EP-Berichterstatterin Sarah Wiener stellt Änderungsvorschläge zum SUR-Entwurf vor

Heute stellte die EU-Abgeordnete und Berichterstatterin Sarah Wiener ihren Berichtsentwurf zur Parlamentsposition zur Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) dem Umweltausschuss (ENVI) vor.

Im Vorfeld der Ausschusssitzung hatten 69 Organisationen der Zivilgesellschaft – darunter PAN Germany – in einem Offenen Brief an die Europaabgeordneten appelliert, die Änderungsvorschläge von Sarah Wiener für eine starke SUR zu unterstützen, um die biologische Vielfalt und die langfristige Ernährungssicherheit zu schützen und die negativen gesundheitlichen Auswirkungen beim Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden anzugehen.

Ein wichtiger Eckpunkt des Berichtsentwurfs ist eine Konkretisierung des Begriffs des Integrierten Pflanzenschutz Managements (IPM) im Verordnungstext. Kern des Vorschlags ist eine Hierarchisierung der IPM-Verfahren nach agrarökologischen Prinzipien, so dass der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide stets nur die letzte Wahl in der zukünftigen landwirtschaftlichen Produktion darstellt. Zwar ist IPM im konventionellen Anbau lange rechtsverbindlich, aber die reale Umsetzung ist unzureichend. Die neue SUR muss dafür Sorge tragen, dass hier nachgebessert wird, denn bereits durch die Umsetzung von IPM wären erhebliche Einsparpotentiale beim Pestizideinsatz möglich. Gefördert werden muss, so die Berichterstatterin, auch die Schulung der Landwirt*innen sowie die unabhängige Beratung zur Umsetzung des IPM.

Der Berichtsentwurf von Sarah Wiener schlägt zudem einen Kompromissvorschlag für „sensible Gebiete“ vor. Das Totalverbot in allen Schutzgebieten im SUR-Entwurf der Kommission war im Vorfeld sehr stark kritisiert worden. Nun sollen bei Schutzgebieten, die weder dem Schutz der Artenvielfalt dienen, noch den Eintrag von Chemikalien in Gewässer verhindern sollen, der Einsatz von bestimmten Pestiziden weiter erlaubt werden.

Aus PAN-Sicht zu begrüßen, sind noch weitere Vorschläge im Berichtsentwurf, u.a. ein engagierteres Reduktionsziel bei besonders gefährlichen Pestiziden – den Substitutionskandidaten. PAN begrüßt auch, die Festlegung von Schutzzonen rund um Schutzgebiete und Bereiche, die dem Schutz sensibler Gruppen dienen (wie Krankenhäusern, Kitas etc.), auszuweiten sowie die Finanzierung von Maßnahmen durch eine risikobasierte Pestizidabgabe zu unterstützen.

Obwohl die Notwendigkeit zur Pestizidreduktion in der Anhörung des Umweltausschusses nicht zur Diskussion stand, stieß der Berichtsentwurf – wie zu erwarten – nicht nur auf Zustimmung. Gerade auf Seiten der konservativen Parteien wird das „wann“ und das „wie“ kritisiert. Als Argument wird oft die Ernährungssicherheit angeführt, die momentan durch den Krieg Russlands in der Ukraine gefährdet sei.

Sarah Wiener und andere Befürworter kontern, dass nur eine nachhaltige Landwirtschaft unsere Ernährung langfristig sichern kann, da Ressourcen- und Biodiversitätsschutz direkt damit verknüpft seien, dass Landwirt*innen jetzt Planungssicherheit bräuchten, und dass das Ziel der Pestizidreduktion mittlerweile nicht nur im Europäischen Green Deal, sondern seit dem UN-Biodiversitätsgipfel in Montreal im Dezember 2022 auch als globales Ziel bestätigt wurde.

Neben der inhaltlichen Kontroverse stand auch der Zeitplan zur Diskussion. Dieser wurde bereits deutlich nach hinten verschoben. Änderungsvorschläge zum Berichtsentwurf können bis Ende März eingereicht werden, die Abstimmung im Umweltausschuss soll im Juni und die Abstimmung im EP Plenum im September 2023 stattfinden. Der Landwirtschaftsausschuss möchte demgegenüber mit seiner Stellungnahme noch warten, da die zusätzliche Folgenabschätzung noch aussteht. Dies könnte die Abstimmung des EU Parlaments zur SUR verzögern. Ein Offener Brief vom 1. März der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauernretten“ appelliert deshalb an den Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses Norbert Lins, diese Blockadehaltung endlich aufzugeben und einen Zeitplan für den Entscheidungsprozess im Landwirtschaftsausschuss vorzulegen, der eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Umweltausschuss und eine Abstimmung vor der Sommerpause ermöglicht.

Zum Abschluss der Anhörung plädierte Berichterstatterin Sarah Wiener eindringlich an ihre Kolleginnen und Kollegen, konstruktiv und gemeinsam mitzuhelfen, die SUR auf den Weg zu bringen.

Hier die Videoaufzeichnung der Debatte (Sprachauswahl rechts unten beim Notensymbol).




„Agrarökologie: ein Zukunftsmodell?“ – Der neue Podcast von PAN Germany

Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ („Farm to Fork“, F2F) ist eine der wichtigsten Maßnahmen im Rahmen des europäischen Grünen Deals. Sie soll dazu beitragen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und einen Wandel bei der Erzeugung und beim Konsum von Lebensmitteln in Europa herbeizuführen. Dafür soll unter anderem der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden bis 2030 halbiert und der Anteil der für die ökologische/biologische Landwirtschaft genutzten Fläche um 25% erhöht werden. Der derzeit verhandelte Kommissionsentwurf für eine neue Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln („Sustainable Use Regulation“, SUR) ist ein wichtiges legislatives Instrument, um diese Ziele in der EU umzusetzen.

Eine wichtige Maßnahme zur Erreichung der Ziele ist nach der F2F-Strategie auch die Förderung von Agrarökologie, beispielsweise über Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik, über Innovationsförderung und Forschungsinitiativen. Was aber ist eigentlich Agrarökologie? Der Begriff und das dahinterstehende Konzept sind in Deutschland noch recht neu und wenig bekannt.

PAN Germany hat deshalb das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln in der neuen vierteiligen Podcast-Serie „Agrarökologie: ein Zukunftsmodell?“ beleuchtet. In Gesprächen mit vier Expert*innen sprechen wir über die Gefahren des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und über Ansätze und Beispiele zukunftsfähiger Landbewirtschaftung, Nahrungsmittelproduktion und gesunder Ernährung, die auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden verzichten und ein Bereich der Agrarökologie abbilden können.

Die vier Folgen der Podcast-Serie „Agrarökologie: ein Zukunftsmodell?“ stehen aktuell auf den Podcast-Plattformen Spotify, Deezer und Amazon Music zur Verfügung und werden auch in der neuen Podcast-Rubrik auf der PAN Germany Website zu hören sein:

  1. Stiller Frühling und die Pestizid-Tretmühle: Mit dem unabhängigen Pestizidexperten und Autor des foodwatch Reports „locked-in pesticides“, Lars Neumeister, sprechen wir in der ersten Folge darüber, warum trotz vieler Verbote einzelner Wirkstoffe heute immer noch regelmäßig und intensiv Pestizide in der Landwirtschaft – in Deutschland und weltweit – eingesetzt werden.
  2. Agrarökologie für ein zukunftsfähiges Landwirtschaftssystem: Mireille Remesch vom Forum für internationale Agrarpolitik e.V. erklärt den Begriff der Agrarökologie und zeigt an Beispielen auf, welche Potentiale in der Agrarökologie stecken, um verschiedene Ziele zusammen zu bringen: sowohl gesunde Nahrungsmittel zu produzieren, als auch die Artenvielfalt und Umweltressourcen zu schützen, die Gemeinschaft zu stärken und faire Lebensgrundlagen für Erzeuger*innen zu schaffen.
  3. Agrarökologie für vielfältigere Anbausysteme: Die dritte Folge beschäftigt sich mit agrarökologischen Anbausystemen, die aufgrund ihrer Diversität und Resilienz für gesunde Böden, sauberes Wasser und den Schutz des Klimas stehen. Wie Mischkulturen Feld und Wald nachhaltig vereinen können und welchen Mehrwert solche Agroforstsysteme für die Landwirt*innen und unser Ernährungssystem haben können, besprechen wir mit Leon Bessert vom Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) e.V.
  4. Agrarökologie für mehr Solidarität im Ernährungssystem: In der letzten Folge geht es um agrarökologische Initiativen wie Ernährungsräte, solidarische Landwirtschaften, Gemeinschaftsgärten, Lebensmittelkooperativen und Erzeuger*innengemeinschaften, die für mehr Solidarität in Landwirtschafts- und Ernährungssystemen einstehen. Wie Agrarökologie mit einer nachhaltigen Produktion mehr Fairness für Produzent*innen und Konsument*innen schaffen kann, darüber sprechen wir mit Judith Mayer vom Ernährungsrat für Köln.



Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ – Anhörung im EU Parlament

Die europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ wurde gestern Nachmittag in einer vierstündigen Anhörung in Brüssel offiziell dem Petitions-, Umwelt- und dem Landwirtschaftsausschuss des EU Parlaments vorgestellt. Diese EBI ist erst die  siebte erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative und nach „Stop Glyphosat“ bereits die zweite, die sich für Pestizidreduktion in der Landwirtschaft einsetzt.

Die Europäische Kommission erläuterte, dass die EBI „Bienen und Bauern retten!“, zusammen mit der früheren Pestizid-Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“ sie dazu inspiriert hat, Europas erste rechtsverbindliche Pestizidreduktion um 50 % bis 2030 vorzuschlagen (Farm-to-Fork-Strategie). Darüber hinaus hat die EU Kommission ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vorgelegt. Beide Vorschläge werden von konservativen Kräften und Interessen der Agrarwirtschaft ernsthaft bedroht, warnten die Organisator*innen der EBI gestern bei der Anhörung.

Dem entgegen steht die Forderung von mehr als einer Million EU Bürger*innen, die die Bürgerinitiative unterstützt haben und ein Ende des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU bis 2035 fordern, sowie Maßnahmen zur Erholung der Artenvielfalt und die Unterstützung der Landwirt*innen, um die Transformation zu einer nachhaltigen, agrarökologischen Landwirtschaft zu schaffen.

Mit-Initiator der EBI „Bienen und Bauern retten!“ Martin Dermine vom europäischen Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Europe) sagte beim Hearing im EU-Parlament: „Pestizide sind Giftstoffe, die Bienen, Schmetterlinge und andere Bestäuber ebenso töten wie Pflanzen und Mikroorganismen. Pestizide gefährden unsere Gesundheit, allen voran die Gesundheit der Bäuer:innen. Pestizide sind auch ein wesentlicher Faktor für das weltweite Artensterben. Wir müssen jetzt beginnen, mit der Natur und nicht gegen die Natur zu arbeiten! Es ist die Aufgabe der Politik, die Gesundheit der Bürger:innen zu schützen, anstatt der Agrarindustrie den Vorrang zu geben.”

EBI-Mitorganisator Dr. Helmut Burtscher-Schaden von GLOBAL 2000 appellierte: „Wenn wir die Welt, wie wir sie kennen, erhalten wollen, müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir mit ihr umgehen. Wenn wir die Ernährungssicherheit langfristig absichern wollen, gibt es keine Alternative zur Pestizidreduktion. Überprüfen Sie Ihre politischen Entscheidungen, hören Sie auf die Wissenschaft und nicht auf die Industrie!“.

Besorgt zeigt sich ebenfalls die Wissenschaft. Jeroen Candel, Assistenzprofessor für Lebensmittel- und Agrarpolitik repräsentierte mehr als 700 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten und wissenschaftlichen Disziplinen, die in einem Appell ihre tiefe Besorgnis über die jüngste politische Wende in Bezug auf die Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUR) zum Ausdruck brachten.

Der französische Getreidebauer Jean-Bernard Lozier, der den Pestizideinsatz in seinem Betrieb um 80 % reduzieren konnte, betonte, dass trotz dieser erheblichen Reduzierung
keine nennenswerten Ertragseinbußen zu verzeichnen sind, sich aber der Arbeitsaufwand verringert habe. „Ich bin ein glücklicher Landwirt, und die Rentabilität meines Betriebs ist mit der meiner Nachbarn vergleichbar“, so Lozier.

Synthetische Pestizide stellen laut EU-Offiziellen erhebliche Risiken für die Gesundheit der Bürger dar und verursachen akute und langfristige Gesundheitsschäden, insbesondere bei Kindern und vor allem auch bei Landwirt*innen. Aufgrund des Artensterbens habe bereits die Hälfte aller europäischen Landwirtschaftsbetriebe mit Bestäubungsproblemen zu kämpfen. Synthetische Pestizide sollten „nur als letztes Mittel“ eingesetzt werden, sonst riskieren wir eine „düstere“ Zukunft, so die Beamten.

124 verschiedene Pestizide sind im Hausstaub von europäischen Landwirt*innen zu finden. Dies geht aus der ersten umfassenden Erhebung über die Pestizidkontamination in Europa hervor (SPRINT), die Violette Geissen, Professorin an der Universität Wageningen, bei der Anhörung vorstellte. Bis zu 85 verschiedene Pestizide werden im Hausstaub von Nicht-Landwirt*innen gefunden, wenn auch in niedrigeren Konzentrationen, sagte sie.

Professor Geissen zeigte auf, dass Pestizidrückstände in Ökosystemen und beim Menschen allgegenwärtig sind, die meisten von ihnen gefährlich seien, aber niemand sagen könnte, wie hoch das tatsächliche Risiko ist, wenn man Mischungen mit einer hohen Anzahl von Pestiziden ausgesetzt wäre. Sie betonte in ihrem Beitrag, dass es Rechtsvorschriften bedürfe, die das Vorsorgeprinzip anwenden und den Einsatz und die Reduzierung von Pestiziden regeln.

Die EU hat sich bereits 1993 verpflichtet, Pestizide zu reduzieren. Doch trotz Zielvorgaben und Gesetzen ist sie weitgehend gescheitert, vor allem wegen des Widerstands der Mitgliedsstaaten. Die Klima- und Biodiversitätskrise erlaubt keine „Business as usual“-Politik, so die Initaitor*innen der EBI.

Kritische Mitgliedsstaaten und europäische Abgeordnete sollten aufhören, sich den Entwürfen für Pestizid- und Naturschutzgesetze zu widersetzen, und die bestehenden Befugnisse sollten besser durchgesetzt werden, so die EBI-Initiator*innen.
Letzte Woche hat der Europäische Gerichtshof die Regierungen aufgefordert, die häufige Praxis einzustellen, Landwirt*innen den weiteren Einsatz von verbotenen Pestiziden im Rahmen so genannter Notfallzulassungen zu erlauben. Laut einer im Januar veröffentlichten Analyse offizieller Daten haben die Regierungen in den letzten Jahren in Hunderten von Fällen „Ausnahmeregelungen für Notfälle“ in Anspruch genommen. Die 12 giftigsten Pestizide sollten schnellstens verboten werden, so die NGOs.

Es wird erwartet, dass die Verhandlungen über die von der Kommission vorgeschlagenen Reduzierungen von Pestiziden nur langsam vorankommen werden.

 




„Bienen und Bauern retten!“ – Anhörung zur EBI im EU-Parlament am 24. Januar 2023

Mehr als 1,1 Millionen EU Bürger*innen haben erfolgreich mit ihrer Unterschrift die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ unterstützt. Die EBI fordert ein Ende des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU bis 2035, Maßnahmen zur Erholung der Artenvielfalt sowie Unterstützung der Landwirte, um die Transformation zu einer nachhaltigen, agrarökologischen Landwirtschaft zu schaffen.

Am Dienstag, 24. Januar 2023 von 14:30 bis 18:30 Uhr, findet eine Anhörung im EU Parlament dazu statt, bei der die Forderungen und Vorschläge der Bürgerinitiative vorgestellt und anschließend mit den Abgeordneten diskutiert werden. Die Anhörung kann im Livestream verfolgt werden.

Den Link zum Livestream und das Programm zur Anhörung finden Sie bei PAN Europe unter: https://www.pan-europe.info/save-bees-and-farmers-hearing#

Unter anderem gibt es Beiträge von:

  • Assistenzprofessor Jeroen Candel, Initiator eines von 739 Wissenschaftlern aus ganz Europa unterzeichneten Appells für eine ehrgeizige und nicht weiter zu verzögernde Pestizidreduktions-Gesetzgebung in der EU).
  • Der französische Landwirt Jean-Bernard Lozier zeigt, wie er den Pestizideinsatz auf seinem 80 Hektar großen Ackerbaubetrieb um 80 % reduziert hat – ohne Ertragseinbußen und bei gleichzeitiger Gewinnsteigerung und geringerer Arbeitsbelastung.
  • Die Bodenwissenschaftlerin Professorin Violette Geissen gibt Einblicke in die neuesten Studienergebnisse zu Pestizidrückständen und erläutert die Kombinationswirkungen von Pestizidgemischen auf unsere Gesundheit und Umwelt.

Die Anhörung im EU Parlament findet zu einem wichtigen Zeitpunkt statt. Der Vorschlag der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50 % zu reduzieren, stößt bei der Agrarindustrie auf heftige Kritik. Vor dem Hintergrund der russischen Aggression in der Ukraine und aus Angst vor möglichen Produktionsverlusten und Nahrungsmittelengpässen stimmten 19 Mitgliedsländer im EU-Rat dafür, von der EU Kommission eine neue Folgenabschätzung für die derzeit verhandelte Pestizidreduktions-Verordnung (SUR) zu fordern. Diese erneute Verzögerung könnte die Umsetzung des „EU Green Deal“ ernsthaft gefährden. PAN Germany berichtete darüber.

Sowohl die Verordnung zur Pestizidreduktion (SUR) als auch ein neuer Gesetzesvorschlag zur Wiederherstellung der Natur sind Teil des „EU Green Deal“ und der „Farm to Fork“-Strategie deren Entwürfe derzeit im EU-Rat und im Parlament erörtert und noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollen.




Vergiftete Profite – Schwerpunkt Pestizide im FUE-Rundbrief

Das falsche Mantra „Pesticides feed the World“ hält sich hartnäckig in den Köpfen vieler Entscheidungsträger*innen. Agrar- und Chemiekonzerne werden nicht müde, Pestizide und chemische Düngemittel als Lösung gegen den Welthunger zu präsentieren. Doch dem weltweit steigenden Pestizideinsatz zum Trotz steigt die Zahl der Hungernden. Der Blick auf die weltweiten Pestizidvergiftungen, die ubiquitäre Belastung natürlicher Ressourcen mit umweltschädlichen Pestiziden, die Gefährdung ökologischer Schlüsselfunktionen und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit großflächigen Pestizidanwendungen zeigen, dass die industrielle Landwirtschaft zugleich Treiber und Leidtragende der ökologischen, aber auch wirtschaftlichen Krisen unserer Zeit ist. Dennoch wird weltweit wenig investiert, um die Landwirtschaft resilienter und ökologischer zu gestalten und den in der Landwirtschaft Beschäftigten zukunftsfähige Perspektiven zu bieten. „Follow the Money“ – wie in jedem Krimi lohnt es auch hier den Blick zu schärfen, wer von dem System profitiert.

Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Artikel des Rundbriefs „Vergiftete Profite“ vom Forum für Umwelt & Entwicklung beleuchten nicht nur die Schattenseiten, sondern zeigen auch, wie es anders geht. Hier eine Auswahl aus dem Rundbrief:

Den gesamten Rundbrief lesen




Der Notwendigkeit entgegen: EU verzögert Pestizidreduktion

Es grenzt schon an Realsatire. Während die Weltgemeinschaft in Montreal auf dem UN-Gipfel für biologische Vielfalt (COP 15) eine Halbierung der Pestizidrisiken beschließt, verzögert fast zeitgleich der EU-Rat, diese Pestizidreduktion in der EU rasch und verbindlich auf den Weg zu bringen.

Bis zur letzten Sekunde appellierten die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ (EBI) sowie 718 Wissenschaftler*innen an die Entscheidungsträger*innen in der EU, eine Verschleppung der Verhandlungen zur neuen Pestizidverordnung (Sustainable Use Regulation, SUR) noch abzuwenden. Doch nun gab der EU Rat am 19.12.22 dem Vorstoß zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten (PAN Germany berichtete) statt, mit dem Hebel einer zusätzlichen Folgenabschätzung die Verhandlungen zum Verordnungsentwurf und damit ein harmonisiertes Vorgehen zur Pestizidreduktion in der EU zu verzögern.

Der Zusammenhang zwischen dem massiven Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und dem Rückgang der Artenvielfalt sowie negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die weltweite Ernährungssicherheit ist wissenschaftlich belegt. So wundert es auch nicht, dass die weltweite Reduzierung des Pestizideinsatzes eines der wichtigsten Verhandlungsergebnisse des am Montag zu Ende gegangenen Biodiversitätsgipfels der Vereinten Nationen in Montréal war. In der als „historisch“ bezeichneten Abschlusserklärung einigten sich die rund 200 Teilnehmerstaaten darauf, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen und die Risiken von Pestiziden für Mensch und Umwelt bis 2030 zu halbieren (vgl. BMUV-Pressemitteilung).

In Brüssel konnten sich dagegen die Stimmen durchsetzen, die eine rechtlich verbindliche Verankerung der Pestizidreduktionsziele der Farm-to-Fork Strategie und der Biodiversitätsstrategie in die SUR besonders kritisch gegenüberstehen. Zwar begrüßte der EU-Rat grundsätzlich das Ziel der Kommission, die nachteiligen Auswirkungen des Pestizideinsatzes auf die Umwelt zu verringern und nachhaltige alternative Pflanzenschutzmittel und -methoden zu fördern, dennoch stimmte der EU-Ministerrat am 19. Dezember für eine zusätzliche, bis zu 6 Monate dauernde Folgenabschätzung, bei der die EU-Kommission die vereinbarten Pestizidreduktionsziele noch einmal im Lichte des Russischen Angriffskriegs in der Ukraine betrachten und ergänzende Daten und Informationen generieren solle. Zwar besagt der Beschluss, dass während der Arbeit an der Folgenabschätzung die Verhandlungen am SUR-Entwurf fortgesetzt werden können, jedoch nur zu technischen Fragen und nur für solche Bereiche, die nicht von der Folgenabschätzung betroffen sind. Damit droht in dieser Zeit faktisch ein Stillstand in der fachlich-politischen Debatte um die SUR.

Für PAN Germany zeigen die Forderung nach der Erhebung weiterer Daten und die Auflistung der zu beantwortenden Fragen eindrücklich die eindimensionale Sichtweise auf die Aufgaben und Risiken landwirtschaftlicher Produktion. PAN Germany appelliert nun an die EU-Kommission, schnell, also deutlich vor den sechs Monaten, die Folgenabschätzung vorzulegen und dabei auch die vielen positiven Auswirkungen von Pestizidreduktion zu berücksichtigen. Hierzu zählt auch in der Analyse zu berücksichtigen, wie sich die Reduktion des Pestizideinsatzes bei gleichzeitiger Ausdehnung agrarökologischer Verfahren auf die Resilienz landwirtschaftlicher Systeme und somit auch auf die Stabilität von Erträgen angesichts sich verschärfender klimatischer Extreme auswirkt, welche positiven Effekte die Förderung der biologischen Vielfalt auf notwendige Ökosystemfunktionen, Bodenfruchtbarkeit und Wasserqualität haben und welchen positiven Einfluss der Ausbau alternativer Pflanzenschutzverfahren auf eine größere Unabhängigkeit der europäischen Landwirtschaft von erdölbasierten Rohstoffen hat.

Die Bundesregierung sprach sich in den vergangenen Wochen – anders als die meisten anderen EU-Regierungen – deutlich gegen Verzögerungen bei den Verhandlungen der SUR aus. PAN Germany begrüßt die Position Deutschlands, auch wenn sie sich am Ende leider nicht durchsetzen konnte. Dass die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten offenbar der Lobby der Pestizidhersteller gefolgt ist, ist bitter und behindert den dringend notwendigen Fortschritt hin zu einer ökosystembasierten nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Im neuen Jahr wird es aus Sicht von PAN Germany darum gehen müssen, den SUR-Entwurf konstruktiv zu verbessern und das Gesetzgebungsverfahren in dieser Amtszeit von EU-Kommission und EU-Parlament abzuschließen. Die Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“, die von 1,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger getragen wird, sind in die Debatten einzubeziehen.

Die Organisator*innen der EBI werden am 24. Januar 2023, von 14.30 bis 18.30 Uhr (mit Live Stream) im Europaparlament den Abgeordneten und der Europäischen Kommission ihre Forderungen zur Pestizidreduktion, zur Wiederherstellung der Biodiversität und zur angemessenen Förderung der Landwirte für diese Maßnahmen vorstellen.




Dringender Handlungsbedarf in der Tierproduktion um Antibiotikaresistenzen zu stoppen

Hamburg, 23.11.2022. Pressemitteilung. Antibiotika zur Behandlung von Infektionen sind aus der modernen Medizin nicht wegzudenken. Aber die zunehmende Entwicklung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen sind ein Problem mit nicht absehbarem Ausmaß. Anlässlich der europäischen Antibiotika Woche 2022 warnt PAN Germany, die Bedeutung des regelmäßigen Einsatzes von Antibiotika in der Tierproduktion nicht zu unterschätzen, und mahnt, dem „One-Health“-Ansatz Rechnung zu tragen, um die Pandemie der Antibiotikaresistenz erfolgreich zu bekämpfen.

Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen bei Menschen und die damit in Verbindung gebrachten Todesfälle nehmen deutlich zu. Das Robert-Koch-Institut (RKI) warnt bereits vor einer „schleichende Pandemie“.[1] Laut dem Institut für Health Metrics und Evaluation (IHME) sind rund 1,3 Millionen Todesfälle jährlich direkt auf antimikrobielle Resistenzen zurückzuführen, davon knapp 9.700 Todesfälle pro Jahr in Deutschland.

Wenn Antibiotika bei der Aufzucht und Mast von lebensmittelliefernden Tieren zum Einsatz kommen, können sie entlang ihres gesamten Lebenszyklus – von der Produktion, über den Einsatz, bis hin zur Entsorgung –  in die Umwelt gelangen. In freien Aquakulturen gehen bis zu 75 % der eingesetzten Antibiotika in die Umgebung verloren.[2] Wirkstoffrückstände können sich in Pflanzen und Nichtzieltieren anreichern, negative Wirkungen auf Ökosysteme haben und Gewässer und Lebensmittel, einschließlich Trinkwasser, kontaminieren. Da jede antimikrobielle Dosis die Resistenzentwicklung fördert, tragen Tier-Antibiotika in der Umwelt ebenfalls dazu bei, dass sich antimikrobielle Resistenzen schneller entwickeln und verbreiten.

Der Einsatz von Antimikrobiotika wie Antibiotika gehört heute zur gängigen Praxis in der Behandlung von Infektionen bei Nutztieren. Allerdings werden Arzneimittel in der Tierproduktion auch missbräuchlich eingesetzt, um wirtschaftliche Praktiken aufrechtzuerhalten, die Profit über Umwelt, menschliche Gesundheit und Tierwohl stellen. Stress durch wenig Platz und Bewegungsmangel, unangemessene Futtermittel, Hochleistungsansprüche, frühes Absetzen der Jungtiere und mangelnde Hygiene können nachweislich die Gesundheit der Nutztiere negativ beeinflussen. Tamara Gripp, Referentin für Landwirtschaft und Umwelt bei PAN Germany, sagt dazu: „Es ist jetzt an der Zeit, ein gesundheitsorientiertes System in der Tierproduktion zu schaffen, das Tierwohl und Gesunderhaltung in den Vordergrund stellt und eine verantwortungsvolle Reduktion des Antibiotikaeinsatzes ermöglicht. Das ist im Sinne der Ziele der EU „Farm to Fork“-Strategie (vom Hof auf den Tisch), ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem zu erreichen, und im Sinne des One-Health-Ansatzes für einen gemeinsamen Kampf gegen Antibiotikaresistenz.“

Der gemeinsam von PAN Germany und Healthcare without harm (HCWH) Europe Anfang des Jahres veröffentlichte Bericht „Tierarzneimittel in der europäischen Lebensmittelproduktion: Perspektiven für die Umwelt, die öffentliche Gesundheit und den Tierschutz“ zeigt Tendenzen beim Einsatz von Tierarzneimitteln, verdeutlicht die Auswirkungen von Tierarzneimitteln auf Umwelt, öffentliche Gesundheit und Tierwohl und stellt die wichtigsten rechtlichen Änderungen bei der Verwendung von Tierarzneimitteln durch den neuen EU-Rechtsrahmen für Tierarzneimittel vor.[3] Zudem gibt der Bericht Empfehlungen für den Lebensmittelsektor für ein gesundheitsorientiertes System und eine verantwortungsvolle Verwendung von Tierarzneimitteln.

Kontakt:

Tamara Gripp, MSc. Environmental Management
Referentin Landwirtschaft / Umwelt (Advisor Agriculture / Environment)

E-Mail: tamara.gripp@pan-germany.org

[1] Pressemitteilung RKI (18.10.2022) https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/06_2022.html

[2] Grigorakis, K. et al. (2011) Aquaculture effects on environmental and public welfare. www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0045653511008344

[3] PAN Germany & HCWH Europe (2022) Tierarzneimittel in der europäischen Lebensmittelproduktion: Perspektiven für die Umwelt, die öffentliche Gesundheit und den Tierschutz. https://pan-germany.org/download/bericht-tierarzneimittel-in-der-europaeischen-lebensmittelproduktion/




Pesticide Atlas – englische Ausgabe jetzt erhältlich

Seit 1990 ist der weltweite Einsatz von Pestiziden um 80% gestiegen, jährlich erleiden rund 385 Millionen Menschen weltweit Pestizidvergiftungen und manche Pestizide werden mit der Luft über Tausend Kilometer weit verfrachtet.

Diese und weitere Fakten und Daten präsentiert der überarbeitete und heute in englischer Sprache veröffentlichte „Pesticide Atlas – facts and figures about toxic chemicals in agriculture“.

Der Atlas enthält Beiträge und Infographiken zum weltweiten Einsatz und Handel von Pestiziden, beschreibt die negativen Auswirkungen auf Mensch, Gesundheit und Umwelt und zeigt alternative Lösungen auf. Der englische Atlas basiert auf dem deutschsprachigen „Pestizidatlas – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft“, der im Januar 2022 von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung und PAN Germany veröffentlicht wurde.

Für die nun vorliegende englische Ausgabe wurde der Fokus um weitere europäische und internationale Aspekte erweitert. Herausgegeben wurde der englische Pesticide Atlas von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, Friends of the Earth Europe und PAN Europe.

Englische Publikation „Pesticide Atlas – facts and figures about toxic chemicals in agriculture“




Erfolg für Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“!

Heute wurde die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“ offiziell von der EU Kommission als erfolgreiche Eingabe anerkannt. Das ist ein großer Erfolg! Über eine Millionen Bürger*innen in der EU haben diese Initiative unterzeichnet.
Sehr groß war die Unterstützung aus Deutschland. PAN Germany sagt DANKE für dieses starke Votum, im Namen aller 200 Organisations- und Unterstützergruppen, die diese Initiative mitgetragen haben. Von bislang 97 EBIs haben nur 7 erfolgreich die Hürde von 1 Million Unterschriften genommen, darunter zwei gegen den Einsatz von Pestiziden, die EBI “STOP Glyphosat” im Jahr 2017 und die aktuelle.

Die EBI „Bienen und Bauern retten!“ hat drei Forderungen gegenüber der EU und den EU-Mitgliedsstaaten formuliert:

  • einen schrittweisen Ausstieg aus dem Einsatz synthetischer Pestizide zu 80% bis 2030 und zu 100% bis 2035,
  • die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen sowie
  • eine finanzielle Unterstützung für Landwirte bei der Umstellung auf agrarökologische Verfahren.

Die nächsten Schritte sind ein Gespräch der Vertreter*innen der EBI, darunter PAN Europe als Hauptorganisator, mit der EU-Kommission und die Durchführung einer Anhörung über die EBI-Forderungen im Europäischen Parlament innerhalb der nächsten drei Monate.

Mehr Statements und Hintergrundinformationen stehen in der gemeinsamen Pressemitteilung von PAN Europe und Global 2000.

 




Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen vor Pestizidbelastungen reichen nicht aus

Hamburg, 4. Oktober 2022. Pressemitteilung. Eine neue Studie, die in der italienischen Provinz Bozen-Südtirol durchgeführt wurde, zeigt, dass trotz der von den lokalen Behörden ergriffenen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung immer noch synthetische Pestizide, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt schaden können, auf Kinderspielplätzen und Schulhöfen nachgewiesen werden.

Die Studie [1,2], eine Zusammenarbeit von Experten der Health and Environment Alliance (HEAL), des Pesticide Action Network (PAN) Europe, PAN Germany und der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU), wurde in einer der wichtigsten europäischen Anbauregionen für Äpfel und Wein durchgeführt. Die Forscher untersuchten die offiziellen Daten von 306 Grasproben, die zwischen 2014 und 2020 auf 88 nicht landwirtschaftlich genutzten öffentlichen Flächen wie Kinderspielplätzen und Schulhöfen gesammelt wurden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die bestehenden lokalen Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidabdrift in der Region nicht wirksam genug sind, um die Pestizidexposition in öffentlichen Räumen zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen gehören Warnschilder und Einschränkungen der Pestizidausbringung in Bezug auf Tageszeit und Entfernung [3].

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Trotz eines leichten Rückgangs der gemessenen Pestizidrückstände zwischen 2014 und 2020 konnten an 73 % der beprobten Standorte immer noch Rückstände von mindestens einem Pestizid nachgewiesen werden, und im Jahr 2020 wurden an 27 % der Standorte Mehrfachrückstände gefunden.
  • Fluazinam, ein Fungizid, das im Verdacht vorgeburtliche Schäden zu verursachen, und das in Tierversuchen mit Krebs in Verbindung gebracht wurde, wurde an 74 % der kontaminierten Standorte nachgewiesen. Andere bedenkliche Pestizide wurden ebenfalls häufig nachgewiesen, so das Fungizid Captan (60 %) und das Insektizid Phosmet (49 %).
  • Der prozentuale Anteil der Rückstände von Pestiziden, die als schädigend für die menschliche Fortpflanzung klassifiziert sind, ist deutlich gestiegen, und zwar von 21 % im Jahr 2014 auf 88 % im Jahr 2020. Der Prozentsatz der Rückstände von Pestiziden mit spezifischer Organtoxizität, stieg ebenfalls von 0 % im Jahr 2014 auf 21 % im Jahr 2020 [4].
  • Der Prozentsatz der Stoffe mit Potenzial zur Hormonschädigung (89 %) oder zur Verursachung von Krebs (45 %), blieb während des Untersuchungszeitraums unverändert.
  • Würden diese Konzentrationen von Pestizidrückständen in lokal angebauten Lebensmitteln gefunden, so lägen sie um ein Vielfaches über den Werten, die in der EU als sicher für den Verzehr gelten.
  • Der Prozentsatz der nachgewiesenen Pestizidrückstände mit akuter Toxizität für Honigbienen blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums hoch.

Diese Ergebnisse stützen sich auf eine frühere Studie, in der Pestizidrückstände in Entfernungen zwischen 5 und 600 Metern von den landwirtschaftlichen Standorten, an denen sie ursprünglich eingesetzt wurden, nachgewiesen wurden [2].

„Eine konsequente Überwachung ist unabdingbar, um die Effizienz von Minderungs-maßnahmen und die Verringerung potenzieller Risiken für Mensch und Umwelt durch gefährliche Pestizide zu gewährleisten“, betont Dr. Caroline Linhart, Hauptautorin der Studie.

In der Europäischen Union werden bei der Risikobewertung von Pestiziden Vorhersagemodelle verwendet, um deren Verteilung in der Umwelt abzuschätzen. Diese Modelle berücksichtigen jedoch keine Daten aus der Praxis.

„Unsere Daten zeigen, dass die offiziellen Risikobewertungen die tatsächliche Exposition von Nicht-Zielorganismen, einschließlich des Menschen, gegenüber Pestiziden zu unterschätzen scheinen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das, was wir in dieser Studie gezeigt haben, höchstwahrscheinlich die Situation in anderen Regionen mit intensiver Apfel- und Weinproduktion in Europa und weltweit widerspiegelt“, erklärt Professor Johann Zaller, Mitautor von der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU).

„Die Daten deuten darauf hin, dass es in Regionen mit geringem Abstand zwischen Hausgärten und intensiv behandelten Flächen wie Obstplantagen immer wieder zur Kontamination der Gärten und des dort angebauten Obstes und Gemüses kommt. Das EU-Pestizidrecht von 2009 schreibt vor, alle als besonders gefährlich eingestuften Pestizide („Substitutionskandidaten“) durch weniger gefährliche, am besten durch nicht-chemische Verfahren zu ersetzen. Die Befunde zeigen die Dringlichkeit, diese Regelung endlich umzusetzen“, sagt Mitautor Dr. Peter Clausing, Toxikologe und wissenschaftlicher Berater des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany).

Die Ergebnisse der Studie kommen kurz nachdem die Europäische Kommission einen Entwurf für eine neue Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) veröffentlicht hat. Darin werden rechtsverbindliche Reduktionsziele festgelegt, um den Einsatz von Pestiziden in allen EU-Mitgliedsstaaten bis 2030 zu halbieren, insbesondere von solchen, die bekanntermaßen gesundheitsgefährdend sind. Der Vorschlag zielt auch darauf ab, den Einsatz von Pestiziden in allen „sensiblen“ Gebieten, die von der Allgemeinheit genutzt werden oder von ökologischer Bedeutung sind, sowie in einem Umkreis von drei Metern zu verbieten.

Interessanterweise sind mehrere dieser vorgeschlagenen EU-weiten Maßnahmen weniger streng als die der Landesregierung von Bozen-Südtirol, wo Pestizide mit gefährlichen Eigenschaften nicht in Bereichen eingesetzt werden dürfen, die von der Allgemeinheit und von Kindern genutzt werden, und auch nicht in einem Umkreis von 30 Metern von ihnen.

„Unsere Studie zeigt, dass regionale Maßnahmen zur Verringerung der Pestizidbelastung, selbst wenn sie strenger sind als die von der EU-Kommission vorgeschlagenen, einfach nicht ausreichen, um die Exposition von Kindern und der Allgemeinheit gegenüber Substanzen zu verhindern, die das Potenzial haben, Krebs zu verursachen oder die Fortpflanzung zu schädigen. Eine drastischere Reduzierung aller Pestizide und eine deutliche Ausweitung der vorgeschlagenen Pufferzonen auf mindestens 50 Meter sind dringend erforderlich, um die Gesundheit zu schützen“, erklärt Dr. Angeliki Lyssimachou, Senior Science Policy Officer bei HEAL und Mitautorin der Studie.

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Quellen:

  1. Pesticide drift mitigation measures appear to reduce contamination of non-agricultural areas, but hazards to humans and the environment remain’, Science of the Total Environment volume 854 (2022) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969722059137
  2. Die neue Studie baut auf früheren Untersuchungen auf, die sich mit Pestizidrückständen in Abhängigkeit vom Anwendungsort in Südtirol befasst haben: ‘Pesticide contamination and associated risk factors at public playgrounds near intensively managed apple and wine orchards’, Environmental Science Europe Volume 31 (2019) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-019-0206-0
  3. Im Fall von Bozen-Südtirol hat die Regierung 2014 damit begonnen, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Exposition gegenüber Pestiziden einzuführen. Dazu gehört eine 30-Meter-Pufferzone für Pestizide der Kategorie „hochgefährlich“ für Gesundheit und Umwelt, wenn sie in der Nähe von öffentlichen Flächen, die von Kindern und der Allgemeinheit besucht werden, zum Einsatz kommen. Nur bei zusätzlichen Schutzmaßnahmen (z. B. Barrieren in Form von Bäumen oder Hecken), kann der Abstand auf fünf oder zehn Meter Pufferzonen reduziert werden.
  4. Die Tabellen der Publikation stehen hier zur Verfügung: https://ars.els-cdn.com/content/image/1-s2.0-S0048969722059137-ga1_lrg.jpg