Glyphosat: Antrag auf Widerruf der Wiedergenehmigung abgelehnt, NGOs ziehen vor EU-Gericht

Am 26. Juni 2024 lehnte die Europäische Kommission den formellen Antrag von PAN Europe und 5 seiner Mitglieds-NGOs – darunter PAN Germany – ab, die 10-jährige Wiederzulassung von Glyphosat zu überprüfen. Die NGOs werden nun vor Gericht gehen und haben dafür ein Zeitfenster von zwei Monaten. Parallel zu diesem rechtlichen Verfahren überprüfen die EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Zulassungen für Glyphosat-Produkte. Trotz Genehmigung des Wirkstoffs auf EU-Ebene sind nationale Verbote glyphosathaltiger Pestizid-Produkte rechtlich möglich.

Im Januar 2024 stellten Client Earth, Générations Futures, Global2000, PAN Germany, PAN Netherlands und PAN Europe einen formellen Antrag an die EU-Kommission auf interne Überprüfung der Glyphosat-Wiedergenehmigung. Sie forderten, die Entscheidung über die Wiedergenehmigung des Herbizidwirkstoffs zu revidieren. Hierzu reichten die NGOs eine umfangreiche Dokumentation ein, die die zahlreichen Mängel in der Arbeit der beteiligten EU- Behörden darlegt. Beanstandet wurde zudem, dass die Europäische Kommission eine Reihe relevanter Datenlücken, die von der EFSA festgestellt wurden, außer Acht ließ, was nicht im Einklang mit der Pestizid-Verordnung (EG) 1107/2009 steht.

Trotz der dokumentierten erheblichen Mängel weigerte sich die Kommission, die Wiederzulassung von Glyphosat zu überprüfen und lehnte nun den entsprechenden Antrag der NGOs ab. Zu den von den NGOs dargelegten Mängeln zählen die aus ihrer Sicht fehlerhafte Bewertungen durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bezüglich der Karzinogenität, Genotoxizität, Neurotoxizität, Störungen des Hormonsystems sowie Toxizität für Insekten und Amphibien. Sie kritisieren, dass die Ergebnisse unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen systematisch ignoriert oder ihnen ein weitaus geringeres Gewicht beigemessen wurde als den teilweise jahrzehntealten Studien der Industrie. Darüber hinaus weigere sich die Kommission nach wie vor, die Toxizität einer repräsentativen Formulierung (d. h. eines Herbizids auf Glyphosatbasis) zu bewerten, um die synergistischen Effekte der Mischung aus Glyphosat und Beistoffen zu beurteilen.

Angeliki Lyssimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, sagt: „Zahlreiche Beweise zeigen eindeutig, dass Glyphosat-Pestizide Mensch und Umwelt schädigen können, was ihr Verbot nach EU-Recht rechtfertigt. Dennoch spielen die EFSA, die ECHA und die Europäische Kommission diese Fakten weiterhin herunter. Die Antwort der Kommission bestätigt ihren Unwillen, das hohe Schutzniveau, das die demokratisch legitimierte EU-Pestizidverordnung vorschreibt, wirklich einzuhalten. Wir fordern den Europäischen Gerichtshof auf, zu intervenieren und die Kommission zu zwingen, sich an ihre eigenen Regeln zu halten“.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany sagt: „Es ist überfällig, das Mantra der Behörden, dass die Einstufung von Glyphosat als „nicht krebserregend“ auf der ausgewogenen Bewertung aller vorliegenden Beweise basiere, einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Denn aus wissenschaftlicher Sicht ist das nicht haltbar.“

Nach der Wiedergenehmigung des Wirkstoffs durch die EU müssen die Mitgliedstaaten innerhalb von 15 Monaten eine nationale Entscheidung über die Wiederzulassung von Produkten treffen. Wie kürzlich in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs angemahnt, dürfen die Mitgliedstaaten die Produkte nicht wieder zulassen, wenn sie Zweifel an der Sicherheit der Produkte haben. Angesichts der zahlreichen Beweise für die Schädlichkeit von Glyphosat-Pestiziden für Mensch und Umwelt sollten die Mitgliedstaaten nationale Verbote durchsetzen. Dass nationale Verbote im Einklang mit den gültigen Rechtsvorschriften stehen, zeigen ein Anfang des Jahres veröffentlichtes Rechtsgutachten der Heinrich-Böll-Stiftung (PAN Germany berichtete) sowie ein heue veröffentlichter neuer Leitfaden  von PAN Europe. PAN Europe teilte diese Informationen heute schriftlich mit den Minister*innen für Umwelt, Gesundheit und für Landwirtschaft der EU-Mitgliedsstaaten und forderte sie auf, sich der rechtswidrigen Verlängerung der nationalen Zulassungen von Herbiziden auf Glyphosatbasis zu widersetzen.

Mehr dazu: PAN Europe Press Release 27/06/2024: Glyphosate EU Commission rejects request to cancel re-approval, NGOs go to EU court

 

 




EU-Rat stimmt für Gesetz zur Rettung der Natur

Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO, „Nature Restoration Law“) hat nach langen Verhandlungen und Kompromissen endlich am 17. Juni 2024 im EU-Umweltministerrat die letzte Hürde genommen. Mit einer knappen Mehrheit von 20 Ländern – darunter Deutschland -, die 66 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, wurde dieses wichtige Gesetz angenommen. Die Verordnung zielt darauf ab, geschädigte Ökosysteme in der EU wiederherzustellen. Damit wird auch der Forderung von mehr als 1 Million Menschen Rechnung getragen, die im Rahmen der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ Maßnahmen zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt gefordert hatten.

Derzeit sind über 80 Prozent der Ökosysteme in der EU in einem schlechten Zustand. Die Verordnung legt rechtsverbindlich fest, dass 20 Prozent der geschädigten Land- und Meeresökosysteme in der EU bis 2030 und alle Ökosysteme bis 2050 wiederhergestellt werden müssen. Dafür müssen die EU Mitgliedsstaaten bis 2030 mindestens 30 Prozent und bis 2050 90 Prozent der unter die Verordnung fallenden Lebensräume von einem schlechten in einen guten Zustand versetzen. Darunter fallen Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete, Flüsse und Seen. Die EU-Staaten müssen außerdem sicherstellen, dass sich der Zustand dieser Gebiete nach der Wiederherstellung nicht verschlechtert. Die Details der Umsetzung sollen die Mitgliedstaaten jeweils in nationalen Wiederherstellungsplänen innerhalb der nächsten zwei Jahre erarbeiten. „Ein Prozess bei dem die gesamte Gesellschaft beteiligt wird“, so Bundesumweltministerin Steffi Lemke in ihrem ersten kurzen Statement zur Entscheidung.

Aus Sicht von PAN Germany müssen ambitionierte Maßnahmen im Kampf gegen den Schwund der biologischen Vielfalt und die Klimakrise auf Grundlage des Gesetzes initiiert und ohne weitere Verwässerungen umgesetzt werden. Dies sollte mit der dringenden Reduzierung des Pestizideinsatzes einhergehen. Das angekündigte „Zukunftsprogramm Landwirtschaft“ des BMEL sollte entsprechend kohärent die Ziele der WVO mit aufgreifen.

Grundlegende ökologische Prozesse zum Erhalt gesunder Böden, sauberer Wasserressourcen und funktionierender Nährstoffkreisläufe hängen von der biologischen Vielfalt ab. Intakte Ökosysteme sind zudem wichtig, um die Folgen der Klimakrise abzumildern, indem sie beispielsweise den Wasserrückhalt erhöhen und einen besseren Schutz gegen extreme Wetterbedingungen bieten. Intakte Ökosysteme sind auch wichtig, um die Lebensgrundlage der Menschen zu sichern und eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Von der Leyens Europäische Volkspartei (EVP) führte während der Verhandlungen eine beispiellose Desinformationskampagne gegen den Verordnungsentwurf. Argumentiert wurde mit einer angeblichen Bedrohung der Ernährungssicherheit, einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, einem Anstieg der Importe, steigenden Lebensmittelpreisen und sogar der Androhung der Enteignung von Landwirten. Nicht nur die Umweltverbände versuchten mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, sondern tausende Wissenschaftler*innen unterstützten die wissenschaftliche Faktenlage. Im Februar 2024 nahm das EU-Parlament den Kompromisstext an, nun folgte die abschließend notwendige Zustimmung des EU-Rats.

Die Kompromisse in der endgültigen Fassung bedeuten allerdings erhebliche Abschwächungen bei den Anforderungen an den Agrarsektor. Es wurde unter anderem eine Notfallklausel in den Gesetzestext aufgenommen, die es ermöglicht, die Ziele für landwirtschaftliche Ökosysteme „unter außergewöhnlichen Umständen“, nämlich wenn die Ernährungssicherheit als gefährdet angesehen wird, auszusetzen. Zu den Zielen, die erreicht werden sollen, zählen eine Zunahme der biologischen Vielfalt in Agrarökosystemen und eine Trendumkehr beim dramatischen Verlust an Feldvögelpopulationen. Zudem verpflichtet das Gesetz die Mitgliedsstaaten, den Rückgang der Bestäuberpopulationen spätestens bis 2030 umzukehren und deren Artenvielfalt zu verbessern. Nach 2030 sollen die Bestände wachsen, die Mitgliedstaaten müssen den Fortschritt hierbei alle sechs Jahre prüfen.

Trotz Abschwächungen und vieler offener Fragen bezüglich der Umsetzung und nach vielen Rückschritten beim Umwelt- und Biodiversitätsschutz in den vergangenen Monaten, ist die Zustimmung des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten im Rat zum Nature Restoration Law ein wichtiger Schritt hin zur Wiederherstellung unserer Lebensräume, zum Wohle künftiger Generationen.

Mehr dazu:

PAN Europe Press Release „Historical step: EU Nature Restoration Law finally adopted, important demand of European citizens‘ initiative Save Bees and Farmers”

Informationsseite des BMUV zur EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO)




Weitverbreitete Wasserverschmutzung durch langlebiges Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden

Eine von Mitgliedsorganisationen des Europäischen Pestizid Aktions-Netzwerks, darunter PAN Germany, durchgeführte gemeinsame Untersuchung von 23 Oberflächen- und sechs Grundwasserproben in zehn EU-Ländern zeigt alarmierende Werte der wenig bekannten und weitgehend unregulierten „Ewigkeitschemikalie“ TFA (Trifluoracetat). Die Belastung steht weniger im Zusammenhang mit industriellen Hotspots, sondern ist weit verbreitet, mit bemerkenswert hohen Konzentrationen in landwirtschaftlichen Gebieten.

TFA ist ein Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden, F-Gasen und von anderen sogenannten „Ewigkeitschemikalien“ (PFAS). Die in den Wasserproben gefundenen Konzentrationen betrugen im Durchschnitt 1.180 Nanogramm pro Liter (ng/l). Dies ist 70 Mal höher als die durchschnittliche Konzentration aller anderen untersuchten PFAS zusammen, einschließlich der bekannten „Hot-Spot“-PFAS. In 23 der 29 Wasserproben (79 %) überstieg die TFA-Konzentration den in der EU-Trinkwasserrichtlinie vorgeschlagenen Grenzwert für PFAS insgesamt. Der höchste TFA-Wert konnte in der Elbe bei Hamburg mit einem Wert von 3.300 ng/l festgestellt werden.

Die Daten zeichnen ein alarmierendes Bild der weit verbreiteten Wasserverschmutzung durch eine wenig bekannte, aber sehr persistente und sehr mobile „Ewigkeitschemikalie“. Bislang wurde das PFAS-Problem vor allem als Problem hoch kontaminierter, aber lokal begrenzter Hotspots verstanden. Jetzt zeigt sich eine weitreichende Belastung mit TFA in Gewässern.

Das Umweltbundesamt (UBA) hat kürzlich PFAS-Pestizide als die wahrscheinlich wichtigste Quelle für die TFA-Wasserverschmutzung in ländlichen Gebieten identifiziert. Die EU-Pestizidverordnung schreibt vor, dass Pestizide nur dann zugelassen werden dürfen, wenn ihre Wirkstoffe und „relevanten Metabolite“ Konzentrationen von 100 ng/l im Grundwasser nicht überschreiten. TFA wurde allerdings vor über 20 Jahren als ein sog. „nicht-relevanter Metabolit“ von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA eingestuft und ist somit bislang von allen Überwachungspflichten und -grenzwerten ausgenommen.

„Die katastrophale Entscheidung der EFSA, die Grundwasserkontamination durch TFA zu vernachlässigen, sicherte den Herstellern die Vermarktung von PFAS-Pestiziden und legte den Grundstein für die wohl größte und weitreichendste Kontamination des europäischen Oberflächen- und Grundwassers durch eine vom Menschen hergestellte Chemikalie in der Geschichte“, so Salomé Roynel, Policy Officer bei PAN Europe in der englischsprachigen Pressemitteilung.

Aber auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie hat diese Kontamination nicht verhindert, obwohl in Artikel 4 die Mitgliedstaaten ausdrücklich aufgefordert werden, „die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um jede signifikante und anhaltende steigende Tendenz der Konzentration eines Schadstoffs, die auf die Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten zurückzuführen ist, umzukehren“. Nach Sicht von PAN hätten diese gesetzlich geforderten „notwendigen Maßnahmen“ zweifellos ein Verbot von PFAS-Pestiziden und den so genannten F-Gasen nach sich ziehen müssen. F-Gase gelangen in Tausenden von Tonnen aus industriellen Kühlmitteln in die Atmosphäre und dann als TFA über den Regen in den globalen Wasserkreislauf.

Der Beweis für die gefährlichen Eigenschaften von TFA wurde kürzlich in einer von der Industrie in Auftrag gegebenen Tierstudie erbracht, in der TFA schwere Missbildungen bei Kaninchenbabys verursachte, deren Mütter während der Schwangerschaft TFA ausgesetzt waren. Auf Initiative Deutschlands wird die ECHA prüfen, ob TFA als reproduktionstoxisch eingestuft werden soll.

Das Ausmaß der festgestellten TFA-Kontamination erfordert rasches und entschiedenes Handeln. PAN Europe, PAN Germany und die anderen beteiligten Mitgliedsorganisationen fordern deshalb

  • ein rasches Verbot von PFAS-Pestiziden,
  • die Umsetzung der allgemeinen PFAS-Beschränkung im Rahmen der REACH-Chemikalienverordnung,
  • die Einstufung von TFA als „prioritärer Stoff“ im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie,
  • und ein umfassendes Monitoring mit Überwachungspflichten und Grenzwerten für TFA.

 

Bericht „TFA in Wasser -Schmutziges PFAS-Erbe unter dem Radar“

Report „TFA in Water – Dirty PFAS Legacy under the Radar”

PAN Europe Pressemitteilung (engl.)

Mehr dazu: Eine kürzlich veröffentlichte Studie von PAN Europe und Partnerorganisationen analysierte das Ausmaß an Rückständen von PFAS-Pestiziden in Lebensmitteln: PAN Germany berichtete




Zum Wohl der Umwelt, Gesundheit und Betriebe: Pestizidreduktion ist kein Selbstzweck

PAN Germany nimmt Stellung zur BMEL-Diskussionsgrundlage „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“

Seit Jahren schafft Deutschland es nicht, trotz entsprechender EU-Vorgaben, die Anwendung chemisch-synthetischer Pestizide wirksam zu reduzieren. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter Bundesminister Cem Özdemir hat nun Verbände eingeladen, sich an der Ausarbeitung eines „Zukunftsprogramms Pflanzenschutz“ zu beteiligen und eine entsprechende Diskussionsgrundlage erstellt. Hierin bekennt sich das BMEL zu den Pestizidreduktionszielen der Farm-to-Fork-Strategie der EU, die eine 50% Pestizidreduktion vorsieht.

PAN Germany begrüßt die Initiative des BMEL, sieht aber dringenden Nachbesserungsbedarf hinsichtlich Konkretisierung, Priorisierung, Kommunikation und Finanzierung der im Diskussionspapier vorgestellten Maßnahmen. PAN Germany hat dies detailliert in seiner Stellungnahme und im Verbund mit dreizehn weiteren Umwelt- und Agrarverbänden in einem gemeinsamen Offenen Brief an Bundesminister Özdemir und einer begleitenden gemeinsamen Pressemitteilung deutlich gemacht.

PAN Germany

  • betont, dass der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide Menschen, Natur und Umwelt in einem Maß belastet, der nicht kompensierbar ist und dass der Verlust an biologischer Vielfalt, zentrale Ökosystemfunktionen gefährdet, die Funktionen und Fruchtbarkeit von Böden reduziert und unsere Ernährungssicherheit bedroht.
  • begrüßt das Bekenntnis zu den 50% Pestizidreduktionszielen der EU Farm-to-Fork Strategie,
  • fordert, dass auch das zweite Ziel, die Reduktion der besonders gefährlichen Pestizide aufgenommen wird,
  • verweist auf die Zusagen im Koalitionsvertrag, „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern zu wollen“, und kritisiert angesichts der weit fortgeschrittenen Legislaturperiode die späte Vorlage der Diskussionsgrundlage.
  • vermisst in der Diskussionsgrundlage eine bessere Kommunikation dessen, dass eine Reduktion der chemisch-synthetischen Pestizide auch im Eigeninteresse der Landwirtschaft ist und bei entsprechender Ausgestaltung durchaus die bürokratische Belastung der Betriebe reduzieren kann,
  • begrüßt das Ziel, externe Kosten des Pestizideinsatzes zu internalisieren und plädiert für die Einführung einer Pestizidabgabe ohne weitere Verzögerungen,
  • begrüßt das Ziel, die Öko-Landbaufläche auf 30% auszubauen und sieht im Ausbau der Ökofläche die beste Maßnahme, um nicht nur dauerhaft die Ausbringung chemisch-synthetischer Pestizide zu reduzieren, sondern auch, weil der Ökologische Landbau sich auch darüber hinaus vielfältig positiv im Sinne des Gemeinwohls auswirkt.
  • kritisiert, dass unklar bleibt, woher die notwendige finanzielle Unterstützung zur Erreichung des Ziels 30% Öko-Landbaufläche kommen soll. Maßnahmen müssen aus Sicht von PAN die wirtschaftliche Planbarkeit für die Agrarbetriebe verbessern und insgesamt die Entscheidung für eine Umstellung konventioneller Betriebe auf den ökologischen Landbau erleichtern. Hierzu macht PAN Vorschläge im Sinne eines Maßnahmenbündels.
  • begrüßt die in Aussicht gestellte Überarbeitung der guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz (gfP) im Sinne eines vorsorgenden, integrierten Pflanzenschutzes und sieht darin eine Maßnahme, die zeitlich noch sehr gut vor Ablauf der Legislaturperiode realisiert werden kann und
  • wünscht sich ein entschlossenes Handeln gegen den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden im Haus- und Kleingarten (HUK).

Weitere Forderungen und Vorschläge von PAN Germany zur Ausarbeitung des Zukunftsprogramms – unter anderem zum Integrierten Pflanzenschutz, für einen besseren Schutz von Gewässern inklusive Trinkwasser, zum digitalen Anwendungskataster, zu Verbesserungen bei der Mittelzulassung wie einem  Nachzulassungsmonitoring und weiteren wichtigen Aspekten, finden sich in unserer ausführlichen Stellungnahme

 Hintergründe / Zum Weiterlesen:

Offener Brief der Verbände an Bundesminister Özdemir zum Zukunftsprogramm Pflanzenschutz

Gemeinsame Pressemitteilung der Verbände vom 6. Mai 2024

PAN Stellungnahme zur BMEL Diskussionsgrundlage für ein Zukunftsprogramm Pflanzenschutz

BMEL Diskussionsgrundlage für die Erarbeitung eines „Zukunftsprogramms Pflanzenschutz“




UN-Versammlung stimmt für Beendigung des Einsatzes der giftigsten Pestizide der Welt

In einem historischen Schritt hat die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) am Freitag 1.3.24 in Nairobi dazu aufgerufen, bis 2035 auf den Einsatz der weltweit giftigsten Pestizide zu verzichten. Die UNEA Resolution on highly hazardous pesticides ist ein wichtiger Beitrag dazu, stärkere nationale und multilaterale Maßnahmen zum Ausstieg aus hochgefährlichen Pestiziden voranzutreiben.

Die als hochgefährliche Pestizide (HHP) bezeichneten Agrarchemikalien verursachen erhebliche Umweltschäden und stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit dar. Die Exposition gegenüber HHPs wird unter anderem mit Krebs, der Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung bei Kindern, Fortpflanzungsschäden und Störungen des Hormonsystems in Verbindung gebracht. Der Aufruf zum Handeln der UNEA wurde von afrikanischen Ländern initiiert, wobei Äthiopien eine führende Rolle einnahm. Verterter*innen von PAN waren in Nairobi vertreten und unterstützten die Resolution nach Kräften.

PAN setzt sich seit mehr als einem Jahrzehnt für ein schrittweises Verbot von HHPs weltweit ein und wird dabei von Hunderten von Organisationen weltweit unterstützt. Basierend auf der PAN International List of Highly Hazardous Pesticides konnte das International Pollution Elimination Network (IPEN) jüngst belegen, dass die meisten hochgefährlichen Pestizide, die in wohlhabenderen Ländern verboten bzw. strenger reguliert sind, in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen (LMIC) noch immer weit verbreitet zum Einsatz kommen. In einigen dieser Länder sind fast 70 % der zugelassenen Pestizide HHPs, so der IPEN Bericht. Von den in der EU im Jahr 2022 insgesamt 250 verboten oder nicht genehmigten HHPs, waren in 31 der untersuchten LMICs durchschnittlich nur 25 HHPs verboten. Das bedeutet, dass in diesen Ländern mehr als zweihundert HHPs zur Verwendung zugelassen sind, die in der EU aus Umwelt-oder Gesundheitsgründen verboten wurden.

Mit der UNEA Resolution on highly hazardous pesticides gibt es innerhalb kürzester Zeit ein weiteres Bekenntnis zum Handeln gegen hochgefährlicher Pestizide auf globaler Ebene – nach der Verabschiedung verpflichtender Pestizidreduktionsziele im Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal 2022 und der Festschreibung von Zielen zum Phase-out von HHPs und der Etablierung einer globalen HHP Allianz, um dies zu unterstützen, durch die Weltchemikalienkonferenz 2023 in Bonn (wir berichteten).

Damit jetzt die notwendigen Taten folgen, sind Staaten aufgerufen, sich an der HHP-Allianz zu beteiligen. Zudem bedarf es finanzieller und technischer Unterstützung für die Landwirte, Bäuerinnen und Landarbeiter, um den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden nachhaltig und zukunftssicher durch pflanzenbauliche, mechanische und agrarökologische Alternativen zu ersetzen.

Presse-Information von PAN International und IPEN, 1.3.24: UN Environment Assembly Calls for Action to End the Use of the World’s Most Toxic Pesticides by 2035.




Europäische Bevölkerung ist über Obst und Gemüse zunehmend PFAS-Pestiziden ausgesetzt

Hamburg / Brüssel, 27.02.2024. Pressemitteilung.
Ein heute veröffentlichter Bericht des Europäischen Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Europe) und seinen Mitgliedsgruppen enthüllt eine bittere Wahrheit: Europäische Bürger*innen sind über ihre Lebensmittel zunehmend Cocktails von PFAS-Pestiziden ausgesetzt. Der Anteil dieser für Gesundheit und Umwelt hoch problematischen Stoffe hat sich in den untersuchten Lebensmitteln in nur einem Jahrzehnt nahezu verdreifacht. Dies ergibt die Auswertung der Befunde aus dem amtlichen EU-Monitoring von Pestizidrückständen in Lebensmitteln der Jahre 2011 bis 2021,   in dem heute vorgestellten Bericht „Toxic Harvest: The rise of forever pesticides in fruit and vegetables in Europe“.

Die Ergebnisse geben Anlass zu ernster Sorge für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Als Reaktion darauf fordern die herausgebenden Organisationen ein zügiges EU-weites Verbot aller PFAS-Pestizide.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Studie gehören:

  • Zwischen 2011 und 2021 wurden in Obst und Gemüse in der EU Rückstände von 31 verschiedenen PFAS-Pestiziden nachgewiesen;
  • Die Zahl der Obst- und Gemüsesorten, die Rückstände von mindestens einem PFAS-Pestizid enthalten, hat sich in der EU innerhalb von 10 Jahren verdreifacht;
  • Im Jahr 2021 waren in Europa angebaute Früchte wie Erdbeeren (37 %), Pfirsiche (35 %) und Aprikosen (31 %) besonders häufig kontaminiert und enthielten oft Cocktails aus drei bis vier verschiedenen PFAS in einer einzigen Probe;
  • Innerhalb der EU stammen die am stärksten mit PFAS-kontaminierten Lebensmitteln aus den Niederlanden, Belgien, Österreich, Spanien, Portugal und Griechenland, bei den in die EU importierten Lebensmitteln aus Costa Rica, Indien und Südafrika.

In den deutschen Obst- und Gemüseproben wurden insgesamt 26 verschiedene PFAS-Pestizide detektiert, dabei sind auch deutsche Produkte betroffen wie Erdbeeren oder Blattsalat. „Das am häufigsten in Deutschland nachgewiesen PFAS-Pestizid ist das Insektizid lambda-Cyhalothrin. Der Wirkstoff ist immer noch in 22 Mitteln zugelassen, obwohl er als sogenannter „Substitutionskandidat“ längst hätte durch weniger problematische Alternativen ersetzt werden sollen. Außerdem bilden viele von den PFAS-Pestiziden das für unsere Trinkwasserressourcen problematische Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA)“, kritisiert Susanne Smolka, Referentin für Pestizide und Biozide beim Pestizid Aktions-Netzwerk Germany.

 „Die Daten zeigen eindeutig, dass wir ein Problem haben. Obst und Gemüse sollte rückstandsfrei produziert werden, und in der Umwelt sollten die sehr langlebigen Pestizide und deren Abbauprodukte nicht vorkommen. Sie sind ein bleibendes Risiko.“ betont Lars Neumeister, Pestizidexperte.

„Unsere Studie zeigt, dass europäische Konsument*innen einem Cocktail von PFAS-Pestiziden in Obst und Gemüse ausgesetzt sind“, erklärt Salomé Roynel, Policy Officer bei PAN Europe und Studienkoordinatorin: „Wenn man sich die am häufigsten nachgewiesenen PFAS-Pestizide genauer ansieht, sind die Beweise für ihre Persistenz in der Umwelt und ihre Toxizität für den Menschen gut dokumentiert. Dazu zählen insbesondere Risiken für ungeborene Kinder, Hirnschäden, Beeinträchtigung des Immunsystems, hormonelle Störungen und Krebs.”

Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), die wegen ihrer außergewöhnlichen Langlebigkeit als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden, verursachen erhebliche Umwelt- und Gesundheitsrisiken, besonders  für empfindliche Gruppen wie Kinder und Schwangere, so die Europäische Umweltagentur. Sie verschmutzen Wasserressourcen und reichern sich in Böden an, belasten Nahrungsmittelpflanzen und lebende Organismen. Der aktuelle Bericht zeigt, dass die europäische Landwirtschaft zu dieser PFAS-Belastung beiträgt.

Im Rahmen des European Green Deal hat sich die Europäische Union verpflichtet, PFAS-Chemikalien im Einklang mit ihrem Ziel einer schadstofffreien Umwelt schrittweise zu verbieten. Im Februar 2023 veröffentlichte die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) einen Vorschlag für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und der Einfuhr von mindestens 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Nicht erfasst von diesem Vorschlag sind allerdings jene 37 von der ECHA als PFAS eingestufte, derzeit in der EU genehmigte Pestizidwirkstoffe, da deren Zulassung in der EU-Pestizidverordnung “geregelt” werde.

„Landwirt*innen sind sich wohl selten bewusst, dass sie unter anderem „ewige Pestizide“ auf ihre Pflanzen und damit in die Umwelt sprühen, denn dies wird auf dem Etikett nicht angegeben. Rund 16 % aller genehmigten synthetischen Pestizide in der EU sind PFAS-Pestizide. Sie müssen schnellstens verboten und am besten durch nicht-chemische,  biologische und agrarökologische Pflanzenschutzmethoden ersetzt werden“, so Susanne Smolka abschließend.

Zur Studie:

Die Studie konzentriert sich auf Obst und Gemüse aus konventionellem (d.h. nicht ökologischem) Anbau. Sie stützt sich auf amtliche Überwachungsdaten von Pestizidrückständen in Lebensmitteln aus den Mitgliedstaaten, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, um eine repräsentative Exposition der EU-Verbraucher widerzuspiegeln. Die Analyse erfolgte sowohl für die europäische Ebene (nach Aggregation aller nationalen Daten) als auch für jeweils acht verschiedene Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Niederlande, Spanien). Der Bericht stellt die Ergebnisse der Studie vor. Er wird in Zusammenarbeit mit Ecocity, Ecologistas en Acción, Magyar Természetvédők Szövetsége (Friends of the Earth Hungary), Générations Futures, Global 2000 (Friends of the Earth Austria), PAN Netherlands,  Nature & Progrès Belgique und PAN Germany veröffentlicht.

Links zu den Materialien:

Weitere Informationen:

Pressekontakte: 




NGO-Statement: Die EU muss die Pestizidreduktion umsetzen!

Am 6. Februar 2024 kündigte die Europäische Kommission an, dass sie ihren Vorschlag für eine Verordnung über die nachhaltige Nutzung von Pestiziden (Sustainable Use Regulation, SUR) zurückziehen werde. Damit werden dringend notwendige Maßnahmen zur Verringerung des Einsatzes und der Risiken synthetischer Pestizide in Europa um Jahre verzögert.

125 Organisationen, darunter Umweltgruppen, Imker, Landwirte und Gewerkschaften, haben eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sie das Scheitern der EU bei der Verabschiedung einer ehrgeizigen Verordnung zur Reduzierung von Pestiziden scharf kritisieren. Die Rücknahme ehrgeiziger Umweltziele sei die falsche Antwort auf die Mobilisierung der Landwirte in ganz Europa und wird die Landwirtschaft nur weiter in nicht nachhaltigen Praktiken festhalten, die die Gesundheit der Landwirte beeinträchtigen und gleichzeitig die biologische Vielfalt und die Ökosysteme zerstören, von denen unsere Lebensmittelproduktion abhängt.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft – darunter PAN Germany – fordern die Europäische Kommission auf, sich weiterhin auf die wirklichen Probleme der Landwirte zu konzentrieren, einschließlich fairer Einkommen, und gleichzeitig den Übergang zu widerstandsfähigen Lebensmittelsystemen zu beschleunigen und den Zugang zu sicheren und gesunden Lebensmitteln für alle zu gewährleisten.

Eine ehrgeizige Verordnung auf europäischer Ebene zur Verringerung des Pestizideinsatzes, die mit den „Farm to Fork“-Zielen und den globalen Biodiversitätszielen für die Zeit nach 2020 in Einklang steht, ist dringend erforderlich. Dies muss eine Priorität für die EU-Kommission auch des nächsten EU-Mandats nach der Europawahl im Juni 2024 bleiben.

Joint Statement: The EU must make pesticide reduction a reality!




Von der Leyen will Gesetzentwurf zur Pestizidreduktion zurückziehen

Mit der Ankündigung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Entwurf für die Pestizidreduktionsverordnung SUR zurückzuziehen, sendet die EU falsche Signale in einer Zeit, in der tagtäglich neue Erkenntnisse zur Bedeutung chemisch-synthetischer Pestizide für den Artenverlust, die Belastung unserer Ressourcen und Auswirkungen auf die Gesundheit publiziert werden.

Bei ihrer gestrigen Rede im Europäischen Parlament, bei der Präsidentin Von der Leyen das Ende der Gesetzesinitiative für eine nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR) ankündigte, sprach sie von Vertrauen und Polarisierung: „Wir sollten ihnen [den Landwirten] mehr Vertrauen schenken. Lassen Sie mich Ihnen dazu ein Beispiel geben. Die Kommission hat eine Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vorgeschlagen – mit dem legitimen Ziel, die Risiken der Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel zu verringern. Doch der Vorschlag hat polarisiert.“

Polarisiert haben aus PAN-Sicht die Klientellobbyisten. Allen voran diejenigen von der Pestizidindustrie und die loyal an ihrer Seite stehenden konventionellen Bauernverbände, die sich vorrangig für die chemieintensive, industrielle Landwirtschaft einsetzen, aber nichts gegen das Höfesterben, die umweltschädigenden Agrarsubventionen und die unfairen Vermarktungsstrukturen tun. Sie haben, nachdem der SUR-Vorschlag im Juni 2022 von der EU-Kommission veröffentlicht wurde, alles darangesetzt, Ängste bei Landwirt*innen und Politiker*innen in der EU zu schüren, und sie haben die Notwendigkeit für verbindlicher Maßnahmen und Reduktionsziele bestritten – entgegen wissenschaftlicher Evidenz.

Tausende Wissenschaftler haben sich für die SUR eingesetzt und den falschen Narrativen der Lobbyist*innen wissenschaftliche Erkenntnisse entgegengesetzt. Denn sie wissen, dass konkrete und verbindliche Reduktionsmaßnahmen notwendig sind , um den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt, dem Schwund an Bestäubern, an Nützlingen und an Bodenfruchtbarkeit entgegenzuwirken, um unsere essentiellen Wasser- und Trinkwasserressourcen zu schützen, und nicht zuletzt, um die Gesundheit der zukünftigen Landwirtinnen und Landwirte zu schützen, die heute in ihren Wohnräumen mit einem überproportionalem Mix an Pestizidrückständen belastet werden, wie u.a. aktuelle Befunde des europäischen SPRINT-Projekts zeigen. Auch viele Menschen in der EU erwarteten und erwarten endlich “Butter bei die Fische“, wie man im hohen Norden sagt, um Artenvielfalt, Gesundheit und Ernährungssicherheit langfristig durch einen Wandel hin zu einer umweltschonenden, zukunftsfähigen Landwirtschaft zu sichern. Im Jahr 2022 unterschrieben über eine Million Bürgerinnen und Bürger die Europäische Bürgerinitiative “Bienen und Bauern retten!“ und forderten die Reduktion chemisch-synthetischer Pestizide um 80% bis 2030 und einen Totalausstieg bis 2035, verknüpft mit einer entsprechenden Unterstützung für die landwirtschaftlichen Betriebe.

Auf Freiwilligkeit und Einsicht wird schon lange in der Pestizidpolitik und im Pestizidrecht gesetzt doch das Vertrauen der Bevölkerung und auch der Wissenschaft hierin wird durch Untätigkeit immer wieder enttäuscht. Die gestrige Entscheidung der EU-Kommissionspräsidentin ist kein gutes Signal für die anstehende Europawahl. Mit Blick auf eine sich verbreitende „Unser Land zuerst“-Mentalität statt einer gemeinsamen Unionspolitik und die absehbaren Mehrheitsverhältnisse, klingen die Worte von Von der Leyen eher wenig hoffnungsvoll, wenn sie darauf verweist, das Thema wäre nicht vom Tisch.

Die Konsequenzen für das Scheitern verbindlicher Reduktionsziele zahlen wir alle, unsere Kinder und unsere Umwelt.

Siehe auch PAN Europe Statement:
Black Day for Health and Biodiversity: EU Commission withdraws proposal for Pesticide Reduction.




Gutachten zeigt: Glyphosat-Ausstieg in Deutschland immer noch möglich

Gemeinsame Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany)

Berlin / Hamburg, 17.1.2024. Trotz der Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene hat die deutsche Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Zulassung glyphosathaltiger Produkte zu verweigern oder ein Anwendungsverbot zu erlassen. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Damit könnte die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen, Glyphosat vom Markt zu nehmen.

Das Rechtsgutachten zeigt, dass die Bundesregierung, basierend auf den Vorgaben der Pflanzschutzmittel-Zulassungsverordnung, trotz Glyphosat-Wiedergenehmigung auf EU-Ebene begründet entscheiden kann, glyphosathaltigen Pestizidprodukten die Zulassung zu verweigern oder für diese ein nationales Anwendungsverbot zu erlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit gesetzlich festgelegter Anwendungsbeschränkungen. Dabei komme es vor allem auf die Begründung an, mit der diese Maßnahmen gerechtfertigt werden. Diese müssten strengen wissenschaftlichen bzw. technischen Begründungsmaßstäben entsprechen, und es brauche Nachweise von konkreten Risiken, so das Gutachten.

Lena Luig, Referentin für Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die jüngste Wiedergenehmigung von Glyphosat in Brüssel war ein herber Rückschlag. Für den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten in der Landwirtschaft, die mit dem krebserregenden Wirkstoff arbeiten, aber auch für die Artenvielfalt. Gerade für die Bodenlebewesen hat Glyphosat nachweislich schädigende Auswirkungen. Dabei sind gesunde Böden unsere Lebensversicherung – wie wir auch in unserem neuen Bodenatlas zeigen.“ Mit dem heute veröffentlichten Gutachten bekomme das Bundeslandwirtschaftsministerium nun konkrete Empfehlungen an die Hand, wie ein Glyphosatverbot doch noch national durchgesetzt werden könne.

Peter Clausing, Toxikologe vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany): „Mit der Wiedergenehmigung von Glyphosat ignoriert die EU-Kommission die vielen inzwischen verfügbaren Belege dafür, dass Glyphosat die menschliche Gesundheit schädigt. Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweislage für die Krebseffekte von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend. Ferner häufen sich überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse über negative Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom und das Nervensystem, die nicht berücksichtigt wurden. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, ihre nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen und den lange angekündigten Glyphosatausstieg umzusetzen.“

Die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat wurde am 28. November 2023 von der EU-Kommission um weitere zehn Jahre verlängert – ohne eine qualifizierte Mehrheit für die Genehmigung unter den Mitgliedstaaten. Mit der Wiedergenehmigung wurde den Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung hinsichtlich Anwendungsbeschränkungen glyphosathaltiger Pestizidprodukte zugewiesen. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Glyphosat bis Ende 2023 „vom Markt zu nehmen“.

Veranstaltungshinweis: Im Rahmen der Grünen Woche in der Heinrich-Böll-Stiftung findet am Freitag, 19. Januar, 10-12 Uhr, folgende Veranstaltung statt: Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schon längst nicht mehr leisten kann. U.a. mit Martin Häusling, MdEP: Mehr Infos und Anmeldung: https://calendar.boell.de/de/event/pflanzenschutz-oder-umweltschmutz

Weiterführende Informationen

Rechtsgutachten „Handlungsspielräume Deutschlands für ein nationales Glyphosatverbot nach EU-Recht“ von Ida Westphal(Ass. iur.) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/2024/01/15/rechtsgutachten-handlungsspielraeume-deutschlands-fuer-ein-nationales-glyphosatverbot

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / TMG Thinktank for Sustainability: Bodenatlas 2024 – Daten und Fakten über eine lebenswichtige Ressource: www.boell.de/bodenatlas

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / PAN Germany: Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft: https://www.boell.de/de/pestizidatlas

Deutsche Zusammenfassung der Studie „Glyphosate and Oxidative Stress: ECHA‘s superficial approach neglects existing hazards“ von Peter Clausing, Siegfried Knasmüller und Christopher Portier: https://pan-germany.org/download/studie-glyphosate-and-oxidative-stress/

Weitere PAN Germany Informationen zu Glyphosat unter https://pan-germany.org/pestizid_kat/glyphosat/

 

Fachkontakte

  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: 030 28534312
  • Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), E-Mail: peter.clausing@pan-germany.org; Telefon: +49 176 4379 5932

 




Veranstaltung: „Pflanzenschutz oder Umweltschmutz?“, 19.01.2024, 10-12 Uhr

Veranstaltungshinweis: Freitag, 19. Januar, 10.00 – 12.00 Uhr 

Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schön längst nicht mehr leisten kann.
Podiumsdiskussion in Kooperation mit MdEP Martin Häusling

Ort: In Berlin bei der Heinrich-Böll-Stiftung und im Livestream

Die Diskussionsveranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft anders – unsere Grüne Woche“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Eine drastische Verringerung des Pestizideinsatzes ist zwingend notwendig, wenn wir einen Zusammenbruch der Ökosysteme vermeiden wollen. Daran besteht aus wissenschaftlicher Perspektive kein Zweifel. Dennoch wird politischen Bemühungen um eine Reduzierung der Pestizide von Seiten der konservativen Parteien, der Lobby der Großbetriebe und der Pestizidindustrie mit einem enormen Widerstand begegnet.

In der Veranstaltung kommen Expert*innen aus dem Bereich der Pestizide aus Deutschland, Europa, Brasilien und Kenia zu Wort. Diskutiert wird, woran es liegt, dass die dringend benötigte Pestizidreduktion und ein verstärkter Ausbau agrarökologischer Bewirtschaftung nur langsam vorangehen, und was es braucht, um einen Systemwechsel in Gang zu bringen.

Podiumsdiskussion mit

  • Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments und Agrarpolitischer Sprecher der Grünen Europafraktion
  • Carsten Rocholl, Co-Autor der Publikation „Weg ist Weg! Warum es keine Alternative zum Erhalt der Artenvielfalt gibt“
  • Silke Bollmohr, Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft bei INKOTA
  • Susan Haffmans, Referentin für Pestizide beim Pestizid Aktions-Netzwerk
  • Larissa Bombardi, Professorin für Geographie an der Universität von São Paulo

Video-Statement von Harun Warui, Programmleiter Recht auf Nahrung und Agrarökologie der Heinrich-Böll-Stiftung Nairobi

Moderation: Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung

Die Veranstaltung wird im Livestream übertragen. Sprachen: Deutsch und Englisch. Für Nachfragen: berlin@martin-haeusling.eu

Mehr Infos zur Veranstaltung finden Sie hier bei der Heinrich-Böll-Stiftung

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