Gutachten zeigt: Glyphosat-Ausstieg in Deutschland immer noch möglich

Gemeinsame Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN Germany)

Berlin / Hamburg, 17.1.2024. Trotz der Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene hat die deutsche Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Zulassung glyphosathaltiger Produkte zu verweigern oder ein Anwendungsverbot zu erlassen. Das zeigt ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Damit könnte die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen, Glyphosat vom Markt zu nehmen.

Das Rechtsgutachten zeigt, dass die Bundesregierung, basierend auf den Vorgaben der Pflanzschutzmittel-Zulassungsverordnung, trotz Glyphosat-Wiedergenehmigung auf EU-Ebene begründet entscheiden kann, glyphosathaltigen Pestizidprodukten die Zulassung zu verweigern oder für diese ein nationales Anwendungsverbot zu erlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit gesetzlich festgelegter Anwendungsbeschränkungen. Dabei komme es vor allem auf die Begründung an, mit der diese Maßnahmen gerechtfertigt werden. Diese müssten strengen wissenschaftlichen bzw. technischen Begründungsmaßstäben entsprechen, und es brauche Nachweise von konkreten Risiken, so das Gutachten.

Lena Luig, Referentin für Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die jüngste Wiedergenehmigung von Glyphosat in Brüssel war ein herber Rückschlag. Für den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten in der Landwirtschaft, die mit dem krebserregenden Wirkstoff arbeiten, aber auch für die Artenvielfalt. Gerade für die Bodenlebewesen hat Glyphosat nachweislich schädigende Auswirkungen. Dabei sind gesunde Böden unsere Lebensversicherung – wie wir auch in unserem neuen Bodenatlas zeigen.“ Mit dem heute veröffentlichten Gutachten bekomme das Bundeslandwirtschaftsministerium nun konkrete Empfehlungen an die Hand, wie ein Glyphosatverbot doch noch national durchgesetzt werden könne.

Peter Clausing, Toxikologe vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany): „Mit der Wiedergenehmigung von Glyphosat ignoriert die EU-Kommission die vielen inzwischen verfügbaren Belege dafür, dass Glyphosat die menschliche Gesundheit schädigt. Unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Vorgaben haben die EU-Behörden die Beweislage für die Krebseffekte von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend. Ferner häufen sich überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse über negative Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom und das Nervensystem, die nicht berücksichtigt wurden. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, ihre nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen und den lange angekündigten Glyphosatausstieg umzusetzen.“

Die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat wurde am 28. November 2023 von der EU-Kommission um weitere zehn Jahre verlängert – ohne eine qualifizierte Mehrheit für die Genehmigung unter den Mitgliedstaaten. Mit der Wiedergenehmigung wurde den Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung hinsichtlich Anwendungsbeschränkungen glyphosathaltiger Pestizidprodukte zugewiesen. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Glyphosat bis Ende 2023 „vom Markt zu nehmen“.

Veranstaltungshinweis: Im Rahmen der Grünen Woche in der Heinrich-Böll-Stiftung findet am Freitag, 19. Januar, 10-12 Uhr, folgende Veranstaltung statt: Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schon längst nicht mehr leisten kann. U.a. mit Martin Häusling, MdEP: Mehr Infos und Anmeldung: https://calendar.boell.de/de/event/pflanzenschutz-oder-umweltschmutz

Weiterführende Informationen

Rechtsgutachten „Handlungsspielräume Deutschlands für ein nationales Glyphosatverbot nach EU-Recht“ von Ida Westphal(Ass. iur.) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/2024/01/15/rechtsgutachten-handlungsspielraeume-deutschlands-fuer-ein-nationales-glyphosatverbot

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / TMG Thinktank for Sustainability: Bodenatlas 2024 – Daten und Fakten über eine lebenswichtige Ressource: www.boell.de/bodenatlas

Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / PAN Germany: Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft: https://www.boell.de/de/pestizidatlas

Deutsche Zusammenfassung der Studie „Glyphosate and Oxidative Stress: ECHA‘s superficial approach neglects existing hazards“ von Peter Clausing, Siegfried Knasmüller und Christopher Portier: https://pan-germany.org/download/studie-glyphosate-and-oxidative-stress/

Weitere PAN Germany Informationen zu Glyphosat unter https://pan-germany.org/pestizid_kat/glyphosat/

 

Fachkontakte

  • Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung, E-Mail: luig@boell.de, Telefon: 030 28534312
  • Dr. Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany), E-Mail: peter.clausing@pan-germany.org; Telefon: +49 176 4379 5932

 




Veranstaltung: „Pflanzenschutz oder Umweltschmutz?“, 19.01.2024, 10-12 Uhr

Veranstaltungshinweis: Freitag, 19. Januar, 10.00 – 12.00 Uhr 

Pflanzenschutz oder Umweltschmutz? Warum die Welt sich chemisch-synthetische Pestizide schön längst nicht mehr leisten kann.
Podiumsdiskussion in Kooperation mit MdEP Martin Häusling

Ort: In Berlin bei der Heinrich-Böll-Stiftung und im Livestream

Die Diskussionsveranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe „Landwirtschaft anders – unsere Grüne Woche“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Eine drastische Verringerung des Pestizideinsatzes ist zwingend notwendig, wenn wir einen Zusammenbruch der Ökosysteme vermeiden wollen. Daran besteht aus wissenschaftlicher Perspektive kein Zweifel. Dennoch wird politischen Bemühungen um eine Reduzierung der Pestizide von Seiten der konservativen Parteien, der Lobby der Großbetriebe und der Pestizidindustrie mit einem enormen Widerstand begegnet.

In der Veranstaltung kommen Expert*innen aus dem Bereich der Pestizide aus Deutschland, Europa, Brasilien und Kenia zu Wort. Diskutiert wird, woran es liegt, dass die dringend benötigte Pestizidreduktion und ein verstärkter Ausbau agrarökologischer Bewirtschaftung nur langsam vorangehen, und was es braucht, um einen Systemwechsel in Gang zu bringen.

Podiumsdiskussion mit

  • Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments und Agrarpolitischer Sprecher der Grünen Europafraktion
  • Carsten Rocholl, Co-Autor der Publikation „Weg ist Weg! Warum es keine Alternative zum Erhalt der Artenvielfalt gibt“
  • Silke Bollmohr, Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft bei INKOTA
  • Susan Haffmans, Referentin für Pestizide beim Pestizid Aktions-Netzwerk
  • Larissa Bombardi, Professorin für Geographie an der Universität von São Paulo

Video-Statement von Harun Warui, Programmleiter Recht auf Nahrung und Agrarökologie der Heinrich-Böll-Stiftung Nairobi

Moderation: Lena Luig, Heinrich-Böll-Stiftung

Die Veranstaltung wird im Livestream übertragen. Sprachen: Deutsch und Englisch. Für Nachfragen: berlin@martin-haeusling.eu

Mehr Infos zur Veranstaltung finden Sie hier bei der Heinrich-Böll-Stiftung

Zur Anmeldung




5-Punkte-Plan der Bundesregierung zum Schutz vor hormonschädlichen Stoffen

In ihrem Koalitionsvertrag versprach die Ampelkoalition einen „nationalen Plan zum Schutz vor hormonaktiven Substanzen“. Eine zentrale Forderung von PAN Germany, WECF, HEJSupport und weiterer Unterstützergruppen war zuvor die Entwicklung eines nationalen Aktionsplans.

Nach mehr als zwei Jahren und einer langen Phase an Ressortabstimmungen, wurde nun der „FÜNF-PUNKTE-PLAN DER BUNDESREGIERUNG ZUM SCHUTZ VOR HORMONELL SCHÄDIGENDEN STOFFEN“ vorgelegt. „Mit unserem Fünf-Punkte-Plan bündeln wir Maßnahmen und Ziele, um über hormonell schädigende Stoffe breiter zu informieren und Menschen und Umwelt besser vor diesen Stoffen zu schützen“, so die Bundesumweltministerin Steffi Lemke in der Ankündigung am 15. November 2023.

PAN Germany begrüßt den Plan als notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Erstmals sollen in Deutschland verschiedene Ressorts, darunter die Stoffregulierung, die Verbraucheraufklärung, die internationale Zusammenarbeit und die Forschungsförderung, zusammenwirken und unterschiedliche Akteur*innen in einen Austausch treten, um zu erreichen, dass „zukünftig deutlich weniger Gehalte hormonell schädigender Stoffe in Mensch und Umwelt auftreten“.

Die Bundesregierung will dafür:

  1. die Regulierung von hormonell schädigenden Stoffen weiter ausbauen,
  2. Bürgerinnen und Bürger besser über die bestehenden Risiken, wie auch die bereits getroffenen Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit informieren,
  3. das gemeinsame Handeln fördern und den Vollzug (der Produktüberwachung) stärken,
  4. den Wissensstand im Bereich der hormonell schädigenden Stoffe weiterentwickeln und
  5. die internationale Zusammenarbeit stärken.

So positiv es ist, dass mit dem Plan nun endlich ein Augenmerk auf das Problemfeld hormonschädlicher Substanzen gerichtet wird, so enttäuschend ist die zurückhaltende und allgemeingehaltene Ausgestaltung des Papiers. Der 5-Punkte-Plan setzt eher einen beschreibenden Rahmen, den es nun mit Leben, mit konkreten Maßnahmen, Zielen und Zeitplänen zu füllen gilt. Denn ohne wirksame und messbare Maßnahmen, die Exposition gegenüber „Endokrinen Disruptoren“ (EDCs) zeitnah zu mindern, wird der dringend benötigte Schutz von Menschen und Umwelt vor diesen gefährlichen Stoffen nicht gelingen.

Außerdem sollten – wie im Koalitionsvertrag dargelegt – auch solche Substanzen mit einbezogen werden, bei denen der Verdacht einer schädlichen endokrinen Wirkung besteht, eine wissenschaftliche Evidenz der Schädlichkeit aber noch aussteht – den sogenannten hormonaktiven Substanzen. Dies wäre im Sinne des Vorsorgeprinzips. Es bleiben Zweifel, ob es ausreicht – kurzgesagt – Zusammenhänge aufzuzeigen: „Mit dem Fünf-Punkte-Plan zum Schutz vor hormonell schädigenden Stoffen schafft die Bundesregierung einen Plan, der die Zusammenhänge zwischen Regulierung, Aufklärung und Forschung zu hormonell schädigenden Stoffen und Handlungsoptionen aufzeigt“. Es bräuchte zusätzlich ein Konzept, wie das Ziel, die Exposition der Bevölkerung und der Umwelt gegenüber hormonschädlichen Chemikalien zu senken, regelmäßig und transparent evaluiert werden soll. Ein Hemmschuh ist zudem, dass offenbar keine Finanzmittel vorab gesichert werden konnten und nun alle Maßnahmen unter dem Vorbehalt verfügbarer Haushaltsmittel stehen.

Dennoch kann mit dem Plan eine Entwicklung angeschoben werden, um zukünftig gezielt Kenntnisse und Bewusstsein zu den Gefahren der sogenannten Endokrinen Disruptoren und Wege ihrer Vermeidung bei Behörden, Kommunen, in der Bildung und der Gesellschaft zu stärken. Auch die Koordinierung von Forschungsaktivitäten ist zu begrüßen. Dabei sollte aus Sicht von PAN auch die Förderung weniger gefährlicher, nicht-chemischer Alternativ- und Vorsorgeverfahren weit oben auf der Agenda stehen. Positiv ist auch der angekündigte Dialog mit Akteur*innen und Multiplikator*innen. Dieser sollte den Austausch über konkrete Maßnahmen und Ziele ermöglichen. Wichtig wäre aus PAN-Sicht der Ausbau einer Struktur, u.a. mit einer entsprechende Koordinierungs- bzw. Kontaktstelle für interessierte Stakeholder und Forschende und einer Webseite, die Informationen und Links zum Thema bündelt. Dafür wäre das Engagement aller befassten Ressorts notwendig, die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.

Hintergrund

Auf allen Ebenen sind EDC-Reduktionsmaßnahmen dringend erforderlich. Die stetig wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen immer dringlicher, dass gehandelt werden muss. Sie zeigen deutlich Zusammenhänge zwischen EDCs und Gesundheitsbeeinträchtigungen selbst bei sehr niedrigen Konzentrationen, so dass eine sichere Wirkschwelle nicht festgelegt werden kann. Zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen zählen unter anderem die Förderung von hormonbedingten Krebsarten, Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit, neuronale Beeinträchtigungen wie Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwächen oder die Förderung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes und Adipositas. Viele EDCs zeigen Cocktaileffekte und sind besonders für die Entwicklung von Ungeborenen und Kindern gefährlich. Durch EDCs ausgelöste Effekte können sich sogar generationenübergreifend manifestieren (mehr dazu auf der PAN-Website im Themenschwerpunkt „Hormongifte, EDCs“).

Bei den Kernbereichen der PAN-Arbeit – der Pestizid- und Biozidpolitik – regeln die entsprechenden EU-Verordnungen bereits seit 2009 bzw. 2012 den Ausschluss von hormonschädlichen Wirkstoffen. Allerdings geht die Identifizierung und Regulierung sehr schleppend voran und Ausnahmen vom Verwendungsverbot sind auch möglich. Momentan wurden erst 5 Pestizidwirkstoffe die Wiedergenehmigung bzw. Neugenehmigung aufgrund ihrer ED-Eigenschaft verweigert (PAN berichtete).

PAN Germany befasst sich seit Jahren mit der EDC-Thematik, engagiert sich sowohl für eine bessere eine schnellere Umsetzung der Gesetzgebung, als auch im Bereich Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Bereitstellung von Informationen. Wert legt PAN darauf, Menschen konkret Hilfestellung zu bieten, wie sie hormonschädliche Stoffe im Alltag vermeiden können.




EU-Parlament kippt Pestizidreduktions-Verordnung

Der Vorschlag für eine Verordnung für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) erhielt gestern vom EU-Parlament nicht die erforderliche Mehrheit. Weitere Verhandlungen lehnte das Parlament mit knapper Mehrheit ab. Eine Fortsetzung oder ein neuer Entwurf sind unwahrscheinlich. Damit ist diese wichtige Gesetzesinitiative gestorben. Ein schwarzer Tag für die Gesundheit, Umwelt und Ernährungssicherheit zukünftiger Generationen.

Für alle Menschen, die für eine Transformation hin zu einer robusten und nachhaltigen Landwirtschaft eintreten, sich mehr Schutz vor Pestizidbelastungen für ihre Familie wünschen und den Erhalt der Artenvielfalt essentiell für unsere Zukunft in Zeiten der Klimakrise betrachten, ist dies ein harter Schlag. Die fehlende Unterstützung der konservativen und rechtextremen Parteien und die im Vorfeld mit großen Finanzmitteln ausgeübte Einflussnahme der Pestizid- und Agrarlobby ist auch eine knallharte Attacke gegen den von Ursula von der Leyen initiierten EU Green Deal. Nach dem Scheitern unverbindlicher Vorgaben, sollte die SUR für Verbindlichkeit und Verlässlichkeit sorgen, für eine Pestizidreduktion um 50% bis 2030, für die Förderung von integriertem Pflanzenschutz (IPM), Agrarökologie und Bioanbau und einen besseren Schutz sensibler Gebiete und vulnerabler Gruppen unserer Gesellschaft wie Kindern.

Zur Abstimmung kamen in Straßburg fast 700 Änderungsanträge. Das industrienahe rechts-konservatives Bündnis konnte die Annahme des Vorschlags des Umweltausschusses, vorgelegt von Sarah Wiener, verhindern und im Gegenzug viele abschwächende Änderungsvorschläge durchbringen. Danach geschah das Unerwartete: Der Antrag, den Entwurf zur Überarbeitung an den federführenden ENVI-Ausschuss zurück zu geben, wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt. Damit war die 1. Lesung formal abgeschlossen. Jutta Paulus (MEP, Die Grünen) berichtete in einem Eilwebinar nach der Abstimmung (verfügbar auf YouTube), dass auch Teile der Renew-Gruppe (Liberale) und Sozialdemokraten mitverantwortlich seien. Allerdings wurde für dieses finale Voting keine namentliche Abstimmung beantragt.

PAN Germany hatte sich mit vielen anderen NGOs zuvor bei den EU-Parlamentarier*innen dafür eingesetzt, für den am 24. Oktober angenommenen Kompromissvorschlag des federführenden Umweltausschusses zu votieren (siehe Webbeitrag). Von einer starken SUR hätten alle profitiert – Landwirt*innen UND unsere Umwelt und Gesundheit. Mehr als 6000 Wissenschaftler*innen sprachen sich für eine ambitionierte SUR aus, um dem erschreckenden Schwund an Bestäuberinsekten und anderer Arten entgegen zu wirken und damit nicht zuletzt auch unsere eigene Ernährungssicherheit zu erhalten. Dass Bürger und Bürgerinnen eine deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes wünschen, zeigen eine aktuelle IPSOS-Umfrage, die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten„, das EU-Barometer und die Konferenz über die Zukunft Europas.

Statt den wissenschaftlichen Fakten und den Interessen der Zivilgesellschaft zu folgen, unterstützte die  Mehrheit der Abgeordneten die Position der Agrarindustrie, die mit einer langen und gezielten Desinformations- und Lobbykampagne von Anfang an den SUR-Entwurf und den Green Deal attackierten. Aktuelle Berichte von Corporate Europe Observatory und DeSmog decken auf, wie intensiv (und offensichtlich erfolgreich) die Pestizidlobby Einfluss auf politische Repräsentant*innen nimmt, um wissenschaftlich basierte Entscheidungen im Interesse der Zivilgesellschaft zu verhindern.

Es gibt nun mehrere Optionen, wie es weitergehen könnte, allerdings halten Expert*innen alle Optionen für unwahrscheinlich. Die Kommission könnte ihren Entwurf zurückziehen und einen neuen vorlegen oder der EU-Ministerrat verhandelt weiter, so dass eine 2. Lesung starten könnte. Erschwerend in diesem Debakel kommt hinzu, dass die Zeit bis zum Ende der EU-Legislaturperiode knapp wird und nach der im Juni 2024 stattfindenden Europawahl die Karten neu gemischt werden. Es ist also wahrscheinlich, dass der SUR-Entwurf einfach liegengelassen wird und die bewiesenermaßen wirkungslose Rahmenrichtlinie SUD (Sustainable Use Directive, 2009/128/EG) weiter in Kraft bleibt.

 

Mehr dazu: PAN Europe press release (22.11.2023) „Green Deal is dead: MEPs voted against a healthy future for us and our children – EU Parliament Rejects Pesticides Reduction”




NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

PAN Germany & PAN Europe: Rechtliche und wissenschaftliche Kriterien stehen in direktem Widerspruch zu Zulassung durch EU-Kommission

Brüssel/Wien/Paris/Berlin/Hamburg, 21. November 2023. Pressemitteilung.
Die Europäische Kommission wird in den nächsten Tagen das Herbizid Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Europe, PAN Germany und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten. Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer*innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. „Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich dabei auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die beteiligten Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen. Gegen die Wiedergenehmigung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und dann auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für eine Verlängerung stimmten Länder, die lediglich 42 % der EU-Bürger*innen repräsentieren.

„Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung der Krebsgefahr von Glyphosat hin: „Nicht nur, dass die ECHA mit Hilfe von Verstößen gegen geltende Richtlinien eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen unter den Tisch kehrte. Auch die EFSA verwarf neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen von Glyphosat auf das Mikrobiom, mit der Begründung, dass dafür internationale Richtlinien zur Risikobewertung fehlten.“

„Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert*innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich).

Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler*innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor*innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Margriet Matingh, Präsidentin von PAN Netherlands, betont: „Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.“

„Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun auch Umwelt-NGOs und Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000, hinzu.

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: „Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

Kontakt: Dr. Peter Clausing, Toxikologe, Tel: +49 176 4379 5932. Email: peter.clausing@pan-germany.org

Die Aufzeichnug zur Pressekonferenz von heute Morgen finden Sie hier (25 Minuten).

 




Keine Mehrheit bei den EU-Ländern – Kommission kündigt weitere 10 Jahre Glyphosat an

Nachdem bereits im Oktober die erforderliche Zustimmung ausblieb, gab es auch heute im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zu genehmigen.

Im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften ist es in solchen Fällen an der EU-Kommission allein zu entscheiden. Und per Statement und Kurzmitteilung machte sie gleich nach der heutigen Abstimmung klar, dass sie Glyphosat für 10 Jahre verlängern wird. Aus Sicht von PAN Germany wäre es dringend geboten, dass die Kommission aufgrund des fehlenden Rückhalts in den Mitgliedsstaaten und der Bevölkerung dies überdenkt und nicht an der Wiedergenehmigung für 10 Jahre festhält.

Die Entscheidung über die Zukunft des meist verwendeten Herbizidwirkstoffs findet vor dem Hintergrund weiterer alarmierender wissenschaftlicher Erkenntnisse über seine schädigende Gesundheitswirkung statt: Eine gerade veröffentlichte internationale Studie an Ratten belegt einen Zusammenhang von Glyphosat mit der Entstehung von Leukämie bereits in jungem Alter.

Die internationale Studie unter der Federführung des Ramazzini-Instituts in Bologna deckte zum ersten Mal überhaupt die gesamte Lebensspanne von der embryonalen Phase bis zum Ende der Lebenserwartung ab. Bei den untersuchten Tieren kam es bei einer sehr niedrigeren Dosis des Glyphosat-Wirkstoffs und bei noch niedrigerer Dosierung mit glyphosathaltigen Herbiziden zu einem signifikant gehäuften und extrem frühzeitigen Auftreten von Leukämie. Weitere Details finden sich in dem Offenen Brief, von PAN Germany und anderen Organisationen an Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach.

Die Europäische Chemikalienagentur der EU (ECHA) hatte Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft, eine von kritischen Wissenschaftler*innen monierte Entscheidung. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte im Juli 2023 bekannt gegeben, dass sie in ihrer Risikoeinschätzung zu Glyphosat trotz relevanter Datenlücken und ungeklärter Fragen „keine kritischen Problembereiche“ identifizieren könne – Umweltorganisationen waren empört.

Die von der EU Kommission heute angekündigte Wiedergenehmigung von Glyphosat werde an Bedingungen und Einschränkungen geknüpft. Zu diesen Einschränkungen zähle ein Verbot der Verwendung zur Abreifebeschleunigung (Sikkation) vor der Ernte und Maßnahmen zum Schutz von Nichtzielorganismen. Zudem verwies die EU Kommission in ihrem Statement darauf, dass die Mitgliedstaaten für die nationale Zulassung glyphosathaltiger Pestizidprodukte nationale Anwendungsbeschränkungen erlassen können, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, die biologische Vielfalt zu schützen.

Lesen Sie auch die Bewertung von PAN Europe zur heutigen Entscheidung.




Kompromiss des EP-Umweltausschusses zur Pestizidreduktions-Verordnung SUR

Der federführende Umweltausschuss des Europäischen Parlaments (ENVI) entschied gestern über ein Paket von Änderungsvorschlägen zum Verordnungsentwurf der Sustainable Use of Pesticides Regulation (SUR). Der angenommene Kompromisstext enthält zwar einige Verbesserungen, lässt jedoch weiterhin wichtige Bestimmungen zum Schutz der Menschen und der Umwelt in der EU vermissen.

Die Abstimmung im ENVI-Ausschuss bedeutet einen wichtigen Verhandlungsschritt in dem Gesetzgebungsverfahren. Im November wird noch im EP-Plenum und dann mit dem EU-Rat und der EU-Kommission im Trilog abschließend beraten. Die Ratsposition der EU-Mitgliedsstaatensteht steht noch aus und wird ebenfalls im November erwartet.

Der jetzt im Umweltausschuss mit 47 Stimmen von den Fraktionen der Grünen (Greens/EFA), der Linken (The Left), der Sozialdemokraten (S&D) und den meisten Liberalen (Renew) angenommene Vorschlag wird voraussichtlich im folgenden Verhandlungsprozess noch verändert werden. Deshalb ist es aus PAN-Sicht weiterhin notwendig, Verbesserungen einzufordern und drohenden Abschwächungen entgegen zu treten. Die 37 Ablehnungen und 2 Enthaltungen bei der Abstimmung im ENVI-Ausschuss kamen von der EVP-Fraktion (CDU/CSU), der rechtspopulistischen ECR-Fraktion (u.a. PiS-Partei) sowie der rechtsextremen ID-Fraktion (u.a. AFD). Sie hatten gemeinsam „alternative Kompromisse“ formuliert, um Vorschriften für eine Pestizidreduktion zu stoppen. Die viel beschworene „Brandmauer“ gegenüber den Rechtsextremen wie der AFD funktioniert im EU-Parlament offensichtlich nicht, stellte Sarah Wiener, ENVI-Berichterstatterin der SUR, in ihrer Pressekonferenz zu Abstimmung am 24.10.23 fest.

Tatsächlich zeigen aktuelle investigative Berichte von Corporate Europe Observatory und DeSmog, wie intensiv die Pestizidlobby versucht, Einfluss auf politische Entscheider*innen zu nehmen und wissenschaftlich basierte Entscheidungen im Interesse der Zivilgesellschaft zu verhindern. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der angenommene Kompromissvorschlag weiterhin eine Verordnung mit rechtsverbindlichen Definitionen und Verpflichtungen befürwortet, trotz der starken Bemühungen, den Vorschlag vollständig abzulehnen oder ihn in eine wenig effektive Richtlinie umzuwandeln.

Eine Verbesserung zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag wurde beim Ziel der Mengenreduzierung bei besonders gefährlichen Pestiziden (den „Substitutionskandidaten“) angenommen. Statt einer darin vorgeschlagenen Mengenreduktion von 50% einigte sich der Umweltausschuss auf eine Mengenreduktion von 65% bei diesen besonders schädlichen Pestiziden bis 2030. Aus PAN-Sicht müssten Anstrengungen unternommen werden, alle, also 100% der Substitutionskandidaten in dieser Zeit durch weniger gefährliche und durch nicht-chemische Verfahren im Rahmen des Integrierten Pflanzenschutzes (IPM) zu ersetzen.

Positiv ist, dass nicht-chemische Verfahren verpflichtend bevorzugt eingesetzt werden sollen und dass verbindliche kulturspezifische IPM-Vorschriften für die jeweils 5 wichtigsten Anbaukulturen bezüglich Menge und Risiken in den Mitgliedsstaaten festzuschreiben sein werden. Anders als im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, der dies als Ziel für 90% aller Nutzflächen inklusive der Dauergrünlandflächen vorsah, soll diese Vorgabe nun nur noch auf 60% der gesamten landwirtschaftlichen Anbaufläche (ohne Dauergrünland) gelten. Dies ist eine deutliche Abschwächung.

Eine Verbesserung stellen die neu eingefügten Artikel im SUR-Entwurf dar. Diese regeln ein Exportverbot für die in der EU aus Umwelt- und Gesundheitsgründen verbotenen Pestizidwirkstoffe und –produkte sowie die Einführung besonders strenger Rückstandsobergrenzen für importierte Erzeugnisse, die mit solchen bei uns verbotenen Pestiziden belastet sind. PAN Germany engagiert sich seit langem für entsprechende Regelungen in Deutschland und in der EU und begrüßt diese Ergänzungen in der SUR ausdrücklich. Zudem wurde eine umfassende Überwachung von Pestizidbelastungen in der Umwelt (Boden, Luft, Wasser, Biota) und bei Menschen verankert mit dem Ziel, die rückwirkende Bewertung von Zulassungsvoraussetzungen für Pestizide zu verbessern. Neu ist auch das Recht auf Zugang zu Rechtsmitteln („access to justice“).

Trotz einiger Verbesserungen und dem Gegenhalten des Umweltausschusses gegen weitere Abschwächungen, bleiben aus PAN-Sicht noch viele Schwachstellen auch in diesem Kompromissvorschlag. Zentral ist die Kritik am irreführenden Indikator „Harmonized Risk Indikator (HRI1) zur Messung der Pestizidreduktion. Dieser Indikator ist ungeeignet, das Pestizidrisiko adäquat abzubilden. Er suggeriert Erfolge auf dem Papier und diskriminiert zudem die weniger bedenklichen Biopestizide des Ökoanbaus gegenüber chemisch-synthetischen (s. IFOAM-Presseerklärung und  ECI/Global 2000 Erklärvideo). Wie die Umweltverbände, fordert auch das Umweltbundesamt, die vogeschlagene Messmethode zu korigieren. Auch wurde der Bemessungszeitraum um 2 Jahre vergrößert und nach hinten versetzt, von jetzt 2013 – 2017 (anstatt 2015-2017), was letztlich bei vielen Mitgliedsstaaten dazu führen wird, dass mit weniger Ambition an einer tatsächlichen Pestizidreduktion gearbeitet wird und – allerdings nur auf dem Papier – schneller das Ziel einer 50%igen Pestizidreduktion in ihrem Land erreicht werden kann.

Außerdem gibt der Vorschlag, den Mitgliedsstaaten viel mehr Spielraum einzuräumen, bei der Bestimmung, welche Gebiete in ihrem Zuständigkeitsbereich als „sensible Gebieten“ festgelegt werden und der SUR-Entwurf des Umweltausschusses gewährt ihnen größere Freiheit, dort Ausnahmen für den Einsatz von dort verbotenen wie Substitutionskandidaten und alle chemisch-synthetischen Pestiziden zu gewähren. Die vorgesehenen Pufferstreifen zum Schutz der sensiblen Gebiete (wie Naturschutzgebiete, Natura 2000 Gebiete, Gebiete mit vulnerablen Gruppen wie Kindergärten) konnten als Kompromiss von 3 auf 5 Metern ausgeweitet werden. Umweltverbände wie PAN halten solche minimalen Schutzabstände bei Weitem für nicht ausreichend und fordern in einem aktuellen Joint Statement u.a. Pufferstreifen ohne Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide um solche sensible Gebiete zum Schutz von Menschen und Biodiversität von mindestens 100 Metern. Letztlich braucht kein Mitgliedsstaat Repressalien zu fürchten, sollten die Reduktionsziele in der vorgegebenen Zeit nicht erreicht werden, eine plausible Begründung reicht aus.

PAN Germany hält es für unerlässlich, dass bei der anstehenden Plenarabstimmung (in der KW 47) diese und weitere Mängel der Gesetzesvorlage noch behoben werden. Jede interessierte Person kann sich noch äußern und den deutschen Repräsentanten im Europaparlament schreiben. Dafür haben wir ein Online-Tool auf der PAN Germany Website zur Verfügung gestellt. (s. auch unseren gestrigen Webbeitrag).

 

Europäisches Parlament Press Release, 24.10.2024

PAN Europe Press Release, 24.10.2023

 

 




Glyphosat-Wiedergenehmigung wird weiterverhandelt

Die EU Mitgliedsstaaten konnten sich am Freitag, den 13. Oktober 2023 nicht über eine Wiedergenehmigung von Glyphosat einigen. Eine dafür notwendige qualifizierte Mehrheit konnte im zuständigen Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) nicht erreicht werden. Das ist ein wichtiger Teilerfolg! Zuvor hatte sich die EU-Kommission für eine Wiedergenehmigung des Pestizids über einen Zeitraum von 10 Jahren ausgesprochen. Nach PAN-Kenntnis stimmten Österreich, Kroatien, und Luxemburg gegen diesen Vorschlag, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Malta, Frankreich und die Niederlande enthielten sich. Damit konnten sich die Befürworter bei den Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen.

PAN Germany begrüßt dieses Ergebnis, zeigt sich aber auch enttäuscht von der Enthaltung Deutschlands. Schließlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, die Verwendung glyphosathaltiger Mittel ab 2024 zu verbieten. Ein klares Nein gegen ein „weiter so“ auf EU-Ebene wäre nicht nur im Sinne des Koalitionsvertrags gewesen, sondern auch ein deutliches Signal für die Verteidigung des Vorsorgeprinzips, angesichts der bestehenden und eingeräumten Datenlücken und Unsicherheiten bei der Risikobewertung von Glyphosat.

Nicht nur die wahrscheinliche Kanzerogenität von Glyphosat ist ein Problem (PAN berichtete wiederholt), sondern auch die erheblichen Auswirkungen auf Biodiversität und Ökosysteme, schon allein aufgrund der großen Mengen und Anwendungsflächen. Glyphosat und sein Hauptmetabolit AMPA finden sich mittlerweile faktisch überall in der Natur, selbst in Menschen und Tieren.  Obwohl seit 2009 auch Ökosysteme und Artenvielfalt im europäischen Pestizidrecht als Schutzziele verankert sind, fehlt es noch immer an harmonisierten Bewertungsverfahren. Dies räumt auch die zuständige Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ein. Aus PAN-Sicht ist das ein Skandal. Diese Bewertungsmängel bei Glyphosat – und bei allen anderen in der EU genehmigten Pestiziden –  müssen schnellstens ausgemerzt werden und schon gar nicht darf unter solchen Bedingungen ein Totalherbizid wiedergenehmigt werden, dessen Einsatzmenge allein in Deutschland bei rund 5000 Tonnen pro Jahr liegt.

Wie geht es jetzt weiter? Die Mitgliedstaaten werden nun in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss erneut über den Vorschlag der Kommission zur Wiedergenehmigung abzustimmen. Es wird erwartet, dass die Kommission den Vorschlag anpassen wird, möglicherweise eine verkürzte Genehmigungsdauer oder strengere Anwendungsauflagen vorschlagen wird. Sollte erneut keine qualifizierte Mehrheit zustande kommen, wird die Kommission allein entscheiden. Es bleibt also wichtig, sich weiter für ein Glyphosatverbot und für eine nachhaltigere Landwirtschaft einzusetzen.

Dass es auch ohne Totalherbizide wie Glyphosat geht, zeigen jeden Tag die Ökobetriebe und auch immer mehr konventionelle Landwirte, die integrierten Pflanzenschutz (IPM) mit  vielfältigen Fruchtfolgen und bodenschonenden Wildkrautmanagement anwenden. Hier dazu auch unsere Veranstaltungsreihe PAN Germany Mittagsdialoge: „Pestizidreduktion und Alternativen im Pflanzenschutz“.

Hier die Pressemitteilung von PAN Europe vom 13.10.2023




Meinungsumfrage: Mehrheit der Europäer*innen besorgt über Pestizideinsatz und dessen Auswirkungen

Europäische Bürger*innen sind sehr besorgt über den Einsatz von Pestiziden und deren schädliche Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Dies geht aus einer von PAN Europe beauftragten Umfrage in sechs EU Mitgliedstaaten – Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien – hervor. Durchgeführt wurde die Umfrage vom European Public Affairs Team des Marktforschungsinstituts Ipsos.

Mehr als Dreiviertel der Befragten (75,9 %) machen sich große Sorgen um die Auswirkungen von Pestiziden auf ihre Gesundheit und die ihrer Familie. Besonders beunruhigt äußerten sich Rumän*innen (81,4 %) und Pol*innen (80,4 %), aber auch eine deutliche Mehrheit von 69,8 % der deutschen Befragten äußerte sich beunruhigt über die gesundheitlichen Risiken von Pestiziden.

Noch mehr Sorgen machten sich die  Befragten über die schädlichen Umweltfolgen des Pestizideinsatzes: 81,8 %.
77,7 % der Umfrageteilnehmenden stimmten zu, dass der Einsatz von Pestiziden die Umwelt schädigt; der deutsche Wert liegt bei 77,4 %.  Nur ein knappes Viertel der Befragten sind der Ansicht, dass die Vorteile durch Pestizide die Risiken überwiegen würden.

Eine deutliche Mehrheit der Befragten (61,9 %) ist außerdem der Meinung, dass Glyphosat, das in der EU am häufigsten verwendete Herbizid, in der EU verboten werden sollte. Die deutsche Zustimmung zu einem Glyphosatverbot lag bei deutlichen 68,3 %.

Die über 6.000 Teilnehmenden der Umfrage sprachen sich überwiegend für die Anwendung des Vorsorgeprinzips aus. 73,2 % der Befragten befürworten, dass die Regeln des integrierten Pflanzenschutzes für die Landwirte in der EU verbindlich sein sollen.

Auf der Grundlage der Umfrageergebnisse empfiehlt der Bericht den politischen Entscheidungsträgern:

  • Das Vorsorgeprinzip, wie im EU-Recht gefordert, bei der Pestizidregulierung anzuwenden, um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten;
  • die wichtigsten Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) beizubehalten und zu stärken, einschließlich verbindlicher Bestimmungen über den integrierten Pflanzenschutz und kulturspezifische Vorschriften;
  • den Schutz empfindlicher Gebiete (wie z.B. Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Naturschutzgebiete) vor Pestizid-Abdrift durch möglichst große Pufferzonen sicherzustellen;
  • Glyphosat in der EU zu verbieten, in Anbetracht der umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über dessen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt Glyphosat, und
  • die derzeitigen Lücken bei der Risikoabschätzung der EU-Pestizidzulassung zu schließen, um Menschen und Umwelt angemessen zu schützen.

Die Meinungsumfrage wurde im August 2023 vom Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag vom Pesticide Action Network (PAN) Europe durchgeführt. Bei der Auswahl der sechs Länder wurde darauf geachtet, dass sie einen repräsentativen Überblick über die EU und ihre geografische, klimatische, politische und wirtschaftliche Vielfalt bieten. Teilgenommen haben Personen aus Dänemark, Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien und Spanien.

Lesen Sie hier die Pressemitteilung von PAN Europe (05.10.2023)

Hier können Sie sich den Bericht zur Meinungsumfrage „Pesticides: Play it safe!“ herunterladen




Weltchemikalienkonferenz: Ehrgeizige Maßnahmen zur schrittweisen Abschaffung der gefährlichsten Pestizide der Welt angemahnt

Bonn, 25. September 2023. Pressemitteilung. 373 Organisationen der Zivilgesellschaft und indigener Völker aus 74 Ländern fordern die Staats- und Regierungschefs auf der bedeutenden internationalen Weltchemikalienkonferenz dazu auf, dringend zu handeln, um hochgefährliche Pestizide (HHP)[1] aus dem Verkehr zu ziehen. HHPs sind eine bestimmte Gruppe von Pestiziden, die der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in besonderer Weise schaden und als zu gefährlich für den Einsatz gelten.

Der gemeinsame Appell an Regierungen und andere Akteure des Strategischen Ansatzes für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) wurde bei der heutigen Eröffnung der Weltchemikalienkonferenz (ICCM5) unterbreitet. Der Appell fordert, in den neuen SAICM-Rahmen „Beyond2020“ ein ehrgeiziges Ziel für den Ausstieg aus der Verwendung von HHPs in der Landwirtschaft bis 2030 aufzunehmen. Auf der Konferenz wird die zukünftige Rahmenvereinbarung abgestimmt, die für die nächsten Jahrzehnte die Richtung der globalen Chemikalienpolitik vorgeben wird.

„Von allen Sektoren setzt der Agrarsektor systematisch und beabsichtigt die größte Menge giftiger Chemikalien – Pestizide – in die Umwelt frei, wodurch jährlich Milliarden Hektar Land verschmutzt werden und erhebliche Schäden für die biologische Vielfalt, das Klima, die Gesundheit und die Menschenrechte entstehen. Die Konferenz hat die Möglichkeit und die Verpflichtung, dieser Belastung zu begegnen und Lösungen festzuschreiben, damit die alltägliche Vergiftung endlich gestoppt wird.“, sagt Susan Haffmans, Referentin für Pestizide und Internationale Angelegenheiten bei PAN Germany.

Zu den Unterstützern des Appells zählen Organisationen aus aller Welt, die Landwirt*innen, Landarbeiter*innen, indigene Völker und ländliche Bevölkerungsgruppen vertreten, Wissenschaftler*innen und Akademiker*innen, Opfer von Pestizidvergiftungen, Verbraucher- und Menschenrechtsaktivist*innen, Umwelt- und Gesundheitsgruppen und Gewerkschaften. Gemeinsam rufen sie die Teilnehmenden an der ICCM5 dazu auf, sich für folgende Kernpunkte im neuen Regelwerk einzusetzen:

  • Die Aufnahme eins Ziels für alle Länder, die Ausfuhr von Stoffen zu untersagen, die sie auf nationaler Ebene verboten haben. Bei vielen dieser Stoffe handelt es sich um Pestizide.
  • Die Aufnahme eines Ziels für alle Länder, Strategien und Programmen zur Förderung sichererer und nachhaltigerer, nicht-chemischer Alternativen zu HHPs, umzusetzen, insbesondere von Agrarökologie.
  • Den Vorschlag von 54 afrikanischen Ländern mitzutragen, eine Globale Allianz für hochgefährliche Pestizide[2] zu gründen, die sich für den Ausstieg aus der Verwendung hochgefährlicher Pestizide einsetzt.

„Wenn die Ziele für nachhaltige Entwicklung erreicht, der ökologische Kollaps abgewendet und die Menschenrechte gewahrt werden sollen – einschließlich des Rechts auf Nahrung und des Rechts künftiger Generationen auf eine saubere und gesunde Umwelt – müssen alle zusammenarbeiten, um die gefährlichsten Pestizide der Welt zu beseitigen und sicherere agrarökologische Alternativen einzuführen und zu verbreiten“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben.

Die Gruppen entgegneten Befürchtungen, die Abschaffung von HHPs könne die Ernährungssicherheit gefährden, und erklärten, dass im Gegenteil die toxischen Auswirkungen von HHPs, die Ökosysteme und die Produktivität negativ beeinflussen. HHPs wurden in der Landwirtschaft in einer Reihe von Ländern schrittweise abgeschafft, ohne die landwirtschaftliche Produktivität zu beeinträchtigen. Dies wurde auch von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt.[3] Es gibt bereits sicherere Alternativen zu synthetischen Pestiziden. Vor allem agrarökologische Ansätze haben sich als wirksame und nachhaltige Alternativen erwiesen.[4]

Jedes Jahr werden fast 400 Millionen Landwirt*innen und Landarbeiter*innen durch Pestizide vergiftet, was zu etwa 11.000 Todesfällen führt – die meisten davon ereignen sich im globalen Süden. Weil sie äußerst giftig sind, sind HHPs für eine große Zahl dieser akuten Vergiftungsfälle verantwortlich[5].

Nur ein Bruchteil der weltweit auf dem Markt befindlichen Pestizide wird über verbindliche Konventionen reguliert. Das jetzt verhandelte neue Chemikalienabkommen unter dem Dach des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) soll Lösungen erarbeiten, für die zunehmende Belastung unseres Planeten und der Gesundheit aller Menschen mit Chemikalien und Abfällen.

Kontakt für deutsche Medien: Susan Haffmans, susan.haffmans@pan-grmany.org, mobil: +49 157 315 640 17

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[1] Highly Hazardous Pesticides (HHPs) are pesticides that present particularly high levels of acute or chronic hazards to health or the environment according to internationally accepted hazard classification systems, their listing in relevant binding international agreements or conventions, or under conditions of use in a country

[2] Die Global Alliance on HHPs ist ein freiwilliger Multi-Stakeholder-Mechanismus zum schrittweisen Ausstieg aus der Verwendung von hochgefährlicher Pestizide, der von 54 Regierungen aus der afrikanischen Region bei der ICCM5 vorgeschlagen wurde. Die Allianz soll mit der Entwicklung und Umsetzung eines globalen Aktionsplans mit klaren Zielen und Meilensteinen für den Fortschritt bei der Erreichung eines weltweiten Ausstiegs aus der Verwendung von HHPs beauftragt werden.

[3] FAO and WHO. 2019. Detoxifying agriculture and health from highly hazardous pesticides – A call for action. Rome

[4] Pesticide Action Network UK and IRET (2017). Alternatives to Highly Hazardous Pesticides; GIST Impact Report (2023). Natural Farming Through a Wide-Angle Lens.

[5] Boedeker, W., Watts, M., Clausing, P. et al. (2020) The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning: estimations based on a systematic review. BMC Public Health.