NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

PAN Germany & PAN Europe: Rechtliche und wissenschaftliche Kriterien stehen in direktem Widerspruch zu Zulassung durch EU-Kommission

Brüssel/Wien/Paris/Berlin/Hamburg, 21. November 2023. Pressemitteilung.
Die Europäische Kommission wird in den nächsten Tagen das Herbizid Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Europe, PAN Germany und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten. Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer*innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. „Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich dabei auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die beteiligten Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen. Gegen die Wiedergenehmigung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und dann auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für eine Verlängerung stimmten Länder, die lediglich 42 % der EU-Bürger*innen repräsentieren.

„Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung der Krebsgefahr von Glyphosat hin: „Nicht nur, dass die ECHA mit Hilfe von Verstößen gegen geltende Richtlinien eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen unter den Tisch kehrte. Auch die EFSA verwarf neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom, mit der Begründung, dass dafür internationale Richtlinien zur Risikobewertung fehlten.“

„Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert*innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich).

Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler*innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor*innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Margriet Matingh, Präsidentin von PAN Netherlands, betont: „Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.“

„Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun auch Umwelt-NGOs und Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, hinzu.

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: „Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

Die Aufzeichnug zur Pressekonferenz von heute Morgen finden Sie hier (25 Minuten).

 




Keine Mehrheit bei den EU-Ländern – Kommission kündigt weitere 10 Jahre Glyphosat an

Nachdem bereits im Oktober die erforderliche Zustimmung ausblieb, gab es auch heute im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zu genehmigen.

Im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften ist es in solchen Fällen an der EU-Kommission allein zu entscheiden. Und per Statement und Kurzmitteilung machte sie gleich nach der heutigen Abstimmung klar, dass sie Glyphosat für 10 Jahre verlängern wird. Aus Sicht von PAN Germany wäre es dringend geboten, dass die Kommission aufgrund des fehlenden Rückhalts in den Mitgliedsstaaten und der Bevölkerung dies überdenkt und nicht an der Wiedergenehmigung für 10 Jahre festhält.

Die Entscheidung über die Zukunft des meist verwendeten Herbizidwirkstoffs findet vor dem Hintergrund weiterer alarmierender wissenschaftlicher Erkenntnisse über seine schädigende Gesundheitswirkung statt: Eine gerade veröffentlichte internationale Studie an Ratten belegt einen Zusammenhang von Glyphosat mit der Entstehung von Leukämie bereits in jungem Alter.

Die internationale Studie unter der Federführung des Ramazzini-Instituts in Bologna deckte zum ersten Mal überhaupt die gesamte Lebensspanne von der embryonalen Phase bis zum Ende der Lebenserwartung ab. Bei den untersuchten Tieren kam es bei einer sehr niedrigeren Dosis des Glyphosat-Wirkstoffs und bei noch niedrigerer Dosierung mit glyphosathaltigen Herbiziden zu einem signifikant gehäuften und extrem frühzeitigen Auftreten von Leukämie. Weitere Details finden sich in dem Offenen Brief, von PAN Germany und anderen Organisationen an Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach.

Die Europäische Chemikalienagentur der EU (ECHA) hatte Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft, eine von kritischen Wissenschaftler*innen monierte Entscheidung. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juli 2023 bekannt gegeben, dass sie in ihrer Risikoeinschätzung zu Glyphosat trotz relevanter Datenlücken und ungeklärter Fragen „keine kritischen Problembereiche“ identifizieren könne – Umweltorganisationen waren empört.

Die von der EU Kommission heute angekündigte Wiedergenehmigung von Glyphosat werde an Bedingungen und Einschränkungen geknüpft. Zu diesen Einschränkungen zähle ein Verbot der Verwendung zur Abreifebeschleunigung (Sikkation) vor der Ernte und Maßnahmen zum Schutz von Nichtzielorganismen. Zudem verwies die EU Kommission in ihrem Statement darauf, dass die Mitgliedstaaten für die nationale Zulassung glyphosathaltiger Pestizidprodukte nationale Anwendungsbeschränkungen erlassen können, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, die biologische Vielfalt zu schützen.

Lesen Sie auch die Bewertung von PAN Europe zur heutigen Entscheidung.




EU-Aus für fünf hormonschädliche Pestizide

Gut 10 Jahre nach Einführung des EU-Ausschlussverfahrens für Pestizide mit hormonschädlichen Eigenschaften (Endocrine Disruptor Chemicals, EDCs) und gut 5 Jahre nach dem Start der tatsächlichen Implementierung in das EU-Pestizidrecht, werden erstmals endokrinschädliche Pestizidwirkstoffe auf Grundlage der festgelegten Bewertungsvorschriften vom EU-Markt genommen. PAN Germany begrüßt diese wichtige Entscheidung. Dies ist ein Erfolg jahrelanger Anstrengungen der Umweltverbände und der Wissenschaft, regulative Maßnahmen einzufordern, um die Exposition von Menschen und Umwelt mit diesen gefährlichen Substanzen zu verhindern bzw. zu verringern. Bei den Pestizidwirkstoffen handelt es sich um Asulam-Natrium, Benthiavalicarb, Clofentezin, Metiram and Triflusulfuron-methyl.

Die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten folgte in ihrer Entscheidung dem Vorschlag der EU-Kommission, die fünf ED-Pestizide nicht zu genehmigen bzw. nicht wieder zu genehmigen. Die Entscheidung fiel am 12./13. Oktober 2023 im ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF). PAN Germany engagiert sich seit langem für einen besseren Schutz vor EDCs und hatte kurz vor der Abstimmung per Brief an das BMEL und BMUV appelliert, den Kommissionsvorschlag zu unterstützen

Die fünf Wirkstoffe wurden auf Grundlage der 2018 verabschiedeten Leitlinie zur Identifizierung von endokrinschädlichen Pestiziden und Bioziden überprüft und bewertet. Zwischen 2021 und 2023 hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgestellt, dass alle fünf Wirkstoffe die festgelegten Kriterien als endokriner Disruptor für die menschliche Gesundheit erfüllen. Triflusulfuron-methyl wurde zusätzlich als endokriner Disruptor für Wildtiere (Nichtzielorganismen) eingestuft.

Mit der Entscheidung wurde die Neugenehmigung für Asulam-Natrium untersagt und die vier anderen Pestizide werden aus der Verwendung in der EU genommen. Zu kritisieren sind aus Sicht von PAN Germany die Übergangsfristen. So wird das Verbot für Metiram erst im Januar 2024 und für Benthiavalicarb sogar erst im November 2024 in Kraft treten. Dies steht im Widerspruch zu der rechtlichen Vorgabe, die eine rasche Entfernung von Pestizid-Wirkstoffen vom Markt verlangt, wenn sie aus Gesundheits- oder Umweltgründen verboten werden.

In Deutschland gibt es derzeit noch Mittelzulassungen für das Fungizid Benthiavalicarb u.a. für den Kartoffelanbau, das Akarizid Clofentizin kommt beim Apfel- und Birnenanbau sowie bei Zierpflanzen zum Einsatz, Metiram wird als Fungizid bei Salaten und Gemüsekulturen verwendet und das Herbizid Triflusulfuron u.a. im Ackerbau.

Die Pestizidverordnung (EG) 1107/2009, die die Genehmigung von Wirkstoffen regelt, soll ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch, Tier sowie für die Umwelt und Biodiversität gewährleisten. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung vor, dass Wirkstoffe mit hormonaktiven Eigenschaften, die schädliche Auswirkungen auf Menschen oder auf nicht zu bekämpfende Organismen („Nichtzielorganismen“) haben können, in der Europäischen Union nicht (erneut) genehmigt werden dürfen (sog. „Ausschlusskriterium“).

Die jetzt regulierten fünf Wirkstoffe sind möglicherweise erst der Anfang weiterer zukünftiger Verwendungsausschlüsse aufgrund amtlich bestätigter hormonschädlicher Wirkungen, denn viele Pestizide sind noch nicht auf ihre ED-Eigenschaften hin untersucht oder befinden sich noch in der Prüf- und Bewertungsphase (s. EFSA Pesticide Assessment List).

EDCs – Reduktionsmaßnahmen dringend erforderlich!

Jahrzehnte anerkannter und begutachteter wissenschaftlicher Forschung belegen signifikante Zusammenhänge zwischen EDCs und Gesundheitsbeeinträchtigungen selbst bei sehr niedrigen Konzentrationen, so dass eine sichere Wirkschwelle nicht festgelegt werden kann. Zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen zählen unter anderem die Förderung von hormonbedingten Krebsarten, Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit, neuronale Beeinträchtigungen wie Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwächen oder die Förderung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes und Adipositas. Viele EDCs zeigen Cocktaileffekte und sind besonders für die Entwicklung von Ungeborenen und Kindern gefährlich. Durch EDCs ausgelöste Effekte können sich sogar generationenübergreifend manifestieren (mehr dazu auf der PAN-Website im Themenschwerpunkt „Hormongifte, EDCs“)

Die Europäische Union hat sich im Rahmen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (From Farm to Fork) dazu verpflichtet, den Einsatz von besonders gefährlichen Pestiziden (dazu zählen Ausschluss- und Substitutionskandidaten und somit auch ED-Pestizide) bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Im Rahmen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit wird das Ziel formuliert, EU-Bürgerinnen und Bürger sowie die Umwelt besser vor der Belastung durch endokrin wirksame Chemikalien (EDCs) zu schützen. Ein wichtiger Schritt dahin wurde 2023 mit der Verabschiedung von neuen EDC-Gefahrenklassen im Rahmen der CLP-Verordnung (1272/2008/EG) erreicht, durch die nun endlich eine amtliche Klassifizierung von Chemikalien als hormonschädlich sowie als verdächtig hormonschädlich möglich wird und entsprechende Gefahrenhinweise zukünftig diese Eigenschaft von Substanzen und Gemischen auch kenntlich machen.

Zu Beginn ihrer Arbeit schien es, als hätte die Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag das Versprechen gegeben hat, einen nationalen Plan zum Schutz vor hormonaktiven Substanzen zu erarbeiten, die Dringlichkeit des Problems von EDCs anerkannt. Doch der Entwurf eines deutschen EDC-Aktionsplan scheint in der Ressortabstimmung festzustecken, obwohl die Vorlage des Aktionsplans bereits vor Monaten vom BMUV angekündigt wurde (s. Online-Talk: Hormonaktive Chemikalien stoppen). Nach einem entschlossenen Handeln zum Wohl der Bevölkerung sieht dies nicht aus.

PAN Germany erwartet von den befassten Bundesministerien, dass noch in diesem Jahr der EDC-Aktionsplan vorgelegt und mit dem Stakeholder-Dialog begonnen wird. Zudem sieht PAN die Notwendigkeit, die Überprüfung auf hormonschädliche Wirkung von Pestiziden, Bioziden und Industriechemikalien schneller voranzutreiben, damit das Versprechen eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gegenüber EDCs in der EU und in Deutschland endlich Realität wird.




Glyphosat-Wiedergenehmigung wird weiterverhandelt

Die EU Mitgliedsstaaten konnten sich am Freitag, den 13. Oktober 2023 nicht über eine Wiedergenehmigung von Glyphosat einigen. Eine dafür notwendige qualifizierte Mehrheit konnte im zuständigen Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) nicht erreicht werden. Das ist ein wichtiger Teilerfolg! Zuvor hatte sich die EU-Kommission für eine Wiedergenehmigung des Pestizids über einen Zeitraum von 10 Jahren ausgesprochen. Nach PAN-Kenntnis stimmten Österreich, Kroatien, und Luxemburg gegen diesen Vorschlag, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Malta, Frankreich und die Niederlande enthielten sich. Damit konnten sich die Befürworter bei den Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen.

PAN Germany begrüßt dieses Ergebnis, zeigt sich aber auch enttäuscht von der Enthaltung Deutschlands. Schließlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, die Verwendung glyphosathaltiger Mittel ab 2024 zu verbieten. Ein klares Nein gegen ein „weiter so“ auf EU-Ebene wäre nicht nur im Sinne des Koalitionsvertrags gewesen, sondern auch ein deutliches Signal für die Verteidigung des Vorsorgeprinzips, angesichts der bestehenden und eingeräumten Datenlücken und Unsicherheiten bei der Risikobewertung von Glyphosat.

Nicht nur die wahrscheinliche Kanzerogenität von Glyphosat ist ein Problem (PAN berichtete wiederholt), sondern auch die erheblichen Auswirkungen auf Biodiversität und Ökosysteme, schon allein aufgrund der großen Mengen und Anwendungsflächen. Glyphosat und sein Hauptmetabolit AMPA finden sich mittlerweile faktisch überall in der Natur, selbst in Menschen und Tieren.  Obwohl seit 2009 auch Ökosysteme und Artenvielfalt im europäischen Pestizidrecht als Schutzziele verankert sind, fehlt es noch immer an harmonisierten Bewertungsverfahren. Dies räumt auch die zuständige Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ein. Aus PAN-Sicht ist das ein Skandal. Diese Bewertungsmängel bei Glyphosat – und bei allen anderen in der EU genehmigten Pestiziden –  müssen schnellstens ausgemerzt werden und schon gar nicht darf unter solchen Bedingungen ein Totalherbizid wiedergenehmigt werden, dessen Einsatzmenge allein in Deutschland bei rund 5000 Tonnen pro Jahr liegt.

Wie geht es jetzt weiter? Die Mitgliedstaaten werden nun in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss erneut über den Vorschlag der Kommission zur Wiedergenehmigung abzustimmen. Es wird erwartet, dass die Kommission den Vorschlag anpassen wird, möglicherweise eine verkürzte Genehmigungsdauer oder strengere Anwendungsauflagen vorschlagen wird. Sollte erneut keine qualifizierte Mehrheit zustande kommen, wird die Kommission allein entscheiden. Es bleibt also wichtig, sich weiter für ein Glyphosatverbot und für eine nachhaltigere Landwirtschaft einzusetzen.

Dass es auch ohne Totalherbizide wie Glyphosat geht, zeigen jeden Tag die Ökobetriebe und auch immer mehr konventionelle Landwirte, die integrierten Pflanzenschutz (IPM) mit  vielfältigen Fruchtfolgen und bodenschonenden Wildkrautmanagement anwenden. Hier dazu auch unsere Veranstaltungsreihe PAN Germany Mittagsdialoge: „Pestizidreduktion und Alternativen im Pflanzenschutz“.

Hier die Pressemitteilung von PAN Europe vom 13.10.2023




EU-Kommission in Glyphosat-Panik?

21.09.2023. Pressemitteilung.
Das überhastete Vorgehen der EU-Kommission und ihr Vorschlag, Glyphosat um weitere zehn Jahre zu genehmigen sind ein Affront gegen die öffentliche Meinung und ignoriert die wissenschaftlich untermauerten Bedenken unabhängiger Wissenschaftler*innen.

Mit ihrem am 20. September veröffentlichten Vorschlag[1] verharmlost die Kommission bestehende Datenlücken, die selbst von den Behörden anerkannt wurden und wälzt den Umgang mit den daraus erwachsenden Risiken auf die EU-Mitgliedsländer ab. Zugleich ignoriert die EU-Kommission die Erkenntnisse unabhängiger Wissenschaftler*innen sowie die Meinung einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung, die in sechs EU-Ländern befragt wurde.[2]

Der Schritt der EU-Kommission erfolgte zwei Tage nachdem das unabhängige Ramazzini-Institut (Bologna) angekündigt hatte, Ende Oktober die Ergebnisse seiner Studie zu Gesundheitsschäden von Glyphosat zu veröffentlichen. Dies ist die umfassendste Langzeitstudie, die jemals mit Glyphosat durchgeführt wurde.

Auf einer Veranstaltung im Europaparlament am Montag, den 18.09.23 wurden Beweise dafür geliefert, dass die Einstufung von Glyphosat als „nicht krebserregend“ durch die EU-Behörden unter Verwendung von falschen Angaben erfolgte. [3] Dass die EU-Kommission eine „nur“ 10-jährige Verlängerung der Genehmigung vorschlägt, statt der maximal möglichen 15 Jahre, scheint das Ergebnis eines Kuhhandels hinter den Kulissen zu sein. Vertreter*innen verschiedener Mitgliedsländer wurde offenbar eine kürzere Genehmigungsdauer im Austausch dafür angeboten wurde, dass sie auf ein Nein bzw. auf eine Stimmenthaltung bei der bevorstehenden Abstimmung zu Glyphosat verzichten.[4]

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

[1] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/092073/1/consult?lang=de

[2] https://www.pan-europe.info/press-releases/2023/09/glyphosate-eu-2034-danger-health-and-environment-and-violation-citizens-will

[3] https://pan-germany.org/download/praesentation-glyphosate-and-echas-weight-of-evidence/

[4] https://www.proplanta.de/agrar-nachrichten/agrarpolitik/glyphosat-feilschen-um-die-verlaengerungsdauer_article1695020013.html




Glyphosat: Schlüsselmechanismus für Krebsentstehung wurde von der EU nicht angemessen berücksichtigt

Eine neue wissenschaftliche Studie belegt schwerwiegende Mängel in der EU-Gesundheitsbewertung von Glyphosat und macht deutlich, dass die europäische Chemikalienagentur ECHA (European Chemicals Agency) die Karzinogenität von Glyphosat nicht angemessen bewertet und sein Potenzial, Krebs zu verursachen, unterschätzt hat. Die ECHA hat nicht nur die in Krebsstudien beobachtete Häufigkeit von Tumoren als irrelevant abgetan, sondern auch Hinweise aus unabhängiger Literatur außer Acht gelassen, dass Glyphosat oxidativen Stress verursacht, einen Mechanismus, der anerkanntermaßen zu Krebs führen kann. Wenn man die Beweise aus Krebsstudien und oxidativem Stress kombiniert, ist das Krebspotenzial von Glyphosat nicht zu leugnen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority), die basierend auf der ECHA-Einstufung die Risikobewertung für Pestizidwirkstoffe vornimmt, stützte sich in ihrer Schlussfolgerung somit zu Unrecht auf eine Einstufung als „nicht krebserregend“ durch die ECHA. Dies ist ein entscheidender Fehler. Die Anerkennung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse müsste unweigerlich zu dem Schluss führen, dass die Zulassung von Glyphosat nach EU-Recht nicht verlängert werden kann.

Die Wissenschaftler der Studie zum Oxidativen Stress durch Glyphosat verdeutlichen, wie die beiden EU-Regulierungsbehörden ihre im EU-Pestizidrecht (Verordnung (EG) Nr. 1107/2009) festgesetzte Aufgabe, ein höheres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten, nicht erfüllen.

Peter Clausing, Toxikologe und Co-Autor der Studie, sagt dazu:

„In unserer Studie zeigen wir, dass oxidativer Stress bei der Bewertung im Vorfeld der RAC-Stellungnahme der ECHA nicht angemessen berücksichtigt wurde. Dies führt zu sehr schwerwiegenden Mängeln bei der Bewertung der potenziellen Gefahren von Glyphosat und der ihnen zugrunde liegenden Mechanismen. Da oxidativer Stress nicht von den OECD-Testrichtlinien abgedeckt wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die Ergebnisse von Studien über oxidativen Stress, die in der von Fachleuten überprüften wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht wurden, ordnungsgemäß in die Gefahrenbewertung zu integrieren. Die ECHA hat dies in ihrem im Mai 2022 veröffentlichten Gutachten zu Glyphosat versäumt, und die EFSA hat es versäumt, diesen Mangel zu beheben.“

Dies gibt Anlass zu ernster Besorgnis, zumal die Kommission den Vertreter*innen der Mitgliedstaaten auf der bevorstehenden Ad-hoc-Sitzung des SCoPAFF (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed) Ende dieser Woche ihren Verordnungsvorschlag für die Erneuerung der Zulassung von Glyphosat vorlegen wird.

Umfrage in 6 EU-Ländern zeigt: Bürger*innen lehnen eine Neuzulassung von Glyphosat ab

Die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Studie fällt zusammen mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Umfrage in sechs EU-Ländern (Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien), nach der sich zwei Drittel (62 %) der EU-Bürger*innen in diesen Ländern dafür aus sprachen, die Verwendung von Glyphosat in Europa zu beenden. Der Zuspruch für ein Glyphosatverbot war mit 70,5% in Frankreich am höchsten.

Offener Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides

In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Kyriakides vom 7. September 2023 informierten die Mitglieder der europäischen „StopGlyphosate“-Koalition die EU Kommission über die neue Studie und betonten, dass Glyphosat  allein aufgrund der Krebsnachweise die Kriterien für eine Zulassung nicht erfüllt.

Die StopGlyphosate Koalition und PAN Germany fordern EU Kommissar Kyriakides in dem Schreiben nachdrücklich auf, die beschleunigte Wiederzulassung von Glyphosat auf der Grundlage der dargelegten Beweise zu stoppen und das Vorsorgeprinzip anzuwenden, das den Kern des EU-Pestizidrechts bildet.

Weitere Informationen:




Europäische Chemikalien Strategie ohne Abstriche verabschieden!

Neue Publikation kritisiert Angriff auf den Entwurf der EU-Kommission

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2023

Vor mehr als zwei Jahren, im Oktober 2020 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf einer Chemikalienstrategie, kurz CSS (für Chemicals Strategy for Sustainability), die dem Leitbild einer giftfreien Umwelt folgt und bestrebt ist, „die Umwelt und die menschliche Gesundheit, insbesondere die von gefährdeten Gruppen“ besser zu schützen. Dieser fortschrittliche Entwurf, der unter anderem ein Exportverbot für in der EU verbotene Chemikalien und einen besseren Schutz vor hormonschädlichen Substanzen vorsieht, wartet nach wie vor auf seine Umsetzung in geltendes EU-Recht.

Stattdessen häufen sich die Angriffe auf den CSS-Entwurf, der auch eine Stärkung des „gefahrenbasierten“ Ansatzes enthält, also ein Verbot von Substanzen aufgrund ihrer Stoffeigenschaften, ohne die Möglichkeit, diese mittels unangemessener Risikobewertung zu verharmlosen. Der gefahrenbasierte Ansatz ist bereits Teil der EU-Pestizidzulassungsverordnung (EC 1107/2009)[1], wird allerdings auch dort immer wieder nur halbherzig angewendet.[2] Dieser Ansatz ist eine Einschätzung der Stoffeigenschaften einer Chemikalie. Wenn das Gefahrenpotenzial zu groß ist, zum Beispiel wenn der Stoff als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft wird, würde ein Verbot erfolgen. Die Gegner dieses Ansatzes möchten den Stoff über eine Risikobewertung dann ggf. trotzdem genehmigen können.

Eine der Attacken auf die CSS kam vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Diese Behörde, gegen die – daran sei erinnert – im Zuge des damaligen Wiedergenehmigungsverfahrens für Glyphosat im März 2016 Strafanzeige wegen wissenschaftlichen Betrugs erstattet wurde,[3] stellte die Wissenschaftlichkeit des CSS-Ansatzes in Frage. In einem Gastkommentar in der Fachzeitschrift Archives of Toxicology erhoben Mitarbeiter des BfR schwere Anschuldigungen gegen die EU-Kommission.[4] In Ihrer Schlussfolgerung mahnen die Autoren des Beitrags, dass der „wissenschaftliche Diskussionsprozess nicht allein auf der Grundlage von Behauptungen funktionieren“ könne, und beschuldigen die EU-Kommission, ungerechtfertigte Ansichten und Ängste zu schüren, was zur „Erosion der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Behörden“ führen würde. Dabei übergeht das BfR geflissentlich seinen eigenen Beitrag zur Erosion der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Behörden in Form der Verbreitung falscher Argumente, die nur allzu durchschaubar waren.[5]

In einer im Januar 2023 veröffentlichten Analyse[6] unterzogen Prof. Erik Millstone (Universität Sussex, UK) und Dr. Peter Clausing (PAN Germany) den Gastkommentar der BfR-Mitarbeiter einer kritischen Analyse. Ihre Analyse kommt zu dem Schluss, dass sich das BfR auf „Wissenschaftlichkeit“ beruft und sich zugleich mit seinen eigenen Argumenten weit von der selbst eingeforderten Wissenschaftlichkeit entfernt. Eine wesentliche Kritik von Millstone & Clausing ist, dass die BfR-Autoren wertebasierte Urteile als objektive wissenschaftliche „Wahrheiten“ präsentieren, statt deutlich zu machen, dass sich die von ihnen vertretenen Ansichten im Grenzbereich von Politik und Wissenschaft befinden und mithin eine starke subjektive Komponente enthalten. Diese Art der Vernebelung durch das BfR ist nicht neu. So hat das BfR im Jahr 2016, im Zuge der damaligen Glyphosat-Diskussion, durch eine Vermischung von Risiko (Risk) und Gefahr (Hazard) in der Öffentlichkeit Verwirrung gestiftet. Der Einladung sich auf die „mehrfach von ihm selbst eingeforderte sachliche, wissenschaftsbasierte Diskussion“ einzulassen, ist die Behörde nicht gefolgt.[7]

Die Analyse von Millstone & Clausing unterzieht zudem die vom BfR aufgestellten Behauptungen einer kritischen Prüfung, dass in den Bereichen der regulatorischen Stoffbewertung zur Hormonschädigung, Reproduktionstoxizität und Chemikalien-Cocktails alles in bester Ordnung sei. So demonstriert zum Beispiel ein Blick in die EU-Statistik zum Auftreten von Organmissbildungen bei Neugeborenen, dass die Behauptung der BfR-Autoren falsch ist, dass sich an der Häufigkeit solcher Fälle in den letzten 40 Jahren nichts geändert hätte.[8] Tatsächlich sind solche Missbildungen häufiger geworden. Ganz unberücksichtigt lässt das BfR die Frage, ob ein besseres Chemikalien- bzw. Pestizidmanagement im Verlauf von vier Jahrzehnten die Zahl von 200 Fällen pro 10.000 Neugeborenen nicht sogar hätte verringern müssen. Wenn es stimmt, dass „… Institutionen, wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), eine jahrzehntelange Erfahrung in der praktischen Anwendung und Weiterentwicklung der Prinzipien und Methoden der Wissenschaft der regulatorischen Risikobewertung für den Gesundheitsschutzes in der EU (haben)“[9], sollte man eine solche Reduktion eigentlich erwarten können.

Der Angriff durch das BfR ist nicht die einzige Attacke gegen die CSS. Auch die Industrie selbst macht mobil, wie ein vor wenigen Wochen durchgeführtes Webinar mit dem Thema „Two Years Later: How Has the Chemicals Strategy for Sustainability Changed REACH and CLP Regulations?” deutlich macht.[10] Es gibt also gute Gründe, die weitere Entwicklung wachsam zu verfolgen und sich dafür einzusetzen, dass der CSS-Entwurf einerseits nicht verwässert und andererseits möglichst bald in geltendes Recht überführt wird.

Die Publikation ist auch in englischer Sprache erhältlich.

(Dr. Peter Clausing)

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1107&from=de

[2] https://pan-germany.org/pestizide/neuer-bericht-zeigt-bewertung-von-krebseffekten-bei-4-von-10-pestiziden-fehlerhaft/

[3] https://www.global2000.at/news/glyphosat-zulassungsbeh%C3%B6rde-informierte-falsch

[4] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3

[5] vgl. Clausing, P. (2017): Krebsgefahr durch Glyphosat: Der „Weight of Evidence Approach“ des BfR.   Umwelt – Hygiene – Arbeitsmedizin 22 (1): 27 – 34.

[6] https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[7] https://archiv.pan-germany.org/pan-germany.org_180405/www.pan-germany.org/download/The_Carcinogenic_Hazard_of_Glyphosate.pdf

[8] https://eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/eurocat/eurocat-data/prevalence_en, zusammengefasst in Tabelle 1 von https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[9] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3, Seite 259 (eigene Übersetzung)

[10] https://www.reachblog.com/2022/12/register-now-webinar-two-years-later-how-has-the-chemicals-strategy-for-sustainability-changed-reach-and-clp-regulations/




Kein Blankoscheck für Glyphosat

Aus dem EU-Berufungsausschuss kommt heute ein wichtiges Signal: Die EU-Mitgliedstaaten verhindern in einer Abstimmung, dass das Auslaufen der Glyphosat-Genehmigung, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, automatisch um ein weiteres Jahr hinausgezögert wird. PAN Europe und PAN Germany begrüßen diese Entscheidung. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Glyphosat ein inakzeptables Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellt.

Gergely Simon, Chemikalienbeauftragter bei PAN Europe, sagt: „PAN Europe gratuliert den Mitgliedstaaten, die sich mutig gegen eine Verlängerung der Glyphosatgenehmigung ausgesprochen haben. Die heutige Abstimmung ist ein starkes Signal an die Europäische Kommission, dass wir Glyphosat ein für alle Mal abschaffen müssen. Die Kommission sollte jetzt auf die europäischen Bürgerinnen und Bürger hören, die in zwei erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiativen das Ende von Glyphosat und schädlichen Pestiziden gefordert haben“.

Glyphosat ist in der EU bis zum 15. Dezember 2022 zugelassen. Die EFSA kündigte im Mai diesen Jahres an, ihre Schlussfolgerungen zu Glyphosat um ein Jahr zu verschieben. Am 14. Oktober gab der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (ScoPAFF) jedoch kein grünes Licht für den Vorschlag der Kommission, die derzeitige Zulassung von Glyphosat um ein Jahr zu verlängern. Die EU-Kommission legte daraufhin Berufung ein, und der Vermittlungsausschuss trat darum heute am 15. November 2022 zur Abstimmung zusammen. Im Ausschuss kam keine Mehrheit für den Vorschlag der Kommission zustande – das ist ein Zeichen für eine kritische Haltung einiger Mitgliedstaaten – wie Deutschland – gegenüber Glyphosat.

Damit ist der Ball erst einmal wieder bei der EU Kommission, die im Fall einer nicht qualifizierten Mehrheit Glyphosat um ein Jahr verlängern kann. Im Falle einer Verlängerung der aktuellen Zulassung um ein Jahr würden die Vertreter der Mitgliedstaaten in der zweiten Jahreshälfte 2023 auf Grundlage der dann vorliegenden Schlussfolgerungen der EFSA und des Kommissionsvorschlags über die Zukunft von Glyphosat entscheiden.

Mehr dazu: siehe Pressemeldung von PAN Europe von heute.




Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen vor Pestizidbelastungen reichen nicht aus

Hamburg, 4. Oktober 2022. Pressemitteilung. Eine neue Studie, die in der italienischen Provinz Bozen-Südtirol durchgeführt wurde, zeigt, dass trotz der von den lokalen Behörden ergriffenen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung immer noch synthetische Pestizide, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt schaden können, auf Kinderspielplätzen und Schulhöfen nachgewiesen werden.

Die Studie [1,2], eine Zusammenarbeit von Experten der Health and Environment Alliance (HEAL), des Pesticide Action Network (PAN) Europe, PAN Germany und der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU), wurde in einer der wichtigsten europäischen Anbauregionen für Äpfel und Wein durchgeführt. Die Forscher untersuchten die offiziellen Daten von 306 Grasproben, die zwischen 2014 und 2020 auf 88 nicht landwirtschaftlich genutzten öffentlichen Flächen wie Kinderspielplätzen und Schulhöfen gesammelt wurden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die bestehenden lokalen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidabdrift in der Region nicht wirksam genug sind, um die Pestizidexposition in öffentlichen Räumen zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen gehören Warnschilder und Einschränkungen der Pestizidausbringung in Bezug auf Tageszeit und Entfernung [3].

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Trotz eines leichten Rückgangs der gemessenen Pestizidrückstände zwischen 2014 und 2020 konnten an 73 % der beprobten Standorte immer noch Rückstände von mindestens einem Pestizid nachgewiesen werden, und im Jahr 2020 wurden an 27 % der Standorte Mehrfachrückstände gefunden.
  • Fluazinam, ein Fungizid, das im Verdacht vorgeburtliche Schäden zu verursachen, und das in Tierversuchen mit Krebs in Verbindung gebracht wurde, wurde an 74 % der kontaminierten Standorte nachgewiesen. Andere bedenkliche Pestizide wurden ebenfalls häufig nachgewiesen, so das Fungizid Captan (60 %) und das Insektizid Phosmet (49 %).
  • Der prozentuale Anteil der Rückstände von Pestiziden, die als schädigend für die menschliche Fortpflanzung klassifiziert sind, ist deutlich gestiegen, und zwar von 21 % im Jahr 2014 auf 88 % im Jahr 2020. Der Prozentsatz der Rückstände von Pestiziden mit spezifischer Organtoxizität, stieg ebenfalls von 0 % im Jahr 2014 auf 21 % im Jahr 2020 [4].
  • Der Prozentsatz der Stoffe mit Potenzial zur Hormonschädigung (89 %) oder zur Verursachung von Krebs (45 %), blieb während des Untersuchungszeitraums unverändert.
  • Würden diese Konzentrationen von Pestizidrückständen in lokal angebauten Lebensmitteln gefunden, so lägen sie um ein Vielfaches über den Werten, die in der EU als sicher für den Verzehr gelten.
  • Der Prozentsatz der nachgewiesenen Pestizidrückstände mit akuter Toxizität für Honigbienen blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums hoch.

Diese Ergebnisse stützen sich auf eine frühere Studie, in der Pestizidrückstände in Entfernungen zwischen 5 und 600 Metern von den landwirtschaftlichen Standorten, an denen sie ursprünglich eingesetzt wurden, nachgewiesen wurden [2].

„Eine konsequente Überwachung ist unabdingbar, um die Effizienz von Minderungs-maßnahmen und die Verringerung potenzieller Risiken für Mensch und Umwelt durch gefährliche Pestizide zu gewährleisten“, betont Dr. Caroline Linhart, Hauptautorin der Studie.

In der Europäischen Union werden bei der Risikobewertung von Pestiziden Vorhersagemodelle verwendet, um deren Verteilung in der Umwelt abzuschätzen. Diese Modelle berücksichtigen jedoch keine Daten aus der Praxis.

„Unsere Daten zeigen, dass die offiziellen Risikobewertungen die tatsächliche Exposition von Nicht-Zielorganismen, einschließlich des Menschen, gegenüber Pestiziden zu unterschätzen scheinen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das, was wir in dieser Studie gezeigt haben, höchstwahrscheinlich die Situation in anderen Regionen mit intensiver Apfel- und Weinproduktion in Europa und weltweit widerspiegelt“, erklärt Professor Johann Zaller, Mitautor von der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU).

„Die Daten deuten darauf hin, dass es in Regionen mit geringem Abstand zwischen Hausgärten und intensiv behandelten Flächen wie Obstplantagen immer wieder zur Kontamination der Gärten und des dort angebauten Obstes und Gemüses kommt. Das EU-Pestizidrecht von 2009 schreibt vor, alle als besonders gefährlich eingestuften Pestizide („Substitutionskandidaten“) durch weniger gefährliche, am besten durch nicht-chemische Verfahren zu ersetzen. Die Befunde zeigen die Dringlichkeit, diese Regelung endlich umzusetzen“, sagt Mitautor Dr. Peter Clausing, Toxikologe und wissenschaftlicher Berater des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany).

Die Ergebnisse der Studie kommen kurz nachdem die Europäische Kommission einen Entwurf für eine neue Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) veröffentlicht hat. Darin werden rechtsverbindliche Reduktionsziele festgelegt, um den Einsatz von Pestiziden in allen EU-Mitgliedsstaaten bis 2030 zu halbieren, insbesondere von solchen, die bekanntermaßen gesundheitsgefährdend sind. Der Vorschlag zielt auch darauf ab, den Einsatz von Pestiziden in allen „sensiblen“ Gebieten, die von der Allgemeinheit genutzt werden oder von ökologischer Bedeutung sind, sowie in einem Umkreis von drei Metern zu verbieten.

Interessanterweise sind mehrere dieser vorgeschlagenen EU-weiten Maßnahmen weniger streng als die der Landesregierung von Bozen-Südtirol, wo Pestizide mit gefährlichen Eigenschaften nicht in Bereichen eingesetzt werden dürfen, die von der Allgemeinheit und von Kindern genutzt werden, und auch nicht in einem Umkreis von 30 Metern von ihnen.

„Unsere Studie zeigt, dass regionale Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung, selbst wenn sie strenger sind als die von der EU-Kommission vorgeschlagenen, einfach nicht ausreichen, um die Exposition von Kindern und der Allgemeinheit gegenüber Substanzen zu verhindern, die das Potenzial haben, Krebs zu verursachen oder die Fortpflanzung zu schädigen. Eine drastischere Reduzierung aller Pestizide und eine deutliche Ausweitung der vorgeschlagenen Pufferzonen auf mindestens 50 Meter sind dringend erforderlich, um die Gesundheit zu schützen“, erklärt Dr. Angeliki Lyssimachou, Senior Science Policy Officer bei HEAL und Mitautorin der Studie.

Kontakt zu den Autor*innen:

Quellen:

  1. Pesticide drift mitigation measures appear to reduce contamination of non-agricultural areas, but hazards to humans and the environment remain’, Science of the Total Environment volume 854 (2022) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969722059137
  2. Die neue Studie baut auf früheren Untersuchungen auf, die sich mit Pestizidrückständen in Abhängigkeit vom Anwendungsort in Südtirol befasst haben: ‘Pesticide contamination and associated risk factors at public playgrounds near intensively managed apple and wine orchards’, Environmental Science Europe Volume 31 (2019) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-019-0206-0
  3. Im Fall von Bozen-Südtirol hat die Regierung 2014 damit begonnen, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Exposition gegenüber Pestiziden einzuführen. Dazu gehört eine 30-Meter-Pufferzone für Pestizide der Kategorie „hochgefährlich“ für Gesundheit und Umwelt, wenn sie in der Nähe von öffentlichen Flächen, die von Kindern und der Allgemeinheit besucht werden, zum Einsatz kommen. Nur bei zusätzlichen Schutzmaßnahmen (z. B. Barrieren in Form von Bäumen oder Hecken), kann der Abstand auf fünf oder zehn Meter Pufferzonen reduziert werden.
  4. Die Tabellen der Publikation stehen hier zur Verfügung: https://ars.els-cdn.com/content/image/1-s2.0-S0048969722059137-ga1_lrg.jpg

 




Verbesserungen in der Umweltprüfung für Tierarzneimittel müssen jetzt umgesetzt werden

Hamburg, 08.09.2022. Pressemitteilung. Die Europäische Verordnung über Tierarzneimittel verpflichtet die EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem EU-Rat bis zum 28. Januar 2022 einen Bericht zur Durchführbarkeitsstudie über ein Monographiesystem und andere mögliche Alternativen für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Tierarzneimitteln vorzulegen. Dies ist bis heute nicht geschehen, kritisieren PAN Germany, Health Care Without Harm Europe, die Deutsche Umwelthilfe, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Huize Aarde in einem offenen Brief an die EU-Kommission. Die Verbände unterstreichen die Dringlichkeit für die zeitige Einführung eines wirkstoffbasierten Monographiesystems für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Tierarzneimitteln als auch von Humanarzneimitteln und fordern die EU-Kommission auf, den Prozess nicht weiter zu verzögern.

Im Oktober 2021 kam eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zu dem Schluss, dass ein Monographiesystem für Tierarzneimittel gerechtfertigt, verhältnismäßig und langfristig wahrscheinlich auch finanzierbar wäre. Es würde unter anderem den strategischen Ansatz der EU für Arzneimittel in der Umwelt und den Ansatz des Europäischen Green Deals „ein Wirkstoff – eine Bewertung“ unterstützen.

Das geforderte Monographiesystem würde die im Rahmen der Risikobewertung gesammelten Daten bündeln: Das System würde die Gefahrendaten für die Umweltrisikobewertungen optimieren und die Umweltrisikobewertungen konsolidieren, das Wissen über relevante Umweltrisiken verbessern, Doppelprüfungen vermeiden und dem 3-R-Prinzip (Replacement, Reduction und Refinement) entsprechen. Die Studie hat auch ergeben, dass durch ein solches System der behördliche Verwaltungsaufwand verringert würde.

Dennoch hat die EU-Kommission den Termin am 28. Januar 2022 für eine Berichtsveröffentlichung nicht eingehalten. Sieben Monate später gibt es immer noch keinen klaren Zeitplan. Tamara Gripp, Referentin für Landwirtschaft und Umwelt bei PAN Germany, sagt dazu: „Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zeigen eindeutig die Vorteile der Einführung eines wirkstoffbasierten Überprüfungssystems in Form eines Monographiesystems für die Umweltverträglichkeit von Tierarzneimitteln. Die Europäische Kommission muss jetzt ihrer rechtlichen Verpflichtung nachkommen und die Unsicherheiten bezüglich des Umweltschutzniveaus im gegenwärtigen System beseitigen. Dies gilt auch für Humanarzneimittel.“

Aktuell wird der EU Rechtsrahmen für Humanarzneimittel überarbeitet. Ein Regulierungsvorschlag wird für Ende 2022 erwartet. Die unterzeichnenden Organisationen weisen in ihrem gemeinsamen Brief ausdrücklich darauf hin, dass der Wert eines wirkstoffbasierten Monographiesystems in einem breiteren politischen Kontext zu betrachten ist und nicht die Chance vertan werden darf, dieses auch für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Humanarzneimitteln einzusetzen. Im Sinne der Harmonisierung der Gesetzgebungen, und weil in der Human- und Tiermedizin zum Teil dieselben Wirkstoffe eingesetzt werden, sollten unterschiedliche Systeme vermieden werden.

 

 

Kontakt:

Tamara Gripp, MSc. Environmental Management
Referentin Landwirtschaft / Umwelt

E-Mail: tamara.gripp@pan-germany.org