Glyphosat: Antrag auf Widerruf der Wiedergenehmigung abgelehnt, NGOs ziehen vor EU-Gericht

Am 26. Juni 2024 lehnte die Europäische Kommission den formellen Antrag von PAN Europe und 5 seiner Mitglieds-NGOs – darunter PAN Germany – ab, die 10-jährige Wiederzulassung von Glyphosat zu überprüfen. Die NGOs werden nun vor Gericht gehen und haben dafür ein Zeitfenster von zwei Monaten. Parallel zu diesem rechtlichen Verfahren überprüfen die EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Zulassungen für Glyphosat-Produkte. Trotz Genehmigung des Wirkstoffs auf EU-Ebene sind nationale Verbote glyphosathaltiger Pestizid-Produkte rechtlich möglich.

Im Januar 2024 stellten Client Earth, Générations Futures, Global2000, PAN Germany, PAN Netherlands und PAN Europe einen formellen Antrag an die EU-Kommission auf interne Überprüfung der Glyphosat-Wiedergenehmigung. Sie forderten, die Entscheidung über die Wiedergenehmigung des Herbizidwirkstoffs zu revidieren. Hierzu reichten die NGOs eine umfangreiche Dokumentation ein, die die zahlreichen Mängel in der Arbeit der beteiligten EU- Behörden darlegt. Beanstandet wurde zudem, dass die Europäische Kommission eine Reihe relevanter Datenlücken, die von der EFSA festgestellt wurden, außer Acht ließ, was nicht im Einklang mit der Pestizid-Verordnung (EG) 1107/2009 steht.

Trotz der dokumentierten erheblichen Mängel weigerte sich die Kommission, die Wiederzulassung von Glyphosat zu überprüfen und lehnte nun den entsprechenden Antrag der NGOs ab. Zu den von den NGOs dargelegten Mängeln zählen die aus ihrer Sicht fehlerhafte Bewertungen durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bezüglich der Karzinogenität, Genotoxizität, Neurotoxizität, Störungen des Hormonsystems sowie Toxizität für Insekten und Amphibien. Sie kritisieren, dass die Ergebnisse unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen systematisch ignoriert oder ihnen ein weitaus geringeres Gewicht beigemessen wurde als den teilweise jahrzehntealten Studien der Industrie. Darüber hinaus weigere sich die Kommission nach wie vor, die Toxizität einer repräsentativen Formulierung (d. h. eines Herbizids auf Glyphosatbasis) zu bewerten, um die synergistischen Effekte der Mischung aus Glyphosat und Beistoffen zu beurteilen.

Angeliki Lyssimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, sagt: „Zahlreiche Beweise zeigen eindeutig, dass Glyphosat-Pestizide Mensch und Umwelt schädigen können, was ihr Verbot nach EU-Recht rechtfertigt. Dennoch spielen die EFSA, die ECHA und die Europäische Kommission diese Fakten weiterhin herunter. Die Antwort der Kommission bestätigt ihren Unwillen, das hohe Schutzniveau, das die demokratisch legitimierte EU-Pestizidverordnung vorschreibt, wirklich einzuhalten. Wir fordern den Europäischen Gerichtshof auf, zu intervenieren und die Kommission zu zwingen, sich an ihre eigenen Regeln zu halten“.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany sagt: „Es ist überfällig, das Mantra der Behörden, dass die Einstufung von Glyphosat als „nicht krebserregend“ auf der ausgewogenen Bewertung aller vorliegenden Beweise basiere, einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Denn aus wissenschaftlicher Sicht ist das nicht haltbar.“

Nach der Wiedergenehmigung des Wirkstoffs durch die EU müssen die Mitgliedstaaten innerhalb von 15 Monaten eine nationale Entscheidung über die Wiederzulassung von Produkten treffen. Wie kürzlich in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs angemahnt, dürfen die Mitgliedstaaten die Produkte nicht wieder zulassen, wenn sie Zweifel an der Sicherheit der Produkte haben. Angesichts der zahlreichen Beweise für die Schädlichkeit von Glyphosat-Pestiziden für Mensch und Umwelt sollten die Mitgliedstaaten nationale Verbote durchsetzen. Dass nationale Verbote im Einklang mit den gültigen Rechtsvorschriften stehen, zeigen ein Anfang des Jahres veröffentlichtes Rechtsgutachten der Heinrich-Böll-Stiftung (PAN Germany berichtete) sowie ein heue veröffentlichter neuer Leitfaden  von PAN Europe. PAN Europe teilte diese Informationen heute schriftlich mit den Minister*innen für Umwelt, Gesundheit und für Landwirtschaft der EU-Mitgliedsstaaten und forderte sie auf, sich der rechtswidrigen Verlängerung der nationalen Zulassungen von Herbiziden auf Glyphosatbasis zu widersetzen.

Mehr dazu: PAN Europe Press Release 27/06/2024: Glyphosate EU Commission rejects request to cancel re-approval, NGOs go to EU court

 

 




EU-Rat stimmt für Gesetz zur Rettung der Natur

Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO, „Nature Restoration Law“) hat nach langen Verhandlungen und Kompromissen endlich am 17. Juni 2024 im EU-Umweltministerrat die letzte Hürde genommen. Mit einer knappen Mehrheit von 20 Ländern – darunter Deutschland -, die 66 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, wurde dieses wichtige Gesetz angenommen. Die Verordnung zielt darauf ab, geschädigte Ökosysteme in der EU wiederherzustellen. Damit wird auch der Forderung von mehr als 1 Million Menschen Rechnung getragen, die im Rahmen der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten!“ Maßnahmen zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt gefordert hatten.

Derzeit sind über 80 Prozent der Ökosysteme in der EU in einem schlechten Zustand. Die Verordnung legt rechtsverbindlich fest, dass 20 Prozent der geschädigten Land- und Meeresökosysteme in der EU bis 2030 und alle Ökosysteme bis 2050 wiederhergestellt werden müssen. Dafür müssen die EU Mitgliedsstaaten bis 2030 mindestens 30 Prozent und bis 2050 90 Prozent der unter die Verordnung fallenden Lebensräume von einem schlechten in einen guten Zustand versetzen. Darunter fallen Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete, Flüsse und Seen. Die EU-Staaten müssen außerdem sicherstellen, dass sich der Zustand dieser Gebiete nach der Wiederherstellung nicht verschlechtert. Die Details der Umsetzung sollen die Mitgliedstaaten jeweils in nationalen Wiederherstellungsplänen innerhalb der nächsten zwei Jahre erarbeiten. „Ein Prozess bei dem die gesamte Gesellschaft beteiligt wird“, so Bundesumweltministerin Steffi Lemke in ihrem ersten kurzen Statement zur Entscheidung.

Aus Sicht von PAN Germany müssen ambitionierte Maßnahmen im Kampf gegen den Schwund der biologischen Vielfalt und die Klimakrise auf Grundlage des Gesetzes initiiert und ohne weitere Verwässerungen umgesetzt werden. Dies sollte mit der dringenden Reduzierung des Pestizideinsatzes einhergehen. Das angekündigte „Zukunftsprogramm Landwirtschaft“ des BMEL sollte entsprechend kohärent die Ziele der WVO mit aufgreifen.

Grundlegende ökologische Prozesse zum Erhalt gesunder Böden, sauberer Wasserressourcen und funktionierender Nährstoffkreisläufe hängen von der biologischen Vielfalt ab. Intakte Ökosysteme sind zudem wichtig, um die Folgen der Klimakrise abzumildern, indem sie beispielsweise den Wasserrückhalt erhöhen und einen besseren Schutz gegen extreme Wetterbedingungen bieten. Intakte Ökosysteme sind auch wichtig, um die Lebensgrundlage der Menschen zu sichern und eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Von der Leyens Europäische Volkspartei (EVP) führte während der Verhandlungen eine beispiellose Desinformationskampagne gegen den Verordnungsentwurf. Argumentiert wurde mit einer angeblichen Bedrohung der Ernährungssicherheit, einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, einem Anstieg der Importe, steigenden Lebensmittelpreisen und sogar der Androhung der Enteignung von Landwirten. Nicht nur die Umweltverbände versuchten mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, sondern tausende Wissenschaftler*innen unterstützten die wissenschaftliche Faktenlage. Im Februar 2024 nahm das EU-Parlament den Kompromisstext an, nun folgte die abschließend notwendige Zustimmung des EU-Rats.

Die Kompromisse in der endgültigen Fassung bedeuten allerdings erhebliche Abschwächungen bei den Anforderungen an den Agrarsektor. Es wurde unter anderem eine Notfallklausel in den Gesetzestext aufgenommen, die es ermöglicht, die Ziele für landwirtschaftliche Ökosysteme „unter außergewöhnlichen Umständen“, nämlich wenn die Ernährungssicherheit als gefährdet angesehen wird, auszusetzen. Zu den Zielen, die erreicht werden sollen, zählen eine Zunahme der biologischen Vielfalt in Agrarökosystemen und eine Trendumkehr beim dramatischen Verlust an Feldvögelpopulationen. Zudem verpflichtet das Gesetz die Mitgliedsstaaten, den Rückgang der Bestäuberpopulationen spätestens bis 2030 umzukehren und deren Artenvielfalt zu verbessern. Nach 2030 sollen die Bestände wachsen, die Mitgliedstaaten müssen den Fortschritt hierbei alle sechs Jahre prüfen.

Trotz Abschwächungen und vieler offener Fragen bezüglich der Umsetzung und nach vielen Rückschritten beim Umwelt- und Biodiversitätsschutz in den vergangenen Monaten, ist die Zustimmung des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten im Rat zum Nature Restoration Law ein wichtiger Schritt hin zur Wiederherstellung unserer Lebensräume, zum Wohle künftiger Generationen.

Mehr dazu:

PAN Europe Press Release „Historical step: EU Nature Restoration Law finally adopted, important demand of European citizens‘ initiative Save Bees and Farmers”

Informationsseite des BMUV zur EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO)




Wer Abstriche beim Schutz vor Pestizidbelastungen fordert, schadet den Beschäftigten in der Landwirtschaft und zukünftigen Generationen

Hamburg 13. Juni 2024. Pressemitteilung. Morgen, am 14. Juni, wird der Bundesrat über die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung abstimmen und damit ein Stück weit darüber, wie verantwortungsvoll in Deutschland zukünftig Pflanzenschutz betrieben wird. Die nun zur Verabschiedung vorgelegten Änderungen der Anwendungsverordnung betreffen vor allem Auflagen für die Anwendung von Glyphosat. Andere, von PAN Germany im Februar dringend empfohlene Anpassungen in der Verordnung, haben es gar nicht erst in den Entwurf geschafft. Nun droht ein weiterer Rückschritt: Auf Initiative einiger Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, wurde ein Änderungsantrag eingebracht, der u.a. die Streichung der bestehenden Glyphosat-Restriktionen in Wasserschutzgebieten vorsieht. Ignoriert wird hier offenbar die nachweislich schädigende Wirkung von Glyphosat auf die biologische Vielfalt, auf den Bodenhaushalt und die Gesundheit. 

Während Wissenschafter*innen davor warnen, dass die Kontamination von Böden und Gewässern und die Schädigung von Nützlingen durch chemisch-synthetische Pestizide der Landwirtschaft die Zukunftsperspektive raubt und langfristig die Ernährungssicherheit gefährdet und während kranke Berufskolleg*innen dafür kämpfen, dass ihre durch langjährige Pestizidanwendung verursachte Parkinson-Erkrankung im Einzelfall als Berufserkrankung anerkannt wird, fordern 30 Agrar- und Wirtschaftsverbände – darunter der Bauernverband und der Industrieverband Agrar – das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) anlässlich der anstehenden Bundesratsentscheidung auf, gleich sein komplettes Zukunftsprogramm Pflanzenschutz zurückzunehmen. Sie kritisieren die „pauschale Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln“ und fordern eine grundlegende Neuausrichtung der Pflanzenschutzpolitik.

„Pestizidreduktion ist kein Selbstzweck. Sie dient dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten und der Bevölkerung insgesamt, dem Schutz unserer Ressourcen vor Kontamination und dem Schutz der Umwelt und biologischen Vielfalt, die wir brauchen, um auch zukünftig noch erfolgreich Landwirtschaft betreiben zu können“ sagt Susan Haffmans, Referentin bei PAN Germany.

„Man muss sich fragen, wer hier wirklich die Interessen der Beschäftigten in der Landwirtschaft vertritt. Sie sind es doch, die in besonderem Maße Pestiziden ausgesetzt sind und die an vorderster Front auch mit solchen Pestiziden in Kontakt kommen, die von der EU als „besonders gefährlich“ eingestuft wurden und längst durch ungefährlichere Alternativen hätten ersetzt werden sollen“ sagt Dr. Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany.

Das BMEL hält in seiner Zukunftsstrategie Pflanzenschutz am 30-Prozent Ökolandbau-Ziel fest. Damit setzt es aus Sicht von PAN Germany die richtigen Akzente. Welche Maßnahmen zur Umsetzung des Ziels notwendig sind, hat PAN Germany in seiner ausführlichen Stellungnahme zum Zukunftsprogramm dargelegt. PAN Germany widerspricht vehement dem Vorwurf der 30 Verbände, das Zukunftsprogramm des BMEL würde Technik, Innovation und Fortschritt ignorieren. „Für zahlreiche Innovationen im Pflanzenschutz der vergangenen Jahrzehnte war der ökologische Landbau die treibende Kraft – sowohl, was technische Innovationen im Unkrautmanagement angeht, als auch innovative Methoden zur Schädlingsabwehr wie Pheromonfallen und Züchtungen pilzwiderstandsfähiger Sorten“ so Haffmans von PAN Germany.

PAN Germany erwartet vom Bundesrat, am 14. Juni an den geltenden Glyphosat-Restriktionen festzuhalten und sich stärker dafür zu engagieren, dass Betriebe dabei unterstützt werden, auf nicht-chemische Pflanzenschutzverfahren umzusteigen.

Pressekontakte:

  • Susan Haffmans, Referentin für Pestizide, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), Tel.: +49 157 31 56 04 017, E-Mail: susan.haffmans@pan-germany.org
  • Peter Clausing, Toxikologe, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), Tel.: +49 176 4379 5932, peter.clausing@pan-germany.org

 Weitere Informationen:




Erfahren Sie, was Kandidat*innen der EU-Wahl über Pestizide denken

Eine europaweite Umfrage forderte die Kandidat*innen der Europawahl auf, ihre Positionen zu den Themen Pestizide, Landwirtschaft und Umweltschutz darzulegen. Initiiert wurde die Umfrage von PAN Europe, Friends of the Earth Europe und der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ – und wurde in Deutschland von PAN Germany, BUND, Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe und dem WWF unterstützt. In Deutschland wurden 64 Spitzen-Kandidat*innen der großen Parteien persönlich eingeladen, im Rahmen der Umfrage ihre Sicht zu Pestiziden, Landwirtschaft und Umweltschutz darzulegen.

Die Antworten der Kandidat*innen auf unseren Fragebogen und weitere Informationen finden Sie hier und im Detail für Deutschland, sortiert nach Mitgliedsstaaten in der Gesamtübersicht.

Eine weitere Auswertung zeigt, wie die Parteien über pestizidrelevante Gesetzesvorschläge 2023 abgestimmt haben.

Angesichts der bevorstehenden Europa-Wahlen am 9. Juni 2024 rufen wir die Bürgerinnen und Bürger auf, wählen zu gehen: Nutzen Sie Ihre Stimme, um sich für eine nachhaltigere Zukunft in Europa einzusetzen!

Ihre Stimme nimmt Einfluss auf die EU-Politik, denn die Entscheidungen der EU-Abgeordneten haben direkten Einfluss auf ein breites Spektrum von Politikbereichen, wie Umweltschutz, öffentliche Gesundheit, nachhaltige Landwirtschaft und den Einsatz von Pestiziden.

Indem Sie eine informierte Entscheidung treffen, können Sie dazu beitragen, dass das EU-Parlament eine Politik unterstützt, die Umwelt und Gesundheit schützt und eine nachhaltige Entwicklung vorantreibt.

Nutzen Sie Ihre Stimme, um sich für eine nachhaltigere Zukunft in Europa einzusetzen!




EU-Parlament & Pestizide: Wer unterstützt Landwirt*innen, Verbraucher*innen und Natur?

Ihre Stimme zählt!

Die folgende Analyse zeigt die Positionen der im EU-Parlament vertretenen Fraktionen und der deutschen Parteien zu dieser Frage.

Der hohe Pestizideinsatz ist ein großes Problem in unserem derzeitigen Lebensmittelsystem, das Natur, Landwirt*innen, Verbraucher*innen und künftigen Generationen schadet und sie im Stich lässt. Um den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden und die damit verbundenen Risiken in der EU bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren und Menschen und Natur besser zu schützen, legte die EU Kommission einen Entwurf zur Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR) vor. Dieser Vorschlag wurde jedoch stark verwässert und scheiterte schließlich im November 2023 im EU Parlament. Die Forderungen von mehr als einer Million Bürger*innen nach einer drastischen Reduzierung des Pestizideinsatzes in der EU und nach Unterstützung der Landwirt*innen bei dieser Umstellung wurden somit nicht erfüllt.

Wenn die Bürger*innen am 9. Juni in ganz Europa zu den EU-Wahlen an die Urnen gehen, sollten sie sich darüber im Klaren sein, wie politische Gruppen ihre Interessen bislang vertreten haben. Aus unserer Sicht schadet die Ablehnung dringend notwendiger Maßnahmen zur Reduzierung des Pestizideinsatzes dem Wohlbefinden aller EU Bürger*innen, der Gesundheit unserer Ökosysteme, einer langfristigen Perspektive für Landwirt*innen und unserer Ernährungssicherheit.

Im Vorfeld der EU-Wahlen analysierten die Nichtregierungsorganisationen PAN Europe, Friends of the Earth Europe und Corporate Europe Observatory das Abstimmungsverhalten zum SUR-Vorschlag nach politischen Gruppierungen im EU-Parlament. Für die Auswertung wurden die Abstimmungsergebnisse der einzelnen Abgeordneten für sechs Änderungsanträge zu einer Reihe von Schlüsselaspekten des Gesetzesvorschlags ausgewählt.

Das Ergebnis: Bei allen Themen stimmte die große Mehrheit oder alle Fraktionen der christlich-demokratischen EVP, der konservativen (bis rechtsextremen) EKR und der rechtsextremen ID-Fraktion konsequent gegen die Interessen der EU Bürger*innen. Diese Fraktionen unterstützen nicht einmal eine regelmäßige unabhängige Beratung für Landwirt*innen zu Pestiziden und ihren Alternativen oder eine stärkere Reduzierung der gefährlichsten Pestizide!

Zusätzlich erfolgte eine Auswertung des Abstimmungsverhaltens der deutschen Abgeordneten bzw. Parteien im EU-Parlament zu 5 Schlüsselaspekten des Gesetzesvorschlags:

(Für eine größere Ansicht der Infografiken: Bitte mit rechter Maustaste ‚Bild vergrößern‘ oder ‚Bild in neuem Tab öffnen‘ auswählen.)

 

1. Pestizide dürfen nur als letzte Maßnahme eingesetzt werden

Der integrierte Pflanzenschutz (IPM) ist ein Instrument zur Verringerung des Pestizideinsatzes, indem präventive agronomische Maßnahmen in den Mittelpunkt der Schädlingsbekämpfung gestellt werden und chemisch-synthetische Pestizide nur als allerletzte Maßnahme eingesetzt werden. Obwohl IPM bereits durch die derzeitige EU-Richtlinie (über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden) seit rund 10 Jahren verbindlich vorgeschrieben ist, wurde es von den Mitgliedstaaten nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Die neue Pestizidverordnung zielte darauf ab, die kulturspezifischen IPM-Regeln zu definieren und verbindlicher zu machen, um sicherzustellen, dass IPM wirksam angewendet wird. Das Schaubild zeigt, welche deutschen Parteien für diese obligatorischen Regeln stimmten oder nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Schutzgebiete und öffentliche Plätze besser vor Pestiziden schützen

Das vorgeschlagene neue Gesetz hätte den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden in sensiblen Gebieten wie Naturschutzgebieten, öffentlichen Räumen, Parks und Spielplätzen verboten. Mit dieser Maßnahme sollten Bürger*innen, insbesondere gefährdete Gruppen wie Kinder und Schwangere, und unsere Ökosysteme besser geschützt werden. Das Schaubild zeigt, welche deutschen Parteien im EU-Parlament diesen wichtigen Schutz unterstützen und welche nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

3. Gewässer besser vor Pestiziden schützen

Die Verschmutzung von Grund- und Oberflächengewässern durch Pestizide stellt ein großes Risiko für die öffentliche Gesundheit und für die Ökosysteme dar und verursacht der Gesellschaft erhebliche Kosten. Das Schaubild zeigt, wie die deutschen Parteien im EU-Parlament für Verbesserungen im Gewässerschutz vor Pestizidverschmutzung gestimmt haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

4. Pestizidreduktion durch jährliche unabhängige Beratung der landwirtschaftlichen Betriebe fördern

In den letzten Jahrzehnten wurde die unabhängige Offizialberatung für landwirtschaftliche Betriebe abgebaut und zum Teil durch private Dienste ersetzt, die ggf. mit Pestizidkonzernen zusammenarbeiten. Dies führt zu Interessenkonflikten. Regelmäßige unabhängige Beratung ist wichtig, um sich aus dem Griff der Pestizidindustrie zu befreien und Landwirt*innen bei der Einführung alternativer Praktiken zu unterstützen. Das Schaubild zeigt, welche deutschen Parteien sich für die Unterstützung der Landwirt*innen durch eine jährlich stattfindende unabhängige Beratung ausspricht (anstatt nur alle drei Jahre) – und welche nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

5. Mehr Anstrengungen zur Reduzierung der schädlichsten Pestizide

Dieses Schaubild zeigt, welche Parteien für und gegen einen Änderungsantrag gestimmt haben, der ein höheres Reduktionsziel für die gefährlichsten Pestizide vorsieht, nämlich eine Reduktion von 65 % bis 2030 anstelle von 50 %.

 

 

 

 

 

 

 

 

Methodik: Die Daten für die Infographiken basieren auf den Ergebnissen der namentlichen Abstimmungen bei der Plenarabstimmung des Europäischen Parlaments über den SUR-Vorschlag, die am 22. November in Straßburg stattfand. Die Ergebnisse wurden durch MEP watch überprüft.

Weitere Informationen bietet der PAN Europe Blog Beitrag „EU citizens asked for less pesticides. Find out which politicians listened. Make your vote count!

Eine Übersichtstabelle bietet zudem die Möglichkeit nachzusehen, wie die einzelnen Abgeordneten abgestimmt haben.




Weitverbreitete Wasserverschmutzung durch langlebiges Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden

Eine von Mitgliedsorganisationen des Europäischen Pestizid Aktions-Netzwerks, darunter PAN Germany, durchgeführte gemeinsame Untersuchung von 23 Oberflächen- und sechs Grundwasserproben in zehn EU-Ländern zeigt alarmierende Werte der wenig bekannten und weitgehend unregulierten „Ewigkeitschemikalie“ TFA (Trifluoracetat). Die Belastung steht weniger im Zusammenhang mit industriellen Hotspots, sondern ist weit verbreitet, mit bemerkenswert hohen Konzentrationen in landwirtschaftlichen Gebieten.

TFA ist ein Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden, F-Gasen und von anderen sogenannten „Ewigkeitschemikalien“ (PFAS). Die in den Wasserproben gefundenen Konzentrationen betrugen im Durchschnitt 1.180 Nanogramm pro Liter (ng/l). Dies ist 70 Mal höher als die durchschnittliche Konzentration aller anderen untersuchten PFAS zusammen, einschließlich der bekannten „Hot-Spot“-PFAS. In 23 der 29 Wasserproben (79 %) überstieg die TFA-Konzentration den in der EU-Trinkwasserrichtlinie vorgeschlagenen Grenzwert für PFAS insgesamt. Der höchste TFA-Wert konnte in der Elbe bei Hamburg mit einem Wert von 3.300 ng/l festgestellt werden.

Die Daten zeichnen ein alarmierendes Bild der weit verbreiteten Wasserverschmutzung durch eine wenig bekannte, aber sehr persistente und sehr mobile „Ewigkeitschemikalie“. Bislang wurde das PFAS-Problem vor allem als Problem hoch kontaminierter, aber lokal begrenzter Hotspots verstanden. Jetzt zeigt sich eine weitreichende Belastung mit TFA in Gewässern.

Das Umweltbundesamt (UBA) hat kürzlich PFAS-Pestizide als die wahrscheinlich wichtigste Quelle für die TFA-Wasserverschmutzung in ländlichen Gebieten identifiziert. Die EU-Pestizidverordnung schreibt vor, dass Pestizide nur dann zugelassen werden dürfen, wenn ihre Wirkstoffe und „relevanten Metabolite“ Konzentrationen von 100 ng/l im Grundwasser nicht überschreiten. TFA wurde allerdings vor über 20 Jahren als ein sog. „nicht-relevanter Metabolit“ von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA eingestuft und ist somit bislang von allen Überwachungspflichten und -grenzwerten ausgenommen.

„Die katastrophale Entscheidung der EFSA, die Grundwasserkontamination durch TFA zu vernachlässigen, sicherte den Herstellern die Vermarktung von PFAS-Pestiziden und legte den Grundstein für die wohl größte und weitreichendste Kontamination des europäischen Oberflächen- und Grundwassers durch eine vom Menschen hergestellte Chemikalie in der Geschichte“, so Salomé Roynel, Policy Officer bei PAN Europe in der englischsprachigen Pressemitteilung.

Aber auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie hat diese Kontamination nicht verhindert, obwohl in Artikel 4 die Mitgliedstaaten ausdrücklich aufgefordert werden, „die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um jede signifikante und anhaltende steigende Tendenz der Konzentration eines Schadstoffs, die auf die Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten zurückzuführen ist, umzukehren“. Nach Sicht von PAN hätten diese gesetzlich geforderten „notwendigen Maßnahmen“ zweifellos ein Verbot von PFAS-Pestiziden und den so genannten F-Gasen nach sich ziehen müssen. F-Gase gelangen in Tausenden von Tonnen aus industriellen Kühlmitteln in die Atmosphäre und dann als TFA über den Regen in den globalen Wasserkreislauf.

Der Beweis für die gefährlichen Eigenschaften von TFA wurde kürzlich in einer von der Industrie in Auftrag gegebenen Tierstudie erbracht, in der TFA schwere Missbildungen bei Kaninchenbabys verursachte, deren Mütter während der Schwangerschaft TFA ausgesetzt waren. Auf Initiative Deutschlands wird die ECHA prüfen, ob TFA als reproduktionstoxisch eingestuft werden soll.

Das Ausmaß der festgestellten TFA-Kontamination erfordert rasches und entschiedenes Handeln. PAN Europe, PAN Germany und die anderen beteiligten Mitgliedsorganisationen fordern deshalb

  • ein rasches Verbot von PFAS-Pestiziden,
  • die Umsetzung der allgemeinen PFAS-Beschränkung im Rahmen der REACH-Chemikalienverordnung,
  • die Einstufung von TFA als „prioritärer Stoff“ im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie,
  • und ein umfassendes Monitoring mit Überwachungspflichten und Grenzwerten für TFA.

 

Bericht „TFA in Wasser -Schmutziges PFAS-Erbe unter dem Radar“

Report „TFA in Water – Dirty PFAS Legacy under the Radar”

PAN Europe Pressemitteilung (engl.)

Mehr dazu: Eine kürzlich veröffentlichte Studie von PAN Europe und Partnerorganisationen analysierte das Ausmaß an Rückständen von PFAS-Pestiziden in Lebensmitteln: PAN Germany berichtete




Zum Wohl der Umwelt, Gesundheit und Betriebe: Pestizidreduktion ist kein Selbstzweck

PAN Germany nimmt Stellung zur BMEL-Diskussionsgrundlage „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“

Seit Jahren schafft Deutschland es nicht, trotz entsprechender EU-Vorgaben, die Anwendung chemisch-synthetischer Pestizide wirksam zu reduzieren. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter Bundesminister Cem Özdemir hat nun Verbände eingeladen, sich an der Ausarbeitung eines „Zukunftsprogramms Pflanzenschutz“ zu beteiligen und eine entsprechende Diskussionsgrundlage erstellt. Hierin bekennt sich das BMEL zu den Pestizidreduktionszielen der Farm-to-Fork-Strategie der EU, die eine 50% Pestizidreduktion vorsieht.

PAN Germany begrüßt die Initiative des BMEL, sieht aber dringenden Nachbesserungsbedarf hinsichtlich Konkretisierung, Priorisierung, Kommunikation und Finanzierung der im Diskussionspapier vorgestellten Maßnahmen. PAN Germany hat dies detailliert in seiner Stellungnahme und im Verbund mit dreizehn weiteren Umwelt- und Agrarverbänden in einem gemeinsamen Offenen Brief an Bundesminister Özdemir und einer begleitenden gemeinsamen Pressemitteilung deutlich gemacht.

PAN Germany

  • betont, dass der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide Menschen, Natur und Umwelt in einem Maß belastet, der nicht kompensierbar ist und dass der Verlust an biologischer Vielfalt, zentrale Ökosystemfunktionen gefährdet, die Funktionen und Fruchtbarkeit von Böden reduziert und unsere Ernährungssicherheit bedroht.
  • begrüßt das Bekenntnis zu den 50% Pestizidreduktionszielen der EU Farm-to-Fork Strategie,
  • fordert, dass auch das zweite Ziel, die Reduktion der besonders gefährlichen Pestizide aufgenommen wird,
  • verweist auf die Zusagen im Koalitionsvertrag, „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern zu wollen“, und kritisiert angesichts der weit fortgeschrittenen Legislaturperiode die späte Vorlage der Diskussionsgrundlage.
  • vermisst in der Diskussionsgrundlage eine bessere Kommunikation dessen, dass eine Reduktion der chemisch-synthetischen Pestizide auch im Eigeninteresse der Landwirtschaft ist und bei entsprechender Ausgestaltung durchaus die bürokratische Belastung der Betriebe reduzieren kann,
  • begrüßt das Ziel, externe Kosten des Pestizideinsatzes zu internalisieren und plädiert für die Einführung einer Pestizidabgabe ohne weitere Verzögerungen,
  • begrüßt das Ziel, die Öko-Landbaufläche auf 30% auszubauen und sieht im Ausbau der Ökofläche die beste Maßnahme, um nicht nur dauerhaft die Ausbringung chemisch-synthetischer Pestizide zu reduzieren, sondern auch, weil der Ökologische Landbau sich auch darüber hinaus vielfältig positiv im Sinne des Gemeinwohls auswirkt.
  • kritisiert, dass unklar bleibt, woher die notwendige finanzielle Unterstützung zur Erreichung des Ziels 30% Öko-Landbaufläche kommen soll. Maßnahmen müssen aus Sicht von PAN die wirtschaftliche Planbarkeit für die Agrarbetriebe verbessern und insgesamt die Entscheidung für eine Umstellung konventioneller Betriebe auf den ökologischen Landbau erleichtern. Hierzu macht PAN Vorschläge im Sinne eines Maßnahmenbündels.
  • begrüßt die in Aussicht gestellte Überarbeitung der guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz (gfP) im Sinne eines vorsorgenden, integrierten Pflanzenschutzes und sieht darin eine Maßnahme, die zeitlich noch sehr gut vor Ablauf der Legislaturperiode realisiert werden kann und
  • wünscht sich ein entschlossenes Handeln gegen den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden im Haus- und Kleingarten (HUK).

Weitere Forderungen und Vorschläge von PAN Germany zur Ausarbeitung des Zukunftsprogramms – unter anderem zum Integrierten Pflanzenschutz, für einen besseren Schutz von Gewässern inklusive Trinkwasser, zum digitalen Anwendungskataster, zu Verbesserungen bei der Mittelzulassung wie einem  Nachzulassungsmonitoring und weiteren wichtigen Aspekten, finden sich in unserer ausführlichen Stellungnahme

 Hintergründe / Zum Weiterlesen:

Offener Brief der Verbände an Bundesminister Özdemir zum Zukunftsprogramm Pflanzenschutz

Gemeinsame Pressemitteilung der Verbände vom 6. Mai 2024

PAN Stellungnahme zur BMEL Diskussionsgrundlage für ein Zukunftsprogramm Pflanzenschutz

BMEL Diskussionsgrundlage für die Erarbeitung eines „Zukunftsprogramms Pflanzenschutz“




Parkinson-Krankheit endlich als pestizidbedingte Berufskrankheit anerkannt

Darauf haben betroffene Landwirt*innen in Deutschland sehr lange warten müssen: Das „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ wurde vom zuständigen Sachverständigenbeirat als neue Berufskrankheit anerkannt. PAN Germany begrüßt diese Entscheidung. Mehr als zehn Jahre nachdem in Frankreich Parkinson-Erkrankungen als durch Pestizide verursachte Berufskrankheit von Landwirt*innen anerkannt wurde, können nun endlich auch in Deutschland Betroffene Anspruch auf Anerkennung und Hilfe geltend machen. PAN Germany möchte Betroffene ermutigen, nun entsprechende Anträge zu stellen.

Eine Anerkennung als Berufskrankheit, so das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in seiner Meldung vom 20. März 2024, kommt bei an Parkinson erkrankten Personen in Betracht, die Pestizide langjährig und häufig im beruflichen Kontext selbst angewendet haben. Das Ministerium geht daher davon aus, dass vor allem Landwirt*innen, deren mitarbeitende Familienangehörige sowie Beschäftigte in der Landwirtschaft zu den Betroffenen zählen.

Der ärztliche Sachverständigenbeirat des BMAS macht in seiner wissenschaftlichen Empfehlung sehr deutlich, dass die zur Entscheidung ausgewerteten wissenschaftlichen Studien einen eindeutigen Zusammenhang zwischen beruflicher Pestizidexposition und der Entstehung einer Parkinson-Erkrankung aufzeigen – und das hinsichtlich der Exposition mit allen Funktionsgruppen: Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden.

Das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V., das sich seit Jahren für eine entsprechende Anerkennung pestizidbedingter Parkinsonerkrankungen als Berufskrankheit eingesetzt und Betroffene mit Informationen unterstützt, ist erleichtert über die – wenn auch späte – Anerkennung. Auch wenn eine Anerkennung als Berufskrankheit die Erkrankung und das Leid der Betroffenen nicht ungeschehen machen kann, so ist sie doch mit erheblichen Vorteilen verbunden. Hierzu zählen eine umfassendere medizinische Versorgung und Möglichkeiten lebenslanger Rentenzahlung. Das besondere an der Berufskrankheit ist, dass die gesetzliche Unfallversicherung für die hierfür notwendigen Leistungen aufkommt. Zu den Leistungen gehören auch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, der Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft.

Bereits vor Jahren hat PAN darauf hingewiesen, dass das Verfahren der Anerkennung von Berufskrankheiten erhebliche Defizite aufweist. Der Sachverständigenbeirat hatte es langjährig versäumt, eine Bewertung des Wissenstands um die Verursachung von Krankheiten durch Pestizide bei Landwirt*innen vorzunehmen. Dabei war der Zusammenhang so evident, dass Gerichte bereits vor 15 Jahren im Einzelfall Parkinson-Erkrankungen als „Wie eine Berufskrankheit“ anerkannt hatten, obwohl keine Empfehlung des Beirats vorlag (s. hierzu das PAN Informationsplatt zu Berufserkrankungen durch Pestizide).

Es ist völlig unverständlich, warum die Anerkennung des Parkinson-Syndroms durch Pestizide als Berufskrankheit um Jahre verschleppt wurde. Die überwiegende Anzahl der Publikationen, auf die sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten jetzt in seiner wissenschaftlichen Empfehlung bezieht, wurde vor 10-20 Jahren publiziert, einschließlich der so genannten Meta-Analysen, die den jeweils aktuellen Wissensstand zusammenfassen.

Es muss befürchtet werden, dass durch den langsamen Prozess und die späte Entscheidung des Beirates manche Rente und Behandlung nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Das zeigt wie dringlich es ist, die Prozesse zur Entscheidung über die Aufnahme von Berufskrankheiten zu überprüfen und deutlich zu verbessern.

Aktuell sind in der Liste der anerkennungsfähigen Berufskrankheiten 82 Berufskrankheiten aufgeführt. (Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung).

 

Meldung des BMAS vom 20.3.2024: Empfehlung für neue Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ beschlossen

Wissenschaftliche Empfehlung für die Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales

PAN Germany (2019): PAN Germany Informationsblatt zum Thema Pestizide & Berufskrankheiten.

Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen: Informationen zur Erkrankung

Selbsthilfe Vereinigung Deutsche Parkinson Vereinigung Bundesverband e.V.




NGO-Statement: Die EU muss die Pestizidreduktion umsetzen!

Am 6. Februar 2024 kündigte die Europäische Kommission an, dass sie ihren Vorschlag für eine Verordnung über die nachhaltige Nutzung von Pestiziden (Sustainable Use Regulation, SUR) zurückziehen werde. Damit werden dringend notwendige Maßnahmen zur Verringerung des Einsatzes und der Risiken synthetischer Pestizide in Europa um Jahre verzögert.

125 Organisationen, darunter Umweltgruppen, Imker, Landwirte und Gewerkschaften, haben eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sie das Scheitern der EU bei der Verabschiedung einer ehrgeizigen Verordnung zur Reduzierung von Pestiziden scharf kritisieren. Die Rücknahme ehrgeiziger Umweltziele sei die falsche Antwort auf die Mobilisierung der Landwirte in ganz Europa und wird die Landwirtschaft nur weiter in nicht nachhaltigen Praktiken festhalten, die die Gesundheit der Landwirte beeinträchtigen und gleichzeitig die biologische Vielfalt und die Ökosysteme zerstören, von denen unsere Lebensmittelproduktion abhängt.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft – darunter PAN Germany – fordern die Europäische Kommission auf, sich weiterhin auf die wirklichen Probleme der Landwirte zu konzentrieren, einschließlich fairer Einkommen, und gleichzeitig den Übergang zu widerstandsfähigen Lebensmittelsystemen zu beschleunigen und den Zugang zu sicheren und gesunden Lebensmitteln für alle zu gewährleisten.

Eine ehrgeizige Verordnung auf europäischer Ebene zur Verringerung des Pestizideinsatzes, die mit den „Farm to Fork“-Zielen und den globalen Biodiversitätszielen für die Zeit nach 2020 in Einklang steht, ist dringend erforderlich. Dies muss eine Priorität für die EU-Kommission auch des nächsten EU-Mandats nach der Europawahl im Juni 2024 bleiben.

Joint Statement: The EU must make pesticide reduction a reality!




Veranstaltung: „Pflanzenschutz oder Umweltschmutz?“, 19.01.2024, 10-12 Uhr

Veranstaltungshinweis: Freitag, 19. Januar, 10.00 – 12.00 Uhr 

Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schön längst nicht mehr leisten kann.
Podiumsdiskussion in Kooperation mit MdEP Martin Häusling

Ort: In Berlin bei der Heinrich-Böll-Stiftung und im Livestream

Die Diskussionsveranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft anders – unsere Grüne Woche“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Eine drastische Verringerung des Pestizideinsatzes ist zwingend notwendig, wenn wir einen Zusammenbruch der Ökosysteme vermeiden wollen. Daran besteht aus wissenschaftlicher Perspektive kein Zweifel. Dennoch wird politischen Bemühungen um eine Reduzierung der Pestizide von Seiten der konservativen Parteien, der Lobby der Großbetriebe und der Pestizidindustrie mit einem enormen Widerstand begegnet.

In der Veranstaltung kommen Expert*innen aus dem Bereich der Pestizide aus Deutschland, Europa, Brasilien und Kenia zu Wort. Diskutiert wird, woran es liegt, dass die dringend benötigte Pestizidreduktion und ein verstärkter Ausbau agrarökologischer Bewirtschaftung nur langsam vorangehen, und was es braucht, um einen Systemwechsel in Gang zu bringen.

Podiumsdiskussion mit

  • Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments und Agrarpolitischer Sprecher der Grünen Europafraktion
  • Carsten Rocholl, Co-Autor der Publikation „Weg ist Weg! Warum es keine Alternative zum Erhalt der Artenvielfalt gibt“
  • Silke Bollmohr, Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft bei INKOTA
  • Susan Haffmans, Referentin für Pestizide beim Pestizid Aktions-Netzwerk
  • Larissa Bombardi, Professorin für Geographie an der Universität von São Paulo

Video-Statement von Harun Warui, Programmleiter Recht auf Nahrung und Agrarökologie der Heinrich-Böll-Stiftung Nairobi

Moderation: Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung

Die Veranstaltung wird im Livestream übertragen. Sprachen: Deutsch und Englisch. Für Nachfragen: berlin@martin-haeusling.eu

Mehr Infos zur Veranstaltung finden Sie hier bei der Heinrich-Böll-Stiftung

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