Kein ausreichender Schutz vor Hormongiften:

Mitgliedstaaten stimmen für Kriterien-Vorschlag der EU-Kommission zur Identifizierung von hormonschädigenden Chemikalien

Gemeinsame Stellungnahme von PAN Germany, WECF (Women Engage for a Common Future), HEJSupport BUND, Umweltinstitut München Coordination gegen Bayer Gefahren und SumOfUs

Die Vertreter der europäischen Mitgliedsstaaten des EU-Pestizidausschusses haben gestern die Kriterien angenommen, die in Zukunft für die Identifizierung hormoneller Schadstoffe (oder endokrine Disruptoren, kurz EDCs) verwendet werden sollen.

Das Stoppt-Hormongifte-Bündnis der deutschen Nichtregierungsorganisationen PAN Germany, WECF (Women Engage for a Common Future), HEJSupport BUND, Umweltinstitut München Coordination gegen Bayer Gefahren und SumOfUs kritisiert diese Entscheidung scharf: „Die jetzt verabschiedeten Kriterien sind völlig unzulänglich. Viele Hormongifte können nun einfach „wegdefiniert“ werden und bleiben damit ungeregelt. Jetzt liegt es am EU-Parlament, diese Kriterien abzulehnen. Wir fordern zudem die deutsche Bundesregierung dringend auf, umzudenken und umfangreiche nationale Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und Umwelt vorzunehmen.“

Vor der Abstimmung warnten drei hoch angesehene internationale endokrinologische Gesellschaften vor den Mängeln der vorgeschlagenen Kriterien und drängten die Mitgliedsstaaten, sie in ihrer jetzigen Fassung nicht anzunehmen. (1) Mittlerweile haben über 458.000 Menschen in ganz Europa, davon alleine mehr als 111.000 in Deutschland, eine Petition unterzeichnet, in der die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, den Vorschlag der EU-Kommission abzulehnen. (2)

Die Umwelt- und Gesundheitsverbände halten die Kriterien für mangelhaft und ungeeignet, ihre Hauptkritikpunkte sind:

  • Die Beweislast ist zu hoch und macht die Identifizierung von Stoffen als hormonell wirksam sehr schwierig oder gar unmöglich und zusätzlich unnötig langwierig
  • Die Ausnahmeregelungen für bestimmte Pestizide und Biozide, die gezielt hormonell wirken sollen, ist nicht vereinbar mit den Zielen der EU-Pestizid- und Biozidgesetzgebung,
  • Die Kriterien widersprechen den EU-Verpflichtungen aus dem 7. Umweltaktionsprogramm, nach dem die Belastung von Mensch und Umwelt mit hormonellen Schadstoffen reduziert werden soll. (3)

Die völlig unakzeptable Ausnahmeregelung, nach der Pestizid-Substanzen die gezielt hormonell wirken sollen, von der Erfassung als endokrine Substanzen und damit von einem Verbot ausgeschlossen werden sollen, wurde von der deutschen Bundesregierung eingebracht. Dies öffnet Tür und Tor für den Gebrauch von Hormongiften und ist nicht mir der EU-Pestizid- und Biozidgesetzgebung vereinbar.

Durch die gestrige Entscheidung wird es auch weiterhin bei einem Anstieg der hormonbedingten Krankheiten wie z.B. Brustkrebs, Hodenkrebs, Diabetes oder Unfruchtbarkeit bleiben. Dies hat erhebliche Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem und die Gesellschaft zur Folge. Schätzungen ergaben, dass Krankheiten, die im Zusammenhang mit Hormongiften stehen, in der Europäischen Union Kosten von 163 Milliarden pro Jahr verursachen. (4)

Das NGO-Bündnis fordert die Bundesregierung dringend auf, dem französischen Beispiel zu folgen und einen nationalen Aktionsplan zum Schutz vor Hormongiften zu verabschieden. Er sollte umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen für die Bevölkerung enthalten, vor allem für besonders betroffene Gruppen wie z.B. Schwangere. Hormongifte sollten in Produkten, wo immer möglich, auf nationaler Ebene verboten werden. Außerdem sollten Pestizide und Biozide, die EDCs enthalten, in Deutschland nicht erlaubt sein. Des Weiteren ist unabhängige Forschungsförderung zu EDCs dringend notwendig.

(1) Siehe http://bit.ly/2t914p5.
Die Endocrine Society und z.B. Krankenkassen in Europa haben ihre Bedenken gegenüber dem Kriterien Vorschlag der EU Kommission geäußert.
Siehe beispielsweise: https://www.endocrine.org/news-room/current-press-releases/european-commissions-revised-proposal-limits-ability-to-protect-public-from-edcs ; http://aim-mutual.org/press-release/aim-publishes-declaration-on-edcs/
(2) EU-weite Petition : https://actions.sumofus.org/a/eu-endocrine-disruptors
Gemeinsame Petition „Hormongifte stoppen!“ der deutschen NGO Koalition:
Umweltinstitut München: https://www.umweltinstitut.org/mitmach-aktionen/hormongifte-stoppen.html
BUND: https://aktion.bund.net/hormongifte-stoppen
SumOfUs: https://actions.sumofus.org/a/hormongifte-stoppen
(3) http://www.documents.clientearth.org/wp-content/uploads/library/2017-02-14-the-criteria-to-identify-endocrine-disruptors-implications-beyond-pesticides-and-biocide-disrupted-criteria-coll-en.pdf
(4) Burden of Disease and Costs of Exposure to Endocrine-Disrupting Chemicals in the European Union: an updated analysis, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27003928

Kontakte:
Susanne Smolka (PAN Germany): susanne.smolka@pan-germany.org, Tel 040 3991910-24
Johanna Hausmann (WECF Deutschland): johanna.hausmann@wecf.eu, Tel 0173 8010040
Alexandra Caterbow (HEJSupport): alexandra.caterbow@hej-support.org, Tel +49 179 5244994
Ulrike Kallee (BUND): Ulrike.kallee@bund.net, Tel +49 30 27586 422
Christine Vogt (Umweltinstitut München): cv@umweltinstitut.org, Tel 089 30774924
Wiebke Schröder (SumOfUs): wiebke@sumofus.org, Tel 0163 1617155

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Neuer Bericht offenbart: Beweise für den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs in laufender EU-Bewertung verworfen

PRESSEMITTEILUNG
[Brüssel/Hamburg, 8. Juni 2022]
Wissenschaftliche Beweise für die krebserregende Wirkung von Glyphosat wurden bei der Bewertung des Wirkstoffs durch die zuständige europäische Fachbehörde nicht berücksichtigt. Zu diesem Schluss kommt ein heute veröffentlichter Bericht von HEAL (Health and Environment Alliance), der unter Mitwirkung von PAN Germany verfasst wurde. [1]

Die in dem Bericht aufgezeigten schwerwiegenden wissenschaftlichen Mängel und Verzerrungen bei der Auslegung von internationalen und EU-Standards stellen aus Sicht von HEAL und PAN Germany die Gültigkeit der behördlichen Glyphosat-Bewertung und die vorläufigen Schlussfolgerungen in Frage. Der Bericht warnt davor, dass die Nichtanerkennung des karzinogenen Potenzials von Glyphosat dem europäischen Kampf gegen Krebs zum Nachteil gereichen würde.

Als die beauftragten Behörden von vier EU-Mitgliedstaaten im laufenden Wiedergenehmigungsverfahren mit der Neubewertung von Glyphosat begannen, hat HEAL, unterstützt von PAN Germany, die elf Krebsstudien an Ratten und Mäusen, die von den Pestizidunternehmen 2019 als Teil des Antragsdossiers eingereicht wurden, genau analysiert. Unterstützt von zwei Experten, wurde das Auftreten statistisch signifikant erhöhter Tumorinzidenzen in einer Häufigkeit ermittelt, die die Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ durch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) eindeutig unterstützt [2]. Nach dem EU-Pestizidgesetz [3] müssen Stoffe, die die Kriterien für die Einstufung als „vermutlich krebserregend beim Menschen“ (Kategorie 1B) erfüllen, vom EU-Markt genommen werden.

Prof. Christopher Portier, ein unabhängiger Experte für die Analyse und Interpretation von umweltbezogenen Gesundheitsdaten, spezialisiert auf Karzinogenität, sagte: „Bösartige Lymphome, Nieren- und Lebertumore, Keratoacanthome und weitere Krebstypen – es steht außer Frage, dass Glyphosat Krebs verursacht. In zehn der elf Tierstudien, die Teil des Dossiers zur Wiederzulassung von Glyphosat waren, haben die Tiere Tumore entwickelt. Unabhängig davon, wie man es betrachtet, gibt es mehr als genug Beweise für die Karzinogenität, und diese Beweise erfüllen die Kriterien für die Einstufung von Glyphosat als Stoff, bei dem ein krebserregendes Potenzial für den Menschen angenommen werden muss.“

Dennoch haben die behördliche Bewertungsgruppe für Glyphosat der EU-Mitgliedsländer (AGG) und der Ausschuss für Risikobewertung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) öffentlich erklärt, dass die Beweise, um Glyphosat als krebserregend einzustufen, nicht ausreichten [4]. Alle Hinweise auf Ungereimtheiten in der Vorgehensweise der Behörden bei der Bewertung, die von HEAL zusammen mit unabhängigen Wissenschaftlern und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen während der Diskussionen des RAC der ECHA vorgebracht wurden, wurden bisher ungerechtfertigt verworfen [5].

Dr. Peter Clausing von PAN Germany, Toxikologe und Mitverfasser des Berichts, sagte: „Tiere, die Glyphosat ausgesetzt waren, entwickelten im Vergleich zu ihrer nicht exponierten Kontrollgruppe signifikant häufiger Tumore, ein Effekt, der sowohl nach internationalen als auch nach europäischen Richtlinien als Beweis für Karzinogenität gilt, insbesondere wenn dieser Befund – wie im Fall von Glyphosat – durch zusätzliche Belege unterstützt wird. Die EU-Risikobewerter haben jedoch diese Tumorbefunde missachtet und die zusätzlichen Belege aus ihrer Analyse ausgeschlossen, um zu schlussfolgern, dass die beobachteten Effekte zufällig seien.“

Dr. Angeliki Lyssimachou, Senior Science Policy Officer bei HEAL und Mitverfasserin des Berichts, sagte: „Die wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Glyphosat Krebs verursachen kann und daher gefährlich für die menschliche Gesundheit ist, häufen sich – aber die EU-Bewertung stützt sich weiterhin hauptsächlich auf die Argumente der Industrie, was dazu führt, dass schädliche chemische Substanzen wie Glyphosat als für die Vermarktung sicher betrachtet werden. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten dürfen sich bei ihren Entscheidungen nicht länger auf diese dysfunktionale wissenschaftliche Bewertung stützen. Die Mission der EU, den Krebs zu besiegen, beginnt hier und jetzt mit einem Verbot von Glyphosat.“

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die für die weitere Risikobewertung von Glyphosat als Pestizid zuständig ist, hat eine erhebliche Verzögerung bei der Veröffentlichung ihres Bewertungsergebnisses angekündigt [5]. Dies bedeutet eine einjährige Verlängerung der Glyphosat-Genehmigung über den derzeitigen Genehmigungszeitraum hinaus, so dass gefährdete Gruppen weiterhin dem schädlichen Pestizid ausgesetzt sein werden. Auf der Grundlage der Bewertung von ECHA und EFSA werden dann die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten eine Entscheidung über die von der Industrie beantragte 15-jährige Verlängerung der Genehmigung für Glyphosat treffen.

Pressekontakt:

  • Dr. Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, peter.clausing@pan-germany.org, +49 176 4379 5932

1. https://pan-germany.org/download/heal-report-how-the-eu-risks-greenlighting-a-pesticide-linked-to-cancer/
2. https://www.iarc.who.int/featured-news/media-centre-iarc-news-glyphosate/
3. Regulation (EC) No 1107/2009 of the European Parliament and of the Council of 21 October 2009 concerning the placing of plant protection products on the market and repealing Council Directives 79/117/EEC and 91/414/EEC; Annex II, section 3.6 ‘Impact on human health’
4. https://www.env-health.org/ominous-first-step-in-eu-renewal-process-of-glyphosate-4-member-states-suggest-no-risk-for-human-health-heal-comment/
5. https://www.env-health.org/health-and-environmental-groups-raise-alarms-over-eu-chemicals-agencys-failure-to-classify-glyphosate-as-a-carcinogen-for-human-health/
6. https://www.efsa.europa.eu/en/news/glyphosate-efsa-and-echa-update-timelines-assessments

 




Revealed: EU Glyphosate assessment was based on flawed science

[3. July 2021] A new scientific analysis (1) concludes that the European Food Safety Authority’s (EFSA) claim that glyphosate is not genotoxic cannot be justified on the basis of manufacturers’ studies. Of the 53 industry-funded studies used for the EU’s current authorization of glyphosate, 34 were identified as „not reliable“, 17 as „partly reliable“ and only 2 studies as „reliable“ from a methodological point of view.

Several civil society organizations from the successful European Citizen Initiative (ECI) „Stop Glyphosate“ (2) are calling on the European Food Safety Authority (EFSA) to take into account these new findings in the new authorization procedure of glyphosate, which are very worrying from an environmental and health point of view (3).

Genotoxicity studies indicate the risk of cancer and reproductive damage posed by a chemical. Public authorities that were involved in the previous European authorization procedure – namely the German Health Authority BfR and EFSA – wrongfully accepted these industry studies as key evidence of the absence of glyphosate genotoxicity. EFSA used this flawed science as a basis to contradict the International Agency for Research on Cancer (IARC)’s 2015 conclusion that glyphosate does in fact “probably cause cancer”.

The current approval of glyphosate on the EU market is expiring on 15 December 2022. A first screening of industry’s 2020 new glyphosate application dossier shows that 38 of the 53 genotoxicity studies on “pure” glyphosate submitted in the previous assessment have been submitted once more to the EU authorities by Bayer Agriculture BV, on behalf of the Glyphosate Renewal Group.

Angeliki Lyssimachou, Environmental Scientist at the Health and Environment Alliance (HEAL) said: “This new scientific analysis shows yet again that the European Union’s claim to having the most rigorous pesticide authorization procedure in the world has to be taken with a heavy grain of salt. The authorization procedure in place is evidently not rigorous enough to detect errors in the execution of the regulatory studies that are blindly considered the gold standard. Yet these were at the heart of the 2017 EU-market approval of glyphosate, and they have now been submitted again in an effort to water down scientific evidence that glyphosate may cause cancer and is a danger to human health.”

Helmut Burtscher, Biochemist at GLOBAL 2000 said: “If you subtract from the 53 genotoxicity studies, those studies that are not reliable and those studies that are of minor importance for the assessment of genotoxicity in humans, then nothing remains. Nothing, except the question on what basis the EU authorities have claimed that glyphosate is ’not genotoxic‘. Did they have a crystal ball?”

Peter Clausing, Toxicologist at Pesticide Action Network Germany (PAN Germany) said:  “A rigorous authorization procedure is a necessary, but not a sufficient condition to protect the health of the people and the environment. In 2017 the authorities of the European Union violated their own rules to ensure an outcome that pleased the chemical industry. Not much is achieved, if rules and recommendations are on paper, but not applied.”

Nina Holland, Researcher at Corporate Europe Observatory said: „The last re-approval process of glyphosate caused huge controversies, as Monsanto was shown to be undermining the science regarding the harmful effects of glyphosate. This new scientific review puts once more a finger on a sore spot: that national regulators and EU authorities alike do not seem to pay close scrutiny when looking at the quality of industry’s own studies. This is shocking as it is their job to protect people’s health and the environment, not serve the interests of the pesticide industry.“

Eoin Dubsky, Campaigner at SumOfUs said: “People are sick of glyphosate, and we’re sick of being lied to. That’s why SumOfUs members funded this important analysis, and why we’ll keep campaigning until this herbicide is banned. How could EFSA give glyphosate a thumbs-up based on such shoddy scientific studies, when IARC warned that it’s genotoxic, and probably cancer-causing too?”

ENDS

You can find the scientific study here

You can find a Q&A on the study here

You can find a short backgrounder on what happened so far in the glyphosate dossier here

 

For more information and interview requests:

Helmut Burtscher, Biochemist at GLOBAL 2000: helmut@global2000.at and +43 69914200034

Angeliki Lyssimachou, Environmental Scientist at Health and Environment Alliance (HEAL): angeliki@env-health.org and +32 496 392930

Nina Holland, Researcher at Corporate Europe Observatory (CEO): nina@corporateeurope.org and +32  466294420

Peter Clausing, Toxicologist at Pesticide Action Network Germany (PAN Germany): peter.clausing@pan-germany.org and  +49 176 4379 5932.

Eoin Dubsky, Campaigner at SumOfUs: eoin@sumofus.org and +31 641636410

 

Notes to the editor:

(1) The scientific analysis was conducted by Armen Nersesyan and Prof. Siegfried Knasmueller, two renowned experts on genotoxicity testing, from the Institute of Cancer Research at the Department of Medicine I, Medical University of Vienna. No less than 34 out of 53 industry-funded genotoxicity studies used for the EU’s current authorization of glyphosate were identified by the scientists as „not reliable“, because of substantial deviations from OECD Test Guideline, which can be expected to impair the sensitivity and accuracy of the test system. As for the rest of the 53 studies, 17 were „partly reliable“ and only 2 studies „reliable“.

(2) Stop Glyphosate – European Citizens‘ Initiative to Ban Glyphosate

(3) The European Commission and member states are gearing up to review the current approval of glyphosate, which expires on 15 December 2022. The industry has started the process to renew it. The assessment of the application for EU renewal of glyphosate was performed by the AGG, consisting of the authorities for the assessment of active ingredients of France, Hungary, the Netherlands and Sweden (the last assessment procedure was handled by Germany alone). The assessment was sent to EFSA on 15 June and was based on a dossier submitted last summer by the applicants, the Glyphosate Renewal Group (GRG). See: pesticides_aas_agg_report_202106.pdf (europa.eu)

Glyphosate is the most widely-used pesticide in the world. Exposure to glyphosate-based herbicides has been linked to certain types of cancer, as well as to adverse effects on the development and hormonal system.

In 2015, the International Agency for Research on Cancer (IARC) concluded that glyphosate „probably causes cancer“. Yet in 2017, glyphosate was reauthorised on the European market until December 2022 by representatives of European governments. This decision was criticised heavily by civil society groups and scientists alike for lacking transparency and scientific objectivity, being predominantly based on industry-sponsored studies and overlooking findings from academic independent literature.

Back in 2015 – 2017 civil society and members of the European Parliament managed to reduce the glyphosate authorization in the European Union from 15 years to 5 years. More importantly, the campaign raised awareness on the toxicity of glyphosate-based products, the major problems underlying the pesticide authorization system and how there are alternatives to glyphosate in agriculture.

In March 2019 four Green Members of the European Parliament got a positive ruling from the ECJ (https://www.greens-efa.eu/en/article/press/ecj-ruling-a-victory-in-the-fight-for-health-transparency-and-the-environment ) stating EFSA should publish all (secret) studies around the cancer risks of glyphosate. NGO SumOfUs requested 54 genotoxicity studies from EFSA and started a crowd funding action to be able to pay independent scientists to screen these studies.




Dringender Handlungsbedarf in der Tierproduktion um Antibiotikaresistenzen zu stoppen

Hamburg, 23.11.2022. Pressemitteilung. Antibiotika zur Behandlung von Infektionen sind aus der modernen Medizin nicht wegzudenken. Aber die zunehmende Entwicklung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen sind ein Problem mit nicht absehbarem Ausmaß. Anlässlich der europäischen Antibiotika Woche 2022 warnt PAN Germany, die Bedeutung des regelmäßigen Einsatzes von Antibiotika in der Tierproduktion nicht zu unterschätzen, und mahnt, dem „One-Health“-Ansatz Rechnung zu tragen, um die Pandemie der Antibiotikaresistenz erfolgreich zu bekämpfen.

Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen bei Menschen und die damit in Verbindung gebrachten Todesfälle nehmen deutlich zu. Das Robert-Koch-Institut (RKI) warnt bereits vor einer „schleichende Pandemie“.[1] Laut dem Institut für Health Metrics und Evaluation (IHME) sind rund 1,3 Millionen Todesfälle jährlich direkt auf antimikrobielle Resistenzen zurückzuführen, davon knapp 9.700 Todesfälle pro Jahr in Deutschland.

Wenn Antibiotika bei der Aufzucht und Mast von lebensmittelliefernden Tieren zum Einsatz kommen, können sie entlang ihres gesamten Lebenszyklus – von der Produktion, über den Einsatz, bis hin zur Entsorgung –  in die Umwelt gelangen. In freien Aquakulturen gehen bis zu 75 % der eingesetzten Antibiotika in die Umgebung verloren.[2] Wirkstoffrückstände können sich in Pflanzen und Nichtzieltieren anreichern, negative Wirkungen auf Ökosysteme haben und Gewässer und Lebensmittel, einschließlich Trinkwasser, kontaminieren. Da jede antimikrobielle Dosis die Resistenzentwicklung fördert, tragen Tier-Antibiotika in der Umwelt ebenfalls dazu bei, dass sich antimikrobielle Resistenzen schneller entwickeln und verbreiten.

Der Einsatz von Antimikrobiotika wie Antibiotika gehört heute zur gängigen Praxis in der Behandlung von Infektionen bei Nutztieren. Allerdings werden Arzneimittel in der Tierproduktion auch missbräuchlich eingesetzt, um wirtschaftliche Praktiken aufrechtzuerhalten, die Profit über Umwelt, menschliche Gesundheit und Tierwohl stellen. Stress durch wenig Platz und Bewegungsmangel, unangemessene Futtermittel, Hochleistungsansprüche, frühes Absetzen der Jungtiere und mangelnde Hygiene können nachweislich die Gesundheit der Nutztiere negativ beeinflussen. Tamara Gripp, Referentin für Landwirtschaft und Umwelt bei PAN Germany, sagt dazu: „Es ist jetzt an der Zeit, ein gesundheitsorientiertes System in der Tierproduktion zu schaffen, das Tierwohl und Gesunderhaltung in den Vordergrund stellt und eine verantwortungsvolle Reduktion des Antibiotikaeinsatzes ermöglicht. Das ist im Sinne der Ziele der EU „Farm to Fork“-Strategie (vom Hof auf den Tisch), ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem zu erreichen, und im Sinne des One-Health-Ansatzes für einen gemeinsamen Kampf gegen Antibiotikaresistenz.“

Der gemeinsam von PAN Germany und Healthcare without harm (HCWH) Europe Anfang des Jahres veröffentlichte Bericht „Tierarzneimittel in der europäischen Lebensmittelproduktion: Perspektiven für die Umwelt, die öffentliche Gesundheit und den Tierschutz“ zeigt Tendenzen beim Einsatz von Tierarzneimitteln, verdeutlicht die Auswirkungen von Tierarzneimitteln auf Umwelt, öffentliche Gesundheit und Tierwohl und stellt die wichtigsten rechtlichen Änderungen bei der Verwendung von Tierarzneimitteln durch den neuen EU-Rechtsrahmen für Tierarzneimittel vor.[3] Zudem gibt der Bericht Empfehlungen für den Lebensmittelsektor für ein gesundheitsorientiertes System und eine verantwortungsvolle Verwendung von Tierarzneimitteln.

Kontakt:

Tamara Gripp, MSc. Environmental Management
Referentin Landwirtschaft / Umwelt (Advisor Agriculture / Environment)

E-Mail: tamara.gripp@pan-germany.org

[1] Pressemitteilung RKI (18.10.2022) https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/06_2022.html

[2] Grigorakis, K. et al. (2011) Aquaculture effects on environmental and public welfare. www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0045653511008344

[3] PAN Germany & HCWH Europe (2022) Tierarzneimittel in der europäischen Lebensmittelproduktion: Perspektiven für die Umwelt, die öffentliche Gesundheit und den Tierschutz. https://pan-germany.org/download/bericht-tierarzneimittel-in-der-europaeischen-lebensmittelproduktion/




Die Darstellung von Glyphosat in der medialen Öffentlichkeit

Eine Analyse der Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung und der tageszeitung

PAN Germany Pestizid-Brief 2 – 2019

Wohl kaum ein anderer Herbizidwirkstoff erfährt so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie Glyphosat. Das öffentliche Interesse lässt sich nicht nur damit begründen, dass Glyphosat das weltweit am häufigsten genutzte Herbizid ist (vgl. Benbrook 2015). Sondern vor allem die Kontroverse, ob Glyphosat krebserregend für Menschen ist, führte zu einer erhöhten Berichterstattung in den Massenmedien. Die Frage der Krebsgefahr von Glyphosat ist deshalb kontrovers, weil unterschiedliche Institutionen zu konträren Einschätzungen kommen. Besonders die Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (IARC), dass Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“ (IARC 2015) sei, fand ein breites Echo in der Öffentlichkeit. Andere Institutionen, wie etwa das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR 2019) oder die Europäische Chemikalien Agentur (ECHA 2017), sehen durch den Gebrauch von Glyphosat kein Krebsrisiko für den Menschen. Die dispersen Bewertungen der verschiedenen Institutionen resultieren aus unterschiedlichen Interessen sowie unterschiedlichen toxikologischen Bewertungen, was sich auch auf regulativer Ebene widerspiegelt. Nach EU-Recht sollte ein Stoff nicht genehmigt werden, der „wahrscheinlich krebserregend“ ist, und somit ein Gefahrenpotenzial besitzt. Die Problematik, dass regulative Behörden den Gefahrenansatz für die Risikoabschätzung nicht voll umsetzen, legt Clausing (2017) dar. Neben den Akteuren und Institutionen, die in der Risikoabschätzung von Glyphosat beteiligt sind, ist auch die öffentliche Darstellung von Glyphosat relevant. Schließlich ist die massenmediale Berichterstattung nicht nur eine zentrale Informationsquelle, sondern auch eine wesentliche Basis für unsere Einstellungen, unser Weltbild und unsere Meinungen (Gamson/Modigliani 1989; Gerhards/Neidhardt 1990; Schmidt/Schäfer 2015). Freilich soll hier von keiner Übermacht der Medien ausgegangen werden, dennoch konstruieren Medien soziale Realität (Tuchmann 1978). Mit Blick auf Glyphosat stellt sich beispielsweise die Frage: Welche Bilder werden in der Berichterstattung vermittelt? Wird das Krebsrisiko ernsthaft thematisiert oder wird Glyphosat als nützliches Mittel dargestellt? Und welche Akteure kommen zu Wort? Die Berichterstattung zu Glyphosat ist damit hochpolitisch, denn je nachdem wie Leitmedien über Glyphosat berichten, kann dies zu einer erhöht kritischen Stimmung in der Öffentlichkeit führen.

An dieser Stelle wird ein Blick auf die deutsche Berichterstattung über Glyphosat genommen. Der Fokus liegt auf der Presseberichterstattung von zwei Leitmedien: der Süddeutschen Tageszeitung (SZ) und der tageszeitung (taz). Nach der Bild-Zeitung steht die SZ aktuell auf Platz zwei der auflagenstärksten Tageszeitungen in Deutschland; die taz steht auf Platz sechs (vgl. Statista 2019). Die beiden Tageszeitungen sind im politischen Spektrum links (taz) beziehungsweise mitte-links (SZ). Der Vergleich zwischen der SZ und der taz ist insofern interessant, als die SZ zunächst die Auflagenstärkste Tageszeitung der Qualitätspresse ist, während die taz für ihre alternative Ausrichtung bekannt ist. Im Vergleich der beiden Tageszeitungen soll deutlich werden, ob und inwiefern Tendenzen in der Berichterstattung erkennbar sind. Die Auswahl der Artikel erfolgte per Stichwortsuche („Glyphosat“) in den Online-Archiven der Zeitungen. Dabei wurden alle Artikel berücksichtigt, die vier Wochen vor und nach den folgend dargestellten Daten und Ereignissen publiziert wurden – außer im Jahr 1996 wurden alle Artikel analysiert, die zu Glyphosat erschienen sind, da kein konkretes Datum recherchiert werden konnte, wann exakt Roundup Ready Saatgut nach Deutschland kam:

  • 01.01.1996 – 31.12.1996: Roundup-Ready-Saatgut kommt in Deutschland auf den Markt.
  • 20.03.2015: Die IARC klassifiziert Glyphosat als “wahrscheinlich krebserregend”.
  • 29.06.2016: Die Europäische Union lässt Glyphosat für weitere 15 Monate zu.
  • 10.05.2016: Die Übernahme von Monsanto durch Bayer wird öffentlich bekannt gemacht.
  • 14.03.2017: Die Monsanto-Papiere werden publik gemacht.
  • 15.03.2017: Der Ausschuss für Risikobewertung der ECHA stuft Glyphosat nicht als wahrscheinlich krebserregend ein.
  • 27.11.2017: Die EU lässt Glyphosat für weitere fünf Jahre zu.

Folgende Fragen zur Darstellung von Glyphosat in den ausgewählten Medien werden im weiteren Verlauf beantwortet:

  1. Zu welchen Zeitpunkten ist die Berichterstattung über Glyphosat besonders hoch?
  2. Welche Risiken von Glyphosat werden thematisiert?
  3. Welche Nutzen von Glyphosat werden dargestellt?
  4. Welche Akteure werden genannt?
  5. Welche Akteure werden direkt zitiert?

Der Begriff „Risiko“ meint hier nicht das Risiko im toxikologischen oder regulativen Sinne, sondern bezieht sich auf ein sozialwissenschaftliches Konzept zur Untersuchung öffentlicher Kommunikation. Konkret referiert der Begriff „Risiko“ hier auf das Frame-Konzept des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Robert Entman (1993). Entman untersucht, wie Themen in den Medien „gerahmt“ werden (Rahmen = Frame). Entman geht davon aus, dass Themen eher unter einem Blickwinkel eines „Risikos“ oder aus der Perspektive eines „Nutzens“ präsentiert werden. Daher bezieht sich Risiko in der folgenden Analyse nicht auf ein toxikologisches Risiko, sondern allgemein auf die Frage, ob Glyphosat im Kontext eines Risikos (und das muss nicht toxikologisch verstanden werden, sondern kann zum Beispiel auch ein wirtschaftliches oder politisches Risiko sein) oder im Kontext eines Nutzens präsentiert wird. Da Glyphosat aber auch im toxikologischen Sinne aufgrund seines Gefahrenpotenzials ein Risiko darstellt, sind diese zwei Verständnisse von Risiko zu beachten.

Die Frage nach den Akteuren ist bedeutsam, da es einen Unterschied macht, ob vermehrt Akteure aus der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik oder von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) benannt und zitiert werden, da hierdurch differenzierte Anschauungen dargestellt werden. Welche Akteure sind sichtbar und wer kommt zu Wort – werden bestimmte Akteure kaum genannt oder zitiert, ist dies ebenfalls politisch, da Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit überhaupt Voraussetzung ist, um den eigenen Argumenten Gehör zu verschaffen.

Frage 1: Zu welchen Zeitpunkten ist die Berichterstattung besonders hoch?

Vier Wochen vor und nach den zuvor genannten Daten inklusive aller Artikel aus dem Jahr 1996 sind in der SZ insgesamt 152 zu Glyphosat erschienen, in der taz sind es 74 Artikel.

An der Anzahl und der Verteilung der Artikel wird bereits deutlich, dass Glyphosat in der Berichterstattung beider Tageszeitungen zu einem politisierten Thema wurde. Während die IARC Klassifizierung vor allem in der SZ zunächst eher minimal berücksichtigt wurde (mit einem Artikel), stieg die Berichterstattung mit dem politischen Disput zunächst in der EU und später vor allem in Deutschland zwischen der damaligen Umweltministerin Barbara Hendricks und dem Landwirtschaftsminister Christian Schmidt deutlich an. Nun stellt sich die Frage, wie über Glyphosat berichtet wurde.

Frage 2 und 3: Welche Risiken und welche Nutzen von Glyphosat werden thematisiert?

Tabelle 2 gibt einen Überblick über Risiken und Nutzen, die im Zusammenhang mit Glyphosat diskutiert wurden. Dabei kann ein Artikel mehrere Nutzen und/oder Risiken benennen. Da die Anzahl der Gesamtartikel von taz und SZ sehr unterschiedlich ausfiel, wird zunächst die absolute Anzahl an Artikeln dargestellt und sodann die Prozentzahl. Die Prozentzahl bezieht sich dabei auf 100% der jeweiligen Zeitung. So wurde beispielsweise in 18,92% der Artikel in der taz die Gefahr, Glyphosat ist wahrscheinlich krebserregend, thematisiert, während dieser Aspekt in 7,24% aller hier analysierten SZ-Artikel problematisiert wurde.

Tabelle 2: Übersicht Risiken und Nutzen von Glyphosat (SZ = 152 Artikel; taz = 74 Artikel)

Insgesamt werden deutlich mehr Risiken thematisiert als Nutzen. In beiden Tageszeitungen werden in weniger als 10% der Artikel Nutzen von Glyphosat thematisiert. Auch die Bandbreite an genannten Nutzen ist vergleichsweise gering als diejenige an Risiken. Mit Blick auf die Risiken wird abermals die politische Perspektive auf Glyphosat deutlich. So ist in beiden Tageszeitungen der politische Disput um Glyphosat das meist genannte Risiko – vorrangig geht es dabei um das Risiko des Vertrauensbruchs zwischen den damaligen Bundesministern Christian Schmidt und Barbara Hendricks und der damit verbundenen Frage, ob es 2017 dennoch zu Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU/CSU und der SPD kommen konnte. Die Krebsgefahr und allgemeine Sorgen, die nicht weiter spezifiziert werden, sind ebenfalls ein öfter diskutiertes Risiko – wobei die taz das Krebsgefahr in fast 19% der hier analysierten Artikel thematisiert, während es in der SZ lediglich rund 7% der Artikel sind. Umweltrisiken werden hingegen kaum problematisiert; allerdings werden diese vermehrt in der SZ diskutiert als in der taz. Ebenfalls fällt auf, dass jeweils knapp weniger als 20% der Artikel beider Tageszeitungen weder ein Risiko noch einen Nutzen problematisieren; zudem muss berücksichtigt werden, dass für wenige SZ-Artikel die Analyse noch aussteht.

Frage 4 und 5: Welche Akteure werden genannt und welche Akteure werden zitiert?

Tabelle 3 fasst zusammen, welche Typen von Akteuren in den beiden Tageszeitungen genannt und welche direkt zitiert werden. Die Nennung bestimmter Akteure ist bedeutsam, da ein Akteur überhaupt erst sichtbar sein muss, damit er in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann. Eine direkte Zitation gibt dem Akteur wiederum noch mehr Sichtbarkeit, da eine direkte Aussage via Berichterstattung an ein breites Publikum vermittelt wird. In der Tabelle wird jeweils zunächst dargestellt, welcher Akteurstyp genannt wurde und sodann welcher Akteurstyp direkt zitiert wurde. An dieser Stelle werden die Akteurstypen präsentiert – das heißt, die Frage ob beispielsweise politische oder wirtschaftliche Akteure genannt und zitiert wurden. Die Analyse fand feingliedriger statt und hat jeden konkreten Akteur (Organisationen ebenso wie einzelne Personen) erfasst. Der Blick auf die Akteurstypen ist aufschlussreich, da daran erkannt wird, ob Glyphosat eher mit einem Fokus auf die Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft oder Umwelt oder Zivilgesellschaft betrachtet wird. Hier wird ein besonderes Augenmerk auf NGOs gerichtet. NGOs werden hier als Gruppen der Zivilgesellschaft verstanden, die keine Absicht haben, eine Regierung zu bilden. Gleichwohl können Sie ein bestimmtes politisches Weltbild repräsentieren, was beispielsweise bei politischen Stiftungen der Fall ist – gleichzeitig sind politische Stiftungen finanziell und organisatorisch von Parteien unabhängig (vgl. Massing 2015, o. S.). Organisationen, die wiederum wirtschaftliche Interessen hinter sich vereinen, zählen hier nicht zu NGOs. Die Glyphosat Task Force wird hier als wirtschaftliche Organisation kategorisiert. Verbrauchergruppen wurden ebenfalls separat kategorisiert, da diese typischerweise mit dem Akteurstyp Verbraucher in Verbindung gesetzt werden und damit in der Berichterstattung einen spezifischen Fokus setzen, der in diesem Kontext gesondert berücksichtigt wird (eben das Thema Verbraucherschutz/Verbraucher). Die Angaben in der Tabelle sind die Prozentzahlen aller analysierten Artikel (SZ = 152 Artikel, taz = 74 Artikel):

Tabelle 3: Übersicht genannte und direkt zitierte Akteure (SZ = 152 Artikel, taz = 74 Artikel)

Abermals wird deutlich, dass Glyphosat vor allem vor einem politischen Hintergrund dargestellt wird. In beide Zeitungen sind politische Akteure sowohl die meist genannten als auch die meist zitierten Akteure – am Rande sei bemerkt, dass Christian Schmidt in seiner Funktion als Bundeslandwirtschaftsminister der meist genannte und meist zitierte politische Akteur ist. Die taz benennt und zitiert deutlich häufiger politische Akteure als die SZ. Am zweithäufigsten, aber bereits deutlich weniger werden wirtschaftliche Akteure genannt. Vor allem fällt hier die geringe Anzahl an Artikeln auf, die einen wirtschaftlichen Akteur direkt zitieren. Lediglich in 5,2% (SZ) beziehungsweise 9,4% (taz) der Artikel werden wirtschaftliche Akteure wortwörtlich wiedergegeben. Allerdings werden in deutlich weniger Artikeln Expert*innen, Bürger*innen oder Landwirt*innen zitiert. Dies verdeutlicht, dass weder wissenschaftliche Aussagen noch die Perspektive der zuvorderst betroffenen Landwirt*innen einen prominenten Stellenwert in der analysierten Berichterstattung haben. Interessant sind die Befunde zu NGOs. Zwar werden in nur wenigen Artikeln NGOs thematisiert, allerdings fällt die Erfolgsquote für ein direktes Zitat vergleichsweise hoch aus. Folgende NGOs werden in den Artikeln der SZ genannt: Greenpeace (in drei Artikeln), PAN (in drei Artikeln), BUND (in drei Artikeln), Umweltinstitut München (in zwei Artikeln), Global 2000 (in einem Artikel), zudem werden in vier Artikeln „NGOs“ allgemein genannt, ohne ein konkretes Beispiel zu nennen. Direkte Zitate gibt die SZ von Vertreter*innen des BUND (in zwei Artikeln), PAN (in 2 Artikeln) und des Umweltinstitut München (in einem Artikel) wieder. In der taz werden folgende NGOs genannt: BUND (in neun Artikeln), Greenpeace (in vier Artikeln), und in jeweils einem Artikel: Heinrich Böll Stiftung, Global 2000, PAN, Koordination gegen Bayer-Gefahren, Bund für Ökologische Lebensmittel, Friends of the Earth, NABU, Organisation Corporate Europe Observatory und schließlich namentlich Jan Plagge als Vertreter verschiedener Institutionen (hier wird die Verbindung zwischen verschiedenen Akteurstypen erkennbar, in diesem Fall zwischen NGOs und Landwirtschaft). Direkt zitiert werden in der taz folgende NGOs: BUND (in sechs Artikeln), und in jeweils einem Artikel: Greenpeace, Global 2000, Organisation Corporate Europe Observatory, Bund für Ökologische Lebensmittel, Koordination gegen Bayer-Gefahren und abermals Jan Plagge als Vertreter verschiedener Organisationen und Akeurstypen. NGOs sind in der taz der am zweithäufigsten zitierte Akteurstyp.

Insgesamt wird deutlich, dass Glyphosat in der Berichterstattung von SZ und taz ein politisiertes Thema ist. Dies zeigt sich sowohl mit Blick auf die dargestellten Risiken und Nutzen als auch mit Blick auf die thematisierten Akteure. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Journalist*innen den politischen und zivilgesellschaftlichen Diskurs aufgegriffen haben, ob Glyphosat hinsichtlich festgestellter Gefahren und (toxikologischer) Risiken neu regulativ bewertet werden muss oder nicht. Diese Bewertung hat per Gesetz unabhängig von einer Nutzenbewertung zu erfolgen. Der politisch-regulative Status quo von Glyphosat war damit Anlass für die Berichterstattung. Gleichsam zeigt sich, dass Journalist*innen das Thema spezifisch gerahmt haben. So überwiegt in beiden Tageszeitungen die Problematisierung von Risiken (gegenüber Nutzen). Allerdings sind die unterschiedlichen Verständnisse von Risiko zu beachten. Risiko meint hier nicht das toxikologische Risiko von Glyphosat, sondern referiert auf allgemeine Risiken. Tatsächlich stehen weder gesundheitliche noch Umweltrisiken im Vordergrund, sondern der Fokus liegt auf dem politischen Disput (politisches Risiko). Vor allem die unterschiedlichen Positionen von Christian Schmidt und Barbara Hendricks sowie der Alleingang des damaligen Landwirtschaftsministers bilden die Hauptproblematik in den analysierten Artikeln. Christian Schmidt hatte 2017 bei der Abstimmung in der EU für eine weitere Genehmigung von Glyphosat gestimmt. Dies war illegitim, da das deutsche Umweltministerium gegen die Genehmigung war und sich Deutschland in dieser „Pattsituation“ (ein zuständiges Ministerium war für, ein zuständiges Ministerium war gegen die Genehmigung) daher bei der Abstimmung hätte enthalten müssen. Journalist*innen haben schließlich sowohl Glyphosat als kontroverses Mittel als auch die politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit der weiteren Genehmigung kritisch beleuchtet. Dies entspricht mithin dem Anspruch an Journalist*innen kritisch zu berichten, schließlich hat der Journalismus eine Kritik- und Kontrollfunktion (vgl. Donges/Jarren 2017).

Abschließend sei angemerkt, dass die hier präsentierten Daten Auszüge aus einem noch laufenden Forschungsprojekt zur Darstellung von Glyphosat in der Deutschen und US-Amerikanischen Presse sind. Bei weiteren Fragen steht die Autorin sehr gerne Rede und Antwort.

 

(Martha Kuhnhenn)

Die Verantwortung für den Inhalt des Artikels liegt bei der Autorin. Ein besonderer Dank geht an Susanne Smolka und Tamara Gripp von PAN Germany.

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Benbrook, Charles M. (2016): Trends in Glyphosate Herbicide Use in the United States and Globally. Environmental Sciences Europe 28(3), S. 1-15.

Bundesinstitut für Risikobewertung BfR (2019): Neue Meta-Analyse zu glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln ändert die Bewertung des Wirkstoffs nicht. DOI 10.17590/20190402-10482. https://www.bfr.bund.de/cm/343/neue-meta-analyse-zu-glyphosathaltigen-pflanzenschutzmitteln-aendert-die-bewertung-des-wirkstoffs-nicht.pdf [11.06.2019]

Clausing, Peter (2017): Krebsgefahr durch Glyphosat: Der „Weight of Evidence Approach“ des BfR In: Umwelt – Hygiene – Arbeitsmed 22 (1), S. 27-34.

Donges, Patrick/Jarren, Otfried (2017): Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Wiesbaden: Springer.

European Chemicals Agency ECHA (2017): https://echa.europa.eu/-/glyphosate-not-classified-as-a-carcinogen-by-echa [11.06.2019]

Entman, Robert (1993): Framing. Toward Clarification of a Fractured Paradigm. Journal of Communication 43(4), S. 51-58.

Gamson, William A./Modigliani, Andre (1989): Media Discourse and Public Opinion on Nuclear Power: A Constructionist Approach. American Journal of Sociology 95(1), S. 1-37.

Gerhards, Jürgen/Neidhardt, Friedhelm (1990): Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze, WZB Discussion Paper, No. FS III, S. 90-101.

International Agency for Research on Cancer IARC (2015): IARC Monograph on Glyphosate https://www.iarc.fr/featured-news/media-centre-iarc-news-glyphosate/ [08.08.2019]

Massing, Peter (2015): Politische Stiftungen. https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/politische-bildung/193401/politische-stiftungen?p=all [06.08.2019]

Schmidt, Andreas/Schäfer, Mike (2015): Constructions of Climate Justice in German, Indian and US media. In: Climatic Change 133, S. 535–549.

Statista (2019): Überregionale Tageszeitungen in Deutschland nach verkaufter Auflage im 1. Quartal 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/73448/umfrage/auflage-der-ueberregionalen-tageszeitungen/ [11.06.2019]

Tuchman, Gaye (1978). Making news: A Study in the Construction of Reality. New York: Free Press.




Auch in Naturschutzgebieten sind Insekten einer erheblichen Belastung durch Pestizide ausgesetzt

PAN Germany Pestizid-Brief 2 – 2021

Hintergrund
2017 veröffentlichte der Entomologische Verein Krefeld (EVK) in Deutschland zusammen mit der niederländischen Radboud Universität Nijmegen eine Studie über den Rückgang an Insektenbiomasse in mehreren deutschen Naturschutzgebieten (NSG). Die Daten wurden mithilfe standardisierter Malaise-Insektenfallen erhoben[1].
Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Insektenbiomasse von Fluginsekten in den 27 Jahren von 1989 bis 2016 um etwa 76 % zurückgegangen ist.
Die Hauptursachen für diesen Rückgang konnten in dieser Studie nicht benannt werden. Es wurden jedoch einige potenzielle Ursachen genannt, wie z.B. die intensiv-konventionelle Landwirtschaft in der Nähe der Untersuchungsgebiete. Messdaten über das Vorkommen von Pestiziden in NSG lagen jedoch nicht vor. Um Informationen über das Vorkommen von Pestiziden in den Naturschutzgebieten und auf angrenzenden Flächen und deren mögliche Auswirkungen auf Insekten zu bekommen, untersuchte ein Forscherteam des WECF (Women Engage for a Common Future e.V.) und Buijs Agro-Services im Herbst 2019 an 32 Standorten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz insgesamt 89 Vegetations- und Bodenproben sowie Proben von tierischen Exkrementen auf Pestizidbelastungen. Die Studienergebnisse sind in der Veröffentlichung „Insektenschwund und Pestizidbelastung in Naturschutzgebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz“ veröffentlicht[2] und wurden in einem Online-Seminar am 15. März 2021 der Öffentlichkeit vorgestellt[3]. Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung werden im Folgenden zusammengefasst.

Untersuchungskonzept
Von den 32 untersuchten Standorten befanden sich 22 Standorte in 15 Naturschutzgebieten, ohne landwirtschaftliche Aktivität, 5 Standorte lagen in 3 Gebieten, die entweder direkt an ein NSG angrenzen oder in einem landwirtschaftlich genutzten NSG („Pufferzone“). Zusätzlich wurden Kontroll-Proben auf Pestizide untersucht, die von 5 Referenz-Standorten in 5 bewaldeten Gebieten mit einer Entfernung von 3 bis 5 km zur nächsten Ackerflächen stammten („Referenzgebiete“). Mit Ausnahme der Referenzgebiete, waren die untersuchten Standorte Teil des Forschungsgebiets des Entomologischen Vereins Krefeld. So war es möglich, zumindest indirekt, die Messergebnisse mit den Entwicklungen der Insektenpopulationen in Beziehung zu setzen.

Alle Proben wurden mittels einem Multi-Analyseverfahren auf 661 verschiedene Pestizid-Wirkstoffe, einschließlich einiger Biozide und Metaboliten mit einer Messgenauigkeit (LOQ) von ungefähr 1 Mikrogramm pro Kilogramm Frischgewicht (1 µg/kg) analysiert. Darüber hinaus wurden die Bodenproben auf die Herbizide Glyphosat, seinem Abbauprodukt AMPA sowie auf Glufosinat analysiert. Für die Bewertung der Funde wurde eine toxikologische Literaturrecherche durchgeführt.

Ergebnisse der Untersuchung
Alle untersuchten Vegetation- und Bodenproben, sowie Proben von Exkrementen waren mit Pestiziden belastet. In den 89 untersuchten Proben wurden insgesamt 94 verschiedene Pestizide, einschließlich Bioziden und Metaboliten gefunden. Ein Drittel dieser Substanzen waren zum Zeitpunkt der Probenahme nicht mehr als Pestizid („Pflanzenschutzmittel“-Wirkstoff) oder als Biozid-Wirkstoff zur Anwendung zugelassen, einschließlich der Metabolite nicht zugelassener Muttersubstanzen. Bei einigen der gefundenen nicht-zugelassenen Substanzen wie z.B. DDT oder Lindan wurde davon ausgegangen, dass sie aus historischen Verwendung stammten. Von den 94 gefundenen Pestiziden stammten vier aus anderen als aus gegenwärtigen oder historischen landwirtschaftlichen Quellen, aus dem Straßenverkehr (Verbrennungsmotoren) oder der Industrie wie beispielsweise Papier oder Textilindustrie. Diese 4 Substanzen hatten bis 2008-2013 noch eine Zulassung als Pflanzenschutzmittel oder eine Registrierung als Biozid und sind deswegen in der Studie als Pestizid bewertet. Einige der häufig gefundenen Substanzen wie die Herbizide Pendimethalin und Prosulfocarb wurden bereits in anderen Studien als weitverbreitet in der Luft  nachgewiesen [4].Hierbei handelt es sind vor allem flüchtige und persistente Pestizide, deren Verbreitung über die Luft in der  Umwelt aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften unvermeidlich ist. Unter den 94 insgesamt nachgewiesenen Pestiziden befanden sich 28 Insektizide, Akarizide und ihre Metaboliten. Insgesamt wurden in den beprobten NSG ohne jegliche landwirtschaftliche Nutzung 53 verschiedene Pestizide gefunden. Die Ergebnisse legen nahe, dass Pestizide über die Luft in die Naturschutzgebiete und auch in die als Referenzgebiete ausgewählte Waldgebiete eingetragen werden, selbst wenn diese bis zu 4772 Meter entfernt von bewirtschafteten Agrarflächen liegen.

Risikobewertung aufgrund der Ergebnisse
Das Ziel in der Untersuchung war zunächst herauszufinden, ob NSG mit Pestiziden belastet sind, selbst wenn dort keine Pestizide angewendet werden. Anschließend wurde bewertet, ob die vorgefundenen Pestizide eine negative Auswirkung auf Insekten haben können. Die Untersuchung ermöglicht nicht, eine kausale Beziehung zwischen den gefundenen Pestiziden und ihren direkten oder indirekten Auswirkungen auf Insekten herzustellen. Die Bewertung der Pestizide erfolgte durch Konsultation von internationalen Datenbanken[5], unabhängigen Literaturquellen und der PAN Pesticides Database-Chemicals[6]. Hierüber wurde eine Bestandsaufnahme der physikalisch-chemischen und (öko-)toxikologischen Charakteristika der gefundenen Pestizide vorgenommen. Im Ergebnis konnte so ermittelt werden, dass ist die Hälfte der 94 gefundenen Pestizide erwiesenermaßen oder vermutlich krebserregend oder für Menschen (Säugetiere) genotoxisch sind. Für Insekten gibt es keine Daten zur karzinogenen Wirkung oder zur Genotoxizität. Die ökotoxikologische Risikobewertung im Pestizid-Zulassungsverfahren berücksichtigt nur sehr wenige Invertebraten (Wirbellose) und zudem hauptsächlich die akute Toxizität. Zum Vergleich: in den Malaise-Insektenfallen des EVK wurden in etwa 3000 verschiedene fliegende Insektenarten gefunden

Da viele der 94 nachgewiesenen Pestizide, genotoxisch (z.B. Dieldrin, beta-Endosulfan), kanzerogen (z.B. Etofenprox, Permethrin) und/oder möglicherweise hormonell schädigend (z.B. Pendimethalin, Biphenyl) wirken können, muss befürchtet werden, dass es auch in den Tieren (Insekten) zu chronischen Schädigungen kommen kann.

Bestimmte Substanzen wie Imidacloprid oder Cypermethrin, die auch in dieser Untersuchung gefunden wurden, wirken in experimentellen Studien bereits bei kleinsten Konzentration mit der Zeit schädlich auf Insekten. Für die Mehrzahl der gefundenen Substanzen sind Dosis-Zeit-Wirkungs-Beziehungen in der verfügbaren Literatur allerdings nicht beschrieben.

Die in diesem Bericht vorgestellten Messergebnisse dokumentieren erhebliche Pestizidbelastungen innerhalb der Schutzgebiete und in den angrenzenden als „Pufferzonen“ bezeichneten Flächen. Also an genau den Standorten, an denen die Krefelder-Studie den Rückgang der Insekten über Malaise-Insektenfallen dokumentiert hatte. Dies verstärkt die Annahme auf einen signifikanten Einfluss des Pestizid-Einsatzes in der konventionellen Landwirtschaft, als eine wesentliche Ursache für die schleichende Schädigung der biologischen Vielfalt auch in Schutzgebieten und selbst, wenn Agrarfläche weiter entfernt liegen. Der Nachweis von Pestiziden in und an Pflanzen innerhalb der Naturschutzgebiete ist von besonderer Bedeutung, da sich Insekten und Käfer sich direkt und indirekt von den Pflanzen ernähren und alle anderen Insekten, die mit diesen Pflanzen interagieren, mit den Pestiziden in Kontakt kommen. Auf diese Weise können sich die Pestizide direkt oder indirekt über die Nahrungsketten auf Wirbellose, darunter Würmer, Schnecken und Käfer, auf die räuberische und parasitoide Arten und schließlich auch auf Wirbeltiere wie Vögel, Hamster oder Igel negativ auswirken.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Das Pestizidzulassungsverfahren und die Anwendungsbestimmungen von Pestiziden bieten offensichtlich keinen ausreichenden Schutz, um Naturschutzgebiete und die darin lebenden Insekten vor einer Exposition gegenüber Pestiziden zu bewahren. Die aktuell verhandelten Gesetzesentwürfe für einen besseren Insektenschutz, deren Grundlage das Aktionsprogramm Insektenschutz (APIS) ist, sollen Insekten – insbesondere in Schutzgebieten – besser vor negativen Auswirkungen von Pestiziden und Bioziden schützen.  Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, ist fraglich. Umweltverbände wie PAN Germany kritisieren u. a. dass die Einschränkungen der Pestizidanwendungen nur auf eine kleine Auswahl an Naturschutzgebieten und somit eine viel zu geringe Fläche von ökologisch bedeutsamen Gebieten beschränkt bleiben und auf Agrarflächen keine Pestizidreduktionsmaßnahmen wie pestizidfreie Ausgleichsflächen verbindlich vorgesehen sind (vgl. PAN-Artikel[7]). Die Eigenschaften und Mengen der hier vorgestellten Studie nachgewiesenen Pestizide verursachen sehr wahrscheinlich, negativen Effekte auf die Insektenfauna innerhalb (und wahrscheinlich auch außerhalb) von Schutzgebieten. Deswegen sollten Pestizide und auch Biozide, deren Verbreitung in die Umwelt aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften unvermeidlich ist, aus Sicht der Autor*innen verboten werden. Um mehr über Pestizidbelastungen während der Spritzsaison in Naturschutzgebieten zu erfahren sollten zusätzliche saisonale Untersuchungen in den beprobten Naturschutzgebieten erfolgen. Zudem sollte mehr Forschung über die kausalen Zusammenhänge zwischen dem Rückgang der Insektenzahl und der Insekten-Biomassen und der Pestizidexpositionen betrieben werden. Auf diese Weise ließe sich den Autor*innen zu Folge, die Akzeptanz von Pestizidreduktionsmaßnahmen in der Öffentlichkeit weiter erhöhen. Allerdings sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Insekten- und Biodiversitätsschwund so erheblich, dass ein wirksames Gegensteuern über Pestizidreduktion und einer grundsätzlich umweltschonenderen Landwirtschaft – wie im europäischen Green Deal als Ziel formuliert – sofort beginnen sollte.

Zu den Autor*innen:

  • Jelmer Buijs studierte Pflanzenbau an der Agraruniversität Wageningen in den Niederlanden und ist seit 35 Jahren tätig als Agrarunternehmer, Landwirtschaftsberater und aktiv in der Forschung und Ausbildung.
  • Margriet Mantingh ist klinisch- und biochemische Laborassistent (Ing) und war 20 Jahre bei WECF an internationalen Projekten beteiligt, bei denen die Umweltverschmutzung durch Pestizide ein übergeordnetes Thema war. Sie ist Mitgründerin und Vorsitzende von PAN Netherlands und seit vier Jahren in verschiedenen Pestizidprojekten in den Niederlanden und Deutschland aktiv.

[1] Hallmann C.A., Sorg M., Jongejans E., Siepel E., Hofland N., Schwan H., Stenmans W., Mueller A., Sumser H., Hoerren T., Goulson D., Kroon H. de, 2017. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLOS ONE | https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 October 18, 2017

[2] https://www.wecf.org/de/insektenbestaende-und-pestizidbelastung-in-naturschutzgebieten/

[3] https://www.wecf.org/de/schleichende-vergiftung-von-insekten-pestizide-in-naturschutzgebieten/

[4] Kruse-Plass M., Schlechtriemen U. & Wosniok, W. 2020. Pestizid-Belastung der Luft. Eine deutschlandweite Studie zur Ermittlung der Belastung der Luft mit Hilfe von technischen Sammlern, Bienenbrot, Filtern aus Be- und Entlüftungsanlagen und Luftgüte-Rindenmonitoring hinsichtlich des Vorkommens von Pestizid- Wirkstoffen, insbesondere Glyphosat. Tiem integrierte Umweltüberwachung. 1- 140.

[5] Pesticide Properties Database (PPPB), University of Hertfordshire (IUPAC) Website: https://sitem.herts.ac.uk/aeru/ppdb/en/atoz.htm

[6] Pesticide Action Network (PAN) Pesticides Database – Chemicals Website: http://www.pesticideinfo.org/Search_Chemicals.jsp

[7] PAN Germany (2021): Insektenschutzpaket vom Bundeskabinett beschlossen
PAN Germany Kommentar: „Das wirkliche Problem wird nicht angefasst.“ https://pan-germany.org/pestizide/insektenschutzpaket-vom-bundeskabinett-beschlossen/

 




NGO-Statement: Forderung nach Nationalem Aktionsplan zu hormonschädlichen Chemikalien

Die Umweltschutzorganisationen HEJSupport, PAN Germany, WECF und CHEM Trust Europe begrüßen ausdrücklich den aktuellen Bundestags-Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen für die Ausarbeitung eines Nationalen Aktionsplans zum Umgang mit hormonell schädlichen Chemikalien.




Der Kampf gegen gefährliche Chemikalien braucht mehr als Symbolpolitik

Im Vorfeld des Berlin Forums für Chemikalien und Nachhaltigkeit ziehen Umwelt- und Entwicklungsverbände eine kritische Bilanz der Arbeit der Bundesregierung. Sie hat wichtige Hausaufgaben in der Chemikalienpolitik unerledigt gelassen.

Berlin, 5. Juli 2021: Die Bundesregierung hat die Chemikalienpolitik vernachlässigt. Sie hat damit in Kauf genommen, dass die Gesundheit von Menschen weiterhin gefährdet, die Klimakrise angeheizt und der Verlust der Artenvielfalt beschleunigt wird.

Zu diesem Urteil kommt ein Bündnis aus den fünf Umwelt- und Entwicklungsverbänden BUND, Forum Umwelt und Entwicklung, HejSupport, PAN Germany und WECF. Es fordert die künftige Bundesregierung auf, den Schutz von Mensch, Artenvielfalt und Klima endlich ernst zu nehmen und sich in Deutschland, in der EU und weltweit aktiv für eine giftfreie Zukunft mit weniger Chemikalien und einem nachhaltigen Umbau der Chemieindustrie einzusetzen. Dies ist dringend notwendig: Noch immer sterben weltweit jährlich mehr als 1,6 Mio. Menschen durch Chemikalien. Noch immer wird für Herstellung und Transport von Chemikalien und Produkten knapp ein Drittel der verbrauchten Energie benötigt. Noch immer werden Ökosysteme durch den Rohstoffabbau und die Freisetzung gefährlicher Stoffe zerstört. Schadstoffe und Pestizide sind eine Hauptursache für die Umwelt- und Gesundheitskrise unserer Zeit.

Die jetzige Bundesregierung hat viele Möglichkeiten zu handeln verstreichen lassen. Obwohl Deutschland der Chemiestandort Nr. 1 in Europa ist, wurde Chemikalienpolitik weder im Koalitionsvertrag noch während der EU-Ratspräsidentschaft adressiert. Dabei ist die Bundesregierung als Vorsitzende des so genannten „Strategischen Ansatzes zum internationalen Chemikalienmanagement“ (SAICM) in der Pflicht, die Weichen für eine Erneuerung des Abkommens zu stellen.

SAICM sollte dazu beizutragen, die Folgen von Chemikalien und Abfällen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt bis 2020 zu minimieren. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Weltweit mangelt es an Problemwahrnehmung und politischem Handlungswillen. Im Juli 2021 wollte die Staatengemeinschaft in Bonn auf einer internationalen Konferenz zur Chemikaliensicherheit beschließen, wie es mit SAICM nach 2020 weitergeht. Statt der wegen Corona verschobenen Konferenz veranstaltet die Bundesregierung nun am 7. und 8. Juli das virtuelle Berlin Forum für Chemikalien und Nachhaltigkeit. Das u.a. mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, hochrangig besetzte Forum soll über Wege für einen nachhaltigen Umgang mit Chemikalien diskutieren.

Das NGO-Bündnis erwartet von dem Forum nicht nur schöne Worte und Symbolik, sondern konkrete Zusagen, um bis spätestens 2030 die negativen Folgen von Produktion und Verwendung von Chemikalien und Abfällen für Mensch, Artenvielfalt und Klima zu minimieren. Verbände in Deutschland und weltweit haben Forderungen mit konkreten Maßnahmen zum Schutz vor giftigen Chemikalien aufgestellt, die sofort umgesetzt werden könnten.

„Das Ziel, die Belastung des Menschen und der Umwelt durch Produktion und Freisetzung gefährlicher Stoffe bis 2020 nachhaltig zu reduzieren, ist nicht annähernd erreicht worden“, erklärt Manuel Fernandez, Chemikalienexperte vom BUND. Ohne ein grundlegendes Umsteuern im Chemiesektor seien auch die Klima- und Artenschutzziele der UN-Agenda 2030 zum Scheitern verurteilt.  „Die Chemieindustrie darf als größter Stromverbraucher und drittgrößter Emittent von Kohlendioxid die Klimakrise nicht weiter verschärfen. Die Folgen tragen die Allgemeinheit und die Natur“, so Fernández. „Das muss sich schnell ändern. In der EU bietet die neue EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit hierfür eine Chance. Die Bundesregierung ist aufgefordert, beim nachhaltigen Umbau der Chemieindustrie mit gutem Beispiel voranzugehen.“

Auch Pestizide zählen zu den weltweit gehandelten Chemikalien. „Jährlich erleiden rund 385 Millionen Menschen ungewollt Pestizidvergiftungen. Pestizide machen zudem einen erheblichen Anteil an stofflichen Belastungen von Gewässern, Lebensmitteln und am Schwund der Biodiversität aus“, erläutert Susan Haffmans vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany). „Insbesondere hochgefährliche Pestizide sind eine weltweite Bedrohung. Deutschland kann und sollte damit beginnen, Doppelstandards im Pestizidhandel abzubauen und den Export von in der EU verbotenen hochgefährlichen Pestizide gesetzlich unterbinden. Zudem sollten endlich die Beschlüsse der vierten Internationalen Chemikalien Konferenz von 2015 umgesetzt werden, HHPs in der Landwirtschaft schrittweise durch nicht-chemische Alternativen wie Agrarökologie zu ersetzen.“

Johanna Hausmann von Women Engage for a Common Future führt weiter aus: „Nur ein Bruchteil der bis zu 350.000 Chemikalien auf dem Weltmarkt sind reguliert. Sie vergiften unsere Umwelt und unsere Gesundheit. Die Wissenschaft bestätigt die krankmachende Wirkung vieler Chemikalien und bringt sie u.a. in Zusammenhang mit der Zunahme von Krebs, Fruchtbarkeitsstörungen und neurologischen Erkrankungen. Schwangere, Frauen, Kinder und sozial schwächere Bevölkerungsgruppen sind dabei besonders betroffen – in Deutschland und weltweit. Frauen reichern Schadstoffe stärker an. In der Schwangerschaft gelangen diese an den Fötus und gefährden künftige Generationen. Der Schutz vor bedenklichen Chemikalien muss eine wichtige Aufgabe der künftigen Bunderegierung werden. Gender- und sozioökonomische Aspekte müssen dabei eine wichtige Rolle spielen.“

Tom Kurz vom Forum Umwelt und Entwicklung ergänzt: „Die Untätigkeit der internationalen Staatengemeinschaft und der Bundesregierung machen uns krank und werden auch noch kommende Generationen belasten. Es ist nicht möglich, unbedenklich einkaufen zu gehen und davon auszugehen nicht vergiftet zu werden. Hormonschädliche Substanzen in Kosmetik, Pestizide in der Luft und in unserem Essen, PFAS in Verpackungen und Weichmacher im Spielzeug: überall sind wir gefährlichen Stoffen ausgesetzt.“

Alexandra Caterbow von der Gesundheits- und Umweltorganisation HEJSupport fasst zusammen: „Der Stellenwert der Chemiepolitik in der Politik der Bundesregierung spiegelt nicht die Dringlichkeit wider, die wir der Vergiftung unseres Planeten und unserer Körper beimessen sollten. Wir brauchen dringend verbindliche Zusagen aus der Politik, die auch im nächsten Koalitionsvertrag verankert sein müssen. Mehr Maßnahmen auf nationaler, EU und internationaler Ebene müssen von der neuen Regierung angeschoben und unterstützt werden, sonst werden z.B. weiterhin unsere Flüsse kontaminiert sein und Babys mit Schadstoffen im Körper geboren.“

Weiterführende Informationen

Informationen der NGOs zum Thema internationales Chemikalienmanagement finden Sie auf der gemeinsamen Webseite unter https://www.giftfreie-zukunft.org/ sowie zum Download unter

https://www.giftfreie-zukunft.org/aktuell/presse-berlin-forum (verfügbar ab 5. Juli)

Zum Vorbereitungsprozess für die Chemikalienkonferenz in Bonn unter http://saicm.org/.

Zum Berlin Forum für Chemikalien und Nachhaltigkeit
https://www.bmu.de/berlin-forum-fuer-chemikalien-und-nachhaltigkeit/#c59688

Kontakte

Alexandra Caterbow, HEJSupport, alexandra.caterbow@hej-support.org, Tel. 0179/52 44 994

Johanna Hausmann, Women Engage for a Common Future (WECF), johanna.hausmann@wecf-consultant.org, Tel. 089/2323938-19, 0173/80 10 04 0

Manuel Fernandez, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Manuel.Fernandez@bund.net,
Tel. 0151/19 33 62 10

Susan Haffmans, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), mailto:susan.haffmans@pan-germany.org, Tel. 040 399 19 10-25

Wolfgang Obenland, Forum Umwelt & Entwicklung, obenland@forumue.de, Tel. 030/678 1775 907




Europäisches Tierarzneimittelrecht

Nachbesserungen zum Schutz von Umwelt und Gesundheit vor Antibiotika-Belastungen dringend notwendig

Presseinformation.

Hamburg, 28. Februar 2018. Derzeit wird das europäische Tierarzneimittelrecht überarbeitet. Ziel ist u.a. die Eindämmung der Risiken der Verbreitung von Antibiotikaresistenz. PAN Germany sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf, um die Umwelt und die menschliche Gesundheit besser zu schützen.

Infektionskrankheiten können aufgrund resistenter Krankheitskeime immer häufiger nicht erfolgreich mit Antibiotika bekämpft werden. Dies ist zum weltweiten Problem geworden. Der Einsatz von Antibiotika in der intensiven Nutztierhaltung begünstigt die Resistenzentwicklung sowie die Ausbreitung resistenter Keime. Doch nicht nur die menschliche Gesundheit wird gefährdet: Auch die Umwelt ist zunehmend mit Antibiotika belastet und resistente Keime werden über die Umwelt verbreitet.

Dass Belastungen der Umwelt nicht nur ein Problem in Ländern sind, in denen Pharmazeutika unter unzureichenden Umwelt-Auflagen hergestellt werden, wurde vielen Menschen in Deutschland spätestens Anfang des Monats bewusst, als der NDR die Rechercheergebnisse (1) zweier Journalisten veröffentlichte, die multi-resistente Erreger in Bächen und Badeseen in Norddeutschland nachgewiesen hatten. Sie wiesen unter anderem Colistin-Resistenzen nach. Das Antibiotikum Colistin wird nach wie vor in Tierställen eingesetzt, obwohl die Weltgesundheitsorganisation den Wirkstoff im vergangenen Jahr in die Kategorie der Reserve-Antibiotika eingeordnet hat, die unbedingt für die Behandlung schwerer, mit anderen Antibiotika aufgrund von Resistenzen nicht mehr zu bekämpfenden Infektionskrankheiten bei Menschen benötigt werden.

„Wir appellieren an die Verantwortlichen von EU-Parlament, -Rat und -Kommission, die jetzt über das neue Tierarzneimittelgesetz beraten, Antibiotika mit höchster Priorität für den Menschen endlich aus der tierärztlichen Verwendung zu nehmen. Zudem müssen verbindliche Maßnahmen für eine bessere Überwachung des Umweltvorkommens von Arzneimitteln festgeschrieben werden und auch Alt-Arzneimittel einer umfassenden Umweltüberprüfung unterzogen werden“ fordert Susan Haffmans, Referentin für Tierarzneimittel von PAN Germany.

Aus Sicht von PAN Germany wird der Tatsache, dass Antibiotika-Resistenzen auch über die Umwelt verbreitet werden, nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt. Eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes, wie sie nach Meinung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Priorität hat, würde auch die Umwelt entlasten.

In dem Hintergrundpapier „Antibiotika in der Tierhaltung“ hat PAN Germany Informationen zum Thema zusammengestellt: http://www.pan-germany.org/download/tierarzneimittel/Antibiotika_in_der_Tierhaltung.pdf. Das Hintergrundpapier ist seit heute auch in Englisch verfügbar: http://www.pan-germany.org/download/veterinary_pharmaceuticals/Antibiotics_in_Livestock_Farming.pdf

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Susan Haffmans, Tel: +49 40 399 19 10 0, E-Mail: susan.haffmans(at)pan-germany.org

Anmerkungen
(1) https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Gefaehrliche-Keime-in-Baechen-Fluessen-und-Seen,keime302.html

 




Europäische Chemikalien Strategie ohne Abstriche verabschieden!

Neue Publikation kritisiert Angriff auf den Entwurf der EU-Kommission

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2023

Vor mehr als zwei Jahren, im Oktober 2020 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf einer Chemikalienstrategie, kurz CSS (für Chemicals Strategy for Sustainability), die dem Leitbild einer giftfreien Umwelt folgt und bestrebt ist, „die Umwelt und die menschliche Gesundheit, insbesondere die von gefährdeten Gruppen“ besser zu schützen. Dieser fortschrittliche Entwurf, der unter anderem ein Exportverbot für in der EU verbotene Chemikalien und einen besseren Schutz vor hormonschädlichen Substanzen vorsieht, wartet nach wie vor auf seine Umsetzung in geltendes EU-Recht.

Stattdessen häufen sich die Angriffe auf den CSS-Entwurf, der auch eine Stärkung des „gefahrenbasierten“ Ansatzes enthält, also ein Verbot von Substanzen aufgrund ihrer Stoffeigenschaften, ohne die Möglichkeit, diese mittels unangemessener Risikobewertung zu verharmlosen. Der gefahrenbasierte Ansatz ist bereits Teil der EU-Pestizidzulassungsverordnung (EC 1107/2009)[1], wird allerdings auch dort immer wieder nur halbherzig angewendet.[2] Dieser Ansatz ist eine Einschätzung der Stoffeigenschaften einer Chemikalie. Wenn das Gefahrenpotenzial zu groß ist, zum Beispiel wenn der Stoff als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft wird, würde ein Verbot erfolgen. Die Gegner dieses Ansatzes möchten den Stoff über eine Risikobewertung dann ggf. trotzdem genehmigen können.

Eine der Attacken auf die CSS kam vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Diese Behörde, gegen die – daran sei erinnert – im Zuge des damaligen Wiedergenehmigungsverfahrens für Glyphosat im März 2016 Strafanzeige wegen wissenschaftlichen Betrugs erstattet wurde,[3] stellte die Wissenschaftlichkeit des CSS-Ansatzes in Frage. In einem Gastkommentar in der Fachzeitschrift Archives of Toxicology erhoben Mitarbeiter des BfR schwere Anschuldigungen gegen die EU-Kommission.[4] In Ihrer Schlussfolgerung mahnen die Autoren des Beitrags, dass der „wissenschaftliche Diskussionsprozess nicht allein auf der Grundlage von Behauptungen funktionieren“ könne, und beschuldigen die EU-Kommission, ungerechtfertigte Ansichten und Ängste zu schüren, was zur „Erosion der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Behörden“ führen würde. Dabei übergeht das BfR geflissentlich seinen eigenen Beitrag zur Erosion der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Behörden in Form der Verbreitung falscher Argumente, die nur allzu durchschaubar waren.[5]

In einer im Januar 2023 veröffentlichten Analyse[6] unterzogen Prof. Erik Millstone (Universität Sussex, UK) und Dr. Peter Clausing (PAN Germany) den Gastkommentar der BfR-Mitarbeiter einer kritischen Analyse. Ihre Analyse kommt zu dem Schluss, dass sich das BfR auf „Wissenschaftlichkeit“ beruft und sich zugleich mit seinen eigenen Argumenten weit von der selbst eingeforderten Wissenschaftlichkeit entfernt. Eine wesentliche Kritik von Millstone & Clausing ist, dass die BfR-Autoren wertebasierte Urteile als objektive wissenschaftliche „Wahrheiten“ präsentieren, statt deutlich zu machen, dass sich die von ihnen vertretenen Ansichten im Grenzbereich von Politik und Wissenschaft befinden und mithin eine starke subjektive Komponente enthalten. Diese Art der Vernebelung durch das BfR ist nicht neu. So hat das BfR im Jahr 2016, im Zuge der damaligen Glyphosat-Diskussion, durch eine Vermischung von Risiko (Risk) und Gefahr (Hazard) in der Öffentlichkeit Verwirrung gestiftet. Der Einladung sich auf die „mehrfach von ihm selbst eingeforderte sachliche, wissenschaftsbasierte Diskussion“ einzulassen, ist die Behörde nicht gefolgt.[7]

Die Analyse von Millstone & Clausing unterzieht zudem die vom BfR aufgestellten Behauptungen einer kritischen Prüfung, dass in den Bereichen der regulatorischen Stoffbewertung zur Hormonschädigung, Reproduktionstoxizität und Chemikalien-Cocktails alles in bester Ordnung sei. So demonstriert zum Beispiel ein Blick in die EU-Statistik zum Auftreten von Organmissbildungen bei Neugeborenen, dass die Behauptung der BfR-Autoren falsch ist, dass sich an der Häufigkeit solcher Fälle in den letzten 40 Jahren nichts geändert hätte.[8] Tatsächlich sind solche Missbildungen häufiger geworden. Ganz unberücksichtigt lässt das BfR die Frage, ob ein besseres Chemikalien- bzw. Pestizidmanagement im Verlauf von vier Jahrzehnten die Zahl von 200 Fällen pro 10.000 Neugeborenen nicht sogar hätte verringern müssen. Wenn es stimmt, dass „… Institutionen, wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), eine jahrzehntelange Erfahrung in der praktischen Anwendung und Weiterentwicklung der Prinzipien und Methoden der Wissenschaft der regulatorischen Risikobewertung für den Gesundheitsschutzes in der EU (haben)“[9], sollte man eine solche Reduktion eigentlich erwarten können.

Der Angriff durch das BfR ist nicht die einzige Attacke gegen die CSS. Auch die Industrie selbst macht mobil, wie ein vor wenigen Wochen durchgeführtes Webinar mit dem Thema „Two Years Later: How Has the Chemicals Strategy for Sustainability Changed REACH and CLP Regulations?” deutlich macht.[10] Es gibt also gute Gründe, die weitere Entwicklung wachsam zu verfolgen und sich dafür einzusetzen, dass der CSS-Entwurf einerseits nicht verwässert und andererseits möglichst bald in geltendes Recht überführt wird.

Die Publikation ist auch in englischer Sprache erhältlich.

(Dr. Peter Clausing)

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1107&from=de

[2] https://pan-germany.org/pestizide/neuer-bericht-zeigt-bewertung-von-krebseffekten-bei-4-von-10-pestiziden-fehlerhaft/

[3] https://www.global2000.at/news/glyphosat-zulassungsbeh%C3%B6rde-informierte-falsch

[4] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3

[5] vgl. Clausing, P. (2017): Krebsgefahr durch Glyphosat: Der „Weight of Evidence Approach“ des BfR.   Umwelt – Hygiene – Arbeitsmedizin 22 (1): 27 – 34.

[6] https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[7] https://archiv.pan-germany.org/pan-germany.org_180405/www.pan-germany.org/download/The_Carcinogenic_Hazard_of_Glyphosate.pdf

[8] https://eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/eurocat/eurocat-data/prevalence_en, zusammengefasst in Tabelle 1 von https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[9] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3, Seite 259 (eigene Übersetzung)

[10] https://www.reachblog.com/2022/12/register-now-webinar-two-years-later-how-has-the-chemicals-strategy-for-sustainability-changed-reach-and-clp-regulations/