NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

PAN Germany & PAN Europe: Rechtliche und wissenschaftliche Kriterien stehen in direktem Widerspruch zu Zulassung durch EU-Kommission

Brüssel/Wien/Paris/Berlin/Hamburg, 21. November 2023. Pressemitteilung.
Die Europäische Kommission wird in den nächsten Tagen das Herbizid Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Europe, PAN Germany und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten. Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer*innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. „Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich dabei auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die beteiligten Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen. Gegen die Wiedergenehmigung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und dann auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für eine Verlängerung stimmten Länder, die lediglich 42 % der EU-Bürger*innen repräsentieren.

„Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung der Krebsgefahr von Glyphosat hin: „Nicht nur, dass die ECHA mit Hilfe von Verstößen gegen geltende Richtlinien eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen unter den Tisch kehrte. Auch die EFSA verwarf neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom, mit der Begründung, dass dafür internationale Richtlinien zur Risikobewertung fehlten.“

„Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert*innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich).

Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler*innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor*innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Margriet Matingh, Präsidentin von PAN Netherlands, betont: „Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.“

„Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun auch Umwelt-NGOs und Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, hinzu.

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: „Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

Die Aufzeichnug zur Pressekonferenz von heute Morgen finden Sie hier (25 Minuten).

 




Keine Mehrheit bei den EU-Ländern – Kommission kündigt weitere 10 Jahre Glyphosat an

Nachdem bereits im Oktober die erforderliche Zustimmung ausblieb, gab es auch heute im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zu genehmigen.

Im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften ist es in solchen Fällen an der EU-Kommission allein zu entscheiden. Und per Statement und Kurzmitteilung machte sie gleich nach der heutigen Abstimmung klar, dass sie Glyphosat für 10 Jahre verlängern wird. Aus Sicht von PAN Germany wäre es dringend geboten, dass die Kommission aufgrund des fehlenden Rückhalts in den Mitgliedsstaaten und der Bevölkerung dies überdenkt und nicht an der Wiedergenehmigung für 10 Jahre festhält.

Die Entscheidung über die Zukunft des meist verwendeten Herbizidwirkstoffs findet vor dem Hintergrund weiterer alarmierender wissenschaftlicher Erkenntnisse über seine schädigende Gesundheitswirkung statt: Eine gerade veröffentlichte internationale Studie an Ratten belegt einen Zusammenhang von Glyphosat mit der Entstehung von Leukämie bereits in jungem Alter.

Die internationale Studie unter der Federführung des Ramazzini-Instituts in Bologna deckte zum ersten Mal überhaupt die gesamte Lebensspanne von der embryonalen Phase bis zum Ende der Lebenserwartung ab. Bei den untersuchten Tieren kam es bei einer sehr niedrigeren Dosis des Glyphosat-Wirkstoffs und bei noch niedrigerer Dosierung mit glyphosathaltigen Herbiziden zu einem signifikant gehäuften und extrem frühzeitigen Auftreten von Leukämie. Weitere Details finden sich in dem Offenen Brief, von PAN Germany und anderen Organisationen an Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach.

Die Europäische Chemikalienagentur der EU (ECHA) hatte Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft, eine von kritischen Wissenschaftler*innen monierte Entscheidung. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juli 2023 bekannt gegeben, dass sie in ihrer Risikoeinschätzung zu Glyphosat trotz relevanter Datenlücken und ungeklärter Fragen „keine kritischen Problembereiche“ identifizieren könne – Umweltorganisationen waren empört.

Die von der EU Kommission heute angekündigte Wiedergenehmigung von Glyphosat werde an Bedingungen und Einschränkungen geknüpft. Zu diesen Einschränkungen zähle ein Verbot der Verwendung zur Abreifebeschleunigung (Sikkation) vor der Ernte und Maßnahmen zum Schutz von Nichtzielorganismen. Zudem verwies die EU Kommission in ihrem Statement darauf, dass die Mitgliedstaaten für die nationale Zulassung glyphosathaltiger Pestizidprodukte nationale Anwendungsbeschränkungen erlassen können, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, die biologische Vielfalt zu schützen.

Lesen Sie auch die Bewertung von PAN Europe zur heutigen Entscheidung.




Kompromiss des EP-Umweltausschusses zur Pestizidreduktions-Verordnung SUR

Der federführende Umweltausschuss des Europäischen Parlaments (ENVI) entschied gestern über ein Paket von Änderungsvorschlägen zum Verordnungsentwurf der Sustainable Use of Pesticides Regulation (SUR). Der angenommene Kompromisstext enthält zwar einige Verbesserungen, lässt jedoch weiterhin wichtige Bestimmungen zum Schutz der Menschen und der Umwelt in der EU vermissen.

Die Abstimmung im ENVI-Ausschuss bedeutet einen wichtigen Verhandlungsschritt in dem Gesetzgebungsverfahren. Im November wird noch im EP-Plenum und dann mit dem EU-Rat und der EU-Kommission im Trilog abschließend beraten. Die Ratsposition der EU-Mitgliedsstaatensteht steht noch aus und wird ebenfalls im November erwartet.

Der jetzt im Umweltausschuss mit 47 Stimmen von den Fraktionen der Grünen (Greens/EFA), der Linken (The Left), der Sozialdemokraten (S&D) und den meisten Liberalen (Renew) angenommene Vorschlag wird voraussichtlich im folgenden Verhandlungsprozess noch verändert werden. Deshalb ist es aus PAN-Sicht weiterhin notwendig, Verbesserungen einzufordern und drohenden Abschwächungen entgegen zu treten. Die 37 Ablehnungen und 2 Enthaltungen bei der Abstimmung im ENVI-Ausschuss kamen von der EVP-Fraktion (CDU/CSU), der rechtspopulistischen ECR-Fraktion (u.a. PiS-Partei) sowie der rechtsextremen ID-Fraktion (u.a. AFD). Sie hatten gemeinsam „alternative Kompromisse“ formuliert, um Vorschriften für eine Pestizidreduktion zu stoppen. Die viel beschworene „Brandmauer“ gegenüber den Rechtsextremen wie der AFD funktioniert im EU-Parlament offensichtlich nicht, stellte Sarah Wiener, ENVI-Berichterstatterin der SUR, in ihrer Pressekonferenz zu Abstimmung am 24.10.23 fest.

Tatsächlich zeigen aktuelle investigative Berichte von Corporate Europe Observatory und DeSmog, wie intensiv die Pestizidlobby versucht, Einfluss auf politische Entscheider*innen zu nehmen und wissenschaftlich basierte Entscheidungen im Interesse der Zivilgesellschaft zu verhindern. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der angenommene Kompromissvorschlag weiterhin eine Verordnung mit rechtsverbindlichen Definitionen und Verpflichtungen befürwortet, trotz der starken Bemühungen, den Vorschlag vollständig abzulehnen oder ihn in eine wenig effektive Richtlinie umzuwandeln.

Eine Verbesserung zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag wurde beim Ziel der Mengenreduzierung bei besonders gefährlichen Pestiziden (den „Substitutionskandidaten“) angenommen. Statt einer darin vorgeschlagenen Mengenreduktion von 50% einigte sich der Umweltausschuss auf eine Mengenreduktion von 65% bei diesen besonders schädlichen Pestiziden bis 2030. Aus PAN-Sicht müssten Anstrengungen unternommen werden, alle, also 100% der Substitutionskandidaten in dieser Zeit durch weniger gefährliche und durch nicht-chemische Verfahren im Rahmen des Integrierten Pflanzenschutzes (IPM) zu ersetzen.

Positiv ist, dass nicht-chemische Verfahren verpflichtend bevorzugt eingesetzt werden sollen und dass verbindliche kulturspezifische IPM-Vorschriften für die jeweils 5 wichtigsten Anbaukulturen bezüglich Menge und Risiken in den Mitgliedsstaaten festzuschreiben sein werden. Anders als im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, der dies als Ziel für 90% aller Nutzflächen inklusive der Dauergrünlandflächen vorsah, soll diese Vorgabe nun nur noch auf 60% der gesamten landwirtschaftlichen Anbaufläche (ohne Dauergrünland) gelten. Dies ist eine deutliche Abschwächung.

Eine Verbesserung stellen die neu eingefügten Artikel im SUR-Entwurf dar. Diese regeln ein Exportverbot für die in der EU aus Umwelt- und Gesundheitsgründen verbotenen Pestizidwirkstoffe und –produkte sowie die Einführung besonders strenger Rückstandsobergrenzen für importierte Erzeugnisse, die mit solchen bei uns verbotenen Pestiziden belastet sind. PAN Germany engagiert sich seit langem für entsprechende Regelungen in Deutschland und in der EU und begrüßt diese Ergänzungen in der SUR ausdrücklich. Zudem wurde eine umfassende Überwachung von Pestizidbelastungen in der Umwelt (Boden, Luft, Wasser, Biota) und bei Menschen verankert mit dem Ziel, die rückwirkende Bewertung von Zulassungsvoraussetzungen für Pestizide zu verbessern. Neu ist auch das Recht auf Zugang zu Rechtsmitteln („access to justice“).

Trotz einiger Verbesserungen und dem Gegenhalten des Umweltausschusses gegen weitere Abschwächungen, bleiben aus PAN-Sicht noch viele Schwachstellen auch in diesem Kompromissvorschlag. Zentral ist die Kritik am irreführenden Indikator „Harmonized Risk Indikator (HRI1) zur Messung der Pestizidreduktion. Dieser Indikator ist ungeeignet, das Pestizidrisiko adäquat abzubilden. Er suggeriert Erfolge auf dem Papier und diskriminiert zudem die weniger bedenklichen Biopestizide des Ökoanbaus gegenüber chemisch-synthetischen (s. IFOAM-Presseerklärung und  ECI/Global 2000 Erklärvideo). Wie die Umweltverbände, fordert auch das Umweltbundesamt, die vogeschlagene Messmethode zu korigieren. Auch wurde der Bemessungszeitraum um 2 Jahre vergrößert und nach hinten versetzt, von jetzt 2013 – 2017 (anstatt 2015-2017), was letztlich bei vielen Mitgliedsstaaten dazu führen wird, dass mit weniger Ambition an einer tatsächlichen Pestizidreduktion gearbeitet wird und – allerdings nur auf dem Papier – schneller das Ziel einer 50%igen Pestizidreduktion in ihrem Land erreicht werden kann.

Außerdem gibt der Vorschlag, den Mitgliedsstaaten viel mehr Spielraum einzuräumen, bei der Bestimmung, welche Gebiete in ihrem Zuständigkeitsbereich als „sensible Gebieten“ festgelegt werden und der SUR-Entwurf des Umweltausschusses gewährt ihnen größere Freiheit, dort Ausnahmen für den Einsatz von dort verbotenen wie Substitutionskandidaten und alle chemisch-synthetischen Pestiziden zu gewähren. Die vorgesehenen Pufferstreifen zum Schutz der sensiblen Gebiete (wie Naturschutzgebiete, Natura 2000 Gebiete, Gebiete mit vulnerablen Gruppen wie Kindergärten) konnten als Kompromiss von 3 auf 5 Metern ausgeweitet werden. Umweltverbände wie PAN halten solche minimalen Schutzabstände bei Weitem für nicht ausreichend und fordern in einem aktuellen Joint Statement u.a. Pufferstreifen ohne Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide um solche sensible Gebiete zum Schutz von Menschen und Biodiversität von mindestens 100 Metern. Letztlich braucht kein Mitgliedsstaat Repressalien zu fürchten, sollten die Reduktionsziele in der vorgegebenen Zeit nicht erreicht werden, eine plausible Begründung reicht aus.

PAN Germany hält es für unerlässlich, dass bei der anstehenden Plenarabstimmung (in der KW 47) diese und weitere Mängel der Gesetzesvorlage noch behoben werden. Jede interessierte Person kann sich noch äußern und den deutschen Repräsentanten im Europaparlament schreiben. Dafür haben wir ein Online-Tool auf der PAN Germany Website zur Verfügung gestellt. (s. auch unseren gestrigen Webbeitrag).

 

Europäisches Parlament Press Release, 24.10.2024

PAN Europe Press Release, 24.10.2023

 

 




Glyphosat-Wiedergenehmigung wird weiterverhandelt

Die EU Mitgliedsstaaten konnten sich am Freitag, den 13. Oktober 2023 nicht über eine Wiedergenehmigung von Glyphosat einigen. Eine dafür notwendige qualifizierte Mehrheit konnte im zuständigen Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) nicht erreicht werden. Das ist ein wichtiger Teilerfolg! Zuvor hatte sich die EU-Kommission für eine Wiedergenehmigung des Pestizids über einen Zeitraum von 10 Jahren ausgesprochen. Nach PAN-Kenntnis stimmten Österreich, Kroatien, und Luxemburg gegen diesen Vorschlag, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Malta, Frankreich und die Niederlande enthielten sich. Damit konnten sich die Befürworter bei den Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen.

PAN Germany begrüßt dieses Ergebnis, zeigt sich aber auch enttäuscht von der Enthaltung Deutschlands. Schließlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, die Verwendung glyphosathaltiger Mittel ab 2024 zu verbieten. Ein klares Nein gegen ein „weiter so“ auf EU-Ebene wäre nicht nur im Sinne des Koalitionsvertrags gewesen, sondern auch ein deutliches Signal für die Verteidigung des Vorsorgeprinzips, angesichts der bestehenden und eingeräumten Datenlücken und Unsicherheiten bei der Risikobewertung von Glyphosat.

Nicht nur die wahrscheinliche Kanzerogenität von Glyphosat ist ein Problem (PAN berichtete wiederholt), sondern auch die erheblichen Auswirkungen auf Biodiversität und Ökosysteme, schon allein aufgrund der großen Mengen und Anwendungsflächen. Glyphosat und sein Hauptmetabolit AMPA finden sich mittlerweile faktisch überall in der Natur, selbst in Menschen und Tieren.  Obwohl seit 2009 auch Ökosysteme und Artenvielfalt im europäischen Pestizidrecht als Schutzziele verankert sind, fehlt es noch immer an harmonisierten Bewertungsverfahren. Dies räumt auch die zuständige Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ein. Aus PAN-Sicht ist das ein Skandal. Diese Bewertungsmängel bei Glyphosat – und bei allen anderen in der EU genehmigten Pestiziden –  müssen schnellstens ausgemerzt werden und schon gar nicht darf unter solchen Bedingungen ein Totalherbizid wiedergenehmigt werden, dessen Einsatzmenge allein in Deutschland bei rund 5000 Tonnen pro Jahr liegt.

Wie geht es jetzt weiter? Die Mitgliedstaaten werden nun in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss erneut über den Vorschlag der Kommission zur Wiedergenehmigung abzustimmen. Es wird erwartet, dass die Kommission den Vorschlag anpassen wird, möglicherweise eine verkürzte Genehmigungsdauer oder strengere Anwendungsauflagen vorschlagen wird. Sollte erneut keine qualifizierte Mehrheit zustande kommen, wird die Kommission allein entscheiden. Es bleibt also wichtig, sich weiter für ein Glyphosatverbot und für eine nachhaltigere Landwirtschaft einzusetzen.

Dass es auch ohne Totalherbizide wie Glyphosat geht, zeigen jeden Tag die Ökobetriebe und auch immer mehr konventionelle Landwirte, die integrierten Pflanzenschutz (IPM) mit  vielfältigen Fruchtfolgen und bodenschonenden Wildkrautmanagement anwenden. Hier dazu auch unsere Veranstaltungsreihe PAN Germany Mittagsdialoge: „Pestizidreduktion und Alternativen im Pflanzenschutz“.

Hier die Pressemitteilung von PAN Europe vom 13.10.2023




Meinungsumfrage: Mehrheit der Europäer*innen besorgt über Pestizideinsatz und dessen Auswirkungen

Europäische Bürger*innen sind sehr besorgt über den Einsatz von Pestiziden und deren schädliche Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Dies geht aus einer von PAN Europe beauftragten Umfrage in sechs EU Mitgliedstaaten – Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien – hervor. Durchgeführt wurde die Umfrage vom European Public Affairs Team des Marktforschungsinstituts Ipsos.

Mehr als Dreiviertel der Befragten (75,9 %) machen sich große Sorgen um die Auswirkungen von Pestiziden auf ihre Gesundheit und die ihrer Familie. Besonders beunruhigt äußerten sich Rumän*innen (81,4 %) und Pol*innen (80,4 %), aber auch eine deutliche Mehrheit von 69,8 % der deutschen Befragten äußerte sich beunruhigt über die gesundheitlichen Risiken von Pestiziden.

Noch mehr Sorgen machten sich die  Befragten über die schädlichen Umweltfolgen des Pestizideinsatzes: 81,8 %.
77,7 % der Umfrageteilnehmenden stimmten zu, dass der Einsatz von Pestiziden die Umwelt schädigt; der deutsche Wert liegt bei 77,4 %.  Nur ein knappes Viertel der Befragten sind der Ansicht, dass die Vorteile durch Pestizide die Risiken überwiegen würden.

Eine deutliche Mehrheit der Befragten (61,9 %) ist außerdem der Meinung, dass Glyphosat, das in der EU am häufigsten verwendete Herbizid, in der EU verboten werden sollte. Die deutsche Zustimmung zu einem Glyphosatverbot lag bei deutlichen 68,3 %.

Die über 6.000 Teilnehmenden der Umfrage sprachen sich überwiegend für die Anwendung des Vorsorgeprinzips aus. 73,2 % der Befragten befürworten, dass die Regeln des integrierten Pflanzenschutzes für die Landwirte in der EU verbindlich sein sollen.

Auf der Grundlage der Umfrageergebnisse empfiehlt der Bericht den politischen Entscheidungsträgern:

  • Das Vorsorgeprinzip, wie im EU-Recht gefordert, bei der Pestizidregulierung anzuwenden, um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten;
  • die wichtigsten Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) beizubehalten und zu stärken, einschließlich verbindlicher Bestimmungen über den integrierten Pflanzenschutz und kulturspezifische Vorschriften;
  • den Schutz empfindlicher Gebiete (wie z.B. Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Naturschutzgebiete) vor Pestizid-Abdrift durch möglichst große Pufferzonen sicherzustellen;
  • Glyphosat in der EU zu verbieten, in Anbetracht der umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über dessen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt Glyphosat, und
  • die derzeitigen Lücken bei der Risikoabschätzung der EU-Pestizidzulassung zu schließen, um Menschen und Umwelt angemessen zu schützen.

Die Meinungsumfrage wurde im August 2023 vom Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag vom Pesticide Action Network (PAN) Europe durchgeführt. Bei der Auswahl der sechs Länder wurde darauf geachtet, dass sie einen repräsentativen Überblick über die EU und ihre geografische, klimatische, politische und wirtschaftliche Vielfalt bieten. Teilgenommen haben Personen aus Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien.

Lesen Sie hier die Pressemitteilung von PAN Europe (05.10.2023)

Hier können Sie sich den Bericht zur Meinungsumfrage „Pesticides: Play it safe!“ herunterladen




Weltchemikalienkonferenz: Ehrgeizige Maßnahmen zur schrittweisen Abschaffung der gefährlichsten Pestizide der Welt angemahnt

Bonn, 25. September 2023. Pressemitteilung. 373 Organisationen der Zivilgesellschaft und indigener Völker aus 74 Ländern fordern die Staats- und Regierungschefs auf der bedeutenden internationalen Weltchemikalienkonferenz dazu auf, dringend zu handeln, um hochgefährliche Pestizide (HHP)[1] aus dem Verkehr zu ziehen. HHPs sind eine bestimmte Gruppe von Pestiziden, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in besonderer Weise schaden und als zu gefährlich für den Einsatz gelten.

Der gemeinsame Appell an Regierungen und andere Akteure des Strategischen Ansatzes für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) wurde bei der heutigen Eröffnung der Weltchemikalienkonferenz (ICCM5) unterbreitet. Der Appell fordert, in den neuen SAICM-Rahmen „Beyond2020“ ein ehrgeiziges Ziel für den Ausstieg aus der Verwendung von HHPs in der Landwirtschaft bis 2030 aufzunehmen. Auf der Konferenz wird die zukünftige Rahmenvereinbarung abgestimmt, die für die nächsten Jahrzehnte die Richtung der globalen Chemikalienpolitik vorgeben wird.

„Von allen Sektoren setzt der Agrarsektor systematisch und beabsichtigt die größte Menge giftiger Chemikalien – Pestizide – in die Umwelt frei, wodurch jährlich Milliarden Hektar Land verschmutzt werden und erhebliche Schäden für die biologische Vielfalt, das Klima, die Gesundheit und die Menschenrechte entstehen. Die Konferenz hat die Möglichkeit und die Verpflichtung, dieser Belastung zu begegnen und Lösungen festzuschreiben, damit die alltägliche Vergiftung endlich gestoppt wird.“, sagt Susan Haffmans, Referentin für Pestizide und Internationale Angelegenheiten bei PAN Germany.

Zu den Unterstützern des Appells zählen Organisationen aus aller Welt, die Landwirt*innen, Landarbeiter*innen, indigene Völker und ländliche Bevölkerungsgruppen vertreten, Wissenschaftler*innen und Akademiker*innen, Opfer von Pestizidvergiftungen, Verbraucher- und Menschenrechtsaktivist*innen, Umwelt- und Gesundheitsgruppen und Gewerkschaften. Gemeinsam rufen sie die Teilnehmenden an der ICCM5 dazu auf, sich für folgende Kernpunkte im neuen Regelwerk einzusetzen:

  • Die Aufnahme eins Ziels für alle Länder, die Ausfuhr von Stoffen zu untersagen, die sie auf nationaler Ebene verboten haben. Bei vielen dieser Stoffe handelt es sich um Pestizide.
  • Die Aufnahme eines Ziels für alle Länder, Strategien und Programmen zur Förderung sichererer und nachhaltigerer, nicht-chemischer Alternativen zu HHPs, umzusetzen, insbesondere von Agrarökologie.
  • Den Vorschlag von 54 afrikanischen Ländern mitzutragen, eine Globale Allianz für hochgefährliche Pestizide[2] zu gründen, die sich für den Ausstieg aus der Verwendung hochgefährlicher Pestizide einsetzt.

„Wenn die Ziele für nachhaltige Entwicklung erreicht, der ökologische Kollaps abgewendet und die Menschenrechte gewahrt werden sollen – einschließlich des Rechts auf Nahrung und des Rechts künftiger Generationen auf eine saubere und gesunde Umwelt – müssen alle zusammenarbeiten, um die gefährlichsten Pestizide der Welt zu beseitigen und sicherere agrarökologische Alternativen einzuführen und zu verbreiten“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben.

Die Gruppen entgegneten Befürchtungen, die Abschaffung von HHPs könne die Ernährungssicherheit gefährden, und erklärten, dass im Gegenteil die toxischen Auswirkungen von HHPs, die Ökosysteme und die Produktivität negativ beeinflussen. HHPs wurden in der Landwirtschaft in einer Reihe von Ländern schrittweise abgeschafft, ohne die landwirtschaftliche Produktivität zu beeinträchtigen. Dies wurde auch von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt.[3] Es gibt bereits sicherere Alternativen zu synthetischen Pestiziden. Vor allem agrarökologische Ansätze haben sich als wirksame und nachhaltige Alternativen erwiesen.[4]

Jedes Jahr werden fast 400 Millionen Landwirt*innen und Landarbeiter*innen durch Pestizide vergiftet, was zu etwa 11.000 Todesfällen führt – die meisten davon ereignen sich im globalen Süden. Weil sie äußerst giftig sind, sind HHPs für eine große Zahl dieser akuten Vergiftungsfälle verantwortlich[5].

Nur ein Bruchteil der weltweit auf dem Markt befindlichen Pestizide wird über verbindliche Konventionen reguliert. Das jetzt verhandelte neue Chemikalienabkommen unter dem Dach des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) soll Lösungen erarbeiten, für die zunehmende Belastung unseres Planeten und der Gesundheit aller Menschen mit Chemikalien und Abfällen.

Kontakt für deutsche Medien: Susan Haffmans, susan.haffmans@pan-grmany.org, mobil: +49 157 315 640 17

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[1] Highly Hazardous Pesticides (HHPs) are pesticides that present particularly high levels of acute or chronic hazards to health or the environment according to internationally accepted hazard classification systems, their listing in relevant binding international agreements or conventions, or under conditions of use in a country

[2] Die Global Alliance on HHPs ist ein freiwilliger Multi-Stakeholder-Mechanismus zum schrittweisen Ausstieg aus der Verwendung von hochgefährlicher Pestizide, der von 54 Regierungen aus der afrikanischen Region bei der ICCM5 vorgeschlagen wurde. Die Allianz soll mit der Entwicklung und Umsetzung eines globalen Aktionsplans mit klaren Zielen und Meilensteinen für den Fortschritt bei der Erreichung eines weltweiten Ausstiegs aus der Verwendung von HHPs beauftragt werden.

[3] FAO and WHO. 2019. Detoxifying agriculture and health from highly hazardous pesticides – A call for action. Rome

[4] Pesticide Action Network UK and IRET (2017). Alternatives to Highly Hazardous Pesticides; GIST Impact Report (2023). Natural Farming Through a Wide-Angle Lens.

[5] Boedeker, W., Watts, M., Clausing, P. et al. (2020) The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning: estimations based on a systematic review. BMC Public Health.




EU-Kommission in Glyphosat-Panik?

21.09.2023. Pressemitteilung.
Das überhastete Vorgehen der EU-Kommission und ihr Vorschlag, Glyphosat um weitere zehn Jahre zu genehmigen sind ein Affront gegen die öffentliche Meinung und ignoriert die wissenschaftlich untermauerten Bedenken unabhängiger Wissenschaftler*innen.

Mit ihrem am 20. September veröffentlichten Vorschlag[1] verharmlost die Kommission bestehende Datenlücken, die selbst von den Behörden anerkannt wurden und wälzt den Umgang mit den daraus erwachsenden Risiken auf die EU-Mitgliedsländer ab. Zugleich ignoriert die EU-Kommission die Erkenntnisse unabhängiger Wissenschaftler*innen sowie die Meinung einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung, die in sechs EU-Ländern befragt wurde.[2]

Der Schritt der EU-Kommission erfolgte zwei Tage nachdem das unabhängige Ramazzini-Institut (Bologna) angekündigt hatte, Ende Oktober die Ergebnisse seiner Studie zu Gesundheitsschäden von Glyphosat zu veröffentlichen. Dies ist die umfassendste Langzeitstudie, die jemals mit Glyphosat durchgeführt wurde.

Auf einer Veranstaltung im Europaparlament am Montag, den 18.09.23 wurden Beweise dafür geliefert, dass die Einstufung von Glyphosat als „nicht krebserregend“ durch die EU-Behörden unter Verwendung von falschen Angaben erfolgte. [3] Dass die EU-Kommission eine „nur“ 10-jährige Verlängerung der Genehmigung vorschlägt, statt der maximal möglichen 15 Jahre, scheint das Ergebnis eines Kuhhandels hinter den Kulissen zu sein. Vertreter*innen verschiedener Mitgliedsländer wurde offenbar eine kürzere Genehmigungsdauer im Austausch dafür angeboten wurde, dass sie auf ein Nein bzw. auf eine Stimmenthaltung bei der bevorstehenden Abstimmung zu Glyphosat verzichten.[4]

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

[1] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/092073/1/consult?lang=de

[2] https://www.pan-europe.info/press-releases/2023/09/glyphosate-eu-2034-danger-health-and-environment-and-violation-citizens-will

[3] https://pan-germany.org/download/praesentation-glyphosate-and-echas-weight-of-evidence/

[4] https://www.proplanta.de/agrar-nachrichten/agrarpolitik/glyphosat-feilschen-um-die-verlaengerungsdauer_article1695020013.html




Zeit für Glaubwürdigkeit und Kohärenz: PAN International Briefing zur Weltchemikalienkonferenz ICCM5

Vom 25.-29.9. werden Delegierte und Stakeholder aus aller Welt auf der Weltchemikalienkonferenz in Bonn ein neues Chemikalienabkommen beschließen, das den Rahmen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien und Abfällen für die kommenden Jahre setzen wird mit dem Ziel, Menschen und ihre Umwelt endlich besser vor chemischer Belastungen zu schützen. Pestizide gehören zu den Chemikalien, die weltweit Gesundheit, Umwelt und Menschenrechte gefährden und für die die Verhandlungen ebenfalls geeignete Zeile festsetzen müssen.

Das Pesticide Action Network International (PAN) hebt für den agrarischen Bereich insbesondere drei Ziele als notwendig hervor, die im Rahmen des SAICM Beyond 2020 Framework, dem neuen politischen Instrument: Zu den kritischen Zielen gehören das Ziel A7, hochgefährliche Pestizide (HHPs) in der Landwirtschaft bis 2030 auslaufen zu lassen, das Ziel A5, den Export national verbotener Stoffe zu untersagen, und das Ziel D5, das einen Übergang zu nicht-chemischen Alternativen zu Pestiziden in der Landwirtschaft vorgibt.

Damit die Konferenz als Erfolg gewertet und die wichtigsten Ziele umgesetzt werden können, müssen sich die Regierungen zudem auf eine Globale Allianz gegen hochgefährliche Pestizide einigen, die von allen 54 Staaten der UN-Afrika-Gruppe vorgeschlagen und von Ländern in anderen UN-Regionen unterstützt wird.

Das PAN International Briefing Zeit für Glaubwürdigkeit und Kohärenz ist verfügbar in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch




Glyphosat: Schlüsselmechanismus für Krebsentstehung wurde von der EU nicht angemessen berücksichtigt

Eine neue wissenschaftliche Studie belegt schwerwiegende Mängel in der EU-Gesundheitsbewertung von Glyphosat und macht deutlich, dass die europäische Chemikalienagentur ECHA (European Chemicals Agency) die Karzinogenität von Glyphosat nicht angemessen bewertet und sein Potenzial, Krebs zu verursachen, unterschätzt hat. Die ECHA hat nicht nur die in Krebsstudien beobachtete Häufigkeit von Tumoren als irrelevant abgetan, sondern auch Hinweise aus unabhängiger Literatur außer Acht gelassen, dass Glyphosat oxidativen Stress verursacht, einen Mechanismus, der anerkanntermaßen zu Krebs führen kann. Wenn man die Beweise aus Krebsstudien und oxidativem Stress kombiniert, ist das Krebspotenzial von Glyphosat nicht zu leugnen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority), die basierend auf der ECHA-Einstufung die Risikobewertung für Pestizidwirkstoffe vornimmt, stützte sich in ihrer Schlussfolgerung somit zu Unrecht auf eine Einstufung als „nicht krebserregend“ durch die ECHA. Dies ist ein entscheidender Fehler. Die Anerkennung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse müsste unweigerlich zu dem Schluss führen, dass die Zulassung von Glyphosat nach EU-Recht nicht verlängert werden kann.

Die Wissenschaftler der Studie zum Oxidativen Stress durch Glyphosat verdeutlichen, wie die beiden EU-Regulierungsbehörden ihre im EU-Pestizidrecht (Verordnung (EG) Nr. 1107/2009) festgesetzte Aufgabe, ein höheres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten, nicht erfüllen.

Peter Clausing, Toxikologe und Co-Autor der Studie, sagt dazu:

„In unserer Studie zeigen wir, dass oxidativer Stress bei der Bewertung im Vorfeld der RAC-Stellungnahme der ECHA nicht angemessen berücksichtigt wurde. Dies führt zu sehr schwerwiegenden Mängeln bei der Bewertung der potenziellen Gefahren von Glyphosat und der ihnen zugrunde liegenden Mechanismen. Da oxidativer Stress nicht von den OECD-Testrichtlinien abgedeckt wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die Ergebnisse von Studien über oxidativen Stress, die in der von Fachleuten überprüften wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht wurden, ordnungsgemäß in die Gefahrenbewertung zu integrieren. Die ECHA hat dies in ihrem im Mai 2022 veröffentlichten Gutachten zu Glyphosat versäumt, und die EFSA hat es versäumt, diesen Mangel zu beheben.“

Dies gibt Anlass zu ernster Besorgnis, zumal die Kommission den Vertreter*innen der Mitgliedstaaten auf der bevorstehenden Ad-hoc-Sitzung des SCoPAFF (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed) Ende dieser Woche ihren Verordnungsvorschlag für die Erneuerung der Zulassung von Glyphosat vorlegen wird.

Umfrage in 6 EU-Ländern zeigt: Bürger*innen lehnen eine Neuzulassung von Glyphosat ab

Die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Studie fällt zusammen mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Umfrage in sechs EU-Ländern (Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien), nach der sich zwei Drittel (62 %) der EU-Bürger*innen in diesen Ländern dafür aus sprachen, die Verwendung von Glyphosat in Europa zu beenden. Der Zuspruch für ein Glyphosatverbot war mit 70,5% in Frankreich am höchsten.

Offener Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides

In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides vom 7. September 2023 informierten die Mitglieder der europäischen „StopGlyphosate“-Koalition die EU Kommission über die neue Studie und betonten, dass Glyphosat  allein aufgrund der Krebsnachweise die Kriterien für eine Zulassung nicht erfüllt.

Die StopGlyphosate Koalition und PAN Germany fordern EU Kommissar Kyriakides in dem Schreiben nachdrücklich auf, die beschleunigte Wiederzulassung von Glyphosat auf der Grundlage der dargelegten Beweise zu stoppen und das Vorsorgeprinzip anzuwenden, das den Kern des EU-Pestizidrechts bildet.

Weitere Informationen:




Hochgefährliche Pestizide: Bundesregierung verschleppt Exportverbot

Gemeinsame Pressemitteilung von BUND, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Heinrich-Böll-Stiftung, INKOTA-netzwerk, Misereor, PAN Germany und Rosa-Luxemburg-Stiftung

[Aachen / Berlin / Hamburg / Johannesburg, 11.9.2023] Am morgigen Dienstag jährt sich die Ankündigung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, mittels einer Verordnung ein Exportverbot für bestimmte gesundheitsschädliche Pestizide auf den Weg zu bringen. Dabei geht es um Pestizide, die in Deutschland produziert werden, aber in der EU nicht eingesetzt werden dürfen. Tausende Tonnen bei uns verbotener Pestizide werden aktuell weiterhin ins außereuropäische Ausland exportiert. Gerade im globalen Süden stellt der Einsatz dieser teils hochgefährlichen Pestizide eine große Gefahr für Bauern und Bäuerinnen, Landarbeiter*innen, die ländliche Bevölkerung und die Umwelt dar.

Nachdem das Landwirtschaftsministerium einen Entwurf für eine entsprechende Verordnung erarbeitet hat, geht es in der Ressortabstimmung nicht voran. Um zum gesundheitlichen Schutz von Bauern und Bäuerinnen sowie Landarbeiter*innen außerhalb der EU beizutragen, fordern NGOs, Umweltverbände und politische Stiftungen alle beteiligten Ressorts auf, zusammenzuarbeiten und den vorliegenden Verordnungsentwurf in die Verbände- und Länderkonsultationen zu übergeben, damit die Verordnung schnellstmöglich in Kraft treten kann.

„Wirtschaftliche Interessen dürfen niemals Vorrang vor Gesundheit und Umweltschutz haben. Aus diesem Grund betrachten wir eine Blockade des angekündigten Pestizidexportverbots innerhalb der Bundesregierung sehr kritisch. Der Fokus muss klar auf das Wohl von Mensch und Umwelt gelegt werden“, sagt Silke Bollmohr, Referentin für globale Landwirtschaft und Welternährung vom INKOTA-netzwerk.  

„Misereor-Partnerorganisationen dokumentieren weltweit Fälle eklatanter Häufungen von schweren Erkrankungen und Todesfällen in Gegenden mit hohem Pestizideinsatz. Wir können nicht länger zulassen, dass sich nachweislich jedes Jahr 385 Millionen Menschen an Pestiziden vergiften und 11.000 sogar daran sterben, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika“, erklärt Sarah Schneider, Referentin für Welternährung bei Misereor.

„Deutsche Pestizidkonzerne wie Bayer und BASF machen Profit auf Kosten von Mensch und Umwelt. Verbotene Pestizide gelangen als Rückstände in Importprodukten zum Teil auch zu uns in die Regale der Supermärkte zurück. BUND-Zierpflanzentests zeigen regelmäßig eine hohe Belastung mit gefährlichen Pestiziden ohne EU-Zulassung. Diese Doppelstandards dürfen nicht weiter toleriert werden”, fordert BUND-Pestizidexpertin Corinna Hölzel.

„Der Export hochgefährlicher Pestizide untergräbt Menschenrechte. Das deutsche Pflanzenschutzgesetz liefert die rechtliche Grundlage, um den Export bei uns verbotener Pestizide über eine Verordnung zu unterbinden. Dass dies mit EU- und Welthandelsrecht im Einklang steht, hat ein im September 2022 veröffentlichtes Rechtsgutachten belegt. Die praktische Umsetzbarkeit beweisen Belgien und Frankreich, die solche Exporte bereits gesetzlich unterbinden. Statt am Export alter, gefährlicher Wirkstoffe festzuhalten, sollte Deutschland in nicht-chemische Pflanzenschutzstrategien investieren und das Exportverbot als Innovations-Booster dahingehend nutzen“, sagt Susan Haffmans, Referentin für Pestizide und internationale Angelegenheiten bei PAN Germany.

Weiterführende Informationen

Das Rechtsgutachten „Umsetzung eines Ausfuhrverbots für bestimmte, gefährliche Pestizide aus Deutschland“ im Auftrag des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), der Heinrich-Böll-Stiftung, des INKOTA-netzwerk, des Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist hier verfügbar.

Kontakte

  • Maria Bause, European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR), E-Mail: bause@ecchr.eu, Telefon: +49 (0)30 69 81 97 97
  • Silke Bollmohr, INKOTA-netzwerk, E-Mail: bollmohr@inkota.de, Mobil: +49 (0)174 56 20 107
  • Susan Haffmans, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), E-Mail: susan.haffmans@pan-germany.org, Mobil: +49 (0)157 31 56 40 17
  • Corinna Hölzel, BUND e.V., E-Mail: Hoelzel@bund.net, Mobil: +49 (0)175 44 87 69 1
  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: +49 (0)30 28 53 43 12
  • Jan Urhahn, Rosa-Luxemburg-Stiftung, E-Mail: jan.urhahn@rosalux.org, Mobil (Whatsapp): +27 (0)79 63 89 97 6 oder (Signal und Telegram): +49 (0)176 70 61 03 81
  • Barbara Wiegard, Presse-Stelle Misereor, E-Mail: barbara.wiegard@misereor.de, Telefon: +49 (0)30 44 35 19 88