Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen vor Pestizidbelastungen reichen nicht aus

Hamburg, 4. Oktober 2022. Pressemitteilung. Eine neue Studie, die in der italienischen Provinz Bozen-Südtirol durchgeführt wurde, zeigt, dass trotz der von den lokalen Behörden ergriffenen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung immer noch synthetische Pestizide, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt schaden können, auf Kinderspielplätzen und Schulhöfen nachgewiesen werden.

Die Studie [1,2], eine Zusammenarbeit von Experten der Health and Environment Alliance (HEAL), des Pesticide Action Network (PAN) Europe, PAN Germany und der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU), wurde in einer der wichtigsten europäischen Anbauregionen für Äpfel und Wein durchgeführt. Die Forscher untersuchten die offiziellen Daten von 306 Grasproben, die zwischen 2014 und 2020 auf 88 nicht landwirtschaftlich genutzten öffentlichen Flächen wie Kinderspielplätzen und Schulhöfen gesammelt wurden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die bestehenden lokalen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidabdrift in der Region nicht wirksam genug sind, um die Pestizidexposition in öffentlichen Räumen zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen gehören Warnschilder und Einschränkungen der Pestizidausbringung in Bezug auf Tageszeit und Entfernung [3].

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Trotz eines leichten Rückgangs der gemessenen Pestizidrückstände zwischen 2014 und 2020 konnten an 73 % der beprobten Standorte immer noch Rückstände von mindestens einem Pestizid nachgewiesen werden, und im Jahr 2020 wurden an 27 % der Standorte Mehrfachrückstände gefunden.
  • Fluazinam, ein Fungizid, das im Verdacht vorgeburtliche Schäden zu verursachen, und das in Tierversuchen mit Krebs in Verbindung gebracht wurde, wurde an 74 % der kontaminierten Standorte nachgewiesen. Andere bedenkliche Pestizide wurden ebenfalls häufig nachgewiesen, so das Fungizid Captan (60 %) und das Insektizid Phosmet (49 %).
  • Der prozentuale Anteil der Rückstände von Pestiziden, die als schädigend für die menschliche Fortpflanzung klassifiziert sind, ist deutlich gestiegen, und zwar von 21 % im Jahr 2014 auf 88 % im Jahr 2020. Der Prozentsatz der Rückstände von Pestiziden mit spezifischer Organtoxizität, stieg ebenfalls von 0 % im Jahr 2014 auf 21 % im Jahr 2020 [4].
  • Der Prozentsatz der Stoffe mit Potenzial zur Hormonschädigung (89 %) oder zur Verursachung von Krebs (45 %), blieb während des Untersuchungszeitraums unverändert.
  • Würden diese Konzentrationen von Pestizidrückständen in lokal angebauten Lebensmitteln gefunden, so lägen sie um ein Vielfaches über den Werten, die in der EU als sicher für den Verzehr gelten.
  • Der Prozentsatz der nachgewiesenen Pestizidrückstände mit akuter Toxizität für Honigbienen blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums hoch.

Diese Ergebnisse stützen sich auf eine frühere Studie, in der Pestizidrückstände in Entfernungen zwischen 5 und 600 Metern von den landwirtschaftlichen Standorten, an denen sie ursprünglich eingesetzt wurden, nachgewiesen wurden [2].

„Eine konsequente Überwachung ist unabdingbar, um die Effizienz von Minderungs-maßnahmen und die Verringerung potenzieller Risiken für Mensch und Umwelt durch gefährliche Pestizide zu gewährleisten“, betont Dr. Caroline Linhart, Hauptautorin der Studie.

In der Europäischen Union werden bei der Risikobewertung von Pestiziden Vorhersagemodelle verwendet, um deren Verteilung in der Umwelt abzuschätzen. Diese Modelle berücksichtigen jedoch keine Daten aus der Praxis.

„Unsere Daten zeigen, dass die offiziellen Risikobewertungen die tatsächliche Exposition von Nicht-Zielorganismen, einschließlich des Menschen, gegenüber Pestiziden zu unterschätzen scheinen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das, was wir in dieser Studie gezeigt haben, höchstwahrscheinlich die Situation in anderen Regionen mit intensiver Apfel- und Weinproduktion in Europa und weltweit widerspiegelt“, erklärt Professor Johann Zaller, Mitautor von der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU).

„Die Daten deuten darauf hin, dass es in Regionen mit geringem Abstand zwischen Hausgärten und intensiv behandelten Flächen wie Obstplantagen immer wieder zur Kontamination der Gärten und des dort angebauten Obstes und Gemüses kommt. Das EU-Pestizidrecht von 2009 schreibt vor, alle als besonders gefährlich eingestuften Pestizide („Substitutionskandidaten“) durch weniger gefährliche, am besten durch nicht-chemische Verfahren zu ersetzen. Die Befunde zeigen die Dringlichkeit, diese Regelung endlich umzusetzen“, sagt Mitautor Dr. Peter Clausing, Toxikologe und wissenschaftlicher Berater des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany).

Die Ergebnisse der Studie kommen kurz nachdem die Europäische Kommission einen Entwurf für eine neue Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) veröffentlicht hat. Darin werden rechtsverbindliche Reduktionsziele festgelegt, um den Einsatz von Pestiziden in allen EU-Mitgliedsstaaten bis 2030 zu halbieren, insbesondere von solchen, die bekanntermaßen gesundheitsgefährdend sind. Der Vorschlag zielt auch darauf ab, den Einsatz von Pestiziden in allen „sensiblen“ Gebieten, die von der Allgemeinheit genutzt werden oder von ökologischer Bedeutung sind, sowie in einem Umkreis von drei Metern zu verbieten.

Interessanterweise sind mehrere dieser vorgeschlagenen EU-weiten Maßnahmen weniger streng als die der Landesregierung von Bozen-Südtirol, wo Pestizide mit gefährlichen Eigenschaften nicht in Bereichen eingesetzt werden dürfen, die von der Allgemeinheit und von Kindern genutzt werden, und auch nicht in einem Umkreis von 30 Metern von ihnen.

„Unsere Studie zeigt, dass regionale Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung, selbst wenn sie strenger sind als die von der EU-Kommission vorgeschlagenen, einfach nicht ausreichen, um die Exposition von Kindern und der Allgemeinheit gegenüber Substanzen zu verhindern, die das Potenzial haben, Krebs zu verursachen oder die Fortpflanzung zu schädigen. Eine drastischere Reduzierung aller Pestizide und eine deutliche Ausweitung der vorgeschlagenen Pufferzonen auf mindestens 50 Meter sind dringend erforderlich, um die Gesundheit zu schützen“, erklärt Dr. Angeliki Lyssimachou, Senior Science Policy Officer bei HEAL und Mitautorin der Studie.

Kontakt zu den Autor*innen:

Quellen:

  1. Pesticide drift mitigation measures appear to reduce contamination of non-agricultural areas, but hazards to humans and the environment remain’, Science of the Total Environment volume 854 (2022) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969722059137
  2. Die neue Studie baut auf früheren Untersuchungen auf, die sich mit Pestizidrückständen in Abhängigkeit vom Anwendungsort in Südtirol befasst haben: ‘Pesticide contamination and associated risk factors at public playgrounds near intensively managed apple and wine orchards’, Environmental Science Europe Volume 31 (2019) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-019-0206-0
  3. Im Fall von Bozen-Südtirol hat die Regierung 2014 damit begonnen, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Exposition gegenüber Pestiziden einzuführen. Dazu gehört eine 30-Meter-Pufferzone für Pestizide der Kategorie „hochgefährlich“ für Gesundheit und Umwelt, wenn sie in der Nähe von öffentlichen Flächen, die von Kindern und der Allgemeinheit besucht werden, zum Einsatz kommen. Nur bei zusätzlichen Schutzmaßnahmen (z. B. Barrieren in Form von Bäumen oder Hecken), kann der Abstand auf fünf oder zehn Meter Pufferzonen reduziert werden.
  4. Die Tabellen der Publikation stehen hier zur Verfügung: https://ars.els-cdn.com/content/image/1-s2.0-S0048969722059137-ga1_lrg.jpg

 




60 Jahre Rachel Carsons Stummer Frühling. Heute startet Pestizid-Aktionsmonat

Am 27. September 1962 veröffentlichte Rachel Carson ihr berühmtes Buch „Silent Spring“. Das Buch, in dem die Biologin die schädlichen Auswirkungen der Pestizidanwendung beschrieb, gilt als wegweisend für die Umweltbewegung und als eines der einflussreichsten Sachbücher unserer Zeit. Rachel Carson gab der Welt eine wichtige Warnung mit auf den Weg. Leider wurde zu wenig darauf gehört.

„Der Stumme Frühling“ hat dazu beigetragen, dass DDT und andere hochgefährliche Pestizide in der Landwirtschaft verboten wurden. Doch den „anderen Weg“ eingeschlagen, wie die Autorin im letzten Kapitel ihres Buches beschreibt, haben wir nicht. Die FAO-Statistiken zur Pestizidverwendung zeigen deutlich, dass die Welt seit Jahr(zehnt)en mehr und mehr Pestizide einsetzt. Von echter Pestizidreduktion ist die Welt insgesamt weit entfernt, selbst in Europa, wo viele hochgefährliche Pestizide verboten wurden.

Wo bleibt ein konsequentes Umdenken und Handeln angesichts massiver Pestizid-Vergiftungen, ubiquitärer Wasserkontamination und fortschreitenden Biodiversitätsverlust? Den Rachel Carson Pestizid-Aktionsmonat begehen PAN Europe und zahlreiche Mitgliedsgruppen und Verbände mit einer Reihe von Aktivitäten und Berichten. Sie machen kritisch auf den ungesunden Einfluss der Pestizid-Industrie auf unser heutiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem aufmerksam und hören nicht auf, deutlich zu machen: Es gibt bessere Alternativen!

Zukünftige Historiker werden sich vielleicht über unser verzerrtes Augenmaß wundern. Wie können intelligente Wesen versuchen, einige wenige unerwünschte Arten mit einer Methode zu kontrollieren, die die gesamte Umwelt verseucht und die Gefahr von Krankheit und Tod sogar für ihre eigene Art mit sich bringt? Und doch ist es genau das, was wir getan haben.“ (Rachel Carson, Der Stumme Frühling)

Der Rachel Carson Aktionsmonat gegen Pestizide wird vom PAN Europe Netzwerk mit Mitgliedsorganisationen in vielen Ländern organisiert, zusammen mit BeeLife, Birdlife, Corporate Europe Observatory, Compassion in World Farming, dem European Environmental Bureau, Friends of the Earth Europe und Good Food Good Farming. Mehr Informationen gibt es unter www.pan-europe.info, im Veranstaltungskalender und unter #SilentSpring in den sozialen Medien




Unsere Position zum Kommissionsentwurf zur neuen EU-Pestizidverordnung (SUR)

Die EU hat einen Vorschlag für eine neue Verordnung zur Reduzierung und nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (Sustainable Use Regulation – SUR) vorgelegt. Dieses EU-Gesetz wird den Umgang mit Pestiziden in allen EU-Mitgliedsländern für viele Jahre regeln und kann ein echter Wendepunkt sein.

Gestern, am 19.09.22, endete die öffentliche Konsultation, an der sich alle EU-Bürger*innen beteiligen konnten. Wir bedanken uns bei allen, die sich an der Konsultation beteiligt und sich für mehr Umweltschutz und klare Pestizidreduktionsziele eingesetzt haben. Die  EUKommission wird nun die Eingaben auswerten und bei der weiteren Ausarbeitung des Verordnungsentwurfs berücksichtigen.

Auch PAN Germany hat sich an der Konsultation beteiligt und sich mit seiner Position klar für eine Pestizid-Reduktion und für eine Transformation in der Landwirtschaft stark gemacht, mehr Transparenz und mehr Klarheit beim Integrierten Pflanzenschutz sowie mehr Förderung von Agrarökologie und ökologischem Landbau eingefordert.

PAN Germany wird sich weiter im Gesetzgebungsprozess engagieren und für eine gesunde Welt für alle streiten.

Die ausführliche PAN Germany Position ist hier zu lesen.




Verbesserungen in der Umweltprüfung für Tierarzneimittel müssen jetzt umgesetzt werden

Hamburg, 08.09.2022. Pressemitteilung. Die Europäische Verordnung über Tierarzneimittel verpflichtet die EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem EU-Rat bis zum 28. Januar 2022 einen Bericht zur Durchführbarkeitsstudie über ein Monographiesystem und andere mögliche Alternativen für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Tierarzneimitteln vorzulegen. Dies ist bis heute nicht geschehen, kritisieren PAN Germany, Health Care Without Harm Europe, die Deutsche Umwelthilfe, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Huize Aarde in einem offenen Brief an die EU-Kommission. Die Verbände unterstreichen die Dringlichkeit für die zeitige Einführung eines wirkstoffbasierten Monographiesystems für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Tierarzneimitteln als auch von Humanarzneimitteln und fordern die EU-Kommission auf, den Prozess nicht weiter zu verzögern.

Im Oktober 2021 kam eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zu dem Schluss, dass ein Monographiesystem für Tierarzneimittel gerechtfertigt, verhältnismäßig und langfristig wahrscheinlich auch finanzierbar wäre. Es würde unter anderem den strategischen Ansatz der EU für Arzneimittel in der Umwelt und den Ansatz des Europäischen Green Deals „ein Wirkstoff – eine Bewertung“ unterstützen.

Das geforderte Monographiesystem würde die im Rahmen der Risikobewertung gesammelten Daten bündeln: Das System würde die Gefahrendaten für die Umweltrisikobewertungen optimieren und die Umweltrisikobewertungen konsolidieren, das Wissen über relevante Umweltrisiken verbessern, Doppelprüfungen vermeiden und dem 3-R-Prinzip (Replacement, Reduction und Refinement) entsprechen. Die Studie hat auch ergeben, dass durch ein solches System der behördliche Verwaltungsaufwand verringert würde.

Dennoch hat die EU-Kommission den Termin am 28. Januar 2022 für eine Berichtsveröffentlichung nicht eingehalten. Sieben Monate später gibt es immer noch keinen klaren Zeitplan. Tamara Gripp, Referentin für Landwirtschaft und Umwelt bei PAN Germany, sagt dazu: „Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zeigen eindeutig die Vorteile der Einführung eines wirkstoffbasierten Überprüfungssystems in Form eines Monographiesystems für die Umweltverträglichkeit von Tierarzneimitteln. Die Europäische Kommission muss jetzt ihrer rechtlichen Verpflichtung nachkommen und die Unsicherheiten bezüglich des Umweltschutzniveaus im gegenwärtigen System beseitigen. Dies gilt auch für Humanarzneimittel.“

Aktuell wird der EU Rechtsrahmen für Humanarzneimittel überarbeitet. Ein Regulierungsvorschlag wird für Ende 2022 erwartet. Die unterzeichnenden Organisationen weisen in ihrem gemeinsamen Brief ausdrücklich darauf hin, dass der Wert eines wirkstoffbasierten Monographiesystems in einem breiteren politischen Kontext zu betrachten ist und nicht die Chance vertan werden darf, dieses auch für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Humanarzneimitteln einzusetzen. Im Sinne der Harmonisierung der Gesetzgebungen, und weil in der Human- und Tiermedizin zum Teil dieselben Wirkstoffe eingesetzt werden, sollten unterschiedliche Systeme vermieden werden.

 

 

Kontakt:

Tamara Gripp, MSc. Environmental Management
Referentin Landwirtschaft / Umwelt

E-Mail: tamara.gripp@pan-germany.org




Schulworkshop-Reihe „Bildung für eine zukunftsgerechte Landwirtschaft, Ernährung & Lebensweise“

Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit – diese globalen Herausforderungen betreffen die Gegenwart und die Zukunft junger Menschen hier bei uns und weltweit. Dass sich etwas ändern muss daran, wie wir Landbewirtschaftung betreiben und unsere Lebensmittel produzieren, aber auch an unserer Lebensweise, ist klar.

Wie sieht dieser Wandel aus? Und wie können wir ihn gemeinsam gestalten?

Eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn das Wissen, der Wille und die Fähigkeit für zukunftsgerechte Lösungen, die natürliche Ressourcen schonen, das Klima und die Biodiversität schützen, die Natur und die Gewässer sauber halten, und die Menschenrechte achten, in unserer Gesellschaft weiter wachsen.

Hier sieht PAN Germany dringenden Handlungsbedarf und bietet mit der dreiteiligen Schulworkshop-Reihe „Bildung für eine zukunftsgerechte Landwirtschaft, Ernährung & Lebensweise“ einen konkreten Beitrag für Bildung für nachhaltige Entwicklung im außerschulischen Bildungsbereich.

Unser Workshopangebot:

  • 3 Themen-Workshops
  • Moderation, Material und Methoden für jeweils 90 Minuten
  • Termine in Rücksprache nach Verfügbarkeit
  • Kostenfrei für Hamburger Schulen

Mehr Informationen unter dem Thema Bildung / Schulworkshops

 




Ein zukunftsfähiges Ernährungssystem in Hamburg verlangt nach ambitionierten Maßnahmen des Senats

Von der Produktion, über Transport und Lagerung bis zur Zubereitung unserer Lebensmittel – das Ernährungssystem steht in komplexen Wechselwirkungen zu unserer Umwelt und hat Einfluss auf Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit weltweit. Diese globalen Krisen machen den dringenden Handlungsbedarf für eine Wende im Sinne einer zukunftsgerechten Landwirtschaft, Ernährung und Lebensweise deutlich.

Von zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft und Nachhaltigkeitsinitiativen getragen, wurde heute ein Positionspapier mit Vorschlägen für konkrete Maßnahmen für eine Ernährungswende in öffentlich finanzierten Einrichtungen an den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg übergeben. Gemeinsam fordern wir, dass der Senat seine Verantwortung wahrnimmt, eine nachhaltige Ernährung in öffentlich finanzierten Einrichtungen zu gestalten und so zu einer nachhaltigen Entwicklung in unserer Gesellschaft beizutragen.

Folgende vier Kernmaßnahmen werden dafür vorgeschlagen:

  1. Bestandsaufnahme: Wie nachhaltig ist die Verpflegung in öffentlich finanzierten Einrichtungen in Hamburg?
  2. Ernährungsstrategie entwickeln und Mindeststandards für eine nachhaltige Ernährung in öffentlich finanzierten Einrichtungen in Hamburg verbindlich verankern.
  3. Förderprogramm „Bildung und Beratung für nachhaltige Verpflegung“ starten.
  4. Koordination, Evaluation und Kontrollen verbindlich festlegen.

Eine wirkungsvolle Ernährungsstrategie sollte klar formulierte Mindeststandards für eine nachhaltige Ernährung vorgeben. Dazu zählen unter anderem die Verwendung von ökologisch produzierten Lebensmittel, sowie Tier-, Gesundheits- und Klimaschutzstandards für tierische Produkte, als auch die Realisierung von sozial-verantwortlichen Lieferketten.

Weitere Informationen und die Hintergründe zum Thema können dem gemeinsamen Positionspapier entnommen werden.

Pressemitteilung der Agrar Koordination vom 01.09.2022




Call to Action – NGOs fordern mehr Engagement gegen die weltweite Verschmutzung mit Chemikalien

Die globale Verschmutzung unseres Planeten und Belastung der Gesundheit der Menschheit mit Chemikalien nimmt rasant zu und hat sich neben der Klimakrise und dem weltweiten Artenverlust, längst zu einer dritten planetaren Krise entwickelt. Die seit 2006 laufenden Bemühungen im Rahmen des internationalen Chemikalienmanagements SAICM (Strategic Approach to International Chemicals Management), global die mit der Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Chemikalien verbundenen erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu mindern, wurden nicht erreicht. Der Prozess zur Neuausrichtung eines zukünftigen SAICM läuft auch Hochtouren. Was aus Sicht der Zivilgesellschaft geschehen muss, um SAICM erfolgreich zu machen und eine Zukunft ohne gravierende Belastungen durch Chemikalien zu sichern, haben 100 NGOs aus aller Welt in dem Call to Action for a Tomorrow Without Toxics zusammengetragen. Kernforderungen aus dem Aufruf nehmen die im SAICM Prozess beteiligten NGOs mit in die nächste Verhandlungsrunde Ende August in Bukarest, wo weiter an den Weichen für ein zukünftiges Chemikalienmanagement gestellt werden wird.

Die NGOs fordern lösungsorientierte Maßnahmen entlang des gesamten Lebenszyklus von Chemikalien und Abfällen, zu denen auch Agrarchemikalien zählen. Anders als andere Stakeholder im Prozess, nehmen die NGOs auch den enormen Einsatz von Chemikalien insgesamt, verbunden mit der Produktion und Rohstoffgewinnung sowie die gesamte Kette der Entsorgung mit in den Fokus und setzen sich für einen Finanzierungsmechanismus nach dem „polluters pay“-Prinzip ein. Die unterzeichnenden Organisationen appellieren gemeinsam an Regierungen, Industrie und andere Akteure im Prozess, sich für eine giftfreie Zukunft einzusetzen, ihren chemischen Fußabdruck aktiv zu verkleinern und Vermeidung, Verringerung und ein vernünftiges Chemikalien- und Abfallmanagement zu einem vorrangigen Thema zu machen.

Die derzeitige Menge an Chemikalien, die in industriellen Prozessen, in der Landwirtschaft und in Produkten des täglichen Lebens verwendet werden, setzt Menschen und Ökosysteme massiv schädlichen Substanzen aus. Der allgegenwärtige, exzessive und oft unkontrollierte Einsatz von Chemikalien, ihre unsachgemäße Lagerung und Entsorgung, Unfälle und die Menge an Abfall im Allgemeinen sowie an schlecht gemanagten Abfällen insbesondere führen dazu, dass schädliche Stoffe in die Umwelt, die Nahrungskette und den menschlichen Körper gelangen. Sie kontaminieren Luft, Boden und Wasser, schaden der Tierwelt und führen zum Verlust der biologischen Vielfalt. Die Exposition gegenüber gefährlichen Chemikalien führt unter anderem zu reproduktiven und neurologischen Störungen, verursacht generationsübergreifende Effekte und den Verlust von Lebensgrundlagen und Ernährungssystemen. Besonders betroffen sind die schwächsten, verletzlichsten und marginalisierten Gruppen, wie indigenen Gemeinschaften, Menschen im globalen Süden, Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft, Frauen und Kinder.

SAICM hat besondere Problembereich des internationalen Chemikalienmanagements identifiziert – darunter Chemikalien in Produkten, hormonschädliche Chemikalien (EDCs) und Hochgefährliche Pestizide (HHPs) – und SAICM eine Plattform geschaffen für den multisektoralen und Multistakeholder-Austausch. Doch das angestrebte Schutz- und Minimierungs-Ziel wurde nicht erreicht. Erreichte Fortschritte beschränken sich hauptsächlich auf die Sammlung von Informationen und eine größere Aufmerksamkeit auf die Probleme, während nur wenige konkrete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Risikominderung ergriffen wurden. Mit ihrem Engagement und dem Call to Action engagieren sich die unterzeichnenden NGOs für eine bessere, giftfreie Zukunft für alle.

Hier finden Sie den Call to Action (in sechs Sprachen) sowie eine Liste aller Unterzeichnenden NGOs.




Dokumentation: Tierarzneimittel im Spannungsfeld zwischen Gesundheits-, Tier- und Umweltschutz

Arzneimittel sind eine wichtige Errungenschaft zur Behandlung von Infektionskrankheiten – bei Menschen und Tieren. Aber Tierarzneimittel werden in der Tierproduktion zum Teil missbräuchlich eingesetzt, um die Folgen mangelhafter Praktiken zu kompensieren. Wenn sie in die Umwelt gelangen, können sie Organismen und Ökosysteme gefährden. Außerdem trägt der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zum Problem der Resistenzbildung bei, von dem auch die menschliche Gesundheit betroffen ist.

Seit dem 28.01.2022 gelten durch die EU-Tierarzneimittelverordnung und das deutsche Tierarzneimittelgesetz neue Vorgaben. Unter anderem dürfen antimikrobielle Mittel nicht mehr als Kompensation für mangelnde Hygiene oder schlechtes Betriebsmanagement eingesetzt werden. Der Verkauf von Antimikrobiotika (u.a. Antibiotika) für Nutztiere im Stall und in der Aquakultur soll bis 2030 um 50 % gesenkt werden. Weitere Verschärfungen betreffen Arzneimittel, die besonders umweltgefährlich sind.

Um die neuen Rechtsvorgaben einzuhalten, braucht es systemische Veränderungen in der Tierproduktion hin zu einem gesundheitsorientierten System, das die Erhaltung der Gesundheit von Tieren, Menschen und Umwelt in den Mittelpunkt stellt und eine verantwortungsvolle Verwendung von Tierarzneimitteln ermöglicht.

Wie sieht ein gesundheitsorientiertes System aus? Wie sehen alternative Konzepte für die Tierhaltung aus? Wie kann eine Haltungskennzeichnung sinnvoll gestaltet werden? Diese Fragen hat PAN Germany in einem Mittagstalk aufgegriffen.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist online verfügbar (Video).
Die Fachvorträge stehen zusammengefasst in einer (PDF-Datei) zum Download bereit.

Inputs:

Mehr Umwelt-, Gesundheits- und Tierschutz – Wie kann eine gesundheitsorientierte Transformation gelingen?
Tamara Gripp, Referentin für Landwirtschaft und Umwelt bei PAN Germany

Ergebnisse zum Tierwohl aus dem MuD-Projekt „Hühnermast im Mobilstall“
Sandra Kronenberg, Fachhochschule Südwestfalen, FB Agrarwirtschaft, Soest

Gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung – das Instrument für Transparenz und für den Wandel hin zu einer wertschätzenden Form der Tierhaltung
Anne Hamester, Fachreferentin für Nutztiere bei PROVIEH

 

Gemeinsamer Bericht von Healthcare without harm (HCWH) Europe und PAN Germany

Dokumentation Mittagstalk „Tierarzneimittel im Spannungsfeld zwischen Gesundheits-, Tier- und Umweltschutz“




Pestizid-Abdrift: Antworten auf häufig gestellte Fragen

Im konventionellen Anbau von Obst, Gemüse und Getreide werden regelmäßig chemisch-synthetische Pestizide eingesetzt. Bei der Ausbringung von Pestiziden kann es dazu kommen, dass feiner Sprühnebel verweht wird. Spritzmittel gelangen so auf benachbarte Flächen, auf Felder, in Gärten, Gewässer und Gehölze.

Immer wieder melden sich betroffene Menschen bei PAN Germany und berichten über gesundheitliche Beeinträchtigungen, über Schäden an Wild- oder Gartenpflanzen und über das Gefühl, der Pestizid-Abdrift hilflos ausgeliefert zu sein.

Um Betroffenen eine Hilfestellung zu bieten, hat PAN Germany wichtige Informationen zu Abdrift zusammengetragen.

Darin finden Betroffene unter anderem Antworten auf die Fragen:

  • Was tun bei akuten Vergiftungssymptomen oder gesundheitlichen Beschwerden in Folge eines Pestizid-Kontaktes?
  • Welche Behörden sind zuständig in Fällen erlittener Pestizid-Abdrift?
  • Welche gesetzlichen Regelungen gelten für die Anwendung von Pestiziden?

Die 4-Seitige Information „Pestizid-Abdrift: Antworten auf häufig gestellte Fragen“ können Sie sich hier herunterladen.

Aktiv werden – Abdrift melden!

Sollten Sie von Abdrift betroffen sein,  können Sie Ihren Abdrift-Fall (auch anonym) über unseren Abdrift-Meldebogen schildern. Die Meldung bei PAN ist keine offizielle Meldung an eine Behörde. PAN Germany dokumentiert Fälle und nutzt die Angaben, um auf das Problem der Pestizid-Abdrift aufmerksam zu machen und Maßnahmen zu einem besseren Schutz von Betroffenen und der Umwelt vor Pestizid-Abdrift auf politischer Ebene einzufordern.

Hier Abdrift online melden mit dem PAN Germany Meldebogen




Zunehmende Belastung von Obst und Gemüse mit besonders bedenklichen Pestiziden

Mit einem heute veröffentlichtem Bericht „Forbidden Fruit“ von PAN Europe startet die neue gemeinsame Kampagne „Toxic Twelve“ von PAN Gruppen in Europa, an der auch PAN Germany beteiligt ist.

Der Bericht zum Kampagnenstart nimmt gezielt Rückstände von besonders gefährlichen Pestiziden in europäischen Lebensmitteln unter die Lupe. Die vom Gesetzgeber unter der Bezeichnung „Substitutionskandidaten“ zusammengefassten besonders bedenklichen Wirkstoffe, sollen nach den Regelungen der Pestizidzulassungs-Verordnung von 2009 schrittweise aus der Verwendung genommen werden, sofern Alternativen – chemische oder nicht-chemische – für sie zur Verfügung stehen. Die Einführung des „Substitutionsprinzips“ in die Gesetzgebung (später auch für Biozide eingeführt) galt als ein großer Schritt hin zu besseren Schutzstandards für Mensch und Umwelt und als ein Baustein auf dem Weg hin zu einer ökologischeren und nachhaltigeren Landwirtschaft in der EU.

Nach mehr als zehn Jahren stellt PAN die Frage: Wie erfolgreich ist das Substitutions- Konzept? Ein Blick in den PAN Europe Bericht zeigt: Anstatt eine zu erwartende Abnahme an Rückständen dieser besonders gefährlichen Pestizide, wird sogar eine Zunahme bei europäischem Obst und Gemüse festgestellt. Analysiert wurden die derzeit 55 Substitutionskandidaten und deren Rückstandsfunde im Zeitraum von 2011 bis 2019. Die Rückstandsfunde stiegen in dem genannten Zeitraum beispielsweise bei Kirschen von 22% auf 50% und bei Birnen von 25% auf 47%. Der Anteil an Substitutionskandidaten insgesamt lag 2019 um 8,8% höher als in den Überwachungsjahren 2015 – 2017. Ein Fünftel der gesammelten Proben von 2019 war mit diesen besonders gefährlichen Pestiziden belastet. Fazit: Das Substitutionsprinzip wurde in der Praxis nicht umgesetzt, auf Kosten des Verbraucherschutzes.

Die zunehmende Belastung läuft dem Ziel der europäischen „Farm-to-Fork“-Strategie zur Reduzierung von Pestiziden entgegen, die genau für diese Pestizidgruppe eine Mengenreduktion um 50% bis 2030 fordert, kritisiert PAN Europe in ihrer heutigen Pressemitteilung.

PAN Europe und seine Mitgliedsorganisationen – darunter PAN Germany – fordern in der neuen Kampagne „Toxic Twelve“ ein direktes Verbot der 12 giftigsten Substitutionskandidaten und einen vollständigen Ausstieg aus der Verwendung aller gelisteten 55 Substitutionskandidaten bis 2030. Des Weiteren wird eine Überarbeitung der Regelungen für die „vergleichende Bewertung“ zwischen Substitutionskandidat und Alternativen gefordert, sowie mehr Transparenz bei diesem Bewertungsverfahren, das in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt.

Den PAN Europe Bericht „Forbidden Fruit“ finden Sie hier.

Die PAN Europe Pressemitteilung (de) finden Sie hier.

Erfahren Sie mehr über die Kampagne: www.toxic12.eu.