Der Notwendigkeit entgegen: EU verzögert Pestizidreduktion

Es grenzt schon an Realsatire. Während die Weltgemeinschaft in Montreal auf dem UN-Gipfel für biologische Vielfalt (COP 15) eine Halbierung der Pestizidrisiken beschließt, verzögert fast zeitgleich der EU-Rat, diese Pestizidreduktion in der EU rasch und verbindlich auf den Weg zu bringen.

Bis zur letzten Sekunde appellierten die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ (EBI) sowie 718 Wissenschaftler*innen an die Entscheidungsträger*innen in der EU, eine Verschleppung der Verhandlungen zur neuen Pestizidverordnung (Sustainable Use Regulation, SUR) noch abzuwenden. Doch nun gab der EU Rat am 19.12.22 dem Vorstoß zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten (PAN Germany berichtete) statt, mit dem Hebel einer zusätzlichen Folgenabschätzung die Verhandlungen zum Verordnungsentwurf und damit ein harmonisiertes Vorgehen zur Pestizidreduktion in der EU zu verzögern.

Der Zusammenhang zwischen dem massiven Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und dem Rückgang der Artenvielfalt sowie negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die weltweite Ernährungssicherheit ist wissenschaftlich belegt. So wundert es auch nicht, dass die weltweite Reduzierung des Pestizideinsatzes eines der wichtigsten Verhandlungsergebnisse des am Montag zu Ende gegangenen Biodiversitätsgipfels der Vereinten Nationen in Montréal war. In der als „historisch“ bezeichneten Abschlusserklärung einigten sich die rund 200 Teilnehmerstaaten darauf, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen und die Risiken von Pestiziden für Mensch und Umwelt bis 2030 zu halbieren (vgl. BMUV-Pressemitteilung).

In Brüssel konnten sich dagegen die Stimmen durchsetzen, die eine rechtlich verbindliche Verankerung der Pestizidreduktionsziele der Farm-to-Fork Strategie und der Biodiversitätsstrategie in die SUR besonders kritisch gegenüberstehen. Zwar begrüßte der EU-Rat grundsätzlich das Ziel der Kommission, die nachteiligen Auswirkungen des Pestizideinsatzes auf die Umwelt zu verringern und nachhaltige alternative Pflanzenschutzmittel und -methoden zu fördern, dennoch stimmte der EU-Ministerrat am 19. Dezember für eine zusätzliche, bis zu 6 Monate dauernde Folgenabschätzung, bei der die EU-Kommission die vereinbarten Pestizidreduktionsziele noch einmal im Lichte des Russischen Angriffskriegs in der Ukraine betrachten und ergänzende Daten und Informationen generieren solle. Zwar besagt der Beschluss, dass während der Arbeit an der Folgenabschätzung die Verhandlungen am SUR-Entwurf fortgesetzt werden können, jedoch nur zu technischen Fragen und nur für solche Bereiche, die nicht von der Folgenabschätzung betroffen sind. Damit droht in dieser Zeit faktisch ein Stillstand in der fachlich-politischen Debatte um die SUR.

Für PAN Germany zeigen die Forderung nach der Erhebung weiterer Daten und die Auflistung der zu beantwortenden Fragen eindrücklich die eindimensionale Sichtweise auf die Aufgaben und Risiken landwirtschaftlicher Produktion. PAN Germany appelliert nun an die EU-Kommission, schnell, also deutlich vor den sechs Monaten, die Folgenabschätzung vorzulegen und dabei auch die vielen positiven Auswirkungen von Pestizidreduktion zu berücksichtigen. Hierzu zählt auch in der Analyse zu berücksichtigen, wie sich die Reduktion des Pestizideinsatzes bei gleichzeitiger Ausdehnung agrarökologischer Verfahren auf die Resilienz landwirtschaftlicher Systeme und somit auch auf die Stabilität von Erträgen angesichts sich verschärfender klimatischer Extreme auswirkt, welche positiven Effekte die Förderung der biologischen Vielfalt auf notwendige Ökosystemfunktionen, Bodenfruchtbarkeit und Wasserqualität haben und welchen positiven Einfluss der Ausbau alternativer Pflanzenschutzverfahren auf eine größere Unabhängigkeit der europäischen Landwirtschaft von erdölbasierten Rohstoffen hat.

Die Bundesregierung sprach sich in den vergangenen Wochen – anders als die meisten anderen EU-Regierungen – deutlich gegen Verzögerungen bei den Verhandlungen der SUR aus. PAN Germany begrüßt die Position Deutschlands, auch wenn sie sich am Ende leider nicht durchsetzen konnte. Dass die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten offenbar der Lobby der Pestizidhersteller gefolgt ist, ist bitter und behindert den dringend notwendigen Fortschritt hin zu einer ökosystembasierten nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Im neuen Jahr wird es aus Sicht von PAN Germany darum gehen müssen, den SUR-Entwurf konstruktiv zu verbessern und das Gesetzgebungsverfahren in dieser Amtszeit von EU-Kommission und EU-Parlament abzuschließen. Die Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“, die von 1,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger getragen wird, sind in die Debatten einzubeziehen.

Die Organisator*innen der EBI werden am 24. Januar 2023, von 14.30 bis 18.30 Uhr (mit Live Stream) im Europaparlament den Abgeordneten und der Europäischen Kommission ihre Forderungen zur Pestizidreduktion, zur Wiederherstellung der Biodiversität und zur angemessenen Förderung der Landwirte für diese Maßnahmen vorstellen.




1 Million EU-Bürger*innen fordern von der EU-Kommission: Rettet Bienen und Bauern

Am Freitag, den 25. November 2022, überbrachten Vertreter*innen der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ offiziell die Botschaft von 1,1 Mio. EU-Bürger*innen an EU Vizepräsidentin Jourová und EU Kommissar Kyriakides: Wir wollen ein Ende des chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes! Um die biologische Vielfalt wiederherzustellen und die Gesundheit der Bürger*innen zu schützen, muss der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden bis 2030 stark reduziert und bis 2035 vollständig beendet werden. Landwirt*innen müssen dabei unterstützen und müssen dabei unterstützt werden, diese Ziele zu erreichen. EU Kommission und EU Parlament sind nun in die Pflicht genommen, sich mit den Forderungen der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative zu befassen. Dies geschieht zu einem wichtigen Zeitpunkt, da der Verordnungsentwurf der EU Kommission zur Pestizidreduktion „SUR“ von der Agrarindustrie und einigen EU-Mitgliedstaaten im EU Rat heftig angegriffen wird.

Der regelmäßige und weitverbreitete Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden belastet Böden und Gewässer, ist Treiber des Artenverlusts und kann zu Vergiftungen mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für Anwender*innen, Anrainer*innen und Konsument*innen führen. Ohne gesunde Böden, sauberes Wasser und Artenvielfalt ist eine nachhaltige Landbewirtschaftung und zukünftige Ernährungssicherung nicht möglich.

Über 1 Million EU Bürger*innen unterstützen die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ und befürworten eine giftfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, die nicht vom Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide abhängig ist. Ihre Kernforderungen sind:

  1. Ein schrittweiser Ausstieg aus der Verwendung synthetischer Pestizide: Bis 2030 soll der Einsatz von synthetischen Pestiziden in der EU-Landwirtschaft schrittweise um 80% reduziert werden. Bis 2035 soll die Landwirtschaft in der gesamten EU ohne synthetische Pestizide arbeiten.
  2. Maßnahmen zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt: Lebensräume sollen wiederhergestellt werden und landwirtschaftliche Flächen sollen zu einem Vektor für die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt werden.
  3. Unterstützung für Landwirt*innen: Die Landwirt*innen müssen bei der notwendigen Umstellung auf Agrarökologie unterstützt werden. Kleine, vielfältige und nachhaltige landwirtschaftliche Betriebe sind zu fördern, der ökologische Landbau und die Forschung im Bereich der pestizid- und gentechnikfreien Landwirtschaft wird unterstützt.

Die Europäische Bürgerinitiative „Biene und Bauern retten“ wurde von Organisationen der Zivilgesellschaft aus verschiedenen Ländern der EU organisiert. In allen EU Mitgliedsstaaten wurden Unterschriften mit den erforderlichen Daten gesammelt, zehn Länder haben die von der EU festgelegte Mindestschwelle erreicht, und die Gesamtanzahl der gültigen Unterschriften wurde erreicht, um die Initiative zu einem offiziellen Antrag auf der Tagesordnung der EU Kommission und des EU Parlaments zu machen. Nach der offiziellen Bestätigung der erfolgreichen Bürgerinitiative muss die EU Kommission nun eine förmliche Stellungnahme dazu geben. Für Januar 2023 wird eine offizielle Anhörung im EU Parlament erwartet.

Offizielle Pressemitteilung der Organisator*innen der ECI vom 28.11.2022




Verbot gefährlicher Pestizide längst überfällig

Hamburg, 30.06.2022. Pressemitteilung. In Deutschland werden noch immer 35 Pestizide in rund 310 Mitteln vermarktet, die offiziell als besonders gefährlich eingestuft werden und eigentlich längst durch weniger problematische Methoden oder Mittel hätten ersetzt werden sollen, kritisiert das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany).

EU-Mitgliedstaaten sind bereits seit 2011 gesetzlich verpflichtet, diese als „Substitutionskandidaten“ (CfS) bezeichneten besonders problematischen Pestizide schrittweise vom Markt zu nehmen. Da dies faktisch nicht umgesetzt wurde, hat nun die EU-Kommission in ihrem gerade veröffentlichten Entwurf für eine Pestizidreduktions-Verordnung [1] ein klares Zeitziel vorgegeben: Bis 2030 muss der Einsatz dieser besonders gefährlichen Pestizide um mindestens 50 Prozent reduziert werden.

„Wir begrüßen, dass die EU endlich Druck macht und verbindlich einfordert, was eigentlich nach geltendem Recht schon seit 10 Jahren erfolgen sollte. Die Bundesregierung sollte jetzt vorangehen, und unverzüglich damit anfangen, diese für die Gesundheit der Menschen und für die Umwelt besonders problematischen Pestizide zügig vom Markt zu nehmen. Dieser Schritt ist auch zentral, um die im Koalitionsvertrag angekündigte Pestizidreduktion und ökologische Transformation der Landwirtschaft voranzubringen“ sagt Susanne Smolka, Pestizidexpertin bei PAN Germany.

Momentan sind 55 Pestizidwirkstoffe als Substitutionskandidaten in der EU gelistet. 35 dieser 55 Wirkstoffe sind derzeit in Deutschland in zugelassenen Spritzmitteln auf dem Markt. PAN Europe hat 12 der 55 Substitutionskandidaten als besonders gefährlich identifiziert. 11 von ihnen sind in Deutschland im Einsatz, darunter beispielsweise das reproduktionstoxische Fungizid Ipconazole, das giftige und umweltgefährliche Insektizid Lambda-Cyhalothrin oder das Herbizid Chlortoluron, das nicht nur umweltgefährlich, sondern auch wahrscheinlich hormonschädlich ist, und dennoch sogar in Mitteln für Laien im Haus-und Kleingarten erlaubt ist. Die Anzahl an Rückständen dieser besonders gefährlichen Pestizidwirkstoffe in Obst und Gemüse hat in den letzten zehn Jahren dramatisch zugenommen [2].

Susanne Smolka, Pestizidexpertin bei PAN Germany sagt: „Es ist unverantwortlich, wie wenig Engagement bislang besteht, zumindest die gefährlichsten Pestizide zum Schutz der Landwirt*innen und Verbraucher*innen sowie für den Schutz der Biodiversität aus dem Verkehr zu ziehen. Alternativen gibt es! Was wir brauchen ist mehr Prävention im Pflanzenbau und mehr Engagement für einen echten integrierten Pflanzenschutz und einen beschleunigten Ausbau des Ökolandbaus.“

PAN Germany fordert mit weiteren Mitgliedsorganisationen von PAN Europe in der Kampagne „Toxic12“ ein direktes Verbot der 12 giftigsten Substitutionskandidaten und einen vollständigen Ausstieg aus der Verwendung aller gelisteten 55 Pestizide bis 2030 [3].

Am 22. Juni 2022 legte die EU-Kommission den Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln – die „Sustainable Use Regulation“ vor. Diese legt die Ziele der Farm-to-Fork-

Strategie und Maßnahmen zu deren Umsetzung verbindlich fest. Demnach soll der Einsatz und das Risiko von Pestiziden bis 2030 halbiert werden, ebenso die Verwendung von besonders gefährlichen Pestiziden, den Substitutionskandidaten. Die Verhandlungen im EU-Rat und im Europaparlament haben jetzt begonnen. PAN Germany und andere NGOs sehen Nachbesserungsbedarf und erwarten hier klare Positionen und Engagement von der Bundesregierung.

 

[1] Presseerklärung der EU Kommission v. 22.06.2022 und Proposal for a
REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCILon the sustainable use of plant protection products and amending Regulation (EU) 2021/2115

[2] PAN-Europe Bericht „Forbidden Fruit“

[3] PAN-Kampagne: www.toxic12.eu

 

Kontakt:

Susanne Smolka
Susanne.smolka@pan-germany.org
Tele.: +49 1767 85 87 727