphosatverbot nach EU-Recht“ von Ida Westphal(Ass. iur.) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/2024/01/15/rechtsgutachten-handlungsspielraeume-deutschlands-fuer-ein-nationales-glyphosatverbot

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / TMG Thinktank for Sustainability: Bodenatlas 2024 – Daten und Fakten über eine lebenswichtige Ressource: www.boell.de/bodenatlas

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / PAN Germany: Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft: https://www.boell.de/de/pestizidatlas

Deutsche Zusammenfassung der Studie „Glyphosate and Oxidative Stress: ECHA‘s superficial approach neglects existing hazards“ von Peter Clausing, Siegfried Knasmüller und Christopher Portier: https://pan-germany.org/download/studie-glyphosate-and-oxidative-stress/

Weitere PAN Germany Informationen zu Glyphosat unter https://pan-germany.org/pestizid_kat/glyphosat/

 

Fachkontakte

  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: 030 28534312
  • Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), E-Mail: peter.clausing@pan-germany.org; Telefon: +49 176 4379 5932

 




Nationale Glyphosat-Verbote sind rechtlich möglich

Am 30. März 2023 hob ein luxemburgisches Verwaltungsgericht acht Entscheidungen der luxemburgischen Regierung zum Verbot von Herbiziden auf Glyphosatbasis auf. Das Gericht führte aus, dass das Verbot von Herbiziden auf Glyphosatbasis möglich ist, aber den EU-Vorschriften gemäß der Verordnung (EU) 1107/2009 (Pestizidzulassungsverordnung) entsprechen müsse. Nach diesem Urteil erklärte Bayer, der weltweit größte Hersteller von Glyphosat, dass Verbote wie diese gegen das EU-Recht verstoßen würden und nicht wissenschaftlich begründet wären [1]. Dies ist nicht richtig.

Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Artikel von PAN Europe1. Er legt dar, wie die Mitgliedstaaten rechtlich vorgehen sollten, um Herbizide auf Glyphosatbasis oder andere Pestizidprodukte, die der Gesundheit und der Umwelt schaden, zu verbieten.

Angesichts der jüngst von der EU-Kommission ausgesprochenen Wiedergenehmigung von Glyphosat für weitere 10 Jahre [2], ist die Frage, wie die Mitgliedstaaten den Einsatz von glyphosathaltigen Mitteln national untersagen können, von besonderer Aktualität.

 

  1. Rechtliches Verfahren für die Zulassung oder das Verbot von Pestizidprodukten in den EU-Mitgliedstaaten

Pestizidprodukte bestehen aus einem oder mehreren Wirkstoffen (z. B. Glyphosat) und einer Reihe anderer Chemikalien (Beistoffe, Safener und Synergisten). Die Wirkstoffe werden auf EU-Ebene bewertet und genehmigt, während die formulierten Pestizidprodukte auf nationaler Ebene bewertet und zugelassen werden.

Wurde ein Pestizidwirkstoff auf EU-Ebene genehmigt, kann der Hersteller nationale Zulassungen für eine oder mehrere Formulierungen mit dem Wirkstoff beantragen. Die EU-Mitgliedstaaten, in denen Zulassungen beantragt wurden, sind dann verpflichtet, für diese Zulassungsanträge eine Risikobewertung in Übereinstimmung mit der Pestizidzulassungsverordnung durchzuführen. Damit soll sichergestellt werden, dass die zugelassenen Pestizide die Gesundheit von Mensch und Tier nicht schädigen und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Zu diesem Zweck prüfen die Mitgliedstaaten den Antrag des Pestizidherstellers, der Informationen über das Produkt und eine Reihe von Studien einschließlich Toxizitätsstudien enthält. Diese Studien werden gemäß harmonisierter Vorgaben durchgeführt [3].

Um den Aufwand für die nationalen Regulierungsbehörden zu verringern, regelt die Pestizidzulassungsverordnung die sogenannte zonale Zulassung mit gegenseitiger Anerkennung. Hierfür sind die EU-Mitgliedstaaten drei Zonen – Süd, Mitte, Nord – zugeordnet, in denen jeweils ein Mitgliedstaat als zonaler Berichterstatter (zRMS) die Risikobewertung für ein bestimmtes Pestizidprodukt durchführt. Basierend auf den Schlussfolgerungen des mit der zonalen Bewertung zRMS sind die übrigen Mitgliedstaaten derselben Zone berechtigt, das Ergebnis des zRMS zu akzeptieren oder abzulehnen, „[…] wenn er angesichts spezifischer ökologischer oder landwirtschaftlicher Bedingungen berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass das betreffende Produkt noch immer ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt“ (VERORDNUNG (EG) Nr. 1107/2009 Art. 36 (3).

Wenn ein Pestizidprodukt in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, haben die zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit, die Zulassung zu widerrufen, wenn nachgewiesen wird, dass das Pestizid die in Artikel 29 der Pestizidzulassungsverordnung festgelegten Kriterien nicht mehr erfüllt (s. VERORDNUNG (EG) Nr. 1107/2009 Art. 44). Mit anderen Worten: Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass ein Pestizid eine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt darstellt, ist ein Mitgliedstaat berechtigt, die Zulassung zu widerrufen. Hebt ein Mitgliedstaat eine Zulassung gemäß dieser Regelung auf oder ändert er sie, so unterrichtet er unverzüglich den Zulassungsinhaber, die anderen Mitgliedstaaten, die Kommission und die Behörde. Das gesamte Verfahren beruht auf dem Vorsorgeprinzip, dargelegt in Artikel 1 (4) der VERORDNUNG (EG) Nr. 1107/2009, der besagt: „Die Bestimmungen dieser Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem sichergestellt werden soll, dass in Verkehr gebrachte Wirkstoffe oder Produkte die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt nicht beeinträchtigen. Insbesondere ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, wenn wissenschaftliche Ungewissheit besteht, ob die in ihrem Hoheitsgebiet zuzulassenden Pflanzenschutzmittel Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt bergen.“

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird klargestellt, dass das Vorsorgeprinzip „ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der die betreffenden Behörden verpflichtet, im Rahmen der Ausübung der ihnen durch die einschlägigen Rechtsvorschriften übertragenen Befugnisse geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um bestimmten potenziellen Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt vorzubeugen, wobei den Erfordernissen des Schutzes dieser Interessen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einzuräumen ist, ohne den vollständigen Nachweis der Realität und der Schwere dieser Gefahren abwarten zu müssen. Dieser Grundsatz rechtfertigt insbesondere dann den Erlass restriktiver und objektiver Maßnahmen, wenn das Vorhandensein oder das Ausmaß des behaupteten Risikos nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, aber die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit im Falle des Eintretens des Risikos fortbesteht“[4]*. Dieser Grundsatz erlaubt es also „den Institutionen, in Fällen, in denen wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich des Vorhandenseins oder des Ausmaßes von Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ohne abwarten zu müssen, bis das Vorhandensein und die Schwere dieser Risiken in vollem Umfang nachgewiesen sind oder die gesundheitsschädlichen Auswirkungen eintreten“ [5]*.

Derselbe Grundsatz verpflichtet „die zuständigen Behörden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um bestimmten potenziellen Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt vorzubeugen, wobei den Erfordernissen des Schutzes dieser Interessen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einzuräumen ist“ [6]*.

Mit anderen Worten: Wenn eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, sind die EU- und nationalen Behörden verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt zu ergreifen.

  1. Das Urteil des Luxemburger Verwaltungsgerichts

In seinem Urteil [7] vom März 2023 stellt das Verwaltungsgericht klar, dass Luxemburg berechtigt sei, Herbizide auf Glyphosatbasis zu verbieten, es aber versäumt hat, die Regeln von Artikel 44 der Pestizidzulassungsverordnung zu befolgen. Artikel 44 besagt, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie die nationale Zulassung eines Pestizidprodukts zurückziehen wollen, den Zulassungsinhaber von ihrer Absicht in Kenntnis setzen und ihm die Möglichkeit geben müssen, sich zu ihrer Absicht zu äußern. Dies war in Luxemburg nicht geschehen. Darüber hinaus hat es die luxemburgische Regierung versäumt, das Verbot mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu begründen, die belegen, dass Herbiziden auf Glyphosatbasis die Kriterien der Pestizidzulassungsverordnung nicht erfüllen. Die Begründung, die dem Zulassungsinhaber vorgelegt wurde, verwies lediglich auf eine Vereinbarung der Regierungskoalition, Glyphosat verbieten zu wollen. Ein politisches Argument ist als Begründung in der Pestizidzulassungsverordnung nicht vorgesehen. Das Gericht verweist auch auf Artikel 36, der den zonalen Ansatz bei der Risikobewertung und dem Risikomanagement betrifft. Angesichts der Tatsache, dass Belgien als zonaler Berichterstatter-Mitgliedstaat zu dem Schluss kam, dass Herbizide auf Glyphosatbasis sicher seien, hätte der luxemburgische Staat diese Schlussfolgerung unter Hinweis auf die Besonderheiten seines Landes ablehnen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass eine solche Begründung in der Entscheidung des Ministeriums für das nationale Verbot der Herbizide auf Glyphosatbasis fehlte.

  1. Empfehlungen für zukünftige Verbote

Es gibt eine Fülle von Argumenten, die im Einklang mit den Vorgaben der Pestizidzulassungsverordnung stehen und ein nationales Verbot von Herbiziden auf Glyphosatbasis unterstützen.

  • Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC): Im Jahr 2015 hat die IARC Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ (äquivalent zur EU-Kategorie 1B) eingestuft. Die IARC stützt sich dabei sowohl auf Daten zum Wirkstoff als auch auf Daten zu Herbiziden auf Glyphosatbasis. Die Behörden der Europäischen Union verwarfen die von der IARC anerkannten wissenschaftlichen Beweise und kamen zu der Schlussfolgerung, dass Glyphosat nicht krebserregend sei. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips sollte aus Sicht von PAN zur Anerkennung der IARC-Einschätzung führen. Von begründeten Ausnahmen abgesehen, führt laut Verordnung 1107/2009 die Einstufung als krebserregend Kategorie 1B dazu, dass ein Wirkstoff nicht genehmigt wird. Im Jahr 2019 bekräftigte die IARC, dass ihre Einstufung angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse unverändert bleibe [8]. Im Jahr 2021 veröffentlichte das französische Gesundheitsinstitut INSERM seinen Expertenbericht über Pestizide und Gesundheit und kam zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen Glyphosatexposition und Non-Hodgkin-Lymphomen bestehe [9]. Eine neuere wissenschaftliche Publikation dokumentiert einen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Exposition und dem Nachweis von Biomarkern für oxidativen Stress (Mechanismus für Krebsentstehung) [10].
  • Bewertung von Herbiziden auf Glyphosatbasis: Im Jahr 2019 bekräftigte der EU-Gerichtshof die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine vollständige Bewertung der Toxizität für die menschliche Gesundheit und insbesondere der langfristigen chronischen Toxizität (Karzinogenität, Reproduktionstoxizität usw.) der Pestizidprodukte vorzunehmen [11]. Dies ist derzeit nicht der Fall. Und auch der Berichterstatter (zRMS) hat eine solche Bewertung nicht durchgeführt, da die Daten zur chronischen Toxizität von der Industrie nicht vorgelegt wurden. Die Mitgliedstaaten sollten diese Daten eigentlich anfordern, was sie aber, wie die Europäische Kommission bereits eingeräumt hat, nicht tun. Ohne die Bereitstellung und Berücksichtigung solcher Daten, sollten diese Produkte nicht zugelassen werden. Mitgliedstaaten sind zudem berechtigt, Zulassungen zurückzuziehen, insbesondere wenn es Hinweise auf gesundheitliche Risiken gibt. Wenn die Risikobewertung nicht nach den im Gerichtsurteil erläuterten Regeln durchgeführt wird, wie es bei der von Belgien als zRMS durchgeführten Risikobewertung von Glyphosat der Fall ist, ist Luxemburg berechtigt, Belgiens Schlussfolgerungen mit einer entsprechenden Begründung abzulehnen.
  • Beistoffe in Pestiziden: Beistoffe in Pestizidprodukten sind Chemikalien, die hinzugefügt werden, um die „Wirksamkeit“ (d. h. letztendlich die Toxizität) des Wirkstoffs zu erhöhen. Für viele Beistoffe gibt es keine Daten über ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Jedoch muss ein EU-Mitgliedstaat, um Pestizidprodukte in seinem Hoheitsgebiet zuzulassen, sicherstellen, dass alle Bestandteile des Pestizidprodukts keine Gefahr darstellen. Insbesondere bei Herbiziden auf Glyphosatbasis weist eine Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen darauf hin, dass durch die Beistoffe, die Toxizität der Herbizide auf Glyphosatbasis im Vergleich zur Toxizität des reinen Wirkstoffs Glyphosat, stark erhöht ist.“
  • Die wissenschaftliche Literatur enthält Tausende von Veröffentlichungen über die Toxizität von Glyphosat und Herbiziden auf Glyphosatbasis. Viele dieser Publikationen wurden von den Behörden ungenügend und zum Teil gar nicht berücksichtigt. Die Pestizidzulassungsverordnung und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sehen vor, dass die wissenschaftliche Literatur angemessen berücksichtigt werden muss. [12]
  1. Präzedenzfälle

Es ist nicht neu, dass Mitgliedstaaten Pestizidprodukte aus Umwelt- oder Gesundheitsgründen verbieten.

  • Frankreich und die Neonicotinoide. Nachdem in Frankreich ein massives Bienensterben beobachtet wurde, beschloss die französische Regierung, bestimmte Verwendungen ausgewählter Neonicotinoide und Fipronil auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips zu verbieten [13]. Zum Schutz der Bienen wurden Imidacloprid und Fipronil bereits 1999 für Sonnenblumen und Mais verboten, während die EU diese Stoffe erst 2018 verbot. Seit 2018 sind alle Neonicotinoide (einschließlich der damals noch auf EU-Ebene zugelassenen Acetamiprid und Thiacloprid) in Frankreich verboten, einschließlich der Stoffe mit ähnlicher Wirkungsweise (Flupyradifuron und Sulfoxaflor).
  • Frankreich und Glyphosat. Im Jahr 2019 hat Frankreich die nationale Zulassung von 36 Pflanzenschutzmitteln mit Glyphosat, die 75 % der im Land verwendeten Mengen ausmachten, wegen mangelnder Sicherheit in Bezug auf ihre potenzielle Genotoxizität zurückgezogen.
  • Chlorpyrifos. Dieses hirnschädigende Insektizid ist 2019 in der EU verboten worden. Eine Reihe von Mitgliedstaaten (Deutschland, Dänemark, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, Slowenien und Schweden) hat jedoch weit vorher beschlossen, es auf nationaler Ebene nicht zuzulassen, um ihre Bürger*innen besser zu schützen.
  • Schweden und die Bodenbegasungsmittel. In der EU werden einige Pestizide als Bodenbegasungsmittel eingesetzt (z. B. Asulam-Natrium): Sie zerstören alle Lebensformen in der obersten Bodenschicht. Schweden hat beschlossen, diese Pestizide in seinem Hoheitsgebiet nicht zuzulassen, und setzt auf Alternativen zu diesen giftigen Chemikalien (z. B. Fruchtfolge) [14].
  1. Schlussfolgerung

Viele EU-Bürger*innen fordern regelmäßig eine Verringerung des Pestizideinsatzes insgesamt bzw. ein Verbot von Glyphosat, um ihre Gesundheit und die Umwelt zu schützen. Ihre Forderungen haben die Bürger*innen unter anderem in zwei Europäischen Bürgerinitiativen (EBIs) zum Ausdruck gebracht: in der EBI von 2022 “ Bienen und Bauern retten“ und der EBI „Verbot von Glyphosat und Schutz von Menschen und Umwelt vor giftigen Pestiziden“ von 2017 [15]. Bemerkenswert ist, dass diese beiden EBIs zu den bislang nur 9 erfolgreichen von insgesamt 107 gestarteten EBIs gehören –ein starkes Plebiszit für eine Welt ohne Schäden durch Pestizide.

Es gibt eine Fülle rechtlicher und wissenschaftlicher Argumente für ein Verbot bestimmter Pestizide, einschließlich Glyphosat. Diese Argumente unterstreichen den Handlungsbedarf für die Behörden. Zugleich bilden sie die Grundlage für juristische Schritte durch die Zivilgesellschaft, wenn die Behörden ihrer Verantwortung nicht nachkommen.

1Beitrag von PAN Europe, übersetzt, redigiert und ergänzt von PAN Germany

 

*Die Übersetzung der Original-Zitate wurde von PAN Germany vorgenommen. Mögliche Ungenauigkeiten oder Übersetzungsfehler sind unbeabsichtigt. Im Zweifelsfall gilt das englische Original.

[1] https://www.novethic.fr/actualite/environnement/agriculture/isr-rse/le-l…

[2] Durchführungs-VO (EU) 2023/2660 als Quelle: https://eur-lex.europa.eu/eli/reg_impl/2023/2660/oj

[3] Verordnung (EU) Nr. 284/2013 zur Festlegung der Datenanforderungen für Pflanzenschutzmittel gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32013R0284

[4] Amongst a many of case law, cf. e.g. C-477/14, Pillbox 38, 4 May 2016, EU:C:2016:324, pt. 55; T- 817/14 Zoofachhandel Züpke and Others v. Commission, 17 March 2016, EU:T:2016:157, pt. 51; T-333/10, ATC and Others v. Commission, 16 September 2013, EU:T:2013:451, pt. 81.

[5] See e.g. T-257/07, France v. Commission, 9 September 2011, EU:T:2011:444, pt. 68.

[6] Cf. T-74/00 e.a., Artedogan e.a. c. Commission, 26 novembre 2002, EU:T:2002:283, pt. 184.

[7] https://justice.public.lu/dam-assets/fr/actualites/2023/47873c.pdf

[8] https://videos.iarc.fr/videos/?video=MEDIA190315141153862 at 1:32 and 2:00

[9] Inserm Communication https://presse.inserm.fr/en/inserm-publishes-its-latest-collective-exper…

[10] Chang et al. Glyphosate Exposure and Urinary Oxidative Stress Biomarkers in the Agricultural Health Study. J Natl Cancer Inst. 2023 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36629488/

[11] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX:62017CJ0616

[12] 1107/2009, Anhang II, Punkte 3.6.2 bis 3.6.5

[13] https://www.lemonde.fr/archives/article/2004/05/26/l-insecticide-gaucho-…

[14] https://food.ec.europa.eu/system/files/2019-06/pesticides_sup_nap_swe-re…

„A ban on killing harmful nematodes in the soil when cultivating crops intended for the production of food or feedstuffs. Growers in Sweden are already using alternative methods to treatment with chemical plant protection products in this area. The ban means that chemicals cannot start being used again on the relevant areas, pursuant to Chapter 2, Section 39a, paragraph 2 of the Swedish Pesticides Ordinance. The ban on their use came into force in July 2015.“

[15]  https://citizens-initiative.europa.eu/initiatives/details/2017/000002_de und https://citizens-initiative.europa.eu/initiatives/details/2019/000016_de

 




NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

PAN Germany & PAN Europe: Rechtliche und wissenschaftliche Kriterien stehen in direktem Widerspruch zu Zulassung durch EU-Kommission

Brüssel/Wien/Paris/Berlin/Hamburg, 21. November 2023. Pressemitteilung.
Die Europäische Kommission wird in den nächsten Tagen das Herbizid Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Europe, PAN Germany und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten. Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer*innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. „Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich dabei auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die beteiligten Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen. Gegen die Wiedergenehmigung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und dann auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für eine Verlängerung stimmten Länder, die lediglich 42 % der EU-Bürger*innen repräsentieren.

„Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung der Krebsgefahr von Glyphosat hin: „Nicht nur, dass die ECHA mit Hilfe von Verstößen gegen geltende Richtlinien eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen unter den Tisch kehrte. Auch die EFSA verwarf neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom, mit der Begründung, dass dafür internationale Richtlinien zur Risikobewertung fehlten.“

„Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert*innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich).

Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler*innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor*innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Margriet Matingh, Präsidentin von PAN Netherlands, betont: „Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.“

„Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun auch Umwelt-NGOs und Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, hinzu.

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: „Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

Die Aufzeichnug zur Pressekonferenz von heute Morgen finden Sie hier (25 Minuten).

 




Keine Mehrheit bei den EU-Ländern – Kommission kündigt weitere 10 Jahre Glyphosat an

Nachdem bereits im Oktober die erforderliche Zustimmung ausblieb, gab es auch heute im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zu genehmigen.

Im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften ist es in solchen Fällen an der EU-Kommission allein zu entscheiden. Und per Statement und Kurzmitteilung machte sie gleich nach der heutigen Abstimmung klar, dass sie Glyphosat für 10 Jahre verlängern wird. Aus Sicht von PAN Germany wäre es dringend geboten, dass die Kommission aufgrund des fehlenden Rückhalts in den Mitgliedsstaaten und der Bevölkerung dies überdenkt und nicht an der Wiedergenehmigung für 10 Jahre festhält.

Die Entscheidung über die Zukunft des meist verwendeten Herbizidwirkstoffs findet vor dem Hintergrund weiterer alarmierender wissenschaftlicher Erkenntnisse über seine schädigende Gesundheitswirkung statt: Eine gerade veröffentlichte internationale Studie an Ratten belegt einen Zusammenhang von Glyphosat mit der Entstehung von Leukämie bereits in jungem Alter.

Die internationale Studie unter der Federführung des Ramazzini-Instituts in Bologna deckte zum ersten Mal überhaupt die gesamte Lebensspanne von der embryonalen Phase bis zum Ende der Lebenserwartung ab. Bei den untersuchten Tieren kam es bei einer sehr niedrigeren Dosis des Glyphosat-Wirkstoffs und bei noch niedrigerer Dosierung mit glyphosathaltigen Herbiziden zu einem signifikant gehäuften und extrem frühzeitigen Auftreten von Leukämie. Weitere Details finden sich in dem Offenen Brief, von PAN Germany und anderen Organisationen an Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach.

Die Europäische Chemikalienagentur der EU (ECHA) hatte Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft, eine von kritischen Wissenschaftler*innen monierte Entscheidung. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juli 2023 bekannt gegeben, dass sie in ihrer Risikoeinschätzung zu Glyphosat trotz relevanter Datenlücken und ungeklärter Fragen „keine kritischen Problembereiche“ identifizieren könne – Umweltorganisationen waren empört.

Die von der EU Kommission heute angekündigte Wiedergenehmigung von Glyphosat werde an Bedingungen und Einschränkungen geknüpft. Zu diesen Einschränkungen zähle ein Verbot der Verwendung zur Abreifebeschleunigung (Sikkation) vor der Ernte und Maßnahmen zum Schutz von Nichtzielorganismen. Zudem verwies die EU Kommission in ihrem Statement darauf, dass die Mitgliedstaaten für die nationale Zulassung glyphosathaltiger Pestizidprodukte nationale Anwendungsbeschränkungen erlassen können, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, die biologische Vielfalt zu schützen.

Lesen Sie auch die Bewertung von PAN Europe zur heutigen Entscheidung.




Glyphosat-Wiedergenehmigung wird weiterverhandelt

Die EU Mitgliedsstaaten konnten sich am Freitag, den 13. Oktober 2023 nicht über eine Wiedergenehmigung von Glyphosat einigen. Eine dafür notwendige qualifizierte Mehrheit konnte im zuständigen Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) nicht erreicht werden. Das ist ein wichtiger Teilerfolg! Zuvor hatte sich die EU-Kommission für eine Wiedergenehmigung des Pestizids über einen Zeitraum von 10 Jahren ausgesprochen. Nach PAN-Kenntnis stimmten Österreich, Kroatien, und Luxemburg gegen diesen Vorschlag, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Malta, Frankreich und die Niederlande enthielten sich. Damit konnten sich die Befürworter bei den Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen.

PAN Germany begrüßt dieses Ergebnis, zeigt sich aber auch enttäuscht von der Enthaltung Deutschlands. Schließlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, die Verwendung glyphosathaltiger Mittel ab 2024 zu verbieten. Ein klares Nein gegen ein „weiter so“ auf EU-Ebene wäre nicht nur im Sinne des Koalitionsvertrags gewesen, sondern auch ein deutliches Signal für die Verteidigung des Vorsorgeprinzips, angesichts der bestehenden und eingeräumten Datenlücken und Unsicherheiten bei der Risikobewertung von Glyphosat.

Nicht nur die wahrscheinliche Kanzerogenität von Glyphosat ist ein Problem (PAN berichtete wiederholt), sondern auch die erheblichen Auswirkungen auf Biodiversität und Ökosysteme, schon allein aufgrund der großen Mengen und Anwendungsflächen. Glyphosat und sein Hauptmetabolit AMPA finden sich mittlerweile faktisch überall in der Natur, selbst in Menschen und Tieren.  Obwohl seit 2009 auch Ökosysteme und Artenvielfalt im europäischen Pestizidrecht als Schutzziele verankert sind, fehlt es noch immer an harmonisierten Bewertungsverfahren. Dies räumt auch die zuständige Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ein. Aus PAN-Sicht ist das ein Skandal. Diese Bewertungsmängel bei Glyphosat – und bei allen anderen in der EU genehmigten Pestiziden –  müssen schnellstens ausgemerzt werden und schon gar nicht darf unter solchen Bedingungen ein Totalherbizid wiedergenehmigt werden, dessen Einsatzmenge allein in Deutschland bei rund 5000 Tonnen pro Jahr liegt.

Wie geht es jetzt weiter? Die Mitgliedstaaten werden nun in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss erneut über den Vorschlag der Kommission zur Wiedergenehmigung abzustimmen. Es wird erwartet, dass die Kommission den Vorschlag anpassen wird, möglicherweise eine verkürzte Genehmigungsdauer oder strengere Anwendungsauflagen vorschlagen wird. Sollte erneut keine qualifizierte Mehrheit zustande kommen, wird die Kommission allein entscheiden. Es bleibt also wichtig, sich weiter für ein Glyphosatverbot und für eine nachhaltigere Landwirtschaft einzusetzen.

Dass es auch ohne Totalherbizide wie Glyphosat geht, zeigen jeden Tag die Ökobetriebe und auch immer mehr konventionelle Landwirte, die integrierten Pflanzenschutz (IPM) mit  vielfältigen Fruchtfolgen und bodenschonenden Wildkrautmanagement anwenden. Hier dazu auch unsere Veranstaltungsreihe PAN Germany Mittagsdialoge: „Pestizidreduktion und Alternativen im Pflanzenschutz“.

Hier die Pressemitteilung von PAN Europe vom 13.10.2023




Meinungsumfrage: Mehrheit der Europäer*innen besorgt über Pestizideinsatz und dessen Auswirkungen

Europäische Bürger*innen sind sehr besorgt über den Einsatz von Pestiziden und deren schädliche Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Dies geht aus einer von PAN Europe beauftragten Umfrage in sechs EU Mitgliedstaaten – Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien – hervor. Durchgeführt wurde die Umfrage vom European Public Affairs Team des Marktforschungsinstituts Ipsos.

Mehr als Dreiviertel der Befragten (75,9 %) machen sich große Sorgen um die Auswirkungen von Pestiziden auf ihre Gesundheit und die ihrer Familie. Besonders beunruhigt äußerten sich Rumän*innen (81,4 %) und Pol*innen (80,4 %), aber auch eine deutliche Mehrheit von 69,8 % der deutschen Befragten äußerte sich beunruhigt über die gesundheitlichen Risiken von Pestiziden.

Noch mehr Sorgen machten sich die  Befragten über die schädlichen Umweltfolgen des Pestizideinsatzes: 81,8 %.
77,7 % der Umfrageteilnehmenden stimmten zu, dass der Einsatz von Pestiziden die Umwelt schädigt; der deutsche Wert liegt bei 77,4 %.  Nur ein knappes Viertel der Befragten sind der Ansicht, dass die Vorteile durch Pestizide die Risiken überwiegen würden.

Eine deutliche Mehrheit der Befragten (61,9 %) ist außerdem der Meinung, dass Glyphosat, das in der EU am häufigsten verwendete Herbizid, in der EU verboten werden sollte. Die deutsche Zustimmung zu einem Glyphosatverbot lag bei deutlichen 68,3 %.

Die über 6.000 Teilnehmenden der Umfrage sprachen sich überwiegend für die Anwendung des Vorsorgeprinzips aus. 73,2 % der Befragten befürworten, dass die Regeln des integrierten Pflanzenschutzes für die Landwirte in der EU verbindlich sein sollen.

Auf der Grundlage der Umfrageergebnisse empfiehlt der Bericht den politischen Entscheidungsträgern:

  • Das Vorsorgeprinzip, wie im EU-Recht gefordert, bei der Pestizidregulierung anzuwenden, um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten;
  • die wichtigsten Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) beizubehalten und zu stärken, einschließlich verbindlicher Bestimmungen über den integrierten Pflanzenschutz und kulturspezifische Vorschriften;
  • den Schutz empfindlicher Gebiete (wie z.B. Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Naturschutzgebiete) vor Pestizid-Abdrift durch möglichst große Pufferzonen sicherzustellen;
  • Glyphosat in der EU zu verbieten, in Anbetracht der umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über dessen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt Glyphosat, und
  • die derzeitigen Lücken bei der Risikoabschätzung der EU-Pestizidzulassung zu schließen, um Menschen und Umwelt angemessen zu schützen.

Die Meinungsumfrage wurde im August 2023 vom Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag vom Pesticide Action Network (PAN) Europe durchgeführt. Bei der Auswahl der sechs Länder wurde darauf geachtet, dass sie einen repräsentativen Überblick über die EU und ihre geografische, klimatische, politische und wirtschaftliche Vielfalt bieten. Teilgenommen haben Personen aus Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien.

Lesen Sie hier die Pressemitteilung von PAN Europe (05.10.2023)

Hier können Sie sich den Bericht zur Meinungsumfrage „Pesticides: Play it safe!“ herunterladen




EU-Kommission in Glyphosat-Panik?

21.09.2023. Pressemitteilung.
Das überhastete Vorgehen der EU-Kommission und ihr Vorschlag, Glyphosat um weitere zehn Jahre zu genehmigen sind ein Affront gegen die öffentliche Meinung und ignoriert die wissenschaftlich untermauerten Bedenken unabhängiger Wissenschaftler*innen.

Mit ihrem am 20. September veröffentlichten Vorschlag[1] verharmlost die Kommission bestehende Datenlücken, die selbst von den Behörden anerkannt wurden und wälzt den Umgang mit den daraus erwachsenden Risiken auf die EU-Mitgliedsländer ab. Zugleich ignoriert die EU-Kommission die Erkenntnisse unabhängiger Wissenschaftler*innen sowie die Meinung einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung, die in sechs EU-Ländern befragt wurde.[2]

Der Schritt der EU-Kommission erfolgte zwei Tage nachdem das unabhängige Ramazzini-Institut (Bologna) angekündigt hatte, Ende Oktober die Ergebnisse seiner Studie zu Gesundheitsschäden von Glyphosat zu veröffentlichen. Dies ist die umfassendste Langzeitstudie, die jemals mit Glyphosat durchgeführt wurde.

Auf einer Veranstaltung im Europaparlament am Montag, den 18.09.23 wurden Beweise dafür geliefert, dass die Einstufung von Glyphosat als „nicht krebserregend“ durch die EU-Behörden unter Verwendung von falschen Angaben erfolgte. [3] Dass die EU-Kommission eine „nur“ 10-jährige Verlängerung der Genehmigung vorschlägt, statt der maximal möglichen 15 Jahre, scheint das Ergebnis eines Kuhhandels hinter den Kulissen zu sein. Vertreter*innen verschiedener Mitgliedsländer wurde offenbar eine kürzere Genehmigungsdauer im Austausch dafür angeboten wurde, dass sie auf ein Nein bzw. auf eine Stimmenthaltung bei der bevorstehenden Abstimmung zu Glyphosat verzichten.[4]

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

[1] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/092073/1/consult?lang=de

[2] https://www.pan-europe.info/press-releases/2023/09/glyphosate-eu-2034-danger-health-and-environment-and-violation-citizens-will

[3] https://pan-germany.org/download/praesentation-glyphosate-and-echas-weight-of-evidence/

[4] https://www.proplanta.de/agrar-nachrichten/agrarpolitik/glyphosat-feilschen-um-die-verlaengerungsdauer_article1695020013.html




Glyphosat: Schlüsselmechanismus für Krebsentstehung wurde von der EU nicht angemessen berücksichtigt

Eine neue wissenschaftliche Studie belegt schwerwiegende Mängel in der EU-Gesundheitsbewertung von Glyphosat und macht deutlich, dass die europäische Chemikalienagentur ECHA (European Chemicals Agency) die Karzinogenität von Glyphosat nicht angemessen bewertet und sein Potenzial, Krebs zu verursachen, unterschätzt hat. Die ECHA hat nicht nur die in Krebsstudien beobachtete Häufigkeit von Tumoren als irrelevant abgetan, sondern auch Hinweise aus unabhängiger Literatur außer Acht gelassen, dass Glyphosat oxidativen Stress verursacht, einen Mechanismus, der anerkanntermaßen zu Krebs führen kann. Wenn man die Beweise aus Krebsstudien und oxidativem Stress kombiniert, ist das Krebspotenzial von Glyphosat nicht zu leugnen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority), die basierend auf der ECHA-Einstufung die Risikobewertung für Pestizidwirkstoffe vornimmt, stützte sich in ihrer Schlussfolgerung somit zu Unrecht auf eine Einstufung als „nicht krebserregend“ durch die ECHA. Dies ist ein entscheidender Fehler. Die Anerkennung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse müsste unweigerlich zu dem Schluss führen, dass die Zulassung von Glyphosat nach EU-Recht nicht verlängert werden kann.

Die Wissenschaftler der Studie zum Oxidativen Stress durch Glyphosat verdeutlichen, wie die beiden EU-Regulierungsbehörden ihre im EU-Pestizidrecht (Verordnung (EG) Nr. 1107/2009) festgesetzte Aufgabe, ein höheres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten, nicht erfüllen.

Peter Clausing, Toxikologe und Co-Autor der Studie, sagt dazu:

„In unserer Studie zeigen wir, dass oxidativer Stress bei der Bewertung im Vorfeld der RAC-Stellungnahme der ECHA nicht angemessen berücksichtigt wurde. Dies führt zu sehr schwerwiegenden Mängeln bei der Bewertung der potenziellen Gefahren von Glyphosat und der ihnen zugrunde liegenden Mechanismen. Da oxidativer Stress nicht von den OECD-Testrichtlinien abgedeckt wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die Ergebnisse von Studien über oxidativen Stress, die in der von Fachleuten überprüften wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht wurden, ordnungsgemäß in die Gefahrenbewertung zu integrieren. Die ECHA hat dies in ihrem im Mai 2022 veröffentlichten Gutachten zu Glyphosat versäumt, und die EFSA hat es versäumt, diesen Mangel zu beheben.“

Dies gibt Anlass zu ernster Besorgnis, zumal die Kommission den Vertreter*innen der Mitgliedstaaten auf der bevorstehenden Ad-hoc-Sitzung des SCoPAFF (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed) Ende dieser Woche ihren Verordnungsvorschlag für die Erneuerung der Zulassung von Glyphosat vorlegen wird.

Umfrage in 6 EU-Ländern zeigt: Bürger*innen lehnen eine Neuzulassung von Glyphosat ab

Die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Studie fällt zusammen mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Umfrage in sechs EU-Ländern (Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien), nach der sich zwei Drittel (62 %) der EU-Bürger*innen in diesen Ländern dafür aus sprachen, die Verwendung von Glyphosat in Europa zu beenden. Der Zuspruch für ein Glyphosatverbot war mit 70,5% in Frankreich am höchsten.

Offener Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides

In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides vom 7. September 2023 informierten die Mitglieder der europäischen „StopGlyphosate“-Koalition die EU Kommission über die neue Studie und betonten, dass Glyphosat  allein aufgrund der Krebsnachweise die Kriterien für eine Zulassung nicht erfüllt.

Die StopGlyphosate Koalition und PAN Germany fordern EU Kommissar Kyriakides in dem Schreiben nachdrücklich auf, die beschleunigte Wiederzulassung von Glyphosat auf der Grundlage der dargelegten Beweise zu stoppen und das Vorsorgeprinzip anzuwenden, das den Kern des EU-Pestizidrechts bildet.

Weitere Informationen:




Glyphosat belastet europäische Oberflächengewässer!

Zum Schutz der Wasserqualität und der aquatischen Ökosysteme muss Glyphosat verboten werden.
Glyphosat und sein Metabolit AMPA wurden in 11 von 12 europäischen Ländern in Oberflächengewässerproben gefunden. Von Polen bis Portugal, von Belgien bis Bulgarien sind Gewässer durch das Totalherbizid verschmutzt. Dies ist das beunruhigende Ergebnis eines neuen Berichts
von PAN Europe und den europäischen Grünen (Fraktion Die Grünen/EFA).

Dass die Wasserproben selbst in der „Nebensaison“ derart belastet sind, zeigt das Ausmaß der Glyphosatkontamination. Die verbreitete Pestizidbelastung beeinträchtigt die Qualität unserer Wasserressourcen und gefährdet aquatische Ökosysteme. Die Studie wertet die Messdaten aus und wirft ein Licht auf Regelungslücken beim Schutz unserer Wasserressourcen generell und in Hinblick auf Glyphosat/AMPA.

Glyphosat und/oder AMPA, der Hauptmetabolit von Glyphosat, wurden in 17 von 23 Proben (74 %) aus 11 von 12 Ländern oberhalb der Bestimmungsgrenze von 0,2 μg/L nachgewiesen. Flusswasserproben aus Österreich, Belgien, Bulgarien, Kroatien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, den Niederlanden, Spanien, Polen und Portugal waren mit einem der Stoffe kontaminiert. Nur in Slowenien wurden weder Glyphosat noch AMPA nachgewiesen. Die Proben wurden in der zweiten Oktoberhälfte 2022 entnommen.

Fünf der 23 in Österreich, Spanien, Polen und Portugal entnommenen Wasserproben (22 %) überschritten den EU-Trinkwassergrenzwert für Glyphosat. Eine Probe in Portugal enthielt 3 µg/L, das ist das 30-fache des Trinkwassergrenzwertes.

Die höchste gemessene Konzentration war 3,9 µg/L für AMPA in Polen. Sowohl Glyphosat als auch AMPA stellen ein Risiko für die aquatische Umwelt dar. Glyphosat ist als giftig für Wasserlebewesen mit langfristiger Wirkung eingestuft (Aquatic Chronic 2; H411). Auf Grundlage der Daten aus der wissenschaftlichen Literatur wäre eine strengere Einstufung gerechtfertigt. AMPA wird derzeit von der Europäischen Kommission nicht als sogenannter relevanter Metabolit für Trinkwasser angesehen, so dass der Grenzwert von 0,1 μg/L für Trinkwasser nicht verbindlich ist und nur wenige EU-Mitgliedsländer haben einen solchen für AMPA festgesetzt. So sind hohe und potenziell schädliche AMPA-Konzentrationen im Wasser weit verbreitet erlaubt.

Dies steht nicht im Einklang mit dem jüngsten Dokument der EFSA „Peer Review zu Glyphosat“, in dem die EFSA eindeutig feststellt, dass „AMPA und N-Acetyl-AMPA in Bezug auf die allgemeine Toxizität ein ähnliches qualitatives und quantitatives toxikologisches Profil wie Glyphosat aufweisen“ und AMPA in der Umwelt persistenter ist als Glyphosat. Die EFSA räumt zudem Datenlücken hinsichtlich der aquatischen Toxizität von Glyphosat ein. Diese Daten- und Bewertungslücken sowie die Erkenntnisse zum Auftreten und zu den Auswirkungen von Glyphosat und AMPA auf Wasserlebewesen zeigen, so die Pressemitteilung zum Bericht, dass die Kriterien für eine Wiedergenehmigung des Herbizidwirkstoffes nicht erfüllt sind.

Die neue Studie bestätigt erneut: Glyphosat ist überall. Es findet sich in menschlichem Urin, Hausstaub, Böden und in Gewässern. Das Vorhandensein von Glyphosat und AMPA in aquatischen Ökosystemen gibt Anlass zur Besorgnis über die Qualität der Wasserressourcen und den Schutz aquatischer Lebensgemeinschaften.

Die Autor*innen des Berichts fordern zum Handeln auf. Sie fordern:

  • Keine Wiedergenehmigung von Glyphosat und einen schrittweisen Ausstieg aus der Verwendung von Produkten auf Glyphosatbasis, da deren Einsatz die Qualität der Gewässer in der EU verschlechtert und eine Vielzahl von Arten, einschließlich des Menschen, durch die Exposition gefährdet sind.
  • Verabschiedung der EU-Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR), in der rechtsverbindliche Ziele für die Halbierung des Einsatzes und der Risiken chemischer Pestizide bis 2030 festgelegt werden, sowie ein Verbot des Einsatzes aller chemisch-synthetischer Pestizide in sensiblen Gebieten, die von der Allgemeinheit genutzt werden und von ökologischer Bedeutung sind, inklusive eines Schutzstreifens von 50 Metern um diese Gebiete herum.
  • Die Festsetzung von Umweltqualitätsnormen (UQN) für Glyphosat und AMPA in Oberflächengewässern auf dem Niveau des Trinkwassergrenzwerts (0,1 μg/L), um die menschliche Gesundheit und die biologische Vielfalt in aquatischen Ökosystemen zu schützen.
  • Einbeziehung aller Studien aus der wissenschaftlichen Literatur in die Bewertung der Toxizität von Glyphosat unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Produkte auf Glyphosatbasis für bestimmte Arten oft wesentlich toxischer sind als der Wirkstoff allein.
  • Anhebung der Einstufung der chronischen aquatischen Toxizität von Kategorie 2 auf Kategorie 1, da Glyphosat bereits unterhalb von 0,1 mg/L schädliche Auswirkungen auf Wasserorganismen haben kann.

PAN Europe Pressemitteilung vom 05.09.2023

PAN Europe & The Greens/EFA (2023): „GLYPHOSATE IS POLLUTING OUR WATERS – ALL ACROSS EUROPE. PAN EUROPE’S, WATER REPORT, SEPTEMBER 2023