Neuer Bericht offenbart: Beweise fĂŒr den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs in laufender EU-Bewertung verworfen

PRESSEMITTEILUNG
[BrĂŒssel/Hamburg, 8. Juni 2022]
Wissenschaftliche Beweise fĂŒr die krebserregende Wirkung von Glyphosat wurden bei der Bewertung des Wirkstoffs durch die zustĂ€ndige europĂ€ische Fachbehörde nicht berĂŒcksichtigt. Zu diesem Schluss kommt ein heute veröffentlichter Bericht von HEAL (Health and Environment Alliance), der unter Mitwirkung von PAN Germany verfasst wurde. [1]

Die in dem Bericht aufgezeigten schwerwiegenden wissenschaftlichen MĂ€ngel und Verzerrungen bei der Auslegung von internationalen und EU-Standards stellen aus Sicht von HEAL und PAN Germany die GĂŒltigkeit der behördlichen Glyphosat-Bewertung und die vorlĂ€ufigen Schlussfolgerungen in Frage. Der Bericht warnt davor, dass die Nichtanerkennung des karzinogenen Potenzials von Glyphosat dem europĂ€ischen Kampf gegen Krebs zum Nachteil gereichen wĂŒrde.

Als die beauftragten Behörden von vier EU-Mitgliedstaaten im laufenden Wiedergenehmigungsverfahren mit der Neubewertung von Glyphosat begannen, hat HEAL, unterstĂŒtzt von PAN Germany, die elf Krebsstudien an Ratten und MĂ€usen, die von den Pestizidunternehmen 2019 als Teil des Antragsdossiers eingereicht wurden, genau analysiert. UnterstĂŒtzt von zwei Experten, wurde das Auftreten statistisch signifikant erhöhter Tumorinzidenzen in einer HĂ€ufigkeit ermittelt, die die Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ durch die Internationale Agentur fĂŒr Krebsforschung (IARC) eindeutig unterstĂŒtzt [2]. Nach dem EU-Pestizidgesetz [3] mĂŒssen Stoffe, die die Kriterien fĂŒr die Einstufung als „vermutlich krebserregend beim Menschen“ (Kategorie 1B) erfĂŒllen, vom EU-Markt genommen werden.

Prof. Christopher Portier, ein unabhĂ€ngiger Experte fĂŒr die Analyse und Interpretation von umweltbezogenen Gesundheitsdaten, spezialisiert auf KarzinogenitĂ€t, sagte: „Bösartige Lymphome, Nieren- und Lebertumore, Keratoacanthome und weitere Krebstypen – es steht außer Frage, dass Glyphosat Krebs verursacht. In zehn der elf Tierstudien, die Teil des Dossiers zur Wiederzulassung von Glyphosat waren, haben die Tiere Tumore entwickelt. UnabhĂ€ngig davon, wie man es betrachtet, gibt es mehr als genug Beweise fĂŒr die KarzinogenitĂ€t, und diese Beweise erfĂŒllen die Kriterien fĂŒr die Einstufung von Glyphosat als Stoff, bei dem ein krebserregendes Potenzial fĂŒr den Menschen angenommen werden muss.“

Dennoch haben die behördliche Bewertungsgruppe fĂŒr Glyphosat der EU-MitgliedslĂ€nder (AGG) und der Ausschuss fĂŒr Risikobewertung (RAC) der EuropĂ€ischen Chemikalienagentur (ECHA) öffentlich erklĂ€rt, dass die Beweise, um Glyphosat als krebserregend einzustufen, nicht ausreichten [4]. Alle Hinweise auf Ungereimtheiten in der Vorgehensweise der Behörden bei der Bewertung, die von HEAL zusammen mit unabhĂ€ngigen Wissenschaftlern und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen wĂ€hrend der Diskussionen des RAC der ECHA vorgebracht wurden, wurden bisher ungerechtfertigt verworfen [5].

Dr. Peter Clausing von PAN Germany, Toxikologe und Mitverfasser des Berichts, sagte: „Tiere, die Glyphosat ausgesetzt waren, entwickelten im Vergleich zu ihrer nicht exponierten Kontrollgruppe signifikant hĂ€ufiger Tumore, ein Effekt, der sowohl nach internationalen als auch nach europĂ€ischen Richtlinien als Beweis fĂŒr KarzinogenitĂ€t gilt, insbesondere wenn dieser Befund – wie im Fall von Glyphosat – durch zusĂ€tzliche Belege unterstĂŒtzt wird. Die EU-Risikobewerter haben jedoch diese Tumorbefunde missachtet und die zusĂ€tzlichen Belege aus ihrer Analyse ausgeschlossen, um zu schlussfolgern, dass die beobachteten Effekte zufĂ€llig seien.“

Dr. Angeliki Lyssimachou, Senior Science Policy Officer bei HEAL und Mitverfasserin des Berichts, sagte: „Die wissenschaftlichen Beweise dafĂŒr, dass Glyphosat Krebs verursachen kann und daher gefĂ€hrlich fĂŒr die menschliche Gesundheit ist, hĂ€ufen sich – aber die EU-Bewertung stĂŒtzt sich weiterhin hauptsĂ€chlich auf die Argumente der Industrie, was dazu fĂŒhrt, dass schĂ€dliche chemische Substanzen wie Glyphosat als fĂŒr die Vermarktung sicher betrachtet werden. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten dĂŒrfen sich bei ihren Entscheidungen nicht lĂ€nger auf diese dysfunktionale wissenschaftliche Bewertung stĂŒtzen. Die Mission der EU, den Krebs zu besiegen, beginnt hier und jetzt mit einem Verbot von Glyphosat.“

Die EuropĂ€ische Behörde fĂŒr Lebensmittelsicherheit (EFSA), die fĂŒr die weitere Risikobewertung von Glyphosat als Pestizid zustĂ€ndig ist, hat eine erhebliche Verzögerung bei der Veröffentlichung ihres Bewertungsergebnisses angekĂŒndigt [5]. Dies bedeutet eine einjĂ€hrige VerlĂ€ngerung der Glyphosat-Genehmigung ĂŒber den derzeitigen Genehmigungszeitraum hinaus, so dass gefĂ€hrdete Gruppen weiterhin dem schĂ€dlichen Pestizid ausgesetzt sein werden. Auf der Grundlage der Bewertung von ECHA und EFSA werden dann die EuropĂ€ische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten eine Entscheidung ĂŒber die von der Industrie beantragte 15-jĂ€hrige VerlĂ€ngerung der Genehmigung fĂŒr Glyphosat treffen.

Pressekontakt:

  • Dr. Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, peter.clausing@pan-germany.org, +49 176 4379 5932

1. https://pan-germany.org/download/heal-report-how-the-eu-risks-greenlighting-a-pesticide-linked-to-cancer/
2. https://www.iarc.who.int/featured-news/media-centre-iarc-news-glyphosate/
3. Regulation (EC) No 1107/2009 of the European Parliament and of the Council of 21 October 2009 concerning the placing of plant protection products on the market and repealing Council Directives 79/117/EEC and 91/414/EEC; Annex II, section 3.6 ‘Impact on human health’
4. https://www.env-health.org/ominous-first-step-in-eu-renewal-process-of-glyphosate-4-member-states-suggest-no-risk-for-human-health-heal-comment/
5. https://www.env-health.org/health-and-environmental-groups-raise-alarms-over-eu-chemicals-agencys-failure-to-classify-glyphosate-as-a-carcinogen-for-human-health/
6. https://www.efsa.europa.eu/en/news/glyphosate-efsa-and-echa-update-timelines-assessments

 




Kein ausreichender Schutz vor Hormongiften:

Mitgliedstaaten stimmen fĂŒr Kriterien-Vorschlag der EU-Kommission zur Identifizierung von hormonschĂ€digenden Chemikalien

Gemeinsame Stellungnahme von PAN Germany, WECF (Women Engage for a Common Future), HEJSupport BUND, Umweltinstitut MĂŒnchen Coordination gegen Bayer Gefahren und SumOfUs

Die Vertreter der europĂ€ischen Mitgliedsstaaten des EU-Pestizidausschusses haben gestern die Kriterien angenommen, die in Zukunft fĂŒr die Identifizierung hormoneller Schadstoffe (oder endokrine Disruptoren, kurz EDCs) verwendet werden sollen.

Das Stoppt-Hormongifte-BĂŒndnis der deutschen Nichtregierungsorganisationen PAN Germany, WECF (Women Engage for a Common Future), HEJSupport BUND, Umweltinstitut MĂŒnchen Coordination gegen Bayer Gefahren und SumOfUs kritisiert diese Entscheidung scharf: „Die jetzt verabschiedeten Kriterien sind völlig unzulĂ€nglich. Viele Hormongifte können nun einfach „wegdefiniert“ werden und bleiben damit ungeregelt. Jetzt liegt es am EU-Parlament, diese Kriterien abzulehnen. Wir fordern zudem die deutsche Bundesregierung dringend auf, umzudenken und umfangreiche nationale Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und Umwelt vorzunehmen.“

Vor der Abstimmung warnten drei hoch angesehene internationale endokrinologische Gesellschaften vor den MĂ€ngeln der vorgeschlagenen Kriterien und drĂ€ngten die Mitgliedsstaaten, sie in ihrer jetzigen Fassung nicht anzunehmen. (1) Mittlerweile haben ĂŒber 458.000 Menschen in ganz Europa, davon alleine mehr als 111.000 in Deutschland, eine Petition unterzeichnet, in der die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, den Vorschlag der EU-Kommission abzulehnen. (2)

Die Umwelt- und GesundheitsverbĂ€nde halten die Kriterien fĂŒr mangelhaft und ungeeignet, ihre Hauptkritikpunkte sind:

  • Die Beweislast ist zu hoch und macht die Identifizierung von Stoffen als hormonell wirksam sehr schwierig oder gar unmöglich und zusĂ€tzlich unnötig langwierig
  • Die Ausnahmeregelungen fĂŒr bestimmte Pestizide und Biozide, die gezielt hormonell wirken sollen, ist nicht vereinbar mit den Zielen der EU-Pestizid- und Biozidgesetzgebung,
  • Die Kriterien widersprechen den EU-Verpflichtungen aus dem 7. Umweltaktionsprogramm, nach dem die Belastung von Mensch und Umwelt mit hormonellen Schadstoffen reduziert werden soll. (3)

Die völlig unakzeptable Ausnahmeregelung, nach der Pestizid-Substanzen die gezielt hormonell wirken sollen, von der Erfassung als endokrine Substanzen und damit von einem Verbot ausgeschlossen werden sollen, wurde von der deutschen Bundesregierung eingebracht. Dies öffnet TĂŒr und Tor fĂŒr den Gebrauch von Hormongiften und ist nicht mir der EU-Pestizid- und Biozidgesetzgebung vereinbar.

Durch die gestrige Entscheidung wird es auch weiterhin bei einem Anstieg der hormonbedingten Krankheiten wie z.B. Brustkrebs, Hodenkrebs, Diabetes oder Unfruchtbarkeit bleiben. Dies hat erhebliche Kosten fĂŒr das öffentliche Gesundheitssystem und die Gesellschaft zur Folge. SchĂ€tzungen ergaben, dass Krankheiten, die im Zusammenhang mit Hormongiften stehen, in der EuropĂ€ischen Union Kosten von 163 Milliarden pro Jahr verursachen. (4)

Das NGO-BĂŒndnis fordert die Bundesregierung dringend auf, dem französischen Beispiel zu folgen und einen nationalen Aktionsplan zum Schutz vor Hormongiften zu verabschieden. Er sollte umfangreiche AufklĂ€rungsmaßnahmen fĂŒr die Bevölkerung enthalten, vor allem fĂŒr besonders betroffene Gruppen wie z.B. Schwangere. Hormongifte sollten in Produkten, wo immer möglich, auf nationaler Ebene verboten werden. Außerdem sollten Pestizide und Biozide, die EDCs enthalten, in Deutschland nicht erlaubt sein. Des Weiteren ist unabhĂ€ngige Forschungsförderung zu EDCs dringend notwendig.

(1) Siehe http://bit.ly/2t914p5.
Die Endocrine Society und z.B. Krankenkassen in Europa haben ihre Bedenken gegenĂŒber dem Kriterien Vorschlag der EU Kommission geĂ€ußert.
Siehe beispielsweise: https://www.endocrine.org/news-room/current-press-releases/european-commissions-revised-proposal-limits-ability-to-protect-public-from-edcs ; http://aim-mutual.org/press-release/aim-publishes-declaration-on-edcs/
(2) EU-weite Petition : https://actions.sumofus.org/a/eu-endocrine-disruptors
Gemeinsame Petition „Hormongifte stoppen!“ der deutschen NGO Koalition:
Umweltinstitut MĂŒnchen: https://www.umweltinstitut.org/mitmach-aktionen/hormongifte-stoppen.html
BUND: https://aktion.bund.net/hormongifte-stoppen
SumOfUs: https://actions.sumofus.org/a/hormongifte-stoppen
(3) http://www.documents.clientearth.org/wp-content/uploads/library/2017-02-14-the-criteria-to-identify-endocrine-disruptors-implications-beyond-pesticides-and-biocide-disrupted-criteria-coll-en.pdf
(4) Burden of Disease and Costs of Exposure to Endocrine-Disrupting Chemicals in the European Union: an updated analysis, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27003928

Kontakte:
Susanne Smolka (PAN Germany): susanne.smolka@pan-germany.org, Tel 040 3991910-24
Johanna Hausmann (WECF Deutschland): johanna.hausmann@wecf.eu, Tel 0173 8010040
Alexandra Caterbow (HEJSupport): alexandra.caterbow@hej-support.org, Tel +49 179 5244994
Ulrike Kallee (BUND): Ulrike.kallee@bund.net, Tel +49 30 27586 422
Christine Vogt (Umweltinstitut MĂŒnchen): cv@umweltinstitut.org, Tel 089 30774924
Wiebke Schröder (SumOfUs): wiebke@sumofus.org, Tel 0163 1617155

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Bekenntnis zum Green Deal fĂŒr eine nachhaltige ErnĂ€hrungssouverĂ€nitĂ€t

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die VerfĂŒgbarkeit von Ressourcen macht deutlich, wie zwingend notwendig eine systemisch nachhaltige Reform der EU-Landwirtschaft ist. Eine widerstandsfĂ€higere und chemiefreie Landwirtschaft kann fĂŒr langfristige ErnĂ€hrungssicherheit sorgen, UnabhĂ€ngigkeit von fossilen Brennstoffen und Verzicht auf Importe von KunstdĂŒngern schaffen, sauberes Wasser und gesunde Lebensmittel gewĂ€hrleisten, und unsere Gesundheit und die biologische Vielfalt schĂŒtzen. Um das zu erreichen, braucht es ein starkes Bekenntnis zur „Farm to Fork“- und zur BiodiversitĂ€tsstrategie des EuropĂ€ischen Green Deals statt einer Abkehr von den gemeinsam vereinbarten Zielen. Dazu gehört ganz konkret, dass die EU Kommission die Vorlage ihres Verordnungsentwurfs fĂŒr die Revision der Rahmenrichtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (SUD) nicht aufschiebt, sondern wie geplant am 23. MĂ€rz 2022 veröffentlicht.  Nur mit der Anpassung der SUD an die Ziele des Green Deals – die EinfĂŒhrung verbindlicher und ehrgeiziger Maßnahmen zur Verringerung des Einsatzes und des Risikos chemisch-synthetischer Pestizide – wird der Weg geebnet fĂŒr die dringende Reform der kraftstoff- und chemieintensiven Landwirtschaft.

Aber genau das Gegenteil wird – im Sinne der Agrar- und Pestizidlobby – derzeit in den EU-Gremien diskutiert. Der Angriffskrieg Russlands wird als Argument, wie auch zuvor die Coronakrise und davor die Finanzkrise, benutzt, um zu verzögern und zu verschleppen. Ein aktueller offener Brief vieler europĂ€ischer NGOs plĂ€diert fĂŒr das Einhalten des Revisionszeitplans und fordert strenge Maßnahmen fĂŒr eine wirksame Pestizidreduktion.

Ein Aussetzen der auf EU Ebene gemeinsam vereinbarten Ziele der „Farm to Fork“- und der BiodiversitĂ€tsstrategie, darunter die Reduktion des Pestizideinsatzes und des Risikos um 50 % bis 2030 sowie die Steigerung des ökologischen Anbaus auf 25 % bis 2030, und stattdessen eine Intensivierung der Landbewirtschaftung zu propagieren, ist nur eine vermeintliche Lösung der aufkeimenden Angst vor einer Nahrungsmittelknappheit in Europa zu begegnen. Denn Getreide wird in der EU hauptsĂ€chlich fĂŒr Tierfutter und Biotreibstoffe verwendet. Eine Nahrungsmittelknappheit ließe sich beispielsweise durch eine vorĂŒbergehende Verringerung der Produktion von Agrotreibstoffen und der Verwendung von Getreide fĂŒr Tierfutter abwenden.[1] Die EU-Institutionen und ihre Mitgliedsstaaten haben die Verantwortung, im öffentlichen Interesse und nicht fĂŒr das der Konzerne aus der Lebensmittel- und Chemiebranche zu handeln. Die Pestizidreduktion wird von der Gesellschaft gefordert – 1,2 Millionen Menschen haben ĂŒber die EuropĂ€ische BĂŒrgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ (EBI) eine Reduzierung chemisch-synthetischer Pestizide um 80 % bis 2030 und einen vollstĂ€ndigen Ausstieg bis 2035 gefordert. Nun fordert die Initiative von den EU-Institutionen, ihre Verantwortung ernst zu nehmen und die Pestizidreduktion nicht weiter aufzuschieben.[2]

Bereits die Richtlinie ĂŒber die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUD) aus dem Jahr 2009 hatte das Ziel, den Pestizideinsatz und das damit verbundene Risiko zu verringern. Nicht-chemische Alternativen sollten bevorzugt werden und chemisch-synthetische Pestizide nur noch Mittel letzter Wahl sein. Die Anwendung des integrierten Pflanzenschutzes (IPM) ist durch die Richtlinie fĂŒr europĂ€ische Landwirt*innen bereits seit 2014 verpflichtend. Dass die Richtlinie von den meisten Mitgliedstaaten bis heute nicht vollstĂ€ndig umgesetzt wurde, ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass es dem politischen Instrument an konkreten Zielsetzungen, verbindlichen Maßnahmen und Kontrollmechanismen gefehlte. Dabei ist lĂ€ngst bewiesen, dass der Pestizideinsatz erheblich reduziert werden kann, ohne die finanzielle und produktive Leistung von Betrieben zu beeintrĂ€chtigen.[3] Eine EU-Landwirtschaft, die auf agrarökologischen GrundsĂ€tzen basiert, wĂ€re im Stande, den Nettobeitrag der EU zum Weltmarktangebot an Kalorien und Proteinen decken – durch eine Verringerung des Verbrauchs von tierischem Protein und die Verlagerung der Produktion zu mehr pflanzlichem Protein.[4]

Im Rahmen des Revisionsprozesses der SUD fordern PAN Europe und PAN Germany, mit der geplanten Verordnung (SUR) endlich eine ambitionierte Pestizidreduktion festzulegen, um die Menschen und die Umwelt zu schĂŒtzen und eine nachhaltige ErnĂ€hrungssouverĂ€nitĂ€t mit gesunden Lebensmittel sicherzustellen. Das Netzwerk macht in seinem gemeinsamen Positionspapier deutlich, dass eine neue Verordnung nur wirksam sein kann, wenn sie konkrete Zielvorgaben fĂŒr den integrierten Pflanzenschutz und zeitgebundene Reduktionsziele fĂŒr den Pestizideinsatz festlegt. Allem voran steht die Forderung nach einem Paradigmenwechsel: Chemisch-synthetische Pestizide dĂŒrfen stets nur das allerletzte einzusetzende Mittel im Pflanzenschutz- und SchĂ€dlingsmanagement sein und nicht die Norm! DafĂŒr muss integrierter Pflanzenschutz (IPM) eindeutig definiert werden und IPM-Vorschriften mĂŒssen verpflichtend sein fĂŒr den Erhalt von Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik.

[1] IDDRI. Blog post.March 9th 2022: “War in Ukraine and food security: what are the implications for Europe?” https://www.iddri.org/en/publications-and-events/blog-post/war-ukraine-and-food-security-what-are-implications-europe

[2] ECI https://www.savebeesandfarmers.eu/eng/news/urgent-call-to-eu-commission-farm-to-fork-pesticide-reduction/

[3] Lechenet et al. (2017), Reducing pesticide use while preserving crop productivity and profitability on arable farms, Nature plants: https://www.inrae.fr/en/news/reducing-pesticide-use-agriculture-without-lowering-productivity

[4] Poux et al.(2018), An agroecological Europe in 2050: multifunctional agriculture for healthy eating. Findings from the Ten Years For Agroecology (TYFA). Iddri-AScA: http://www.iddri.org/sites/default/files/PDF/Publications/Catalogue%20Iddri/Etude/201809-ST0918EN-tyfa.pdf




Mit Vielfalt und SolidaritÀt durch die Krise

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2020

Die letzten Monate haben uns auf besonders eindrĂŒckliche Weise vor Augen gefĂŒhrt, wie wichtig unser PAN-Motto „Eine gesunde Welt fĂŒr alle“ tatsĂ€chlich ist. Seit Monaten behaupten sich die Menschen ĂŒberall auf der Welt in der Covid-19-Krise und versuchen, mit der Pandemie und ihren Folgen zurechtzukommen. WĂ€hrend in einigen LĂ€ndern schrittweise Lockerungen der Ausgangs- und KontaktbeschrĂ€nkungen umgesetzt werden und die Menschen wieder ein StĂŒck NormalitĂ€t erleben, schrĂ€nken in anderen Regionen hohe Infektions- und Todeszahlen das Berufs- und Alltagsleben weiterhin ein. Wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen in der Krise gemacht. Angesichts des Leids, das wir weltweit gesehen haben, sind wir voller Trauer. Doch wir sind auch beeindruckt von der großen Hilfsbereitschaft und SolidaritĂ€t von Menschen ĂŒberall auf der Welt.

Gegenseitige Hilfe rund um die Welt

Auch innerhalb unseres PAN-Netzwerks unterstĂŒtzen wir uns gegenseitig. Unsere Partner*innen von PAN Asien & Pazifik (PANAP) helfen, die Folgen der Krise fĂŒr die ErnĂ€hrungssouverĂ€nitĂ€t und Existenz von Millionen von Menschen in besonders betroffenen Gemeinschaften abzumildern. Sie machen sich unter anderem fĂŒr die von der Krise und dem Lockdown besonders betroffenen Landarbeiter*innen stark und fordern die Einhaltung von Arbeitsrechten auch fĂŒr Wanderarbeiter*innen. Im Rahmen ihrer gestarteten COVID-19-Kampagne „Food and Rights Talk“ hat PANAP zahlreiche Interviews gefĂŒhrt und zugehört, wie es den Menschen in den lĂ€ndlichen Regionen in Asien in der Krise tatsĂ€chlich geht und wie ihre Situation ist, in Bezug auf ErnĂ€hrungssicherheit und Menschenrechte.

In Afrika haben tausende Bio-BaumwollbĂ€uer*innen Geld fĂŒr Saatgut eingesetzt und Monate hart dafĂŒr gearbeitet, beste Baumwolle zu produzieren ohne schĂ€dliche Pestizide einzusetzen. Nun suchen unsere afrikanischen und englischen Kolleg*innen gemeinsam nach Lösungen fĂŒr die BĂ€uer*innen und ihre Familien, die von unterbrochenen Lieferketten in der Textilbrache in Folge der Pandemie betroffen sind und unterstĂŒtzen sie dabei, statt Baumwolle zu exportieren, Lebensmittel anzubauen und dafĂŒr lokale MĂ€rkte zu finden. Genau hierfĂŒr setzt sich auch PAN Afrika ein und sensibilisiert die Staaten Westafrikas fĂŒr die Notwendigkeit eines widerstandsfĂ€higen ErnĂ€hrungssystems – insbesondere angesichts der Pandemie. Dabei unterstĂŒtzen z.B. unsere Kolleg*innen in Senegal Landwirt*innen darin, widerstandsfĂ€hige, nachhaltigere Anbauverfahren umzusetzen, die gleichzeitig eine Steigerung der Produktion ermöglichen und so dazu beitragen, das Einkommen der BĂ€uerinnen und Bauern zu verbessern.

Agrarökologie stÀrkt die WiderstandsfÀhigkeit des ErnÀhrungssystems

Es ist lĂ€ngst bekannt, dass agrarökologische Anbauweisen widerstandsfĂ€higer auf KlimaverĂ€nderungen reagieren. Nun beweisen vielfĂ€ltige Anbausysteme – wie der biologische Baumwollanbau, in dem Baumwolle in vielfĂ€ltiger Fruchtfolge mit anderen Kulturpflanzen wie Hibiskus, Fonio, Cashew und Sesam abgebaut wird – auch angesichts der Covid-19 Krise, in der AbsatzmĂ€rkte fĂŒr bestimmte GĂŒter plötzlich weggebrochen sind, grĂ¶ĂŸere WiderstandsfĂ€higkeit.

Angesichts unterbrochener Lieferketten setzt sich PAN Lateinamerika (RAPAL) fĂŒr die Förderung lokaler und agrarökologischer Nahrungsmittel-Produktion ein, indem sie das Wissen hierĂŒber ĂŒber Radioprogramme, Videos, Plakate, Webinare, Informations- Materialien und ĂŒber Telefon-Schaltungen verbreitet. Hierzu zĂ€hlt auch die Konzeption einer Reihe von Video-Workshops, um den urbanen Anbau von Nahrungsmitteln sowie die Eigenproduktion von Saatgut zu fördern.

Unsere Partner*innen von PAN Nord-Amerika (PANNA) setzen sich derweil dafĂŒr ein, dass Notgelder tatsĂ€chlich bei den Farmer*innen ankommen und nicht bei den großen Agrarkonzernen versickern. Sie arbeiten gemeinsam mit Partnern daran, Investitionen in resilientere Lebensmittelsysteme zu fördern, die die Förderung gesunder Böden genauso einschließen, wie die lokale Produktion von Lebensmitteln. Zudem  macht PANNA auf die besondere Betroffenheit landwirtschaftlicher HilfskrĂ€fte in der Pandemie aufmerksam und setzt sich dafĂŒr ein, die systemischen Ungerechtigkeiten, die in unserem Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssystem verankert sind, abzubauen.

Ein nicht-nachhaltiges, ungerechtes System

Ob in Amerika, Asien oder Europa – ĂŒberall auf der Welt hat die Covid19-Pandemie die Schwachstellen unseres industriellen ErnĂ€hrungssystems bloßgestellt. Das System der industriellen Tierhaltung wird schon lange wegen der schlechten Tierhaltungsbedingungen und der großen Mengen eingesetzter Arzneimittel kritisiert. Nun steht es, mit seinen riesigen Schlachthöfen, in denen im Akkord Tiere gekeult und zerlegt werden, auch wegen besonders hoher Infektionsraten bei den meinst prekĂ€r beschĂ€ftigten und schlecht untergebrachten BeschĂ€ftigten – ob in Deutschland in Nordrhein-Westfalen oder in den USA in Minnesota – im Fokus der Öffentlichkeit.

Andere BeschĂ€ftigte, die bislang kaum von der Gesellschaft bemerkt wurden, wie Wanderarbeiter*innen und landwirtschaftliche HilfskrĂ€fte, wurden in der Krise plötzlich bzw. endlich als „systemrelevante ArbeitskrĂ€fte“ erkannt. Die Krise hat offenbart, wie schlecht wir mit diesen Arbeiter*innen umgehen, die oft ohne VertrĂ€ge, ohne soziale Sicherung, hĂ€ufig in Kontakt mit hochgefĂ€hrlichen Pestiziden, unterbezahlt und ebenfalls schlecht untergebracht auf den Feldern und in den Plantagen und GewĂ€chshĂ€usern der Welt fĂŒr unser aller ErnĂ€hrung hart arbeiten. Vieles soll sich nun Ă€ndern. Als Vertreter*innen der Zivilgesellschaft engagieren wir bei PAN uns dafĂŒr, unseren Beitrag zu leisten, damit ein gerechteres Landwirtschaft- und ErnĂ€hrungssystem Wirklichkeit wird.

Hierzu gehört, dass wir uns im PAN Netzwerk dagegen stemmen, dass die Pandemie ausgenutzt wird, um notwendige Reformen im Umweltschutz, im BiodiversitÀtsschutz und in der Agrarpolitik hinauszuzögern, zu verwÀssern oder gÀnzlich in Frage zu stellen.

Die Zukunft gestalten

RAPAL arbeitet aktiv daran, die Einfuhr neuer transgener Nutzpflanzen nach Chile zu blockieren und stemmt sich gegen eine Senkung von Importzöllen auf Pestizide in Argentinien. PANNA kĂ€mpft gegen die ZurĂŒcknahme wichtiger Pestizidvorschriften in den USA. Im gesamten Netzwerk unterstĂŒtzen wir unsere Kolleg*innen von PAN UK in ihren BemĂŒhungen, sicherzustellen, dass die britische Pestizidgesetzgebung nach dem „Brexit“ nicht gĂ€nzlich verwĂ€ssert wird.

Gemeinsam mit unseren Partner*innen von PAN Indien freuen wir uns ĂŒber die AnkĂŒndigung, dass 27 hochgefĂ€hrlichen Pestiziden (HHPs) in dem Land verboten werden sollen. Hier in Europa engagieren wir uns im Verbund mit zahlreichen europĂ€ischen Partnerorganisationen und UnterstĂŒtzer*innen in der EuropĂ€ischen BĂŒrgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ und setzen uns dafĂŒr ein, dass die EU einen Wandel einleitet – weg vom Pestizideinsatz und hin zu agrarökologischen Anbauverfahren – und dabei die Landwirt*innen begleitet und unterstĂŒtzt. Alle EU-BĂŒrger*innen können dies mit ihrer Stimme einfordern: www.savebeesandfarmers.eu/deu/.

Die europĂ€ische Farm-to-Fork-Strategie fĂŒr nachhaltige Lebensmittelsysteme und die neue EU-BiodiversitĂ€tsstrategie lassen uns hoffen. Sie verfolgt die Ziele, den Einsatz chemischer Pestizide und das damit verbundene Risiko bis 2030 um 50 % zu reduzieren, gefĂ€hrlichere Pestizide um 50 % zu verringern und durch agroökologische Verfahren zu ersetzen sowie den Anteil ökologisch bewirtschafteter FlĂ€chen in der EU bis 2030 auf 25 % landwirtschaftlicher NutzflĂ€chen zu erhöhen. Nun wird es darauf ankommen, dass entsprechende Maßnahmen beschlossen und tatsĂ€chlich umgesetzt werden.

Egal ob im Norden, SĂŒden, Osten oder Westen – wir brauchen dringend den Wandel weg von der AbhĂ€ngigkeit von chemisch-synthetischen Pestiziden hin zu vielfĂ€ltigeren Anbausystemen, um nachfolgenden Generationen eine Umwelt zu hinterlassen, die nicht krankmacht und in der es genĂŒg Vielfalt gibt, um gute Ernten zu erzielen und gut leben zu können.

(Susan Haffmans)

Der Artikel ist auch auf English verfĂŒgbar im PANNA-Blog unter dem Titel „A healthy world for all“




Historischer Sieg im Roundup-Krebsfall – Monsanto muss 289 Mio US-Dollar zahlen

In der vorigen Woche verurteilte ein Gericht in San Francisco Monsanto zur Zahlung von 289 Millionen US-Dollar als Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld.
Das Geld soll dem an LymphdrĂŒsenkrebs erkrankten Dewayne Johnson, Hausmeister eines Schulbezirks in Kalifornien, gezahlt werden, der ĂŒber Jahre Roundup in dem von Monsanto vermittelten Glauben verwendete, dass das Pflanzengift harmlos sei.

WĂ€hrend zur Zeit in den USA rund 4.000 Ă€hnliche FĂ€lle gegen Monsanto verhandelt werden, war Dewayne Johnson der erste, der Klage einreichte. Außerdem drĂ€ngte das Gericht aufgrund des fortgeschrittenen Zustands seiner Kreberkranung auf ein schnelles Urteil. Trotzdem zog sich der Prozess monatelang hin. Wie zu erwarten war, kĂŒndigte Monsanto an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. (Quelle https://www.theguardian.com/business/2018/aug/10/monsanto-trial-cancer-dewayne-johnson-ruling)

Die juristische Situation in Europa ist anders als in den USA. Es gibt bislang keine bzw. kaum Möglichkeiten zur Einreichung von Sammelklagen. So weit PAN Germany bekannt ist, gibt es nur einen einzigen Fall in Frankreich, bei dem ein Mutter gegen Monsanto wegen der vorgeburtlichen SchÀden ihres Sohnes geklagt hat. Dieser Fall ist gerichtlich noch nicht entschieden. Die Mutter des Jungen, Sabine Grataloup, ist auch auf dem Monsanto-Tribunal aufgetreten (https://vimeo.com/channels/mtde/page:7)

Weitere Informationen zu dem Fall:
PAN Nordamerika Statement
BAYER-Aktie bricht nach dem Urteil um 14 Prozent ein

 




EuropÀische Chemikalien Strategie ohne Abstriche verabschieden!

Neue Publikation kritisiert Angriff auf den Entwurf der EU-Kommission

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2023

Vor mehr als zwei Jahren, im Oktober 2020 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf einer Chemikalienstrategie, kurz CSS (fĂŒr Chemicals Strategy for Sustainability), die dem Leitbild einer giftfreien Umwelt folgt und bestrebt ist, „die Umwelt und die menschliche Gesundheit, insbesondere die von gefĂ€hrdeten Gruppen“ besser zu schĂŒtzen. Dieser fortschrittliche Entwurf, der unter anderem ein Exportverbot fĂŒr in der EU verbotene Chemikalien und einen besseren Schutz vor hormonschĂ€dlichen Substanzen vorsieht, wartet nach wie vor auf seine Umsetzung in geltendes EU-Recht.

Stattdessen hĂ€ufen sich die Angriffe auf den CSS-Entwurf, der auch eine StĂ€rkung des „gefahrenbasierten“ Ansatzes enthĂ€lt, also ein Verbot von Substanzen aufgrund ihrer Stoffeigenschaften, ohne die Möglichkeit, diese mittels unangemessener Risikobewertung zu verharmlosen. Der gefahrenbasierte Ansatz ist bereits Teil der EU-Pestizidzulassungsverordnung (EC 1107/2009)[1], wird allerdings auch dort immer wieder nur halbherzig angewendet.[2] Dieser Ansatz ist eine EinschĂ€tzung der Stoffeigenschaften einer Chemikalie. Wenn das Gefahrenpotenzial zu groß ist, zum Beispiel wenn der Stoff als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft wird, wĂŒrde ein Verbot erfolgen. Die Gegner dieses Ansatzes möchten den Stoff ĂŒber eine Risikobewertung dann ggf. trotzdem genehmigen können.

Eine der Attacken auf die CSS kam vom Bundesinstitut fĂŒr Risikobewertung (BfR). Diese Behörde, gegen die – daran sei erinnert – im Zuge des damaligen Wiedergenehmigungsverfahrens fĂŒr Glyphosat im MĂ€rz 2016 Strafanzeige wegen wissenschaftlichen Betrugs erstattet wurde,[3] stellte die Wissenschaftlichkeit des CSS-Ansatzes in Frage. In einem Gastkommentar in der Fachzeitschrift Archives of Toxicology erhoben Mitarbeiter des BfR schwere Anschuldigungen gegen die EU-Kommission.[4] In Ihrer Schlussfolgerung mahnen die Autoren des Beitrags, dass der „wissenschaftliche Diskussionsprozess nicht allein auf der Grundlage von Behauptungen funktionieren“ könne, und beschuldigen die EU-Kommission, ungerechtfertigte Ansichten und Ängste zu schĂŒren, was zur „Erosion der wissenschaftlichen GlaubwĂŒrdigkeit der Behörden“ fĂŒhren wĂŒrde. Dabei ĂŒbergeht das BfR geflissentlich seinen eigenen Beitrag zur Erosion der wissenschaftlichen GlaubwĂŒrdigkeit der Behörden in Form der Verbreitung falscher Argumente, die nur allzu durchschaubar waren.[5]

In einer im Januar 2023 veröffentlichten Analyse[6] unterzogen Prof. Erik Millstone (UniversitĂ€t Sussex, UK) und Dr. Peter Clausing (PAN Germany) den Gastkommentar der BfR-Mitarbeiter einer kritischen Analyse. Ihre Analyse kommt zu dem Schluss, dass sich das BfR auf „Wissenschaftlichkeit“ beruft und sich zugleich mit seinen eigenen Argumenten weit von der selbst eingeforderten Wissenschaftlichkeit entfernt. Eine wesentliche Kritik von Millstone & Clausing ist, dass die BfR-Autoren wertebasierte Urteile als objektive wissenschaftliche „Wahrheiten“ prĂ€sentieren, statt deutlich zu machen, dass sich die von ihnen vertretenen Ansichten im Grenzbereich von Politik und Wissenschaft befinden und mithin eine starke subjektive Komponente enthalten. Diese Art der Vernebelung durch das BfR ist nicht neu. So hat das BfR im Jahr 2016, im Zuge der damaligen Glyphosat-Diskussion, durch eine Vermischung von Risiko (Risk) und Gefahr (Hazard) in der Öffentlichkeit Verwirrung gestiftet. Der Einladung sich auf die „mehrfach von ihm selbst eingeforderte sachliche, wissenschaftsbasierte Diskussion“ einzulassen, ist die Behörde nicht gefolgt.[7]

Die Analyse von Millstone & Clausing unterzieht zudem die vom BfR aufgestellten Behauptungen einer kritischen PrĂŒfung, dass in den Bereichen der regulatorischen Stoffbewertung zur HormonschĂ€digung, ReproduktionstoxizitĂ€t und Chemikalien-Cocktails alles in bester Ordnung sei. So demonstriert zum Beispiel ein Blick in die EU-Statistik zum Auftreten von Organmissbildungen bei Neugeborenen, dass die Behauptung der BfR-Autoren falsch ist, dass sich an der HĂ€ufigkeit solcher FĂ€lle in den letzten 40 Jahren nichts geĂ€ndert hĂ€tte.[8] TatsĂ€chlich sind solche Missbildungen hĂ€ufiger geworden. Ganz unberĂŒcksichtigt lĂ€sst das BfR die Frage, ob ein besseres Chemikalien- bzw. Pestizidmanagement im Verlauf von vier Jahrzehnten die Zahl von 200 FĂ€llen pro 10.000 Neugeborenen nicht sogar hĂ€tte verringern mĂŒssen. Wenn es stimmt, dass „
 Institutionen, wie das deutsche Bundesinstitut fĂŒr Risikobewertung (BfR), eine jahrzehntelange Erfahrung in der praktischen Anwendung und Weiterentwicklung der Prinzipien und Methoden der Wissenschaft der regulatorischen Risikobewertung fĂŒr den Gesundheitsschutzes in der EU (haben)“[9], sollte man eine solche Reduktion eigentlich erwarten können.

Der Angriff durch das BfR ist nicht die einzige Attacke gegen die CSS. Auch die Industrie selbst macht mobil, wie ein vor wenigen Wochen durchgefĂŒhrtes Webinar mit dem Thema „Two Years Later: How Has the Chemicals Strategy for Sustainability Changed REACH and CLP Regulations?” deutlich macht.[10] Es gibt also gute GrĂŒnde, die weitere Entwicklung wachsam zu verfolgen und sich dafĂŒr einzusetzen, dass der CSS-Entwurf einerseits nicht verwĂ€ssert und andererseits möglichst bald in geltendes Recht ĂŒberfĂŒhrt wird.

Die Publikation ist auch in englischer Sprache erhÀltlich.

(Dr. Peter Clausing)

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1107&from=de

[2] https://pan-germany.org/pestizide/neuer-bericht-zeigt-bewertung-von-krebseffekten-bei-4-von-10-pestiziden-fehlerhaft/

[3] https://www.global2000.at/news/glyphosat-zulassungsbeh%C3%B6rde-informierte-falsch

[4] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3

[5] vgl. Clausing, P. (2017): Krebsgefahr durch Glyphosat: Der „Weight of Evidence Approach“ des BfR.   Umwelt – Hygiene – Arbeitsmedizin 22 (1): 27 – 34.

[6] https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[7] https://archiv.pan-germany.org/pan-germany.org_180405/www.pan-germany.org/download/The_Carcinogenic_Hazard_of_Glyphosate.pdf

[8] https://eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/eurocat/eurocat-data/prevalence_en, zusammengefasst in Tabelle 1 von https://doi.org/10.1017/err.2022.41

[9] https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3, Seite 259 (eigene Übersetzung)

[10] https://www.reachblog.com/2022/12/register-now-webinar-two-years-later-how-has-the-chemicals-strategy-for-sustainability-changed-reach-and-clp-regulations/




Der Kampf gegen gefÀhrliche Chemikalien braucht mehr als Symbolpolitik

Im Vorfeld des Berlin Forums fĂŒr Chemikalien und Nachhaltigkeit ziehen Umwelt- und EntwicklungsverbĂ€nde eine kritische Bilanz der Arbeit der Bundesregierung. Sie hat wichtige Hausaufgaben in der Chemikalienpolitik unerledigt gelassen.

Berlin, 5. Juli 2021: Die Bundesregierung hat die Chemikalienpolitik vernachlÀssigt. Sie hat damit in Kauf genommen, dass die Gesundheit von Menschen weiterhin gefÀhrdet, die Klimakrise angeheizt und der Verlust der Artenvielfalt beschleunigt wird.

Zu diesem Urteil kommt ein BĂŒndnis aus den fĂŒnf Umwelt- und EntwicklungsverbĂ€nden BUND, Forum Umwelt und Entwicklung, HejSupport, PAN Germany und WECF. Es fordert die kĂŒnftige Bundesregierung auf, den Schutz von Mensch, Artenvielfalt und Klima endlich ernst zu nehmen und sich in Deutschland, in der EU und weltweit aktiv fĂŒr eine giftfreie Zukunft mit weniger Chemikalien und einem nachhaltigen Umbau der Chemieindustrie einzusetzen. Dies ist dringend notwendig: Noch immer sterben weltweit jĂ€hrlich mehr als 1,6 Mio. Menschen durch Chemikalien. Noch immer wird fĂŒr Herstellung und Transport von Chemikalien und Produkten knapp ein Drittel der verbrauchten Energie benötigt. Noch immer werden Ökosysteme durch den Rohstoffabbau und die Freisetzung gefĂ€hrlicher Stoffe zerstört. Schadstoffe und Pestizide sind eine Hauptursache fĂŒr die Umwelt- und Gesundheitskrise unserer Zeit.

Die jetzige Bundesregierung hat viele Möglichkeiten zu handeln verstreichen lassen. Obwohl Deutschland der Chemiestandort Nr. 1 in Europa ist, wurde Chemikalienpolitik weder im Koalitionsvertrag noch wĂ€hrend der EU-RatsprĂ€sidentschaft adressiert. Dabei ist die Bundesregierung als Vorsitzende des so genannten „Strategischen Ansatzes zum internationalen Chemikalienmanagement“ (SAICM) in der Pflicht, die Weichen fĂŒr eine Erneuerung des Abkommens zu stellen.

SAICM sollte dazu beizutragen, die Folgen von Chemikalien und AbfĂ€llen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt bis 2020 zu minimieren. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Weltweit mangelt es an Problemwahrnehmung und politischem Handlungswillen. Im Juli 2021 wollte die Staatengemeinschaft in Bonn auf einer internationalen Konferenz zur Chemikaliensicherheit beschließen, wie es mit SAICM nach 2020 weitergeht. Statt der wegen Corona verschobenen Konferenz veranstaltet die Bundesregierung nun am 7. und 8. Juli das virtuelle Berlin Forum fĂŒr Chemikalien und Nachhaltigkeit. Das u.a. mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und AntĂłnio Guterres, GeneralsekretĂ€r der Vereinten Nationen, hochrangig besetzte Forum soll ĂŒber Wege fĂŒr einen nachhaltigen Umgang mit Chemikalien diskutieren.

Das NGO-BĂŒndnis erwartet von dem Forum nicht nur schöne Worte und Symbolik, sondern konkrete Zusagen, um bis spĂ€testens 2030 die negativen Folgen von Produktion und Verwendung von Chemikalien und AbfĂ€llen fĂŒr Mensch, Artenvielfalt und Klima zu minimieren. VerbĂ€nde in Deutschland und weltweit haben Forderungen mit konkreten Maßnahmen zum Schutz vor giftigen Chemikalien aufgestellt, die sofort umgesetzt werden könnten.

„Das Ziel, die Belastung des Menschen und der Umwelt durch Produktion und Freisetzung gefĂ€hrlicher Stoffe bis 2020 nachhaltig zu reduzieren, ist nicht annĂ€hernd erreicht worden“, erklĂ€rt Manuel Fernandez, Chemikalienexperte vom BUND. Ohne ein grundlegendes Umsteuern im Chemiesektor seien auch die Klima- und Artenschutzziele der UN-Agenda 2030 zum Scheitern verurteilt.  „Die Chemieindustrie darf als grĂ¶ĂŸter Stromverbraucher und drittgrĂ¶ĂŸter Emittent von Kohlendioxid die Klimakrise nicht weiter verschĂ€rfen. Die Folgen tragen die Allgemeinheit und die Natur“, so FernĂĄndez. „Das muss sich schnell Ă€ndern. In der EU bietet die neue EU-Chemikalienstrategie fĂŒr Nachhaltigkeit hierfĂŒr eine Chance. Die Bundesregierung ist aufgefordert, beim nachhaltigen Umbau der Chemieindustrie mit gutem Beispiel voranzugehen.“

Auch Pestizide zĂ€hlen zu den weltweit gehandelten Chemikalien. „JĂ€hrlich erleiden rund 385 Millionen Menschen ungewollt Pestizidvergiftungen. Pestizide machen zudem einen erheblichen Anteil an stofflichen Belastungen von GewĂ€ssern, Lebensmitteln und am Schwund der BiodiversitĂ€t aus“, erlĂ€utert Susan Haffmans vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany). „Insbesondere hochgefĂ€hrliche Pestizide sind eine weltweite Bedrohung. Deutschland kann und sollte damit beginnen, Doppelstandards im Pestizidhandel abzubauen und den Export von in der EU verbotenen hochgefĂ€hrlichen Pestizide gesetzlich unterbinden. Zudem sollten endlich die BeschlĂŒsse der vierten Internationalen Chemikalien Konferenz von 2015 umgesetzt werden, HHPs in der Landwirtschaft schrittweise durch nicht-chemische Alternativen wie Agrarökologie zu ersetzen.“

Johanna Hausmann von Women Engage for a Common Future fĂŒhrt weiter aus: „Nur ein Bruchteil der bis zu 350.000 Chemikalien auf dem Weltmarkt sind reguliert. Sie vergiften unsere Umwelt und unsere Gesundheit. Die Wissenschaft bestĂ€tigt die krankmachende Wirkung vieler Chemikalien und bringt sie u.a. in Zusammenhang mit der Zunahme von Krebs, Fruchtbarkeitsstörungen und neurologischen Erkrankungen. Schwangere, Frauen, Kinder und sozial schwĂ€chere Bevölkerungsgruppen sind dabei besonders betroffen – in Deutschland und weltweit. Frauen reichern Schadstoffe stĂ€rker an. In der Schwangerschaft gelangen diese an den Fötus und gefĂ€hrden kĂŒnftige Generationen. Der Schutz vor bedenklichen Chemikalien muss eine wichtige Aufgabe der kĂŒnftigen Bunderegierung werden. Gender- und sozioökonomische Aspekte mĂŒssen dabei eine wichtige Rolle spielen.“

Tom Kurz vom Forum Umwelt und Entwicklung ergĂ€nzt: „Die UntĂ€tigkeit der internationalen Staatengemeinschaft und der Bundesregierung machen uns krank und werden auch noch kommende Generationen belasten. Es ist nicht möglich, unbedenklich einkaufen zu gehen und davon auszugehen nicht vergiftet zu werden. HormonschĂ€dliche Substanzen in Kosmetik, Pestizide in der Luft und in unserem Essen, PFAS in Verpackungen und Weichmacher im Spielzeug: ĂŒberall sind wir gefĂ€hrlichen Stoffen ausgesetzt.“

Alexandra Caterbow von der Gesundheits- und Umweltorganisation HEJSupport fasst zusammen: „Der Stellenwert der Chemiepolitik in der Politik der Bundesregierung spiegelt nicht die Dringlichkeit wider, die wir der Vergiftung unseres Planeten und unserer Körper beimessen sollten. Wir brauchen dringend verbindliche Zusagen aus der Politik, die auch im nĂ€chsten Koalitionsvertrag verankert sein mĂŒssen. Mehr Maßnahmen auf nationaler, EU und internationaler Ebene mĂŒssen von der neuen Regierung angeschoben und unterstĂŒtzt werden, sonst werden z.B. weiterhin unsere FlĂŒsse kontaminiert sein und Babys mit Schadstoffen im Körper geboren.“

WeiterfĂŒhrende Informationen

Informationen der NGOs zum Thema internationales Chemikalienmanagement finden Sie auf der gemeinsamen Webseite unter https://www.giftfreie-zukunft.org/ sowie zum Download unter

https://www.giftfreie-zukunft.org/aktuell/presse-berlin-forum (verfĂŒgbar ab 5. Juli)

Zum Vorbereitungsprozess fĂŒr die Chemikalienkonferenz in Bonn unter http://saicm.org/.

Zum Berlin Forum fĂŒr Chemikalien und Nachhaltigkeit
https://www.bmu.de/berlin-forum-fuer-chemikalien-und-nachhaltigkeit/#c59688

Kontakte

Alexandra Caterbow, HEJSupport, alexandra.caterbow@hej-support.org, Tel. 0179/52 44 994

Johanna Hausmann, Women Engage for a Common Future (WECF), johanna.hausmann@wecf-consultant.org, Tel. 089/2323938-19, 0173/80 10 04 0

Manuel Fernandez, Bund fĂŒr Umwelt und Naturschutz Deutschland, Manuel.Fernandez@bund.net,
Tel. 0151/19 33 62 10

Susan Haffmans, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), mailto:susan.haffmans@pan-germany.org, Tel. 040 399 19 10-25

Wolfgang Obenland, Forum Umwelt & Entwicklung, obenland@forumue.de, Tel. 030/678 1775 907




Besorgnis ĂŒber rapide steigenden Pestizideinsatz in Bolivien. Auch Kleinbauern setzen hochgefĂ€hrliche Pestizide ein.

PAN Germany Pestizid-Brief 3 – 2018

In Bolivien hat sich der Pestizideinsatz binnen 10 Jahren auf jĂ€hrlich 62.900 Tonnen mehr als versechsfacht. Eine jĂŒngst veröffentlichte Masterarbeit belegt, dass fast drei Viertel der in Bolivien zugelassenen Pestizide hoch toxisch sind und ein Großteil davon in der EU und in weiteren LĂ€ndern der Welt verboten ist. (1)

Die von der UniversitĂ€t Rockstock betreute Masterarbeit von Ulrike Bickel „Uso de plaguicidas por productores familiares en Bolivia“ untersucht die Dimensionen, Einflussfaktoren und die sozio-ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des Pestizideinsatzes in Bolivien. Der Arbeit zugrunde liegen eine empirische Fallstudie zu KleinbĂ€uerInnen in vier bolivianischen Ökoregionen, Experteninterviews mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen und die Analyse wissenschaftlicher und politischer Erkenntnisse zum Pestizideinsatz in Bolivien samt akuten wie chronischen Vergiftungserscheinungen und der Auswirkungen auf die Ökosysteme.

HerzstĂŒck der Arbeit ist ein Abgleich der in Bolivien zugelassenen Pestizide mit der Liste des Pestizid Aktions-Netzwerkes (PAN) ĂŒber hochgefĂ€hrliche Pestizide (engl.: highly hazardous pesticides, HHPs) (2) sowie der PAN Liste in anderen LĂ€ndern verbotener Pestizide (engl.: banned pesticides) (3) mit der ToxizitĂ€ts-Klassifikation der UN-Landwirtschafts- und Weltgesundheitsorganisationen FAO und WHO, mit EU-Verboten sowie der „Schwarzen Liste der gefĂ€hrlichsten Pestizide“ von Greenpeace. Dieser Abgleich ergab, dass fast drei Viertel der in Bolivien zugelassenen Pestizide hoch toxisch und ein Großteil davon in der EU und in weiteren LĂ€ndern verboten sind (vgl. (4)).

Mindestens 164 registrierte hoch gefÀhrliche Pestizide

Mehr als 70 % (mindestens 164) der 229 in Bolivien registrierten Pestizid-Wirkstoffe sind hoch gefĂ€hrlich aufgrund ihrer akuten oder chronischen ToxizitĂ€t fĂŒr die menschliche Gesundheit oder fĂŒr die Ökosysteme. Obwohl fast die HĂ€lfte (105) dieser Substanzen in anderen LĂ€ndern verboten sind, autorisiert die zustĂ€ndige Behörde SENASAG (Nationaler Dienst fĂŒr landwirtschaftliche Gesundheit und Lebensmittelhygiene) diese hoch gefĂ€hr-lichen Pestizide. Einen Grund hierfĂŒr sieht die Autorin darin, dass die ZulassungsÂŹbehörde von den ZulassungsgebĂŒhren als Finanzierungsquelle ihrer Arbeit abhĂ€ngt. Allein zwischen Mitte Mai und Ende August 2018 stieg die Anzahl zugelassener Pestizide (Handelsnamen) von 2.190 auf 2.419, das sind durchschnittlich 3 neue Produktzulassungen pro Werktag.
Der Pestizideinsatz erfolgt willkĂŒrlich und chaotisch: Viele LandwirtInnen mischen hoch giftige Pestizidcocktails aus Insektiziden und Fungiziden, hĂ€ufig ohne die nötige Schutz-kleidung zu tragen (Brille, Schutzmaske, Schutzhandschuhe und -anzug, Gummistiefel), weil diese entweder zu unbequem, zu teuer, nicht fĂŒr das heiße Klima geeignet sind, weil sie „nichts fĂŒr starke MĂ€nner“ seien oder weil sie beim Coca-Kauen stören.

Mangels flĂ€chendeckender Sammel- und Entsorgungsstellen werden große Mengen leerer Pestizidcontainer nicht geordnet entsorgt. So kontaminieren und verschmutzen vermeintlich leere RestbehĂ€lter Höfe, GewĂ€sser, das Erdreich und die Ökosysteme, ins-besondere in Regionen, in denen viele kleine und mittelstĂ€ndische LandwirtInnen leben. In der intensiv agrarindustriell genutzten Region um Santa Cruz gibt bzw. gab es zum Zeitpunkt der Recherche zumindest zeitweise Sammelprogramme fĂŒr PestizidbehĂ€lter.

Kleinbauern im Visier der Agrarchemie

KleinbĂ€uerInnen in vielen EntwicklungslĂ€ndern werden zunehmend zu Kunden der Agrarchemieindustrie und spritzen hoch giftige Pestizide, wie z.B. das wahrscheinlich krebserregende Glyphosat und das nervenschĂ€digende Herbizid Paraquat. Bolivien ist dabei kein Einzelfall. Die AnwenderInnen gefĂ€hrden ihr eigenes Leben, tragen zur Verschmutzung von Böden und GewĂ€ssern und zur SchĂ€digung nĂŒtzlicher Insekten bei und in der Folge zu einer fortschreitenden Destabilisierung von Ökosystemen. Auch sind viele landwirtschaftliche Produkte, die auf den lokalen MĂ€rkten verkauft werden, mit PestizidÂŹrĂŒckstĂ€nden belastet.
Bei den Recherchen zeigte sich: Nicht nur die Großbetriebe im östlichen, von Soja- und anderen Exportkulturen geprĂ€gten Tiefland spritzt intensiv Pestizide. Auch KleinbĂ€uerÂŹInnen setzen zunehmend Pestizide ein. Diese Erkenntnis widerspricht der landlĂ€ufigen Darstellung, die kleinbĂ€uerliche Familienlandwirtschaft in EntwicklungsÂŹlĂ€ndern sei per se agrarökologisch, wirtschafte im Einklang mit der Natur und erzeuge gesunde Grund-nahrungsÂŹmittel. Die Studie konnte zeigen, dass dem in Bolivien nicht mehr so ist. Diese Entwicklung ist allerdings neu: Einer reprĂ€sentativen Untersuchung des bolivianischen Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2015 zufolge begann die Mehrheit der boliviani-schen LandwirtInnen erst vor weniger als 5 Jahren, Pestizide einzusetzen (38 %). Offensichtlich sind die KleinbĂ€uerInnen zusehends als KundInnen ins Visier der omni-prĂ€senten Pestizidimporteure geraten (Bolivien produziert selbst keine, sondern importiert alle Pestizide). ZusĂ€tzlich zu den legalen Importen wird circa ein Drittel der Pestizide illegal ins Land geschmuggelt. Dies ist möglich, weil die staatlichen Kontrollen an den Grenzen sowie auf MĂ€rkten defizitĂ€r sind und Sanktionen fehlen. Illegal heißt zum Beispiel: nicht zugelassene Substanzen, Pestizide mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum oder umetikettierte Ware in anderen als den Original-BehĂ€ltnissen, falsche oder fehlende Etiketten und vielfach falsch angegebene ToxizitĂ€tsklasse.

Ursachen des gestiegenen Pestizideinsatzes

Ursachen des stark gestiegenen Pestizideinsatzes in Bolivien sind der Masterarbeit zufolge zum einen das Fehlen eines angepassten, flĂ€chendeckenden bĂ€uerlichen Ausbildungssystems; die vorwiegend konventionelle Orientierung der universitĂ€ren AgrarfakultĂ€ten; weiterhin eine nahezu inexistente staatliche Agrarberatung – ein Vakuum, das die Pestizidkonzerne und -hĂ€ndler mit ihrer Propaganda und dezentralen PrĂ€senz ausfĂŒllen – sowie im ungenĂŒgenden Pestizidzulassungs- und Kontrollsystem der staatlichen Behörde fĂŒr Lebensmittelsicherheit SENASAG, die finanziell von den ZulassungsgebĂŒhren abhĂ€ngt, die die Pestizidkonzerne zahlen.
Da es keine regelmĂ€ĂŸige staatliche Agrarberatung gibt (mit Ausnahme erratischer konÂŹven-tioneller staatlicher Programme fĂŒr Kartoffel- und GemĂŒseanbau, die meist kurz vor Wahlen in entlegenen Regionen initiiert werden), suchen viele ProduzentInnen den Rat der PestizidhĂ€ndler, die im eigenen Interesse eines gesteigerten Pestizidabsatzes beÂŹraÂŹten. Ein öffentliches landwirtschaftliches Ausbildungs- und Agrarberatungssystem, das flĂ€chendeckend fĂŒr alle KleinbĂ€uerInnen – auch mit niedrigem Schulbildungsniveau – zugĂ€nglich wĂ€re und das unabhĂ€ngig vom Profitinteresse der PestizidhĂ€ndler berĂ€t, fehlt in Bolivien.
Pestizid-Vergiftungen gehören zum traurigen Alltag

Fast die HĂ€lfte der vom bolivianischen Gesundheitsministerium im Jahr 2015 befragten 4.125 BĂ€uerInnen Ă€ußerte, bereits akute Vergiftungssymptome wĂ€hrend oder kurz nach der Pestizidanwendung erlitten zu haben. Der Wissensstand bei KleinbĂ€uerInnen insbe-sondere ĂŒber die chronischen Langzeitfolgen des Pestizideinsatzes fĂŒr ihre Gesundheit und die Ökosysteme ist jedoch sehr gering. Die Masterarbeit hat verfĂŒgbare wissenschaftliche Studien und Erkenntnisse ausgewertet, denen zufolge die Exposition gegenĂŒber Agrar-giften zu schweren Krankheiten wie Krebs, Alzheimer, Parkinson, hormonelle Störungen, Degradierung des Nervensystems, Fehlgeburten, Missbildungen, EntÂŹwickÂŹlungsÂŹstörungen sowie SterilitĂ€t/Unfruchtbarkeit fĂŒhren kann. Die Autorin wurde bei ihrer Feldforschung in lĂ€ndlichen Regionen auch mit solchen Krankheitsbildern konfrontiert.

Mangelnde RĂŒckstandskontrollen

Zur direkten Pestizid-Exposition der LandwirtInnen, ihrer Familienmitglieder und der AnwohnerInnen hinzu kommt das Risiko fĂŒr KonsumentInnen, Nahrungsmittel zu essen, die mit PestizidrĂŒckstĂ€nden belastet sind. Bei Lebensmittelkontrollen auf bolivianischen MĂ€rkten wurden wiederholt z.B. Tomaten und Salat mit RĂŒckstĂ€nden hoch giftiger Pestizide weit oberhalb der erlaubten Grenzwerte gefunden. GemĂŒseverkĂ€uferinnen auf dem Markt in Comarapa (Departamento Santa Cruz) benutzten den schönfĂ€rberischen Satz: „Hier ist alles geheilt (aquĂ­ todo estĂĄ curado)“, d.h. pestizidbehandelt.
Eine behördliche LebensmittelĂŒberwachung auf PestizidrĂŒckstĂ€nde mit Kontroll- und Monitoringsystem findet nicht statt. Hier wird die zustĂ€ndige Behörde SENASAG ihrem expliziten Auftrag nicht gerecht, die „Unbedenklichkeit von Nahrungsmitteln“ zu gewĂ€hrleisten. Ein „interministerielles Komitee fĂŒr Pestizide“, bestehend aus Landwirtschafts-, Gesundheits- und Umweltministerium, hat vor zwei Jahren langsam seine Arbeit aufgenommen und plant, kĂŒnftig bei beantragten Wieder- und Neuzu-lassungen von Pestiziden deren Gesundheits- und Umweltauswirkungen zu analysieren. Dem entgegen steht die oben skizzierte reale Zulassungspraxis des SENASAG von circa 3 Neuzulassungen pro Arbeitstag.

Gefangen im Pestizid-Teufelskreis

In ökologischer und auch ökonomischer Hinsicht sind konventionell wirtschaftende LandwirtInnen in einem Teufelskreis („pesticide treadmill“): Je mehr Pestizide und MineraldĂŒnger sie einsetzen, desto mehr nimmt der Befall ihrer Kulturen mit SchĂ€dlingen und Pflanzenkrankheiten zu. Dies ist gleichsam ein Symptom der wachsenden InstabilitĂ€t der Ökosysteme. Darum sehen sich die BĂ€uerInnen gezwungen, immer mehr, immer giftigere und teurere Pestizide zu kaufen, wĂ€hrend die niedrigen Produktpreise am Ende oft nicht einmal ihre eingesetzten „Inputs“ decken, geschweige denn ihre Arbeitskraft. Manche BĂ€uerInnen verschulden sich, da die AgrarchemiehĂ€ndler ihnen Saatgut, KunstdĂŒnger und Pestizide vorab auf Kreditbasis stellen.

Agrarökologie als Ausweg

Als nachhaltige Alternative, die geeignet ist, eine giftfreie Produktion gesunder Nahrungsmittel zu gewĂ€hrleisten, wird in der Masterarbeit das Konzept der Agrarökologie vorgestellt. Dieses wird von den rund 60 Mitgliedsorganisationen der bolivianischen Bodenschutzplattform (Plataforma Nacional de Suelos) und einer Minderheit der bolivianischen AgrarfakultĂ€ten propagiert, unterstĂŒtzt von internationalen Bewegungen wie „La vĂ­a campesina“, dem Welt-Dachverband von KleinbĂ€uerInnen, sowie von der UN-Landwirtschafts- und ErnĂ€hrungsorganisation FAO. Agrarökologie bezeichnet – als Gegenbegriff zur industriellen, konventionellen und chemieintensiven Landwirtschaft – eine Orientierung der Wissenschaft, der sozial-ökologischen Bewegungen und der landwirtschaftlichen Praxis am langfristigen Erhalt der Ökosysteme (5). Zu den Elementen der Agrarökologie zĂ€hlen Recycling und Optimierung von NĂ€hrstoffen und Energie innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes, die Integration von Ackerbau und Viehzucht, die StĂ€rkung der biologischen Vielfalt, die Interaktionen und Synergien, die Vermeidung von Chemikalien und anderen Technologien mit negativen Auswirkungen auf Umwelt und vieles mehr.

Handlungsempfehlungen

Basierend auf den Recherche- und Analyse-Ergebnissen formuliert die Autorin eine Reihe von Handlungsempfehlungen, um die Situation in Bolivien nachhaltig zu verbessern:

‱ Reform des bolivianischen Pestizid-Zulassungssystems mit dem Ziel, die Behörde SENASAG finanziell unabhĂ€ngig von den GebĂŒhren der Agrarchemiekonzerne zu machen.
‱ Durchsetzung des Verbots von Importen und des Verkaufs hoch gefĂ€hrlicher Pestizide (HHPs).
‱ Konsequente agrarökologische Umorientierung der Produktion, der universitĂ€ren Lehre und der Agrarforschung.
‱ IndustrieunabhĂ€ngige landwirtschaftliche Ausbildung und staatliche Agrarberatung fĂŒr ProduzentInnen.
‱ FlĂ€chendeckende Sammlung und sichere Entsorgung von PestizidbehĂ€ltern.
‱ Effektive Maßnahmen gegen den Handel mit illegalen Pestiziden.
‱ EinfĂŒhrung eines regelmĂ€ĂŸigen Gesundheitsmonitorings fĂŒr Pestizid-Anwender und die Dokumentation von Pestizid-Vergiftungen.
‱ Schaffung eines effizienten regulatorischen Rahmens zum Schutz besonders gefĂ€hrdeter Gruppen, die gegenĂŒber Pestiziden am sensibelsten reagieren und die am verletzlichsten sind, wie Kinder, schwangere Frauen, indigene Völker, LandwirtInnen, LandarbeiterInnen sowie ArbeitsmigrantInnen.
‱ StĂ€rkung der „Ombudsstelle der Mutter Erde“ (DefensorĂ­a de la Madre Tierra) und des Agrarumweltgerichtshofs (Tribunal Agroambiental) und ihrer unabhĂ€ngigen Arbeit.

(Ulrike Bickel)

Die Autorin Ulrike Bickel ist Agrar- und Umweltwissenschaftlerin und arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika.

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Quellen

(1) Bickel, U. (2018): Uso de plaguicidas por productores familiares en Bolivia. www.welt-ernaehrung.de/wp-content/uploads/2018/11/Plaguicidas-en-Bolivia_tesis-UBickel.pdf.
(2) PAN International List of highly hazordous pesticides (March 2018) https://pan-germany.org/download/pan-international-list-of-highly-hazardous-pesticides/#
(3) PAN International Consolidated List of Banned Pesticides von 2017 http://pan-international.org/pan-international-consolidated-list-of-banned-pesticides/
(4) Plaguicidas altamente tĂłxicos en Bolivia. Technical Report July 2018 https://www.researchgate.net/publication/326300001_Plaguicidas_altamente_toxicos_en_Bolivia
(5) Symposium: Agrarökologie im großen Stil fĂŒr Agrar- und ErnĂ€hrungswende (April 2018) https://www.weltagrarbericht.de/aktuelles/nachrichten/news/de/33127.html




Gutachten zeigt: Glyphosat-Ausstieg in Deutschland immer noch möglich

Gemeinsame Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany)

Berlin / Hamburg, 17.1.2024. Trotz der Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene hat die deutsche Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Zulassung glyphosathaltiger Produkte zu verweigern oder ein Anwendungsverbot zu erlassen. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Damit könnte die Bundesregierung ihrer AnkĂŒndigung im Koalitionsvertrag nachkommen, Glyphosat vom Markt zu nehmen.

Das Rechtsgutachten zeigt, dass die Bundesregierung, basierend auf den Vorgaben der Pflanzschutzmittel-Zulassungsverordnung, trotz Glyphosat-Wiedergenehmigung auf EU-Ebene begrĂŒndet entscheiden kann, glyphosathaltigen Pestizidprodukten die Zulassung zu verweigern oder fĂŒr diese ein nationales Anwendungsverbot zu erlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit gesetzlich festgelegter AnwendungsbeschrĂ€nkungen. Dabei komme es vor allem auf die BegrĂŒndung an, mit der diese Maßnahmen gerechtfertigt werden. Diese mĂŒssten strengen wissenschaftlichen bzw. technischen BegrĂŒndungsmaßstĂ€ben entsprechen, und es brauche Nachweise von konkreten Risiken, so das Gutachten.

Lena Luig, Referentin fĂŒr Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die jĂŒngste Wiedergenehmigung von Glyphosat in BrĂŒssel war ein herber RĂŒckschlag. FĂŒr den Schutz der Gesundheit von BeschĂ€ftigten in der Landwirtschaft, die mit dem krebserregenden Wirkstoff arbeiten, aber auch fĂŒr die Artenvielfalt. Gerade fĂŒr die Bodenlebewesen hat Glyphosat nachweislich schĂ€digende Auswirkungen. Dabei sind gesunde Böden unsere Lebensversicherung – wie wir auch in unserem neuen Bodenatlas zeigen.“ Mit dem heute veröffentlichten Gutachten bekomme das Bundeslandwirtschaftsministerium nun konkrete Empfehlungen an die Hand, wie ein Glyphosatverbot doch noch national durchgesetzt werden könne.

Peter Clausing, Toxikologe vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany): „Mit der Wiedergenehmigung von Glyphosat ignoriert die EU-Kommission die vielen inzwischen verfĂŒgbaren Belege dafĂŒr, dass Glyphosat die menschliche Gesundheit schĂ€digt. Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweislage fĂŒr die Krebseffekte von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend. Ferner hĂ€ufen sich ĂŒberzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse ĂŒber negative Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom und das Nervensystem, die nicht berĂŒcksichtigt wurden. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, ihre nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen und den lange angekĂŒndigten Glyphosatausstieg umzusetzen.“

Die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat wurde am 28. November 2023 von der EU-Kommission um weitere zehn Jahre verlĂ€ngert – ohne eine qualifizierte Mehrheit fĂŒr die Genehmigung unter den Mitgliedstaaten. Mit der Wiedergenehmigung wurde den Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung hinsichtlich AnwendungsbeschrĂ€nkungen glyphosathaltiger Pestizidprodukte zugewiesen. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekĂŒndigt, Glyphosat bis Ende 2023 „vom Markt zu nehmen“.

Veranstaltungshinweis: Im Rahmen der GrĂŒnen Woche in der Heinrich-Böll-Stiftung findet am Freitag, 19. Januar, 10-12 Uhr, folgende Veranstaltung statt: Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schon lĂ€ngst nicht mehr leisten kann. U.a. mit Martin HĂ€usling, MdEP: Mehr Infos und Anmeldung: https://calendar.boell.de/de/event/pflanzenschutz-oder-umweltschmutz

WeiterfĂŒhrende Informationen

Rechtsgutachten „HandlungsspielrĂ€ume Deutschlands fĂŒr ein nationales Glyphosatverbot nach EU-Recht“ von Ida Westphal(Ass. iur.) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/2024/01/15/rechtsgutachten-handlungsspielraeume-deutschlands-fuer-ein-nationales-glyphosatverbot

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / TMG Thinktank for Sustainability: Bodenatlas 2024 – Daten und Fakten ĂŒber eine lebenswichtige Ressource: www.boell.de/bodenatlas

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / PAN Germany: Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft: https://www.boell.de/de/pestizidatlas

Deutsche Zusammenfassung der Studie „Glyphosate and Oxidative Stress: ECHA‘s superficial approach neglects existing hazards“ von Peter Clausing, Siegfried KnasmĂŒller und Christopher Portier: https://pan-germany.org/download/studie-glyphosate-and-oxidative-stress/

Weitere PAN Germany Informationen zu Glyphosat unter https://pan-germany.org/pestizid_kat/glyphosat/

 

Fachkontakte

  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: 030 28534312
  • Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), E-Mail: peter.clausing@pan-germany.org; Telefon: +49 176 4379 5932

 




Neue Studie: Pestizide in unseren Schlafzimmern

Pestizide, die in lĂ€ndlichen Gebieten eingesetzt werden, gelangen durch Abdrift bzw. ĂŒber die Luft weit ĂŒber die Felder hinaus in GĂ€rten und Wohngebiete. Die neue Studie “Pesticides In Our Bedroom“ wurde von der EuropĂ€ischen BĂŒrgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ initiiert, um auf diesen relevanten Belastungsweg aufmerksam zu machen.
DafĂŒr wurden exemplarisch Hausstaubproben aus Schlafzimmern von Anwohner*innen landwirtschaftlich genutzter Gebiete aus vielen Mitgliedstaaten entnommen. Der jeweilige Haushalt befand sich weniger als 100 m entfernt von einer landwirtschaftlich intensiv genutzten FlĂ€che. Die Proben wurden in einem Speziallabor in Frankreich auf RĂŒckstĂ€nde von insgesamt 30 Pestiziden untersucht, die in der EU hĂ€ufig verwendet werden. Die Studie wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf die Belastung von Menschen in lĂ€ndlichen Regionen.

SĂ€mtliche Proben waren mit Pestiziden belastet.
In allen 21 Proben der teilnehmenden MitgliedslÀnder konnten Pestizide nachgewiesen werden.
Im Durchschnitt war der beprobte Hausstaub mit 8 Pestiziden kontaminiert. Der höchste Wert wurde dabei in Belgien mit 23 Pestiziden (in einer Probe) festgestellt, gefolgt von Italien mit 13 und den Niederlanden mit 12 Pestiziden.
Es konnten Pestizide nachgewiesen werden, die nach EinschÀtzung der EU-Behörden in Verdacht stehen, krebserregend zu sein oder hormonell wirksame und fortpflanzungsschÀdliche Eigenschaften zu besitzen.
Die Studie zeigt, dass viele Menschen EU-weit auch in ihren Wohnungen tÀglich verschiedenen Pestiziden in unterschiedlichen Konzentrationen und Gemischen ausgesetzt sind.

Die Ergebnisse sind ein weiterer Weckruf dafĂŒr, dass synthetische Pestizide dringend durch gesundheits- und umweltschonendere, nicht-chemische Alternativen ersetzt werden mĂŒssen. Daher setzt sich die EuropĂ€ische BĂŒrgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“ fĂŒr eine pestizidfreie Landwirtschaft in der EU ein. Ziel der EBI ist es, konkrete Maßnahmen auf EU-Ebene in Gang zu setzen, um die Verwendung synthetischer Pestizide in der EU innerhalb von 15 Jahren schrittweise einzustellen, die biologische Vielfalt auf landwirtschaftlichen FlĂ€chen wiederherzustellen und bei diesem Transformationsprozess die Landwirte zu unterstĂŒtzen. HierfĂŒr mĂŒssen EU-weit 1.000 000 Stimmen gesammelt werden, damit die Initiative erfolgreich ist.


Bis zum 30. September 2021 ist noch Zeit, um die Forderungen der EU BĂŒrgerinitiative
zu unterstĂŒtzen und online zu unterzeichnen:

 „Bienen und Bauern retten“ –
fĂŒr eine gesunde Landwirtschaft und zum Wohl von Landwirt*innen und unserer Umwelt!

 

 

Weitere Informationen: