Wichtige Abstimmung zur Pestizidreduktion / SUR

Heute, am 24. Oktober 2023 erfolgt die Abstimmung im Umweltausschusses des EU-Parlaments (ENVI) zum Entwurf der Pestizidreduktions-Verordnung (SUR, Sustainable Use Regulation). Da er federführend für den Gesetzesvorschlag ist, wird der ENVI Ausschuss die entscheidenden Weichen für die folgende Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments und den darauffolgenden Trilog aller EU Gremien stellen.

Erstmals könnten verbindliche quantitative Ziele für die Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pestizide auf EU- und auf Mitgliedsstaatenebene festgeschrieben werden sowie verbindliche kulturspezifische Regeln für den Integrierten Pflanzenschutz. Von industriefreundlicher Seite wird seit Beginn der Verhandlungen allerdings versucht, diese Maßgaben aufzuweichen und abzuschwächen. Gegen die Argumente der Kritiker hatten sich mehr als 3000 Wissenschaftler*innen gestellt und mit wissenschaftlichen Argumenten klargestellt, dass die Wiederherstellung der Natur und die Reduzierung des Einsatzes von Agrochemikalien für die langfristige Erhaltung der Produktionskapazität und der Ernährungssicherheit notwendig sind.

Aus Sicht von PAN Germany sind u.a. folgende Elemente unzureichend bzw. dringend nachzubessern:

  • Besonders problematisch, ist der vorgeschlagene irreführende Indikator, auf dessen Grundlage die Pestizid-Reduktion gemessen werden soll. Ein aktuelles Video von Global 2000 und der Initiative Safe Bees and Farmers erklärt die Schwachstellen des „Harmonized Risk Indikator“.
  • Die Vorschläge zum Schutz besonders empfindlicher Gebiete und zur Größe und Ausgestaltung der Schutzzonen um diese herum, reichen nicht aus, um vulnerable Gruppen wie Schwangere und Kinder, unsere Gewässer und Trinkwasserversorgung und unsere Naturschutzgebiete ausreichend vor den Pestizidbelastungen zu schützen.
  • Wie die Umstellung auf eine umweltschonendere und resilientere Landwirtschaft finanziert werden soll, bleibt unklar. Denn der EP-Landwirtschaftsausschuss hatte am 9. Oktober den Artikel 43 aus dem Entwurf gestrichen. Dies war der einzige Artikel, für den der Ausschuss allein zuständig war und der vorsah, für eine Übergangszeit von 5 Jahren Landwirt*innen für die Umsetzung der SUR-Maßnahmen über Subventionen aus dem Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu unterstützen. Die Entscheidung des Agrarausschusses steht im Gegensatz zu Forderungen im jüngsten OECD-Bericht über die Zukunft der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in der EU. Nach Ansicht der OECD, ist die wichtigste Lösung, der GAP eine grundlegende Neuausrichtung zu geben, um sie stärker an erklärte Prioritäten, wie Umwelt- und Klimaschutz, zu binden und Fehlanreize zu beseitigen.

Eine aktuelle Umfrage, die von Marktforschungsunternehmen Ipsos in Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien durchgeführt und von PAN Europe veröffentlicht wurde, zeigt nach der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ erneut die deutliche Unterstützung der Bürger*innen für eine ehrgeizige Pestizidpolitik (PAN Germany berichtete). Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist der Meinung, dass EU-Finanzhilfen für Landwirt*innen an die Einhaltung von Maßnahmen zur Vermeidung von Pestiziden geknüpft sein sollten. Die meisten Befragten (73,2 %) sind der Meinung, dass die Regeln des integrierten Pflanzenschutzes (IPM)für Landwirte in der EU verbindlich sein sollten.

Wenn es das Ziel der EU-Kommission war, die alte und in vielen Bereichen nicht funktionierende Rahmenrichtlinie (SUD) durch die SUR-Verordnung zu verbessern, an die Ziele des Green Deals anzupassen und insofern verbindlicher zu gestalten, dürfen aufgrund der vielen abschwächenden Änderungsvorschläge Zweifel am Erfolg angebracht sein. Deshalb wurden in einem Joint Statement, das bislang von ca. 80 Organisationen der Zivilgesellschaft unterzeichnet wurde, nochmal zehn zentrale Forderungen an die Entscheidungsträger übermittelt.

Besorgte Bürgerinnen und Bürger können an der politischen Debatte mitwirken und etwas bewegen: Ab sofort und in den nächsten Monaten können sie auf unkomplizierte Weise den deutschen EU-Abgeordneten und den zuständigen Bundesminister*innen hier in Deutschland ihre Meinung übermitteln. Wir haben dafür ein Online-Tool auf unserer Website eingebunden, das die Kommunikation erleichtert. Machen Sie mit! und schreiben Sie mit einem Klick den Politiker*innen, dass Sie eine starke SUR fordern, die Landwirt*innen unterstützt, eine zukünftige Landwirtschaft fördert, die Gesundheit aller bewahrt und die Artenvielfalt schützt und erhält!

 

 

 




Glyphosat-Wiedergenehmigung wird weiterverhandelt

Die EU Mitgliedsstaaten konnten sich am Freitag, den 13. Oktober 2023 nicht über eine Wiedergenehmigung von Glyphosat einigen. Eine dafür notwendige qualifizierte Mehrheit konnte im zuständigen Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) nicht erreicht werden. Das ist ein wichtiger Teilerfolg! Zuvor hatte sich die EU-Kommission für eine Wiedergenehmigung des Pestizids über einen Zeitraum von 10 Jahren ausgesprochen. Nach PAN-Kenntnis stimmten Österreich, Kroatien, und Luxemburg gegen diesen Vorschlag, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Malta, Frankreich und die Niederlande enthielten sich. Damit konnten sich die Befürworter bei den Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen.

PAN Germany begrüßt dieses Ergebnis, zeigt sich aber auch enttäuscht von der Enthaltung Deutschlands. Schließlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, die Verwendung glyphosathaltiger Mittel ab 2024 zu verbieten. Ein klares Nein gegen ein „weiter so“ auf EU-Ebene wäre nicht nur im Sinne des Koalitionsvertrags gewesen, sondern auch ein deutliches Signal für die Verteidigung des Vorsorgeprinzips, angesichts der bestehenden und eingeräumten Datenlücken und Unsicherheiten bei der Risikobewertung von Glyphosat.

Nicht nur die wahrscheinliche Kanzerogenität von Glyphosat ist ein Problem (PAN berichtete wiederholt), sondern auch die erheblichen Auswirkungen auf Biodiversität und Ökosysteme, schon allein aufgrund der großen Mengen und Anwendungsflächen. Glyphosat und sein Hauptmetabolit AMPA finden sich mittlerweile faktisch überall in der Natur, selbst in Menschen und Tieren.  Obwohl seit 2009 auch Ökosysteme und Artenvielfalt im europäischen Pestizidrecht als Schutzziele verankert sind, fehlt es noch immer an harmonisierten Bewertungsverfahren. Dies räumt auch die zuständige Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ein. Aus PAN-Sicht ist das ein Skandal. Diese Bewertungsmängel bei Glyphosat – und bei allen anderen in der EU genehmigten Pestiziden –  müssen schnellstens ausgemerzt werden und schon gar nicht darf unter solchen Bedingungen ein Totalherbizid wiedergenehmigt werden, dessen Einsatzmenge allein in Deutschland bei rund 5000 Tonnen pro Jahr liegt.

Wie geht es jetzt weiter? Die Mitgliedstaaten werden nun in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss erneut über den Vorschlag der Kommission zur Wiedergenehmigung abzustimmen. Es wird erwartet, dass die Kommission den Vorschlag anpassen wird, möglicherweise eine verkürzte Genehmigungsdauer oder strengere Anwendungsauflagen vorschlagen wird. Sollte erneut keine qualifizierte Mehrheit zustande kommen, wird die Kommission allein entscheiden. Es bleibt also wichtig, sich weiter für ein Glyphosatverbot und für eine nachhaltigere Landwirtschaft einzusetzen.

Dass es auch ohne Totalherbizide wie Glyphosat geht, zeigen jeden Tag die Ökobetriebe und auch immer mehr konventionelle Landwirte, die integrierten Pflanzenschutz (IPM) mit  vielfältigen Fruchtfolgen und bodenschonenden Wildkrautmanagement anwenden. Hier dazu auch unsere Veranstaltungsreihe PAN Germany Mittagsdialoge: „Pestizidreduktion und Alternativen im Pflanzenschutz“.

Hier die Pressemitteilung von PAN Europe vom 13.10.2023




EU-Kommission in Glyphosat-Panik?

21.09.2023. Pressemitteilung.
Das überhastete Vorgehen der EU-Kommission und ihr Vorschlag, Glyphosat um weitere zehn Jahre zu genehmigen sind ein Affront gegen die öffentliche Meinung und ignoriert die wissenschaftlich untermauerten Bedenken unabhängiger Wissenschaftler*innen.

Mit ihrem am 20. September veröffentlichten Vorschlag[1] verharmlost die Kommission bestehende Datenlücken, die selbst von den Behörden anerkannt wurden und wälzt den Umgang mit den daraus erwachsenden Risiken auf die EU-Mitgliedsländer ab. Zugleich ignoriert die EU-Kommission die Erkenntnisse unabhängiger Wissenschaftler*innen sowie die Meinung einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung, die in sechs EU-Ländern befragt wurde.[2]

Der Schritt der EU-Kommission erfolgte zwei Tage nachdem das unabhängige Ramazzini-Institut (Bologna) angekündigt hatte, Ende Oktober die Ergebnisse seiner Studie zu Gesundheitsschäden von Glyphosat zu veröffentlichen. Dies ist die umfassendste Langzeitstudie, die jemals mit Glyphosat durchgeführt wurde.

Auf einer Veranstaltung im Europaparlament am Montag, den 18.09.23 wurden Beweise dafür geliefert, dass die Einstufung von Glyphosat als „nicht krebserregend“ durch die EU-Behörden unter Verwendung von falschen Angaben erfolgte. [3] Dass die EU-Kommission eine „nur“ 10-jährige Verlängerung der Genehmigung vorschlägt, statt der maximal möglichen 15 Jahre, scheint das Ergebnis eines Kuhhandels hinter den Kulissen zu sein. Vertreter*innen verschiedener Mitgliedsländer wurde offenbar eine kürzere Genehmigungsdauer im Austausch dafür angeboten wurde, dass sie auf ein Nein bzw. auf eine Stimmenthaltung bei der bevorstehenden Abstimmung zu Glyphosat verzichten.[4]

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

[1] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/092073/1/consult?lang=de

[2] https://www.pan-europe.info/press-releases/2023/09/glyphosate-eu-2034-danger-health-and-environment-and-violation-citizens-will

[3] https://pan-germany.org/download/praesentation-glyphosate-and-echas-weight-of-evidence/

[4] https://www.proplanta.de/agrar-nachrichten/agrarpolitik/glyphosat-feilschen-um-die-verlaengerungsdauer_article1695020013.html




Glyphosat: Schlüsselmechanismus für Krebsentstehung wurde von der EU nicht angemessen berücksichtigt

Eine neue wissenschaftliche Studie belegt schwerwiegende Mängel in der EU-Gesundheitsbewertung von Glyphosat und macht deutlich, dass die europäische Chemikalienagentur ECHA (European Chemicals Agency) die Karzinogenität von Glyphosat nicht angemessen bewertet und sein Potenzial, Krebs zu verursachen, unterschätzt hat. Die ECHA hat nicht nur die in Krebsstudien beobachtete Häufigkeit von Tumoren als irrelevant abgetan, sondern auch Hinweise aus unabhängiger Literatur außer Acht gelassen, dass Glyphosat oxidativen Stress verursacht, einen Mechanismus, der anerkanntermaßen zu Krebs führen kann. Wenn man die Beweise aus Krebsstudien und oxidativem Stress kombiniert, ist das Krebspotenzial von Glyphosat nicht zu leugnen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority), die basierend auf der ECHA-Einstufung die Risikobewertung für Pestizidwirkstoffe vornimmt, stützte sich in ihrer Schlussfolgerung somit zu Unrecht auf eine Einstufung als „nicht krebserregend“ durch die ECHA. Dies ist ein entscheidender Fehler. Die Anerkennung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse müsste unweigerlich zu dem Schluss führen, dass die Zulassung von Glyphosat nach EU-Recht nicht verlängert werden kann.

Die Wissenschaftler der Studie zum Oxidativen Stress durch Glyphosat verdeutlichen, wie die beiden EU-Regulierungsbehörden ihre im EU-Pestizidrecht (Verordnung (EG) Nr. 1107/2009) festgesetzte Aufgabe, ein höheres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten, nicht erfüllen.

Peter Clausing, Toxikologe und Co-Autor der Studie, sagt dazu:

„In unserer Studie zeigen wir, dass oxidativer Stress bei der Bewertung im Vorfeld der RAC-Stellungnahme der ECHA nicht angemessen berücksichtigt wurde. Dies führt zu sehr schwerwiegenden Mängeln bei der Bewertung der potenziellen Gefahren von Glyphosat und der ihnen zugrunde liegenden Mechanismen. Da oxidativer Stress nicht von den OECD-Testrichtlinien abgedeckt wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die Ergebnisse von Studien über oxidativen Stress, die in der von Fachleuten überprüften wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht wurden, ordnungsgemäß in die Gefahrenbewertung zu integrieren. Die ECHA hat dies in ihrem im Mai 2022 veröffentlichten Gutachten zu Glyphosat versäumt, und die EFSA hat es versäumt, diesen Mangel zu beheben.“

Dies gibt Anlass zu ernster Besorgnis, zumal die Kommission den Vertreter*innen der Mitgliedstaaten auf der bevorstehenden Ad-hoc-Sitzung des SCoPAFF (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed) Ende dieser Woche ihren Verordnungsvorschlag für die Erneuerung der Zulassung von Glyphosat vorlegen wird.

Umfrage in 6 EU-Ländern zeigt: Bürger*innen lehnen eine Neuzulassung von Glyphosat ab

Die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Studie fällt zusammen mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Umfrage in sechs EU-Ländern (Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien), nach der sich zwei Drittel (62 %) der EU-Bürger*innen in diesen Ländern dafür aus sprachen, die Verwendung von Glyphosat in Europa zu beenden. Der Zuspruch für ein Glyphosatverbot war mit 70,5% in Frankreich am höchsten.

Offener Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides

In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides vom 7. September 2023 informierten die Mitglieder der europäischen „StopGlyphosate“-Koalition die EU Kommission über die neue Studie und betonten, dass Glyphosat  allein aufgrund der Krebsnachweise die Kriterien für eine Zulassung nicht erfüllt.

Die StopGlyphosate Koalition und PAN Germany fordern EU Kommissar Kyriakides in dem Schreiben nachdrücklich auf, die beschleunigte Wiederzulassung von Glyphosat auf der Grundlage der dargelegten Beweise zu stoppen und das Vorsorgeprinzip anzuwenden, das den Kern des EU-Pestizidrechts bildet.

Weitere Informationen:




Empörung über „grünes Licht“ für Glyphosat durch EFSA – trotz eingestandener Datenlücken

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gab heute bekannt, dass sie in ihrer Risikoeinschätzung zu Glyphosat trotz relevanter Datenlücken und ungeklärter Fragen „keine kritischen Problembereiche“ identifizieren könne. Umweltorganisationen kritisieren vehement, dass die EFSA bei ihrer Bewertung zahlreiche unabhängige wissenschaftliche Studien vernachlässigt, die Glyphosat mit schwerwiegenden Gesundheits- und Umweltproblemen in Verbindung bringen. Die derzeitige EU-Genehmigung von Glyphosat läuft im Dezember 2023 aus. Bei der bevorstehenden Entscheidung über eine weitere Genehmigung des umstrittenen Herbizidwirkstoffs stützen sich die EU-Mitgliedsstaaten auch auf die Empfehlung der EFSA. 

München/Berlin/Hamburg, 06. Juli 2023. Pressemitteilung: Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL), Greenpeace, das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), die Coordination gegen BAYER-Gefahren, Slow Food Deutschland und Ekō fordern die deutsche Bundesregierung und alle EU-Mitgliedstaaten auf, trotz fragwürdiger Einschätzung durch die EFSA, gegen die Wiedergenehmigung von Glyphosat auf EU-Ebene zu stimmen. Die EFSA konnte wegen fehlender Daten unter anderem die Risikobewertung für Verbraucher nicht abschließen und benennt hohe Risiken für Säugetiere.

Stephan Paulke, zweiter Vorsitzender im Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft sagt: „Die EFSA ignoriert in ihrer Empfehlung unabhängige Studien, die die Folgen von Glyphosat für Gesundheit und Umwelt belegen. Unsere Studie zur Pestizidbelastung der Luft[1] beweist, dass sich der Wirkstoff über die Luft überall hin verbreitet. Laut EFSA gilt eine Verfrachtung von Glyphosat über die Luft jedoch als ausgeschlossen. Das zeigt einmal mehr: Das EU-Pestizid-Zulassungssystem ist lückenhaft. Deutschland muss stark bleiben und trotz der Einschätzung der EFSA auf EU-Ebene für ein Glyphosat-Verbot stimmen. Denn nur wenn Glyphosat in der gesamten EU verboten wird, ist auch das im Koalitionsvertrag vereinbarte Glyphosat-Verbot rechtssicher.“

Peter Clausing, Toxikologe beim Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) sagt: „Die Schlussfolgerung  der EFSA ist ein Schlag ins Gesicht vieler unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die seit der Bewertung durch die Krebsagentur IARC im Jahr 2015[2] zahlreiche Studien veröffentlicht haben, die das Gefahrenpotenzial von Glyphosat belegen[3]. Unabhängige Forschungsergebnisse haben einen Mechanismus für die Krebsverursachung durch Glyphosat offenbart und belegen, dass der Wirkstoff gentoxisch und neurotoxisch ist, das Darmmikrobiom schädigt und schwerwiegende negative Auswirkungen auf das Bodenleben, Amphibien und die Artenvielfalt hat. Die EFSA verlässt in ihrer Beurteilung die wissenschaftliche Ebene.[4]

Christiane Huxdorff, Landwirtschafts-Expertin bei Greenpeace fügt hinzu: „Glyphosat ist nach wie vor das weltweit am häufigsten verwendete Totalherbizid[5] und macht ca. 30% des gesamten Herbizid-Einsatzes in der EU aus.  Eine Verlängerung von Glyphosat steht in direktem Widerspruch zum EU-Ziel einer Halbierung des Pestizideinsatzes im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie[6].“

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, haben das BEL und Greenpeace zusammen mit weiteren Organisationen eine Petition gestartet, die Umweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dazu auffordert, im zuständigen EU-Ausschuss gegen die Wiederzulassung von Glyphosat zu stimmen. Über 60.000 Bürger*innen haben bereits unterzeichnet.

Zudem wurde heute von der europäischen Stop-Glyphosate-Koalition die neue Homepage stopglyphosate.eu eingerichtet. Sie bietet wissenschaftliche Informationen über Glyphosat und dient als zuverlässige und unabhängige Plattform.

Kontakte für Presseanfragen: 

 

[1] In der deutschlandweiten Studie zur Pestizidbelastung der Luft konnte Glyphosat und sein Metabolit AMPA in sämtlichen technischen Sammlern (Passivsammler und Filtermatten) nachgewiesen werden. Als Feststoff gilt Glyphosat laut EU-Zulassung als „nicht flüchtig“. Das Herbizid verbreitet sich jedoch an Staubkörner haftend über die Luft.

[2] Im März 2015 stufte die IARC (International Agency for Research on Cancer) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ (Gruppe 2A) ein.

[3] Die Krebsbewertung von Glyphosat durch die IARC wird durch wissenschaftliche Publikationen aus jüngerer Zeit unterstützt, d.h. eine Re-Analyse der Krebsstudien an Ratten und Mäusen, durch Studien zum Mechanismus der Krebsverursachung und so genannte Meta-Analysen von epidemiologischen Studien. Während die EU-Behörden eine Krebsgefahr durch Glyphosat kategorisch ausschließen, kam das französische Regierungs-Institut INSERM bezüglich epidemiologischer Studien zur gleichen Schlussfolgerung wie die IARC. Ferner zeigen neuere Studien, dass Glyphosat und Glyphosatprodukte neurotoxisch sein können (was möglicherweise zur Entwicklung der Parkinson’schen Krankheit beiträgt), Nierenerkrankungen verursachen und – mit entsprechenden Folgewirkungen – das Mikrobiom von Menschen und Tieren beeinträchtigen kann.

[4] Der Verbleib von Glyphosat in der Umwelt ist nach dem neuesten Stand der Wissenschaft gut dokumentiert. Glyphosat schädigt die Ökosysteme, einschließlich Bestäuber und Nutzinsekten, Regenwürmer und Bodenbiota, und verursacht direkte Schäden in der Landwirtschaft. Glyphosat kann das endophytische und rhizosphärische Mikrobiom von Pflanzen verändern. Es ist gefährlich für die aquatische Umwelt – Sowohl Glyphosat als auch sein Metabolit AMPA stellen ein Risiko für die aquatische Umwelt dar, und Glyphosat ist bereits als giftig für aquatisches Leben mit langanhaltenden Auswirkungen eingestuft (Aquatic Chronic 2; H411), eine strengere Einstufung auf der Grundlage von Daten aus der wissenschaftlichen Literatur wäre sogar gerechtfertigt.

[5] Globalen Markterhebungen zufolge wurde der Weltmarkt für Glyphosat im Jahr 2020 auf 7,6 bis 9,3 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll im Jahr 2030 zwischen 10,6 und 17,7 Milliarden US-Dollar erreichen, mit prognostizierten jährlichen Wachstumsraten zwischen 3 und 6 %. Eine aktuelle Studie von PAN Europe zeigt detailliert, dass es für alle bekannten Hauptanwendungen von glyphosathaltigen Herbiziden wesentlich sicherere, nicht-chemische Alternativen gibt.

[6] Glyphosat ist ein nicht-selektives Totalherbizid, das nicht nur unerwünschte Unkräuter, sondern alle Pflanzen sowie Algen, Bakterien und Pilze abtötet und damit unannehmbare Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem hat. In einem Beschluss aus dem Jahr 2016 hatte das Europäische Parlament bereits darauf hingewiesen, dass „Glyphosat als solches nicht mit Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe e Ziffer iii der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 vereinbar ist“.




EU-Kommission antwortet der Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“

Es ist noch lange nicht vorbei. Heute hat die Europäische Kommission ihre offizielle Antwort an die 1,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger übermittelt, die die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ unterzeichnet haben. Die Kommission begrüßt darin die Initiative als ein deutliches Zeichen für die breite Unterstützung der Öffentlichkeit für Maßnahmen zugunsten von Bestäubern, biologischer Vielfalt und nachhaltiger Landwirtschaft. Die Kommission fordert zudem das Europäische Parlament und den Rat auf, rasch eine ehrgeizige Einigung über die Legislativvorschläge zur Reduzierung von Pestiziden (SUR = Sustainable Use Regulation) und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt zu erzielen.

Die Organisator*innen der EBI betonen als Reaktion auf die Antwort der Kommission in einer gemeinsamen Pressemitteilung die Dringlichkeit und Bedeutung der Reduzierung von Pestiziden für den Schutz der Gesundheit der Europäischen Bürgerinnen und Bürger, für den Schutz der biologischen Vielfalt und für das Gelingen einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion. Dem schließt sich PAN Germany als EBI-Unterstützerorganisation an. Die EBI-Vertreter*innen verweisen auf eine stetig wachsende Zahl an wissenschaftlichen Belegen für die verbreiteten negativen Auswirkungen von synthetischen Pestiziden auf wichtige Schutzgüter. Die Organisator*innen der EBI erwarten vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten mehr Ehrgeiz beim Schutz vor Pestizidbelastungen und der Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe, die auf chemisch-synthetische Pestizide verzichten. Gemeinsam fordern sie von der Politik, stärker auf die Wissenschaft zu hören und dies auch entsprechend in Gesetzgebungsprozesse einzubeziehen, bis das Ziel „Bienen und Bauern retten!“ erreicht sein wird. Noch ist das Ziel nicht erreicht.




EP-Berichterstatterin Sarah Wiener stellt Änderungsvorschläge zum SUR-Entwurf vor

Heute stellte die EU-Abgeordnete und Berichterstatterin Sarah Wiener ihren Berichtsentwurf zur Parlamentsposition zur Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) dem Umweltausschuss (ENVI) vor.

Im Vorfeld der Ausschusssitzung hatten 69 Organisationen der Zivilgesellschaft – darunter PAN Germany – in einem Offenen Brief an die Europaabgeordneten appelliert, die Änderungsvorschläge von Sarah Wiener für eine starke SUR zu unterstützen, um die biologische Vielfalt und die langfristige Ernährungssicherheit zu schützen und die negativen gesundheitlichen Auswirkungen beim Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden anzugehen.

Ein wichtiger Eckpunkt des Berichtsentwurfs ist eine Konkretisierung des Begriffs des Integrierten Pflanzenschutz Managements (IPM) im Verordnungstext. Kern des Vorschlags ist eine Hierarchisierung der IPM-Verfahren nach agrarökologischen Prinzipien, so dass der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide stets nur die letzte Wahl in der zukünftigen landwirtschaftlichen Produktion darstellt. Zwar ist IPM im konventionellen Anbau lange rechtsverbindlich, aber die reale Umsetzung ist unzureichend. Die neue SUR muss dafür Sorge tragen, dass hier nachgebessert wird, denn bereits durch die Umsetzung von IPM wären erhebliche Einsparpotentiale beim Pestizideinsatz möglich. Gefördert werden muss, so die Berichterstatterin, auch die Schulung der Landwirt*innen sowie die unabhängige Beratung zur Umsetzung des IPM.

Der Berichtsentwurf von Sarah Wiener schlägt zudem einen Kompromissvorschlag für „sensible Gebiete“ vor. Das Totalverbot in allen Schutzgebieten im SUR-Entwurf der Kommission war im Vorfeld sehr stark kritisiert worden. Nun sollen bei Schutzgebieten, die weder dem Schutz der Artenvielfalt dienen, noch den Eintrag von Chemikalien in Gewässer verhindern sollen, der Einsatz von bestimmten Pestiziden weiter erlaubt werden.

Aus PAN-Sicht zu begrüßen, sind noch weitere Vorschläge im Berichtsentwurf, u.a. ein engagierteres Reduktionsziel bei besonders gefährlichen Pestiziden – den Substitutionskandidaten. PAN begrüßt auch, die Festlegung von Schutzzonen rund um Schutzgebiete und Bereiche, die dem Schutz sensibler Gruppen dienen (wie Krankenhäusern, Kitas etc.), auszuweiten sowie die Finanzierung von Maßnahmen durch eine risikobasierte Pestizidabgabe zu unterstützen.

Obwohl die Notwendigkeit zur Pestizidreduktion in der Anhörung des Umweltausschusses nicht zur Diskussion stand, stieß der Berichtsentwurf – wie zu erwarten – nicht nur auf Zustimmung. Gerade auf Seiten der konservativen Parteien wird das „wann“ und das „wie“ kritisiert. Als Argument wird oft die Ernährungssicherheit angeführt, die momentan durch den Krieg Russlands in der Ukraine gefährdet sei.

Sarah Wiener und andere Befürworter kontern, dass nur eine nachhaltige Landwirtschaft unsere Ernährung langfristig sichern kann, da Ressourcen- und Biodiversitätsschutz direkt damit verknüpft seien, dass Landwirt*innen jetzt Planungssicherheit bräuchten, und dass das Ziel der Pestizidreduktion mittlerweile nicht nur im Europäischen Green Deal, sondern seit dem UN-Biodiversitätsgipfel in Montreal im Dezember 2022 auch als globales Ziel bestätigt wurde.

Neben der inhaltlichen Kontroverse stand auch der Zeitplan zur Diskussion. Dieser wurde bereits deutlich nach hinten verschoben. Änderungsvorschläge zum Berichtsentwurf können bis Ende März eingereicht werden, die Abstimmung im Umweltausschuss soll im Juni und die Abstimmung im EP Plenum im September 2023 stattfinden. Der Landwirtschaftsausschuss möchte demgegenüber mit seiner Stellungnahme noch warten, da die zusätzliche Folgenabschätzung noch aussteht. Dies könnte die Abstimmung des EU Parlaments zur SUR verzögern. Ein Offener Brief vom 1. März der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauernretten“ appelliert deshalb an den Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses Norbert Lins, diese Blockadehaltung endlich aufzugeben und einen Zeitplan für den Entscheidungsprozess im Landwirtschaftsausschuss vorzulegen, der eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Umweltausschuss und eine Abstimmung vor der Sommerpause ermöglicht.

Zum Abschluss der Anhörung plädierte Berichterstatterin Sarah Wiener eindringlich an ihre Kolleginnen und Kollegen, konstruktiv und gemeinsam mitzuhelfen, die SUR auf den Weg zu bringen.

Hier die Videoaufzeichnung der Debatte (Sprachauswahl rechts unten beim Notensymbol).




Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ – Anhörung im EU Parlament

Die europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ wurde gestern Nachmittag in einer vierstündigen Anhörung in Brüssel offiziell dem Petitions-, Umwelt- und dem Landwirtschaftsausschuss des EU Parlaments vorgestellt. Diese EBI ist erst die  siebte erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative und nach „Stop Glyphosat“ bereits die zweite, die sich für Pestizidreduktion in der Landwirtschaft einsetzt.

Die Europäische Kommission erläuterte, dass die EBI „Bienen und Bauern retten!“, zusammen mit der früheren Pestizid-Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“ sie dazu inspiriert hat, Europas erste rechtsverbindliche Pestizidreduktion um 50 % bis 2030 vorzuschlagen (Farm-to-Fork-Strategie). Darüber hinaus hat die EU Kommission ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vorgelegt. Beide Vorschläge werden von konservativen Kräften und Interessen der Agrarwirtschaft ernsthaft bedroht, warnten die Organisator*innen der EBI gestern bei der Anhörung.

Dem entgegen steht die Forderung von mehr als einer Million EU Bürger*innen, die die Bürgerinitiative unterstützt haben und ein Ende des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU bis 2035 fordern, sowie Maßnahmen zur Erholung der Artenvielfalt und die Unterstützung der Landwirt*innen, um die Transformation zu einer nachhaltigen, agrarökologischen Landwirtschaft zu schaffen.

Mit-Initiator der EBI „Bienen und Bauern retten!“ Martin Dermine vom europäischen Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Europe) sagte beim Hearing im EU-Parlament: „Pestizide sind Giftstoffe, die Bienen, Schmetterlinge und andere Bestäuber ebenso töten wie Pflanzen und Mikroorganismen. Pestizide gefährden unsere Gesundheit, allen voran die Gesundheit der Bäuer:innen. Pestizide sind auch ein wesentlicher Faktor für das weltweite Artensterben. Wir müssen jetzt beginnen, mit der Natur und nicht gegen die Natur zu arbeiten! Es ist die Aufgabe der Politik, die Gesundheit der Bürger:innen zu schützen, anstatt der Agrarindustrie den Vorrang zu geben.”

EBI-Mitorganisator Dr. Helmut Burtscher-Schaden von GLOBAL 2000 appellierte: „Wenn wir die Welt, wie wir sie kennen, erhalten wollen, müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir mit ihr umgehen. Wenn wir die Ernährungssicherheit langfristig absichern wollen, gibt es keine Alternative zur Pestizidreduktion. Überprüfen Sie Ihre politischen Entscheidungen, hören Sie auf die Wissenschaft und nicht auf die Industrie!“.

Besorgt zeigt sich ebenfalls die Wissenschaft. Jeroen Candel, Assistenzprofessor für Lebensmittel- und Agrarpolitik repräsentierte mehr als 700 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten und wissenschaftlichen Disziplinen, die in einem Appell ihre tiefe Besorgnis über die jüngste politische Wende in Bezug auf die Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUR) zum Ausdruck brachten.

Der französische Getreidebauer Jean-Bernard Lozier, der den Pestizideinsatz in seinem Betrieb um 80 % reduzieren konnte, betonte, dass trotz dieser erheblichen Reduzierung
keine nennenswerten Ertragseinbußen zu verzeichnen sind, sich aber der Arbeitsaufwand verringert habe. „Ich bin ein glücklicher Landwirt, und die Rentabilität meines Betriebs ist mit der meiner Nachbarn vergleichbar“, so Lozier.

Synthetische Pestizide stellen laut EU-Offiziellen erhebliche Risiken für die Gesundheit der Bürger dar und verursachen akute und langfristige Gesundheitsschäden, insbesondere bei Kindern und vor allem auch bei Landwirt*innen. Aufgrund des Artensterbens habe bereits die Hälfte aller europäischen Landwirtschaftsbetriebe mit Bestäubungsproblemen zu kämpfen. Synthetische Pestizide sollten „nur als letztes Mittel“ eingesetzt werden, sonst riskieren wir eine „düstere“ Zukunft, so die Beamten.

124 verschiedene Pestizide sind im Hausstaub von europäischen Landwirt*innen zu finden. Dies geht aus der ersten umfassenden Erhebung über die Pestizidkontamination in Europa hervor (SPRINT), die Violette Geissen, Professorin an der Universität Wageningen, bei der Anhörung vorstellte. Bis zu 85 verschiedene Pestizide werden im Hausstaub von Nicht-Landwirt*innen gefunden, wenn auch in niedrigeren Konzentrationen, sagte sie.

Professor Geissen zeigte auf, dass Pestizidrückstände in Ökosystemen und beim Menschen allgegenwärtig sind, die meisten von ihnen gefährlich seien, aber niemand sagen könnte, wie hoch das tatsächliche Risiko ist, wenn man Mischungen mit einer hohen Anzahl von Pestiziden ausgesetzt wäre. Sie betonte in ihrem Beitrag, dass es Rechtsvorschriften bedürfe, die das Vorsorgeprinzip anwenden und den Einsatz und die Reduzierung von Pestiziden regeln.

Die EU hat sich bereits 1993 verpflichtet, Pestizide zu reduzieren. Doch trotz Zielvorgaben und Gesetzen ist sie weitgehend gescheitert, vor allem wegen des Widerstands der Mitgliedsstaaten. Die Klima- und Biodiversitätskrise erlaubt keine „Business as usual“-Politik, so die Initaitor*innen der EBI.

Kritische Mitgliedsstaaten und europäische Abgeordnete sollten aufhören, sich den Entwürfen für Pestizid- und Naturschutzgesetze zu widersetzen, und die bestehenden Befugnisse sollten besser durchgesetzt werden, so die EBI-Initiator*innen.
Letzte Woche hat der Europäische Gerichtshof die Regierungen aufgefordert, die häufige Praxis einzustellen, Landwirt*innen den weiteren Einsatz von verbotenen Pestiziden im Rahmen so genannter Notfallzulassungen zu erlauben. Laut einer im Januar veröffentlichten Analyse offizieller Daten haben die Regierungen in den letzten Jahren in Hunderten von Fällen „Ausnahmeregelungen für Notfälle“ in Anspruch genommen. Die 12 giftigsten Pestizide sollten schnellstens verboten werden, so die NGOs.

Es wird erwartet, dass die Verhandlungen über die von der Kommission vorgeschlagenen Reduzierungen von Pestiziden nur langsam vorankommen werden.

 




„Bienen und Bauern retten!“ – Anhörung zur EBI im EU-Parlament am 24. Januar 2023

Mehr als 1,1 Millionen EU Bürger*innen haben erfolgreich mit ihrer Unterschrift die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ unterstützt. Die EBI fordert ein Ende des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU bis 2035, Maßnahmen zur Erholung der Artenvielfalt sowie Unterstützung der Landwirte, um die Transformation zu einer nachhaltigen, agrarökologischen Landwirtschaft zu schaffen.

Am Dienstag, 24. Januar 2023 von 14:30 bis 18:30 Uhr, findet eine Anhörung im EU Parlament dazu statt, bei der die Forderungen und Vorschläge der Bürgerinitiative vorgestellt und anschließend mit den Abgeordneten diskutiert werden. Die Anhörung kann im Livestream verfolgt werden.

Den Link zum Livestream und das Programm zur Anhörung finden Sie bei PAN Europe unter: https://www.pan-europe.info/save-bees-and-farmers-hearing#

Unter anderem gibt es Beiträge von:

  • Assistenzprofessor Jeroen Candel, Initiator eines von 739 Wissenschaftlern aus ganz Europa unterzeichneten Appells für eine ehrgeizige und nicht weiter zu verzögernde Pestizidreduktions-Gesetzgebung in der EU).
  • Der französische Landwirt Jean-Bernard Lozier zeigt, wie er den Pestizideinsatz auf seinem 80 Hektar großen Ackerbaubetrieb um 80 % reduziert hat – ohne Ertragseinbußen und bei gleichzeitiger Gewinnsteigerung und geringerer Arbeitsbelastung.
  • Die Bodenwissenschaftlerin Professorin Violette Geissen gibt Einblicke in die neuesten Studienergebnisse zu Pestizidrückständen und erläutert die Kombinationswirkungen von Pestizidgemischen auf unsere Gesundheit und Umwelt.

Die Anhörung im EU Parlament findet zu einem wichtigen Zeitpunkt statt. Der Vorschlag der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50 % zu reduzieren, stößt bei der Agrarindustrie auf heftige Kritik. Vor dem Hintergrund der russischen Aggression in der Ukraine und aus Angst vor möglichen Produktionsverlusten und Nahrungsmittelengpässen stimmten 19 Mitgliedsländer im EU-Rat dafür, von der EU Kommission eine neue Folgenabschätzung für die derzeit verhandelte Pestizidreduktions-Verordnung (SUR) zu fordern. Diese erneute Verzögerung könnte die Umsetzung des „EU Green Deal“ ernsthaft gefährden. PAN Germany berichtete darüber.

Sowohl die Verordnung zur Pestizidreduktion (SUR) als auch ein neuer Gesetzesvorschlag zur Wiederherstellung der Natur sind Teil des „EU Green Deal“ und der „Farm to Fork“-Strategie deren Entwürfe derzeit im EU-Rat und im Parlament erörtert und noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollen.




Europäische Chemikalien Strategie ohne Abstriche verabschieden!

Neue Publikation kritisiert Angriff auf den Entwurf der EU-Kommission

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2023

Vor mehr als zwei Jahren, im Oktober 2020 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf einer Chemikalienstrategie, kurz CSS (für Chemicals Strategy for Sustainability), die dem Leitbild einer giftfreien Umwelt folgt und bestrebt ist, „die Umwelt und die menschliche Gesundheit, insbesondere die von gefährdeten Gruppen“ besser zu schützen. Dieser fortschrittliche Entwurf, der unter anderem ein Exportverbot für in der EU verbotene Chemikalien und einen besseren Schutz vor hormonschädlichen Substanzen vorsieht, wartet nach wie vor auf seine Umsetzung in geltendes EU-Recht.

Stattdessen häufen sich die Angriffe auf den CSS-Entwurf, der auch eine Stärkung des „gefahrenbasierten“ Ansatzes enthält, also ein Verbot von Substanzen aufgrund ihrer Stoffeigenschaften, ohne die Möglichkeit, diese mittels unangemessener Risikobewertung zu verharmlosen. Der gefahrenbasierte Ansatz ist bereits Teil der EU-Pestizidzulassungsverordnung (EC 1107/2009)[1], wird allerdings auch dort immer wieder nur halbherzig angewendet.[2] Dieser Ansatz ist eine Einschätzung der Stoffeigenschaften einer Chemikalie. Wenn das Gefahrenpotenzial zu groß ist, zum Beispiel wenn der Stoff als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft wird, würde ein Verbot erfolgen. Die Gegner dieses Ansatzes möchten den Stoff über eine Risikobewertung dann ggf. trotzdem genehmigen können.

Eine der Attacken auf die CSS kam vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Diese Behörde, gegen die – daran sei erinnert – im Zuge des damaligen Wiedergenehmigungsverfahrens für Glyphosat im März 2016 Strafanzeige wegen wissenschaftlichen Betrugs erstattet wurde,[3] stellte die Wissenschaftlichkeit des CSS-Ansatzes in Frage. In einem Gastkommentar in der Fachzeitschrift Archives of Toxicology erhoben Mitarbeiter des BfR schwere Anschuldigungen gegen die EU-Kommission.[4] In Ihrer Schlussfolgerung mahnen die Autoren des Beitrags, dass der „wissenschaftliche Diskussionsprozess nicht allein auf der Grundlage von Behauptungen funktionieren“ könne, und beschuldigen die EU-Kommission, ungerechtfertigte Ansichten und Ängste zu schüren, was zur „Erosion der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Behörden“ führen würde. Dabei übergeht das BfR geflissentlich seinen eigenen Beitrag zur Erosion der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Behörden in Form der Verbreitung falscher Argumente, die nur allzu durchschaubar waren.[5]

In einer im Januar 2023 veröffentlichten Analyse[6] unterzogen Prof. Erik Millstone (Universität Sussex, UK) und Dr. Peter Clausing (PAN Germany) den Gastkommentar der BfR-Mitarbeiter einer kritischen Analyse. Ihre Analyse kommt zu dem Schluss, dass sich das BfR auf „Wissenschaftlichkeit“ beruft und sich zugleich mit seinen eigenen Argumenten weit von der selbst eingeforderten Wissenschaftlichkeit entfernt. Eine wesentliche Kritik von Millstone & Clausing ist, dass die BfR-Autoren wertebasierte Urteile als objektive wissenschaftliche „Wahrheiten“ präsentieren, statt deutlich zu machen, dass sich die von ihnen vertretenen Ansichten im Grenzbereich von Politik und Wissenschaft befinden und mithin eine starke subjektive Komponente enthalten. Diese Art der Vernebelung durch das BfR ist nicht neu. So hat das BfR im Jahr 2016, im Zuge der damaligen Glyphosat-Diskussion, durch eine Vermischung von Risiko (Risk) und Gefahr (Hazard) in der Öffentlichkeit Verwirrung gestiftet. Der Einladung sich auf die „mehrfach von ihm selbst eingeforderte sachliche, wissenschaftsbasierte Diskussion“ einzulassen, ist die Behörde nicht gefolgt.[7]

Die Analyse von Millstone & Clausing unterzieht zudem die vom BfR aufgestellten Behauptungen einer kritischen Prüfung, dass in den Bereichen der regulatorischen Stoffbewertung zur Hormonschädigung, Reproduktionstoxizität und Chemikalien-Cocktails alles in bester Ordnung sei. So demonstriert zum Beispiel ein Blick in die EU-Statistik zum Auftreten von Organmissbildungen bei Neugeborenen, dass die Behauptung der BfR-Autoren falsch ist, dass sich an der Häufigkeit solcher Fälle in den letzten 40 Jahren nichts geändert hätte.[8] Tatsächlich sind solche Missbildungen häufiger geworden. Ganz unberücksichtigt lässt das BfR die Frage, ob ein besseres Chemikalien- bzw. Pestizidmanagement im Verlauf von vier Jahrzehnten die Zahl von 200 Fällen pro 10.000 Neugeborenen nicht sogar hätte verringern müssen. Wenn es stimmt, dass „… Institutionen, wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), eine jahrzehntelange Erfahrung in der praktischen Anwendung und Weiterentwicklung der Prinzipien und Methoden der Wissenschaft der regulatorischen Risikobewertung für den Gesundheitsschutzes in der EU (haben)“[9], sollte man eine solche Reduktion eigentlich erwarten können.

Der Angriff durch das BfR ist nicht die einzige Attacke gegen die CSS. Auch die Industrie selbst macht mobil, wie ein vor wenigen Wochen durchgeführtes Webinar mit dem Thema „Two Years Later: How Has the Chemicals Strategy for Sustainability Changed REACH and CLP Regulations?” deutlich macht.[10] Es gibt also gute Gründe, die weitere Entwicklung wachsam zu verfolgen und sich dafür einzusetzen, dass der CSS-Entwurf einerseits nicht verwässert und andererseits möglichst bald in geltendes Recht überführt wird.

Die Publikation ist auch in englischer Sprache erhältlich.

(Dr. Peter Clausing)

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1107&from=de

[2] https://pan-germany.org/pestizide/neuer-bericht-zeigt-bewertung-von-krebseffekten-bei-4-von-10-pestiziden-fehlerhaft/

[3] https://www.global2000.at/news/glyphosat-zulassungsbeh%C3%B6rde-informierte-falsch

[4] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3

[5] vgl. Clausing, P. (2017): Krebsgefahr durch Glyphosat: Der „Weight of Evidence Approach“ des BfR.   Umwelt – Hygiene – Arbeitsmedizin 22 (1): 27 – 34.

[6] https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[7] https://archiv.pan-germany.org/pan-germany.org_180405/www.pan-germany.org/download/The_Carcinogenic_Hazard_of_Glyphosate.pdf

[8] https://eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/eurocat/eurocat-data/prevalence_en, zusammengefasst in Tabelle 1 von https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[9] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3, Seite 259 (eigene Übersetzung)

[10] https://www.reachblog.com/2022/12/register-now-webinar-two-years-later-how-has-the-chemicals-strategy-for-sustainability-changed-reach-and-clp-regulations/