Redebeitrag auf der BASF-Hauptversammlung am 25.04.2024

Rede von Dr. Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) auf der Hauptversammlung der BASF AG am 25.04.2024 in Mannheim

Sehr geehrte Damen und Herren Aktionäre, sehr geehrte Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats.

Mein Name ist Dr. Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerks e.V. Ich bin Toxikologe und ich bin sehr besorgt, dass die BASF in anderen Weltregionen weiterhin Produkte anbietet, die in der Europäischen Union aus Gesundheits- und Umweltgründen verboten sind.

Das Unternehmen scheint sich darauf spezialisiert zu haben, Menschen im Globalen Süden weiterhin Wirkstoffen auszusetzen, die von den Behörden als „wahrscheinlich fruchtbarkeitsschädigend beim Menschen“ oder „gefährlich für das Kind im Mutterleib“ eingestuft wurden. Dazu zählen das Herbizid Glufosinat (in der EU seit 2018 nicht mehr genehmigt) sowie die Fungizide Epoxiconazol (in der EU seit 2020 nicht mehr genehmigt) und Mancozeb (in der EU seit 2021 nicht mehr genehmigt), aber auch Fenpropimorph, das in der EU seit 2019 verboten und reproduktionstoxischer Stoff der Kategorie 2 ist. Damit nicht genug, wurden Epoxiconazol und Mancozeb von den Behörden außerdem als vermutlich krebserregend bewertet und Mancozeb obendrein auch noch als nerven- und hormonschädigend.

In Kenia zum Beispiel sind Produkte, die Glufosinat oder Epoxiconazol enthalten, BASFs Bestseller.

Es ist sehr irritierend, dass die BASF mit Revysol (Mefentrifluconazol) eine – nach eigenen Worten – nachhaltigere Alternative zu Epoxiconazol auf den Markt gebracht hat, Epoxiconazol aber in Ländern wie Argentinien, Kenia oder Südafrika ohne Not weiter vermarktet.

Und ich war schockiert als ich von gentechnisch verändertem, Glufosinat-resistentem Raps las, wobei das Glufosinat mit Flugzeugen versprüht wird. Bei herbizid-resistenten Sorten wird erfahrungsgemäß deutlich mehr versprüht als bei konventionellen Sorten und das dann auch noch mit dem Flugzeug. Das Ausbringen mit dem Flugzeug ist in der Europäischen Union aus gutem Grund auf Notfälle in der Forstwirtschaft beschränkt, denn die Gefahr der Verdriftung ist um ein Vielfaches größer als bei der Ausbringung mit Bodenmaschinen. Ich nehme an, Sie kennen die Berichte über die „Pueblos Fumigados“, die „begasten Dörfer“, in Argentinien. Der Dokumentarfilm wurde 2018 auf der Berlinale gezeigt. Da ging es zwar nicht um Glufosinat, aber wie wollen Sie ausschließen, dass mit

Glufosinat, einem Herbizid, das „wahrscheinlich fruchtbarkeitsschädigend beim Menschen“ ist und eine „Gefahr für das Kind im Mutterleib“ darstellt, das Gleiche passiert?

Inzwischen gibt es zwei Studien zu exponierten Bevölkerungsgruppen aus der Zeit als Glufosinat in der EU noch zugelassen war – eine aus Spanien und eine aus den Niederlanden.[1] Beide Studien weisen auf Schädigungen beim ungeborenen Kinde hin. Niemand hat das bislang für Länder mit Glufosinat-resistenten Kulturen und Flugzeugausbringung untersucht. Dort dürften diese Effekte noch deutlicher ausfallen

Ich habe deshalb folgende Fragen:

  1. In welchen Ländern werden Glufosinat-resistente Sorten angebaut und in welchen Ländern werden Glufosinat-haltige Präparate mit dem Flugzeug ausgebracht?
  2. Wäre die BASF bereit, dort eine epidemiologische Studie zu finanzieren, wobei die Durchführung und Auswertung der Studie transparent und unabhängig vom Geldgeber sein müsste
  3. Besteht die Absicht epoxiconazol-haltige Fungizide weltweit vom Markt zu nehmen und durch das deutlich weniger toxische Fungizid Revysol (Mefentrifluconazol) zu ersetzen? Falls ja, was bedeutet das konkret?

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

[1] Garcia, A.M. et al. (1998): Paternal exposure to pesticides and congenital malformations. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health 24: 473-480;
Simões, M. et al. (2023): Exploring associations between residential exposure to pesticides and birth outcomes using the Dutch birth registry. Environment International 178,  https://doi.org/10.1016/j.envint.2023.108085

 




Parkinson-Krankheit endlich als pestizidbedingte Berufskrankheit anerkannt

Darauf haben betroffene Landwirt*innen in Deutschland sehr lange warten müssen: Das „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ wurde vom zuständigen Sachverständigenbeirat als neue Berufskrankheit anerkannt. PAN Germany begrüßt diese Entscheidung. Mehr als zehn Jahre nachdem in Frankreich Parkinson-Erkrankungen als durch Pestizide verursachte Berufskrankheit von Landwirt*innen anerkannt wurde, können nun endlich auch in Deutschland Betroffene Anspruch auf Anerkennung und Hilfe geltend machen. PAN Germany möchte Betroffene ermutigen, nun entsprechende Anträge zu stellen.

Eine Anerkennung als Berufskrankheit, so das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in seiner Meldung vom 20. März 2024, kommt bei an Parkinson erkrankten Personen in Betracht, die Pestizide langjährig und häufig im beruflichen Kontext selbst angewendet haben. Das Ministerium geht daher davon aus, dass vor allem Landwirt*innen, deren mitarbeitende Familienangehörige sowie Beschäftigte in der Landwirtschaft zu den Betroffenen zählen.

Der ärztliche Sachverständigenbeirat des BMAS macht in seiner wissenschaftlichen Empfehlung sehr deutlich, dass die zur Entscheidung ausgewerteten wissenschaftlichen Studien einen eindeutigen Zusammenhang zwischen beruflicher Pestizidexposition und der Entstehung einer Parkinson-Erkrankung aufzeigen – und das hinsichtlich der Exposition mit allen Funktionsgruppen: Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden.

Das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V., das sich seit Jahren für eine entsprechende Anerkennung pestizidbedingter Parkinsonerkrankungen als Berufskrankheit eingesetzt und Betroffene mit Informationen unterstützt, ist erleichtert über die – wenn auch späte – Anerkennung. Auch wenn eine Anerkennung als Berufskrankheit die Erkrankung und das Leid der Betroffenen nicht ungeschehen machen kann, so ist sie doch mit erheblichen Vorteilen verbunden. Hierzu zählen eine umfassendere medizinische Versorgung und Möglichkeiten lebenslanger Rentenzahlung. Das besondere an der Berufskrankheit ist, dass die gesetzliche Unfallversicherung für die hierfür notwendigen Leistungen aufkommt. Zu den Leistungen gehören auch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, der Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft.

Bereits vor Jahren hat PAN darauf hingewiesen, dass das Verfahren der Anerkennung von Berufskrankheiten erhebliche Defizite aufweist. Der Sachverständigenbeirat hatte es langjährig versäumt, eine Bewertung des Wissenstands um die Verursachung von Krankheiten durch Pestizide bei Landwirt*innen vorzunehmen. Dabei war der Zusammenhang so evident, dass Gerichte bereits vor 15 Jahren im Einzelfall Parkinson-Erkrankungen als „Wie eine Berufskrankheit“ anerkannt hatten, obwohl keine Empfehlung des Beirats vorlag (s. hierzu das PAN Informationsplatt zu Berufserkrankungen durch Pestizide).

Es ist völlig unverständlich, warum die Anerkennung des Parkinson-Syndroms durch Pestizide als Berufskrankheit um Jahre verschleppt wurde. Die überwiegende Anzahl der Publikationen, auf die sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten jetzt in seiner wissenschaftlichen Empfehlung bezieht, wurde vor 10-20 Jahren publiziert, einschließlich der so genannten Meta-Analysen, die den jeweils aktuellen Wissensstand zusammenfassen.

Es muss befürchtet werden, dass durch den langsamen Prozess und die späte Entscheidung des Beirates manche Rente und Behandlung nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Das zeigt wie dringlich es ist, die Prozesse zur Entscheidung über die Aufnahme von Berufskrankheiten zu überprüfen und deutlich zu verbessern.

Aktuell sind in der Liste der anerkennungsfähigen Berufskrankheiten 82 Berufskrankheiten aufgeführt. (Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung).

 

Meldung des BMAS vom 20.3.2024: Empfehlung für neue Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ beschlossen

Wissenschaftliche Empfehlung für die Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales

PAN Germany (2019): PAN Germany Informationsblatt zum Thema Pestizide & Berufskrankheiten.

Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen: Informationen zur Erkrankung

Selbsthilfe Vereinigung Deutsche Parkinson Vereinigung Bundesverband e.V.




UN-Versammlung stimmt für Beendigung des Einsatzes der giftigsten Pestizide der Welt

In einem historischen Schritt hat die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) am Freitag 1.3.24 in Nairobi dazu aufgerufen, bis 2035 auf den Einsatz der weltweit giftigsten Pestizide zu verzichten. Die UNEA Resolution on highly hazardous pesticides ist ein wichtiger Beitrag dazu, stärkere nationale und multilaterale Maßnahmen zum Ausstieg aus hochgefährlichen Pestiziden voranzutreiben.

Die als hochgefährliche Pestizide (HHP) bezeichneten Agrarchemikalien verursachen erhebliche Umweltschäden und stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit dar. Die Exposition gegenüber HHPs wird unter anderem mit Krebs, der Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung bei Kindern, Fortpflanzungsschäden und Störungen des Hormonsystems in Verbindung gebracht. Der Aufruf zum Handeln der UNEA wurde von afrikanischen Ländern initiiert, wobei Äthiopien eine führende Rolle einnahm. Verterter*innen von PAN waren in Nairobi vertreten und unterstützten die Resolution nach Kräften.

PAN setzt sich seit mehr als einem Jahrzehnt für ein schrittweises Verbot von HHPs weltweit ein und wird dabei von Hunderten von Organisationen weltweit unterstützt. Basierend auf der PAN International List of Highly Hazardous Pesticides konnte das International Pollution Elimination Network (IPEN) jüngst belegen, dass die meisten hochgefährlichen Pestizide, die in wohlhabenderen Ländern verboten bzw. strenger reguliert sind, in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen (LMIC) noch immer weit verbreitet zum Einsatz kommen. In einigen dieser Länder sind fast 70 % der zugelassenen Pestizide HHPs, so der IPEN Bericht. Von den in der EU im Jahr 2022 insgesamt 250 verboten oder nicht genehmigten HHPs, waren in 31 der untersuchten LMICs durchschnittlich nur 25 HHPs verboten. Das bedeutet, dass in diesen Ländern mehr als zweihundert HHPs zur Verwendung zugelassen sind, die in der EU aus Umwelt-oder Gesundheitsgründen verboten wurden.

Mit der UNEA Resolution on highly hazardous pesticides gibt es innerhalb kürzester Zeit ein weiteres Bekenntnis zum Handeln gegen hochgefährlicher Pestizide auf globaler Ebene – nach der Verabschiedung verpflichtender Pestizidreduktionsziele im Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal 2022 und der Festschreibung von Zielen zum Phase-out von HHPs und der Etablierung einer globalen HHP Allianz, um dies zu unterstützen, durch die Weltchemikalienkonferenz 2023 in Bonn (wir berichteten).

Damit jetzt die notwendigen Taten folgen, sind Staaten aufgerufen, sich an der HHP-Allianz zu beteiligen. Zudem bedarf es finanzieller und technischer Unterstützung für die Landwirte, Bäuerinnen und Landarbeiter, um den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden nachhaltig und zukunftssicher durch pflanzenbauliche, mechanische und agrarökologische Alternativen zu ersetzen.

Presse-Information von PAN International und IPEN, 1.3.24: UN Environment Assembly Calls for Action to End the Use of the World’s Most Toxic Pesticides by 2035.




Europäische Bevölkerung ist über Obst und Gemüse zunehmend PFAS-Pestiziden ausgesetzt

Hamburg / Brüssel, 27.02.2024. Pressemitteilung.
Ein heute veröffentlichter Bericht des Europäischen Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Europe) und seinen Mitgliedsgruppen enthüllt eine bittere Wahrheit: Europäische Bürger*innen sind über ihre Lebensmittel zunehmend Cocktails von PFAS-Pestiziden ausgesetzt. Der Anteil dieser für Gesundheit und Umwelt hoch problematischen Stoffe hat sich in den untersuchten Lebensmitteln in nur einem Jahrzehnt nahezu verdreifacht. Dies ergibt die Auswertung der Befunde aus dem amtlichen EU-Monitoring von Pestizidrückständen in Lebensmitteln der Jahre 2011 bis 2021,   in dem heute vorgestellten Bericht „Toxic Harvest: The rise of forever pesticides in fruit and vegetables in Europe“.

Die Ergebnisse geben Anlass zu ernster Sorge für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Als Reaktion darauf fordern die herausgebenden Organisationen ein zügiges EU-weites Verbot aller PFAS-Pestizide.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Studie gehören:

  • Zwischen 2011 und 2021 wurden in Obst und Gemüse in der EU Rückstände von 31 verschiedenen PFAS-Pestiziden nachgewiesen;
  • Die Zahl der Obst- und Gemüsesorten, die Rückstände von mindestens einem PFAS-Pestizid enthalten, hat sich in der EU innerhalb von 10 Jahren verdreifacht;
  • Im Jahr 2021 waren in Europa angebaute Früchte wie Erdbeeren (37 %), Pfirsiche (35 %) und Aprikosen (31 %) besonders häufig kontaminiert und enthielten oft Cocktails aus drei bis vier verschiedenen PFAS in einer einzigen Probe;
  • Innerhalb der EU stammen die am stärksten mit PFAS-kontaminierten Lebensmitteln aus den Niederlanden, Belgien, Österreich, Spanien, Portugal und Griechenland, bei den in die EU importierten Lebensmitteln aus Costa Rica, Indien und Südafrika.

In den deutschen Obst- und Gemüseproben wurden insgesamt 26 verschiedene PFAS-Pestizide detektiert, dabei sind auch deutsche Produkte betroffen wie Erdbeeren oder Blattsalat. „Das am häufigsten in Deutschland nachgewiesen PFAS-Pestizid ist das Insektizid lambda-Cyhalothrin. Der Wirkstoff ist immer noch in 22 Mitteln zugelassen, obwohl er als sogenannter „Substitutionskandidat“ längst hätte durch weniger problematische Alternativen ersetzt werden sollen. Außerdem bilden viele von den PFAS-Pestiziden das für unsere Trinkwasserressourcen problematische Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA)“, kritisiert Susanne Smolka, Referentin für Pestizide und Biozide beim Pestizid Aktions-Netzwerk Germany.

 „Die Daten zeigen eindeutig, dass wir ein Problem haben. Obst und Gemüse sollte rückstandsfrei produziert werden, und in der Umwelt sollten die sehr langlebigen Pestizide und deren Abbauprodukte nicht vorkommen. Sie sind ein bleibendes Risiko.“ betont Lars Neumeister, Pestizidexperte.

„Unsere Studie zeigt, dass europäische Konsument*innen einem Cocktail von PFAS-Pestiziden in Obst und Gemüse ausgesetzt sind“, erklärt Salomé Roynel, Policy Officer bei PAN Europe und Studienkoordinatorin: „Wenn man sich die am häufigsten nachgewiesenen PFAS-Pestizide genauer ansieht, sind die Beweise für ihre Persistenz in der Umwelt und ihre Toxizität für den Menschen gut dokumentiert. Dazu zählen insbesondere Risiken für ungeborene Kinder, Hirnschäden, Beeinträchtigung des Immunsystems, hormonelle Störungen und Krebs.”

Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), die wegen ihrer außergewöhnlichen Langlebigkeit als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden, verursachen erhebliche Umwelt- und Gesundheitsrisiken, besonders  für empfindliche Gruppen wie Kinder und Schwangere, so die Europäische Umweltagentur. Sie verschmutzen Wasserressourcen und reichern sich in Böden an, belasten Nahrungsmittelpflanzen und lebende Organismen. Der aktuelle Bericht zeigt, dass die europäische Landwirtschaft zu dieser PFAS-Belastung beiträgt.

Im Rahmen des European Green Deal hat sich die Europäische Union verpflichtet, PFAS-Chemikalien im Einklang mit ihrem Ziel einer schadstofffreien Umwelt schrittweise zu verbieten. Im Februar 2023 veröffentlichte die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) einen Vorschlag für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und der Einfuhr von mindestens 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Nicht erfasst von diesem Vorschlag sind allerdings jene 37 von der ECHA als PFAS eingestufte, derzeit in der EU genehmigte Pestizidwirkstoffe, da deren Zulassung in der EU-Pestizidverordnung “geregelt” werde.

„Landwirt*innen sind sich wohl selten bewusst, dass sie unter anderem „ewige Pestizide“ auf ihre Pflanzen und damit in die Umwelt sprühen, denn dies wird auf dem Etikett nicht angegeben. Rund 16 % aller genehmigten synthetischen Pestizide in der EU sind PFAS-Pestizide. Sie müssen schnellstens verboten und am besten durch nicht-chemische,  biologische und agrarökologische Pflanzenschutzmethoden ersetzt werden“, so Susanne Smolka abschließend.

Zur Studie:

Die Studie konzentriert sich auf Obst und Gemüse aus konventionellem (d.h. nicht ökologischem) Anbau. Sie stützt sich auf amtliche Überwachungsdaten von Pestizidrückständen in Lebensmitteln aus den Mitgliedstaaten, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, um eine repräsentative Exposition der EU-Verbraucher widerzuspiegeln. Die Analyse erfolgte sowohl für die europäische Ebene (nach Aggregation aller nationalen Daten) als auch für jeweils acht verschiedene Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Niederlande, Spanien). Der Bericht stellt die Ergebnisse der Studie vor. Er wird in Zusammenarbeit mit Ecocity, Ecologistas en Acción, Magyar Természetvédők Szövetsége (Friends of the Earth Hungary), Générations Futures, Global 2000 (Friends of the Earth Austria), PAN Netherlands,  Nature & Progrès Belgique und PAN Germany veröffentlicht.

Links zu den Materialien:

Weitere Informationen:

Pressekontakte: 




Von der Leyen will Gesetzentwurf zur Pestizidreduktion zurückziehen

Mit der Ankündigung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Entwurf für die Pestizidreduktionsverordnung SUR zurückzuziehen, sendet die EU falsche Signale in einer Zeit, in der tagtäglich neue Erkenntnisse zur Bedeutung chemisch-synthetischer Pestizide für den Artenverlust, die Belastung unserer Ressourcen und Auswirkungen auf die Gesundheit publiziert werden.

Bei ihrer gestrigen Rede im Europäischen Parlament, bei der Präsidentin Von der Leyen das Ende der Gesetzesinitiative für eine nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR) ankündigte, sprach sie von Vertrauen und Polarisierung: „Wir sollten ihnen [den Landwirten] mehr Vertrauen schenken. Lassen Sie mich Ihnen dazu ein Beispiel geben. Die Kommission hat eine Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vorgeschlagen – mit dem legitimen Ziel, die Risiken der Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel zu verringern. Doch der Vorschlag hat polarisiert.“

Polarisiert haben aus PAN-Sicht die Klientellobbyisten. Allen voran diejenigen von der Pestizidindustrie und die loyal an ihrer Seite stehenden konventionellen Bauernverbände, die sich vorrangig für die chemieintensive, industrielle Landwirtschaft einsetzen, aber nichts gegen das Höfesterben, die umweltschädigenden Agrarsubventionen und die unfairen Vermarktungsstrukturen tun. Sie haben, nachdem der SUR-Vorschlag im Juni 2022 von der EU-Kommission veröffentlicht wurde, alles darangesetzt, Ängste bei Landwirt*innen und Politiker*innen in der EU zu schüren, und sie haben die Notwendigkeit für verbindlicher Maßnahmen und Reduktionsziele bestritten – entgegen wissenschaftlicher Evidenz.

Tausende Wissenschaftler haben sich für die SUR eingesetzt und den falschen Narrativen der Lobbyist*innen wissenschaftliche Erkenntnisse entgegengesetzt. Denn sie wissen, dass konkrete und verbindliche Reduktionsmaßnahmen notwendig sind , um den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt, dem Schwund an Bestäubern, an Nützlingen und an Bodenfruchtbarkeit entgegenzuwirken, um unsere essentiellen Wasser- und Trinkwasserressourcen zu schützen, und nicht zuletzt, um die Gesundheit der zukünftigen Landwirtinnen und Landwirte zu schützen, die heute in ihren Wohnräumen mit einem überproportionalem Mix an Pestizidrückständen belastet werden, wie u.a. aktuelle Befunde des europäischen SPRINT-Projekts zeigen. Auch viele Menschen in der EU erwarteten und erwarten endlich “Butter bei die Fische“, wie man im hohen Norden sagt, um Artenvielfalt, Gesundheit und Ernährungssicherheit langfristig durch einen Wandel hin zu einer umweltschonenden, zukunftsfähigen Landwirtschaft zu sichern. Im Jahr 2022 unterschrieben über eine Million Bürgerinnen und Bürger die Europäische Bürgerinitiative “Bienen und Bauern retten!“ und forderten die Reduktion chemisch-synthetischer Pestizide um 80% bis 2030 und einen Totalausstieg bis 2035, verknüpft mit einer entsprechenden Unterstützung für die landwirtschaftlichen Betriebe.

Auf Freiwilligkeit und Einsicht wird schon lange in der Pestizidpolitik und im Pestizidrecht gesetzt doch das Vertrauen der Bevölkerung und auch der Wissenschaft hierin wird durch Untätigkeit immer wieder enttäuscht. Die gestrige Entscheidung der EU-Kommissionspräsidentin ist kein gutes Signal für die anstehende Europawahl. Mit Blick auf eine sich verbreitende „Unser Land zuerst“-Mentalität statt einer gemeinsamen Unionspolitik und die absehbaren Mehrheitsverhältnisse, klingen die Worte von Von der Leyen eher wenig hoffnungsvoll, wenn sie darauf verweist, das Thema wäre nicht vom Tisch.

Die Konsequenzen für das Scheitern verbindlicher Reduktionsziele zahlen wir alle, unsere Kinder und unsere Umwelt.

Siehe auch PAN Europe Statement:
Black Day for Health and Biodiversity: EU Commission withdraws proposal for Pesticide Reduction.




Gutachten zeigt: Glyphosat-Ausstieg in Deutschland immer noch möglich

Gemeinsame Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany)

Berlin / Hamburg, 17.1.2024. Trotz der Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene hat die deutsche Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Zulassung glyphosathaltiger Produkte zu verweigern oder ein Anwendungsverbot zu erlassen. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Damit könnte die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen, Glyphosat vom Markt zu nehmen.

Das Rechtsgutachten zeigt, dass die Bundesregierung, basierend auf den Vorgaben der Pflanzschutzmittel-Zulassungsverordnung, trotz Glyphosat-Wiedergenehmigung auf EU-Ebene begründet entscheiden kann, glyphosathaltigen Pestizidprodukten die Zulassung zu verweigern oder für diese ein nationales Anwendungsverbot zu erlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit gesetzlich festgelegter Anwendungsbeschränkungen. Dabei komme es vor allem auf die Begründung an, mit der diese Maßnahmen gerechtfertigt werden. Diese müssten strengen wissenschaftlichen bzw. technischen Begründungsmaßstäben entsprechen, und es brauche Nachweise von konkreten Risiken, so das Gutachten.

Lena Luig, Referentin für Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die jüngste Wiedergenehmigung von Glyphosat in Brüssel war ein herber Rückschlag. Für den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten in der Landwirtschaft, die mit dem krebserregenden Wirkstoff arbeiten, aber auch für die Artenvielfalt. Gerade für die Bodenlebewesen hat Glyphosat nachweislich schädigende Auswirkungen. Dabei sind gesunde Böden unsere Lebensversicherung – wie wir auch in unserem neuen Bodenatlas zeigen.“ Mit dem heute veröffentlichten Gutachten bekomme das Bundeslandwirtschaftsministerium nun konkrete Empfehlungen an die Hand, wie ein Glyphosatverbot doch noch national durchgesetzt werden könne.

Peter Clausing, Toxikologe vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany): „Mit der Wiedergenehmigung von Glyphosat ignoriert die EU-Kommission die vielen inzwischen verfügbaren Belege dafür, dass Glyphosat die menschliche Gesundheit schädigt. Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweislage für die Krebseffekte von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend. Ferner häufen sich überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse über negative Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom und das Nervensystem, die nicht berücksichtigt wurden. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, ihre nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen und den lange angekündigten Glyphosatausstieg umzusetzen.“

Die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat wurde am 28. November 2023 von der EU-Kommission um weitere zehn Jahre verlängert – ohne eine qualifizierte Mehrheit für die Genehmigung unter den Mitgliedstaaten. Mit der Wiedergenehmigung wurde den Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung hinsichtlich Anwendungsbeschränkungen glyphosathaltiger Pestizidprodukte zugewiesen. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Glyphosat bis Ende 2023 „vom Markt zu nehmen“.

Veranstaltungshinweis: Im Rahmen der Grünen Woche in der Heinrich-Böll-Stiftung findet am Freitag, 19. Januar, 10-12 Uhr, folgende Veranstaltung statt: Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schon längst nicht mehr leisten kann. U.a. mit Martin Häusling, MdEP: Mehr Infos und Anmeldung: https://calendar.boell.de/de/event/pflanzenschutz-oder-umweltschmutz

Weiterführende Informationen

Rechtsgutachten „Handlungsspielräume Deutschlands für ein nationales Glyphosatverbot nach EU-Recht“ von Ida Westphal(Ass. iur.) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/2024/01/15/rechtsgutachten-handlungsspielraeume-deutschlands-fuer-ein-nationales-glyphosatverbot

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / TMG Thinktank for Sustainability: Bodenatlas 2024 – Daten und Fakten über eine lebenswichtige Ressource: www.boell.de/bodenatlas

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / PAN Germany: Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft: https://www.boell.de/de/pestizidatlas

Deutsche Zusammenfassung der Studie „Glyphosate and Oxidative Stress: ECHA‘s superficial approach neglects existing hazards“ von Peter Clausing, Siegfried Knasmüller und Christopher Portier: https://pan-germany.org/download/studie-glyphosate-and-oxidative-stress/

Weitere PAN Germany Informationen zu Glyphosat unter https://pan-germany.org/pestizid_kat/glyphosat/

 

Fachkontakte

  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: 030 28534312
  • Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), E-Mail: peter.clausing@pan-germany.org; Telefon: +49 176 4379 5932

 




Veranstaltung: „Pflanzenschutz oder Umweltschmutz?“, 19.01.2024, 10-12 Uhr

Veranstaltungshinweis: Freitag, 19. Januar, 10.00 – 12.00 Uhr 

Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schön längst nicht mehr leisten kann.
Podiumsdiskussion in Kooperation mit MdEP Martin Häusling

Ort: In Berlin bei der Heinrich-Böll-Stiftung und im Livestream

Die Diskussionsveranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft anders – unsere Grüne Woche“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Eine drastische Verringerung des Pestizideinsatzes ist zwingend notwendig, wenn wir einen Zusammenbruch der Ökosysteme vermeiden wollen. Daran besteht aus wissenschaftlicher Perspektive kein Zweifel. Dennoch wird politischen Bemühungen um eine Reduzierung der Pestizide von Seiten der konservativen Parteien, der Lobby der Großbetriebe und der Pestizidindustrie mit einem enormen Widerstand begegnet.

In der Veranstaltung kommen Expert*innen aus dem Bereich der Pestizide aus Deutschland, Europa, Brasilien und Kenia zu Wort. Diskutiert wird, woran es liegt, dass die dringend benötigte Pestizidreduktion und ein verstärkter Ausbau agrarökologischer Bewirtschaftung nur langsam vorangehen, und was es braucht, um einen Systemwechsel in Gang zu bringen.

Podiumsdiskussion mit

  • Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments und Agrarpolitischer Sprecher der Grünen Europafraktion
  • Carsten Rocholl, Co-Autor der Publikation „Weg ist Weg! Warum es keine Alternative zum Erhalt der Artenvielfalt gibt“
  • Silke Bollmohr, Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft bei INKOTA
  • Susan Haffmans, Referentin für Pestizide beim Pestizid Aktions-Netzwerk
  • Larissa Bombardi, Professorin für Geographie an der Universität von São Paulo

Video-Statement von Harun Warui, Programmleiter Recht auf Nahrung und Agrarökologie der Heinrich-Böll-Stiftung Nairobi

Moderation: Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung

Die Veranstaltung wird im Livestream übertragen. Sprachen: Deutsch und Englisch. Für Nachfragen: berlin@martin-haeusling.eu

Mehr Infos zur Veranstaltung finden Sie hier bei der Heinrich-Böll-Stiftung

Zur Anmeldung




5-Punkte-Plan der Bundesregierung zum Schutz vor hormonschädlichen Stoffen

In ihrem Koalitionsvertrag versprach die Ampelkoalition einen „nationalen Plan zum Schutz vor hormonaktiven Substanzen“. Eine zentrale Forderung von PAN Germany, WECF, HEJSupport und weiterer Unterstützergruppen war zuvor die Entwicklung eines nationalen Aktionsplans.

Nach mehr als zwei Jahren und einer langen Phase an Ressortabstimmungen, wurde nun der „FÜNF-PUNKTE-PLAN DER BUNDESREGIERUNG ZUM SCHUTZ VOR HORMONELL SCHÄDIGENDEN STOFFEN“ vorgelegt. „Mit unserem Fünf-Punkte-Plan bündeln wir Maßnahmen und Ziele, um über hormonell schädigende Stoffe breiter zu informieren und Menschen und Umwelt besser vor diesen Stoffen zu schützen“, so die Bundesumweltministerin Steffi Lemke in der Ankündigung am 15. November 2023.

PAN Germany begrüßt den Plan als notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Erstmals sollen in Deutschland verschiedene Ressorts, darunter die Stoffregulierung, die Verbraucheraufklärung, die internationale Zusammenarbeit und die Forschungsförderung, zusammenwirken und unterschiedliche Akteur*innen in einen Austausch treten, um zu erreichen, dass „zukünftig deutlich weniger Gehalte hormonell schädigender Stoffe in Mensch und Umwelt auftreten“.

Die Bundesregierung will dafür:

  1. die Regulierung von hormonell schädigenden Stoffen weiter ausbauen,
  2. Bürgerinnen und Bürger besser über die bestehenden Risiken, wie auch die bereits getroffenen Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit informieren,
  3. das gemeinsame Handeln fördern und den Vollzug (der Produktüberwachung) stärken,
  4. den Wissensstand im Bereich der hormonell schädigenden Stoffe weiterentwickeln und
  5. die internationale Zusammenarbeit stärken.

So positiv es ist, dass mit dem Plan nun endlich ein Augenmerk auf das Problemfeld hormonschädlicher Substanzen gerichtet wird, so enttäuschend ist die zurückhaltende und allgemeingehaltene Ausgestaltung des Papiers. Der 5-Punkte-Plan setzt eher einen beschreibenden Rahmen, den es nun mit Leben, mit konkreten Maßnahmen, Zielen und Zeitplänen zu füllen gilt. Denn ohne wirksame und messbare Maßnahmen, die Exposition gegenüber „Endokrinen Disruptoren“ (EDCs) zeitnah zu mindern, wird der dringend benötigte Schutz von Menschen und Umwelt vor diesen gefährlichen Stoffen nicht gelingen.

Außerdem sollten – wie im Koalitionsvertrag dargelegt – auch solche Substanzen mit einbezogen werden, bei denen der Verdacht einer schädlichen endokrinen Wirkung besteht, eine wissenschaftliche Evidenz der Schädlichkeit aber noch aussteht – den sogenannten hormonaktiven Substanzen. Dies wäre im Sinne des Vorsorgeprinzips. Es bleiben Zweifel, ob es ausreicht – kurzgesagt – Zusammenhänge aufzuzeigen: „Mit dem Fünf-Punkte-Plan zum Schutz vor hormonell schädigenden Stoffen schafft die Bundesregierung einen Plan, der die Zusammenhänge zwischen Regulierung, Aufklärung und Forschung zu hormonell schädigenden Stoffen und Handlungsoptionen aufzeigt“. Es bräuchte zusätzlich ein Konzept, wie das Ziel, die Exposition der Bevölkerung und der Umwelt gegenüber hormonschädlichen Chemikalien zu senken, regelmäßig und transparent evaluiert werden soll. Ein Hemmschuh ist zudem, dass offenbar keine Finanzmittel vorab gesichert werden konnten und nun alle Maßnahmen unter dem Vorbehalt verfügbarer Haushaltsmittel stehen.

Dennoch kann mit dem Plan eine Entwicklung angeschoben werden, um zukünftig gezielt Kenntnisse und Bewusstsein zu den Gefahren der sogenannten Endokrinen Disruptoren und Wege ihrer Vermeidung bei Behörden, Kommunen, in der Bildung und der Gesellschaft zu stärken. Auch die Koordinierung von Forschungsaktivitäten ist zu begrüßen. Dabei sollte aus Sicht von PAN auch die Förderung weniger gefährlicher, nicht-chemischer Alternativ- und Vorsorgeverfahren weit oben auf der Agenda stehen. Positiv ist auch der angekündigte Dialog mit Akteur*innen und Multiplikator*innen. Dieser sollte den Austausch über konkrete Maßnahmen und Ziele ermöglichen. Wichtig wäre aus PAN-Sicht der Ausbau einer Struktur, u.a. mit einer entsprechende Koordinierungs- bzw. Kontaktstelle für interessierte Stakeholder und Forschende und einer Webseite, die Informationen und Links zum Thema bündelt. Dafür wäre das Engagement aller befassten Ressorts notwendig, die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.

Hintergrund

Auf allen Ebenen sind EDC-Reduktionsmaßnahmen dringend erforderlich. Die stetig wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen immer dringlicher, dass gehandelt werden muss. Sie zeigen deutlich Zusammenhänge zwischen EDCs und Gesundheitsbeeinträchtigungen selbst bei sehr niedrigen Konzentrationen, so dass eine sichere Wirkschwelle nicht festgelegt werden kann. Zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen zählen unter anderem die Förderung von hormonbedingten Krebsarten, Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit, neuronale Beeinträchtigungen wie Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwächen oder die Förderung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes und Adipositas. Viele EDCs zeigen Cocktaileffekte und sind besonders für die Entwicklung von Ungeborenen und Kindern gefährlich. Durch EDCs ausgelöste Effekte können sich sogar generationenübergreifend manifestieren (mehr dazu auf der PAN-Website im Themenschwerpunkt „Hormongifte, EDCs“).

Bei den Kernbereichen der PAN-Arbeit – der Pestizid- und Biozidpolitik – regeln die entsprechenden EU-Verordnungen bereits seit 2009 bzw. 2012 den Ausschluss von hormonschädlichen Wirkstoffen. Allerdings geht die Identifizierung und Regulierung sehr schleppend voran und Ausnahmen vom Verwendungsverbot sind auch möglich. Momentan wurden erst 5 Pestizidwirkstoffe die Wiedergenehmigung bzw. Neugenehmigung aufgrund ihrer ED-Eigenschaft verweigert (PAN berichtete).

PAN Germany befasst sich seit Jahren mit der EDC-Thematik, engagiert sich sowohl für eine bessere eine schnellere Umsetzung der Gesetzgebung, als auch im Bereich Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Bereitstellung von Informationen. Wert legt PAN darauf, Menschen konkret Hilfestellung zu bieten, wie sie hormonschädliche Stoffe im Alltag vermeiden können.




EU-Parlament kippt Pestizidreduktions-Verordnung

Der Vorschlag für eine Verordnung für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) erhielt gestern vom EU-Parlament nicht die erforderliche Mehrheit. Weitere Verhandlungen lehnte das Parlament mit knapper Mehrheit ab. Eine Fortsetzung oder ein neuer Entwurf sind unwahrscheinlich. Damit ist diese wichtige Gesetzesinitiative gestorben. Ein schwarzer Tag für die Gesundheit, Umwelt und Ernährungssicherheit zukünftiger Generationen.

Für alle Menschen, die für eine Transformation hin zu einer robusten und nachhaltigen Landwirtschaft eintreten, sich mehr Schutz vor Pestizidbelastungen für ihre Familie wünschen und den Erhalt der Artenvielfalt essentiell für unsere Zukunft in Zeiten der Klimakrise betrachten, ist dies ein harter Schlag. Die fehlende Unterstützung der konservativen und rechtextremen Parteien und die im Vorfeld mit großen Finanzmitteln ausgeübte Einflussnahme der Pestizid- und Agrarlobby ist auch eine knallharte Attacke gegen den von Ursula von der Leyen initiierten EU Green Deal. Nach dem Scheitern unverbindlicher Vorgaben, sollte die SUR für Verbindlichkeit und Verlässlichkeit sorgen, für eine Pestizidreduktion um 50% bis 2030, für die Förderung von integriertem Pflanzenschutz (IPM), Agrarökologie und Bioanbau und einen besseren Schutz sensibler Gebiete und vulnerabler Gruppen unserer Gesellschaft wie Kindern.

Zur Abstimmung kamen in Straßburg fast 700 Änderungsanträge. Das industrienahe rechts-konservatives Bündnis konnte die Annahme des Vorschlags des Umweltausschusses, vorgelegt von Sarah Wiener, verhindern und im Gegenzug viele abschwächende Änderungsvorschläge durchbringen. Danach geschah das Unerwartete: Der Antrag, den Entwurf zur Überarbeitung an den federführenden ENVI-Ausschuss zurück zu geben, wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt. Damit war die 1. Lesung formal abgeschlossen. Jutta Paulus (MEP, Die Grünen) berichtete in einem Eilwebinar nach der Abstimmung (verfügbar auf YouTube), dass auch Teile der Renew-Gruppe (Liberale) und Sozialdemokraten mitverantwortlich seien. Allerdings wurde für dieses finale Voting keine namentliche Abstimmung beantragt.

PAN Germany hatte sich mit vielen anderen NGOs zuvor bei den EU-Parlamentarier*innen dafür eingesetzt, für den am 24. Oktober angenommenen Kompromissvorschlag des federführenden Umweltausschusses zu votieren (siehe Webbeitrag). Von einer starken SUR hätten alle profitiert – Landwirt*innen UND unsere Umwelt und Gesundheit. Mehr als 6000 Wissenschaftler*innen sprachen sich für eine ambitionierte SUR aus, um dem erschreckenden Schwund an Bestäuberinsekten und anderer Arten entgegen zu wirken und damit nicht zuletzt auch unsere eigene Ernährungssicherheit zu erhalten. Dass Bürger und Bürgerinnen eine deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes wünschen, zeigen eine aktuelle IPSOS-Umfrage, die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten„, das EU-Barometer und die Konferenz über die Zukunft Europas.

Statt den wissenschaftlichen Fakten und den Interessen der Zivilgesellschaft zu folgen, unterstützte die  Mehrheit der Abgeordneten die Position der Agrarindustrie, die mit einer langen und gezielten Desinformations- und Lobbykampagne von Anfang an den SUR-Entwurf und den Green Deal attackierten. Aktuelle Berichte von Corporate Europe Observatory und DeSmog decken auf, wie intensiv (und offensichtlich erfolgreich) die Pestizidlobby Einfluss auf politische Repräsentant*innen nimmt, um wissenschaftlich basierte Entscheidungen im Interesse der Zivilgesellschaft zu verhindern.

Es gibt nun mehrere Optionen, wie es weitergehen könnte, allerdings halten Expert*innen alle Optionen für unwahrscheinlich. Die Kommission könnte ihren Entwurf zurückziehen und einen neuen vorlegen oder der EU-Ministerrat verhandelt weiter, so dass eine 2. Lesung starten könnte. Erschwerend in diesem Debakel kommt hinzu, dass die Zeit bis zum Ende der EU-Legislaturperiode knapp wird und nach der im Juni 2024 stattfindenden Europawahl die Karten neu gemischt werden. Es ist also wahrscheinlich, dass der SUR-Entwurf einfach liegengelassen wird und die bewiesenermaßen wirkungslose Rahmenrichtlinie SUD (Sustainable Use Directive, 2009/128/EG) weiter in Kraft bleibt.

 

Mehr dazu: PAN Europe press release (22.11.2023) „Green Deal is dead: MEPs voted against a healthy future for us and our children – EU Parliament Rejects Pesticides Reduction”




NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

PAN Germany & PAN Europe: Rechtliche und wissenschaftliche Kriterien stehen in direktem Widerspruch zu Zulassung durch EU-Kommission

Brüssel/Wien/Paris/Berlin/Hamburg, 21. November 2023. Pressemitteilung.
Die Europäische Kommission wird in den nächsten Tagen das Herbizid Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Europe, PAN Germany und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten. Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer*innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. „Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich dabei auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die beteiligten Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen. Gegen die Wiedergenehmigung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und dann auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für eine Verlängerung stimmten Länder, die lediglich 42 % der EU-Bürger*innen repräsentieren.

„Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung der Krebsgefahr von Glyphosat hin: „Nicht nur, dass die ECHA mit Hilfe von Verstößen gegen geltende Richtlinien eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen unter den Tisch kehrte. Auch die EFSA verwarf neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom, mit der Begründung, dass dafür internationale Richtlinien zur Risikobewertung fehlten.“

„Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert*innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich).

Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler*innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor*innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Margriet Matingh, Präsidentin von PAN Netherlands, betont: „Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.“

„Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun auch Umwelt-NGOs und Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, hinzu.

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: „Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

Die Aufzeichnug zur Pressekonferenz von heute Morgen finden Sie hier (25 Minuten).