Jetzt die politischen Weichen stellen: Mehr Transparenz beim Pestizideinsatz

In der EU laufen die Verhandlungen, wie transparent zukünftig Daten zum Pestizideinsatz in den Mitgliedstaaten sein werden, auf Hochtouren. Morgen, am 3. Februar 2022 startet der sogenannte Trilog über die Verordnung zu Statistiken des landwirtschaftlichen Inputs und Outputs (kurz SAIO). Dabei beraten die Europäische Kommission, der Rat der Europäischen Union und das EU Parlament gemeinsam auch über die Statistiken der EU-Mitgliedstaaten zur Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft. Diese Daten bilden die Grundlage, um die Erreichung des im Green Deal festgelegten Ziels einer Pestizidreduktion um 50% bis 2030 überprüfen zu können.

In einer heute durchgeführten Pressekonferenz stellten PAN Europe und die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 eine Analyse vor, in der nachgezeichnet wird, wie die EU-Mitgliedstaaten eine Ratsposition entwickelten, die den aus Sicht der Umweltverbände guten Gesetzesentwurf der EU-Kommission für mehr Datentransparenz in der Landwirtschaft deutlich verwässern würde. Die Position des EU-Parlaments folgt demgegenüber dem Kommissionsentwurf und schlägt noch weitere Verbesserungen, u.a. Erhebungen von in der Landwirtschaft eingesetzten Bioziden und Tierarzneimitteln, vor.

In der Auswertung der beiden Umweltverbände konnten zehn Mitgliedsstaaten identifiziert werden, die sich besonders hervortaten, gegen die notwendigen Verbesserungen der Datenerhebung im Rat zu argumentieren. Dazu gehören Dänemark, Irland, die Niederlande, Österreich, Polen, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Deutschland. Die Positionierung Deutschlands fand damals noch unter der Führung der ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner statt.

In einem offenen Brief appellierten im Dezember 2021 17 Umweltschutzverbände erfolgreich an den neuen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, gegen das Ratsmandat zu stimmen. Dies ändert aber nichts daran, dass zum Start des Trilogs morgen, die Positionen von Rat und Parlament denkbar weit auseinanderklaffen. „Würde sich der Rat mit seiner Position durchsetzen, würde eine Überprüfung des EU-Pestizidreduktionsziels bis 2030 unmöglich“, warnen PAN Europe und Global 2000 in ihrer gemeinsamen Presseerklärung.

Für PAN Germany steht fest: Es braucht endlich aussagekräftige Daten darüber, welche Pestizide wo, wann und in welchen Mengen eingesetzt werden. Dies soll der von der Europäische Kommission im Februar 2021 vorgelegte SAIO-Entwurf gewährleisten. So sollen zukünftig u.a. die bestehenden Betriebsaufzeichnungen zum Pestizideinsatz für eine jährliche Berichterstattung genutzt werden, anstatt wie bisher beispielsweise in Deutschland, lediglich Erhebungen auf Basis freiwilliger und wenig repräsentativer Stichproben an ausgewählten Betrieben. Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung eines digitalen „Herkunfts- und Identifikationssystem Nährstoff- und Pflanzenschutz“ angekündigt, mit dem Ziel, die Reduktionsstrategie voranzubringen.

PAN Germany begrüßt diese wichtige und notwendige Initiative und hofft auf eine schnelle Umsetzung, damit endlich eine aussagekräftige Datengrundlage für Pestizidreduktionsmaßnahmen und zur Bewertung dieser in Deutschland geschaffen wird. PAN Germany erwartet auch, dass sich die neue Bundesregierung bei den Trilogverhandlungen zur SAIO auf EU-Ebene für eine harmonisierte und aussagekräftige Datenerhebung und eine jährliche Berichterstattung, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen und vom EU-Parlament unterstützt, einsetzt.

Mehr dazu:




Mittagstalk: Biozide im Alltag – Aufzeichnung und Dokumentation

Am 11. Januar 2022 fand der virtuelle Mittagstalk zum Thema „Biozide im Alltag –  erkennen und vermeiden“ statt. Das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany) informierte in Kooperation mit der Verbraucherzentrale NRW darüber, wie biozidhaltige Produkte im Alltag zu erkennen und möglichst zu vermeiden sind.

Susanne Smolka (PAN Germany) lieferte wichtigen Input zu der Frage, wie der Verbraucherschutz und das Recht auf Information bei Bioziden geregelt ist. Dr. Kerstin Effers und Philip Heldt führten an praktischen Beispielen aus ihrem Beratungsalltag in der Verbraucherzentrale NRW aus, wo Verbraucher:innen im Alltag und Zuhause mit Bioziden in Kontakt kommen können. Die Moderation übernahm Petra Niesbach von der VZ NRW.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung: Video zum Mittagstalk Biozide im Alltag ist jetzt online verfügbar. Die beiden Präsentationen sind als PDF-Downloads abrufbar:

Zum Hintergrund: Biozide – klingen zwar BIO – sind sie aber nicht. Biozide gehören zu den Pestiziden, sollen aber keine Pflanzen, sondern die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie diverse Materialien vor schädlichen Lebewesen schützen. Ihre Anwendungsbreite ist immens – vom Mottenschutzmittel und Rattengift, über Holzschutzmittel, Schutzanstriche für Fassaden bis hin zu Hygienespülern und zur Ausrüstung von Kleidung mit antimikrobiellem „Geruchsstopp“. Auch zur Konservierung von Farben, Waschmitteln und Kosmetikprodukten werden sie eingesetzt.

In Deutschland werden rund 40.000 Biozidprodukte vermarktet. Eine große Anzahl von Alltagsprodukten sind mit Bioziden behandelt. Es gibt also viele Möglichkeiten, als Verbraucher:in mit Bioziden in Kontakt zu kommen –  beabsichtigt und unbeabsichtigt.

Aufgrund ihres Zwecks, lebende Organismen abzutöten, sind Biozide potenziell gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. Sie sollten deshalb nur dann verwendet werden, wenn sie wirklich notwendig sind und wenn es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt, sich vor Schädlingen und gefährlichen Mikroorganismen zu schützen.

In der Veranstaltung wurde informiert

  • über Regelungen zum Verbraucherschutz bei Bioziden,
  • welches Recht auf Information Verbraucher:innen haben,
  • zu typischen Beispielen, wo Biozide im Alltag vorkommen und woran man sie erkennt, und
  • wie unnötige oder gar gefährliche Verwendungen vermieden werden können.



Unterstützung von Kommunen beim Verzicht auf schädliche Biozide

Hamburg, 16.12.2021: Rund 70 Mal werden Kommunen im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung erwähnt, denn hier werden lokal und bürgernah wichtige politische Maßnahmen umgesetzt, die u.a. für das Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele von zentraler Bedeutung sind. Gerade bei der Gestaltung einer giftfreien Umwelt zum Wohl ihrer Bürgerinnen und Bürger spielen Städte und Gemeinden eine wichtige Rolle. Die Umweltschutzorganisation PAN Germany unterstützt Kommunen mit einem aktuellen Faltblatt bei Fragen rund um den Einsatz von sogenannten Bioziden.

Verantwortliche vor Ort finden darin auf einen Blick Informationen und Beispiele, in welchen Bereichen die Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln, Holzschutzmitteln, Bautenschutzmitteln oder Antifoulinganstrichen verringert oder durch nicht-chemische Verfahren ersetzt werden können. Auch Empfehlungen zum umsichtigen Einsatz von Desinfektionsmitteln bietet das Informationsblatt.

Susanne Smolka, Biologin und Biozid-Expertin bei PAN Germany sagt: „Viele Kommunen sind bereits aktiv und verzichten beispielsweise auf den Einsatz von Glyphosat und andere Pestizide auf ihren Grünflächen. Wir möchten Kommunen dazu motivieren, ein vergleichbares Engagement auch bei Bioziden zu zeigen, damit Arbeitnehmer*innen, Bürger*innen und die Umwelt besser vor unnötigen Verwendungen dieser potenziell gefährlichen Mittel geschützt werden. Für Kommunen gibt es viele Bereiche dies umzusetzen – im kommunalen Beschaffungswesen, bei der Auftragsvergabe und in vielen weiteren Bereichen.“

Ein kürzlich abgeschlossenes Projekt der Universität Würzburg, gefördert durch das Umweltbundesamt, analysierte die Situation der Biozidverwendung in Kommunen und beschreibt umfassend die Treiber und Hemmnisse auf den Weg zu einer biozidarmen Kommune. In dem Abschlussbericht [2] und den „Praxistipps“ [3] finden kommunale Vertreter*innen vertiefende umfassende Informationen und Anregungen, in welchen Bereichen Kommunen aktiv sein können und verantwortungsvoll auf Biozide verzichten können – ob beim Spielplatzbau oder bei der Vorgabe für Putzmittel.

„Wir begrüßen diese praxisnahen Empfehlungen zur Vermeidung von problematischen Bioziden und hoffen auf entsprechende Initiativen in den Gemeinden,“ so Susanne Smolka von PAN Germany. „Kommunen haben viel Verantwortung – auch was die Überwachung des Verkaufs und der Anwendung von Bioziden angeht. Dazu zählen ab 2022 auch bestimmte Anwendungsverbote in Naturschutzgebieten. Dafür müssen die Kommunen entsprechend ausgestattet und von den Bundesländern und vom Bund besser unterstützt werden“, fordert Susanne Smolka von PAN.

Biozidprodukte gehören wie die sogenannten Pflanzenschutzmittel zu den Pestiziden. Der Zweck von Bioziden ist die Bekämpfung von Schadorganismen zur Durchsetzung von Hygienemaßnahmen, im Rahmen des Gesundheitsschutzes sowie für den Materialschutz. Rund 40.000 Biozidprodukte sind auf dem deutschen Markt. Sie werden direkt oder zur Ausrüstung vieler Gebrauchsgegenstände genutzt. Aufgrund ihrer Zweckbestimmung sind Biozide potenziell gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier.

[1] PAN Germany (2021): Nachhaltige Kommune: Vermeidung von Bioziden im öffentlichen Raum

[2] Bogaschewsky R., et al. (2021): Umweltfreundliche Beschaffung und Einsatz von Biozid- Produkten in Kommunen. Weiterentwicklung des Konzepts „Pestizidfreie Kommune“ für den Biozidbereich. Umweltbundesamt (Hrsg.): Umwelt und Gesundheit 05/2021

[3] Umweltbundesamt (2021): Pestizide in Kommunen: Urbane Schädlingsbekämpfung, Bautenschutz und Hygiene – Praxistipps und Beschaffungshinweise.

 

 




Mittagstalk: Biozide im Alltag – erkennen und vermeiden

 

 

 

Biozide im Alltag –  erkennen und vermeiden
Dienstag, 11. Januar 2022 / 12:00 – 13:00 Uhr
Hier geht es zur Anmeldung: Link

Biozide – klingen zwar bio – sind sie aber nicht. Biozide gehören zu den Pestiziden, sollen aber keine Pflanzen, sondern die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie diverse Materialien vor schädlichen Lebewesen schützen. Ihre Anwendungsbreite ist immens – vom Mottenschutzmittel und Rattengift, über Holzschutzmittel, Schutzanstriche für Fassaden bis hin zu Hygienespülern und zur Ausrüstung von Kleidung mit antimikrobiellem „Geruchsstopp“. Auch zur Konservierung von Farben, Waschmitteln und Kosmetikprodukten werden sie eingesetzt.

In Deutschland werden rund 40.000 Biozidprodukte vermarktet. Eine große Anzahl von Alltagsprodukten sind mit Bioziden behandelt. Es gibt also viele Möglichkeiten, als Verbraucher:in mit Bioziden in Kontakt zu kommen –  beabsichtigt und unbeabsichtigt.

Aufgrund ihres Zwecks, lebende Organismen abzutöten, sind Biozide potenziell gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. Sie sollten deshalb nur dann verwendet werden, wenn sie wirklich notwendig sind und wenn es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt, sich vor Schädlingen und gefährlichen Mikroorganismen zu schützen.

Wie aber kann man biozidhaltige Produkte im Alltag erkennen und möglichst vermeiden?

In der Veranstaltung informiert PAN Germany in Kooperation mit der Verbraucherzentrale NRW

  • über Regelungen zum Verbraucherschutz bei Bioziden
  • welches Recht auf Information Sie als Verbraucher:in haben
  • zu typischen Beispielen, wo Biozide im Alltag vorkommen und woran man sie erkennt
  • wie unnötige oder gar gefährliche Verwendungen vermieden werden können

Vorträge

  • Wie ist der Verbraucherschutz und das Recht auf Information bei Bioziden geregelt?
    Susanne Smolka, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V., Referentin Pestizide, Biozide
  • Wo kommen wir im Alltag und Zuhause mit Bioziden in Kontakt?
    Kerstin Etzenbach-Effers, Verbraucherzentrale NRW, Referentin Umwelt und Gesundheitsschutz
    Philip Held, Verbraucherzentrale NRW, Referent Abfall und Ressourcenschutz

Wir laden Sie herzlich ein und freuen uns über Ihre Fragen, Erfahrungen und Meinungen. Die Veranstaltung findet über die Software Zoom statt. Hier geht es zur Anmeldung.
Nach der Registrierung erhalten Sie eine E-Mail mit Informationen für Ihre Teilnahme an der Veranstaltung.

 




NGOs fordern mehr Transparenz beim Einsatz von Agrarchemikalien

Derzeit wird ein Entwurf für eine neue EU-Verordnung zur Erhebung und Veröffentlichung von Agrarstatistiken in den europäischen Gremien debattiert (Commission’s proposal for a regulation on statistics on agricultural input and output, SAIO). Diese neue Agrarstatistik-Verordnung soll mehrere EU-Verordnungen ersetzen, darunter auch die Pestizid-Statistikverordnung EG/1185/2009. PAN Germany unterstützt ein gemeinsames NGO-Papier mit Verbesserungsvorschlägen und berichtete bereits ausführlich im Oktober 2021.

Eine europäische NGO-Allianz aus 28 zivilgesellschaftlichen Organisationen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie Imkerverbände wendet sich nun mit einem offenen Brief u.a. an die Ständigen Vertretungen bei der EU. Ein Zusammenschluss von 8 deutschen NGOs sendete den offenen Brief in deutscher Übersetzung an die geschäftsführende Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sowie an die Verhandlungspartner*innen der Koalitionsverhandlungen im Bereich Landwirtschaft und Ernährung.

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen appellieren an die Adressaten, die wichtigsten Punkte des Kommissionsvorschlags sowie essentielle Änderungsanträge des Europäischen Parlaments zu unterstützen, um folgende Punkte sicherzustellen:

  1. Jährliche systematische und elektronische Sammlung der Aufzeichnungen aller Landwirt:innen über ihren Pestizideinsatz
  2. Die Erhebung von Daten nicht nur über Pestizideinsätze, sondern auch über Biozide und Tierarzneimittel
  3. Die systematische Veröffentlichung von Daten über den Einsatz von Pestiziden in einer aussagekräftigen Detailtiefe
  4. Der uneingeschränkte und einfache Zugang zu den Rohdaten für europäische und nationale Behörden

Offene Briefe:




Pestizide in der Landwirtschaft – was wir nicht wissen, schadet uns nicht?

Tausende Tonnen Pestizide werden jedes Jahr in der EU verkauft. Aber wie viel, wie oft, wo und welche Pestizide in der Lebensmittelproduktion tatsächlich eingesetzt werden, wird nicht veröffentlicht. Dieses Defizit birgt ein Risiko für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt aller EU-Bürger*innen.  Derzeit wird über einen Gesetzesvorschlag für eine Reform der Erhebung und Veröffentlichung von Agrarstatistiken debattiert. Ob damit mehr Transparenz geschaffen wird, hängt nun maßgeblich davon ab, ob das EU Parlament sich für den ehrgeizigen Vorschlag der EU Kommission ausspricht. Unter Federführung von Client Earth wurde eine gemeinsame NGO-Position mit detaillierten Empfehlungen formuliert und den Abgeordneten vorgelegt.

Fehlendes Wissen

Landwirt*innen müssen Aufzeichnungen über ihren Pestizideinsatz führen, aber die zuständigen Behörden erheben die Daten nicht systematisch. Dadurch entsteht ein blinder Fleck. Andere, wie Anwohner*innen von landwirtschaftlichen Flächen, haben keinen Zugriff auf die Daten und kein Recht auf Informationen. Auch Zuständige der Trinkwassersicherheit wissen nicht, wie viel von einem bestimmten Produkt oder welche Pestizid-Wirkstoffe in ihrem Einzugsgebiet verwendet wurden. Wer spezifische Informationen haben möchte, kann Auskunftsersuchen bei der lokalen Behörde stellen, sollte aber auch Zeit und Mittel verfügen, um vor Gericht zu klagen. In Baden-Württemberg müssen nach einer Klage der Landeswasserversorgung und des NABU nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim Pestizid-Anwendungsdaten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Ein erster wichtiger Schritt, allerdings erst in einem Bundesland Deutschlands.

Was für Pestizide gilt, gilt auch für andere Chemikalien, die in großem Umfang in der Landwirtschaft verwendet werden, wie Biozide und Tierarzneimittel. Biozide sind im Gesetz definiert als Chemikalien, die „mit der Absicht verwendet werden, Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, die Einwirkung von Schadorganismen zu verhindern oder auf andere Weise eine kontrollierende Wirkung auszuüben“. Mit anderen Worten, sie wirken wie Pestizide und können die gleichen giftigen Wirkstoffe enthalten, sie werden aber nicht im Pflanzenschutz, durchaus aber in anderen Bereichen der Landwirtschaft und darüber hinaus eingesetzt.

Arzneimittel, die in der Nutztierhaltung eingesetzt werden, gelangen über die Ausscheidungen der behandelten Tiere mit Gülle und Mist und über die Abluft in die Umwelt. Die aktiven Substanzen belasten Böden und Gewässer und können Mikroorganismen, Insekten, Fische und Pflanzen schädigen. Für viele Arzneimittelwirkstoffe liegen keine oder unzureichende Daten zu ihren Umweltrisiken vor. Um die Belastungssituation möglichst umfangreich darzustellen, ist es wichtig, dass nicht nur Antibiotika sondern alle in der Tierproduktion eingesetzten Tierarzneimittel und Biozide in der statistischen Erhebung berücksichtigt werden.

Weitreichende Konsequenzen

Pestizide dürfen in der EU erst zum Einsatz kommen, nachdem sie von den Behörden auf EU- und nationaler Ebene grünes Licht erhalten haben. Genehmigungen basieren auf wissenschaftlichen Bewertungen der Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Diese Bewertungen beziehen sich auf Studien, aber auch auf Annahmen, insbesondere darauf, wie Pestizide wahrscheinlich unter „realistischen Bedingungen“ eingesetzt werden. Um sicherzustellen, dass die vorgesehenen „realistischen Bedingungen“ wirklich realistisch sind, ist ein Überblick darüber wichtig, was wann, wo und in welchen Mengen tatsächlich verwendet wird. Deshalb schreibt das Gesetz den Landwirt*innen bereits vor, solche Aufzeichnungen zu führen. Da aber diese Daten weder gesammelt noch veröffentlicht werden, ergibt sich eine Lose-Lose-Situation für alle Beteiligten.

Die ersten Verlierer sind die Landarbeiter*innen an vorderster Front. Die reale Exposition gegenüber Pestiziden kann erhebliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben – aber niemand, nicht einmal die Behörden verfügen über eine Datenaufbereitung, um solche Trends erkennen zu können.

Auch die Umwelt ist betroffen. Bienen, Vögel und andere Organismen können unter den Rückständen von Pestiziden, Bioziden und Tierarzneimitteln, die auf und in die Pflanzen, in die Luft, ins Wasser und in den Boden gelangen, geschädigt werden. Längst ist bekannt, dass der jahrzehntelange Einsatz von Pestiziden ein ausschlaggebender Faktor für den erheblichen Rückgang der Insektenpopulationen in Europa und den damit verbundenen Rückgang der Insekten-fressenden Vögel ist. Es ist jedoch schwer zu sagen, inwieweit und welche Pestizide insbesondere Schlüsselfaktoren sind, wenn nicht offengelegt wird, welche Pestizide, wo und wie verwendet werden.

Schließlich verliert der Agrarsektor selbst, wenn die Öffentlichkeit über den Einsatz von Pestiziden im Dunkeln bleibt. Landwirt*innen haben so keine Möglichkeit, ihre Bemühungen und Fortschritte für die notwendige Reduktion des Pestizideinsatzes nachzuweisen. Vielleicht hat sich der Verbrauch hochgefährlicher Pestizide reduziert oder nicht-chemische Lösungen für bestimmte Produktionen etabliert  – so oder so bleibt dies verborgen. Gewinner ist allein die Chemieindustrie, die ihre Produkte weiter verkaufen kann und es den lokalen Gemeinschaften überlässt, die Folgen zu tragen.

Der Status Quo ist nicht mehr tragbar  – mehr Transparenz über den Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft ist im Interesse aller.

Was muss sich ändern?

Tatsächlich hat die Europäische Kommission die Defizite erkannt und Anfang 2021 einen ehrgeizigen Vorschlag zur Reform der Erhebung und Veröffentlichung von Agrarstatistiken vorgelegt. Aber um nicht an Schlagkraft zu verlieren, braucht der Vorschlag die Zustimmung des EU Parlaments und darf von den nationalen Landwirtschaftsministerien nicht geschwächt werden.

Gemeinsam mit 20 Umwelt- und Gesundheitsorganisationen und dem Bioverband IFOAM haben wir den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die am 11. Oktober darüber abstimmen werden, detaillierte Empfehlungen vorgelegt.

Der vorgelegte Entwurf hat aber auch einen Nachteil. Mit der neuen Verordnung fallen andere weg, so auch die Pestizid-Statistik-Verordnung (EG) Nr. 1185/2009. Unklar bleibt, wie Verbrauchsstatistiken für andere Bereiche außerhalb der Landwirtschaft, z.B. auf Bahngleisen oder im Forst zukünftig erfasst werden. Außerdem werden weiterhin die meisten Biozidverwendungen in der EU und in Deutschland nicht statistisch erfasst. PAN Germany und die anderen NGOs fordern deshalb in dem Papier, schnellstens eine ergänzende Legislative zu implementieren, um diese seit langem bestehenden und neu geschaffenen Datenlücken für Pestizide und Biozide schnellstens zu schließen.




Gute Nachricht für Mensch, Umwelt und Insekten: Neue Biozid-Regelungen beschlossen

Hamburg, 29. Juni 2021: Gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Sommerpause verabschiedeten Bundesrat und Bundestag zwei gesetzliche Vorschriften für eine Beratungspflicht beim Kauf von Biozidprodukten und für ein Anwendungsverbot bestimmter Biozidprodukte in Naturschutzgebieten. Die Umweltschutzorganisation PAN Germany bewertet dies als wichtigen, überfälligen Schritt hin zu einem besseren Schutz der Umwelt und von Verbrauer*innen vor problematischen Bioziden, übt allerdings Kritik an der zeitlich nach hinten verschobenen Umsetzung.

Im Rahmen der Umsetzung des Aktionsprogramm Insektenschutz verabschiedeten Bundestag und Bundesrat Ende vergangener Woche ein Maßnahmenpaket an rechtlichen Regelungen. Dies führt bei bestimmten Pestiziden wie dem umstrittenen Herbizid Glyphosat zu strengeren Anwendungsbestimmungen und schränkt zukünftig auch den Einsatz von ausgewählten Biozidprodukten in bestimmten Schutzgebieten ein. Verboten wurde das Spritzen von Holzschutzmitteln im Freien sowie der flächige Einsatz von Insektiziden und/oder Akariziden in Naturschutzgebieten und Nationalparks, an nationalen Naturmonumenten und Naturdenkmälern sowie in gesetzlich geschützten Biotopen. Möglichkeiten für Ausnahmen bestehen. Susanne Smolka, Biozidexpertin bei PAN Germany, begrüßt die neue Regelung, übt aber auch Kritik: „Besser geschützt wird nur eine begrenzte Auswahl an Gebieten, andere Schutzgebiete wie FFH- oder Wasserschutzgebiete bleiben außen vor, dabei sind auch sie von Biozid-Einträgen betroffen. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, wieso andere, ebenfalls umweltbelastende Biozidverwendungen nicht ebenso eingeschränkt werden, wie der Einsatz von gewässergefährdenden Antifoulinganstrichen an Sportbooten oder filmgeschützte Fassadenfarben an Gebäuden. Hier hätte mehr passieren können, denn umweltschonendere Alternativen zu Bioziden sind verfügbar“.

Auch in der neuen Bioziddurchführungs-Verordnung werden erstmals Vorschriften zur Meldung des Inlandabsatzes von Biozidprodukten und Regelegungen für die Vermarktung von bestimmten Biozidprodukten im (Online-)Handel festgeschrieben. „Damit wird eine große Regelungslücke geschlossen“, so Susanne Smolka. „Wir benötigen endlich einen Überblick über die Höhe des Biozideinsatzes in Deutschland. Die Verpflichtung für eine sachkundige Verkaufsberatung verknüpft mit einem Selbstbedienungsverbot besteht bei Pestiziden seit Jahrzehnten. Das dies endlich auch für Biozidprodukte übernommen wird, ist gut.“ Die neuen Vermarktungsregelungen sollen allerdings erst ab 2025 in Kraft treten.

„Gefährliche Insektengifte auf den Grabbeltischen von Discountern, offen zugängliche Antifoulinganstriche im Baumarkt und ein unzureichend kontrollierter Onlinehandel mit diesen gefährlichen Produkten werden somit leider erst einmal weiter unseren Alltag bestimmen“, kritisiert Smolka. PAN Germany empfiehlt Verbraucher*innen, sich aktiv im Handel und online über biozidfreie Alternativen zu erkundigen und sich bei Schädlingsproblemen auf dem unabhängigen Informationsportal „Biozidportal“ des Umweltbundesamtes zu informieren.

Kontakt: Susanne Smolka, Referentin Biozide / Pestizide, susanne.smolka@pan-germany.org, Tel.: 040 / 399 19 10-24

Pressemitteilung des BMU zur Verabschiedung des Insektenschutzpakets (24.06.2021)

Kabinettsbeschluss: Verordnung der Bundesregierung zur Neuordnung nationaler untergesetzlicher Vorschriften für Biozid-Produkte (12.05.2021)

Beschluss des Bundesrates zur Verordnung zur Neuordnung nationaler untergesetzlicher Vorschriften für Biozid-Produkte (25.06.2021)




Stellungnahme zur dritten Bewirtschaftungsplanung der FGG Elbe im Zeitraum 2021-27

Diese Stellungnahme wird vom Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany) im Rahmen der 3. Anhörungsphase zur 3. Bewirtschaftungsplanung der Flussgebietsgemeinschaft (FGG) Elbe für den Zeitraum 2021-2027 vorgelegt. Die Anmerkungen betreffen die von der FGG Elbe vorgelegten Entwürfe des Bewirtschaftungsplans und des Maßnahmenprogramms.




Flusseinzugsgebiete in Europa – Weiterhin im schlechten Zustand

Nach einer Analyse von Umweltverbänden zeigen die Zustände europäischer Flusseinzugsgebiete und die Entwürfe von Managementplänen zur Umsetzung der europäischen Wasserrahmen-Richtlinie (WRRL) ein ernüchterndes Bild. Mit Ausnahme von zwei Flusseinzugsgebieten in Finnland werden die übrigen 11 untersuchten Einzugsgebiete selbst bis 2027 keinen guten Zustand erreichen, sollte nicht bei den Managementplänen deutlich nachgearbeitet werden. Zu diesem Ergebnis gelangt der Bericht [1], der von der Living Rivers Europe Coalition und dem WWF unter Beteiligung zahlreicher Umweltverbände heute veröffentlicht wurde.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass die meisten EU-Länder weiterhin das rechtlich bindende Ziel der WRRL verfehlen werden, Europas verschmutzte Oberflächengewässer in einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu bringen. Dieses Ziel hätte bereits 2015 erfüllt sein müssen. Firstverlängerungen waren nur in begründeten Ausnahmefällen bis 2027 vorgesehen. Die Mitgliedstaaten haben nur noch sechs Monate Zeit, um ihre Flussgebietsmanagementpläne für die nächsten sechs Jahre fertigzustellen, wie es das EU-Recht verlangt.

Empfehlungen von PAN Germany für Maßnahmen gegen die Belastungen von Pestizid- und Biozideinträgen in das Flussgebiet der Elbe flossen in den Bericht ein. Eine entsprechende Stellungnahme [2] hatte PAN bereits in der vorherigen Anhörungsrunde der Flussgebietsgemeinschaft Elbe übermittelt. Besorgniserregend ist aus Sicht von PAN die sehr lückenhafte Beachtung von Biozideinträgen und generell der Mangel an Vorsorgemaßnahmen in den Managementplänen, um gegen punktuelle und diffuse Einträge von Pestiziden und Bioziden vorzugehen, diese zu überwachen und die Eintragsursachen zu beseitigen.

Christian Schweer, Mitglied der PAN Germany Arbeitsgruppe Wasser kritisiert: „Das europäische Wasserrecht hat bereits vor 20 Jahren allen EU-Mitgliedstaaten als Mindestanforderung vorgegeben, bis 2012 auch umweltgefährliche Biozide in Fassadenschutzmitteln, Bootsanstrichen oder Einträge von Schädlingsbekämpfungsmitteln anzugehen, wenn sie in die Gewässer gelangen und dort Tiere und Pflanzen schädigen. Statt diese schädlichen Stoffe von Gewässern fernzuhalten, kommen sie selbst in besonders streng geschützten Natura 2000 und in Wasserschutzgebieten unvermindert zum Einsatz. Dass diese relevanten und alltäglichen Verunreinigungen mit den aktuell vorgeschlagenen Maßnahmen nicht eingedämmt werden, zeigt das eklatante Missmanagement im Gewässerschutz auf. Geld- und Personalmangel in den Umweltbehörden ist ein Grund, ein weiterer ist das zu geringe Engagement von Behörden und Anwender*innen von Bioziden und Pestiziden, den Einsatz dieser chemischen Mittel strenger zu regulieren und durch gewässerverträglichere nicht-chemische Alternativen zu ersetzen“.

Noch bis zum 22. Juni 2021 haben Gewässer-interessierte Bürger*innen und Verbände die Möglichkeit, bei den zuständigen Umweltbehörden der Bundesländer ihre Meinung zu den vorgeschlagenen Gewässerschutz-Maßnahmen im Einzugsgebiet der Elbe und zu weiteren Flussgebieten in Deutschland abzugeben. Weil die Öffentlichkeit in nahezu allen Bundesländern bisher nur unzureichend über die Anhörung informiert wurde und die relevanten Informationen zur Situation und den Vorhaben vor Ort wegen der unübersichtlichen Dokumente faktisch nicht auffindbar sind, erwartet PAN Germany von den zuständigen Stellen umgehend eine bessere Aufklärungs- und Informationsarbeit zur aktuell laufenden Anhörung.

[1] The Final Sprint for European´s Rivers – An NGO Analysis of 2022-2027 Draft River Basin Management Plans. Living Rivers Europe, June 2021

[2] Stellungnahme: zur Anhörung der Wasserbewirtschaftungsfragen für die Aufstellung des Bewirtschaftungsplans WRRL für den dritten Bewirtschaftungszeitraum in der FGG Elbe

 




Chemiepolitischer Mittagstalk I „Hormongifte schaden Umwelt und Gesundheit“ – Präsentation und Aufzeichnung

Am 28. April 2021 fand die erste Veranstaltung aus der Reihe „Chemiepolitische Mittagstalks“ zum Thema „Hormongifte schaden Umwelt und Gesundheit – Unsere Forderungen an die Bundesregierung“ statt.
Neben Sascha Gabizon (WECF) und Alexandra Caterbow (HEJSupport) lieferte Susanne Smolka (PAN Germany) wichtigen Input und informierte über die Gefahren, der wir alle durch hormonell schädliche Chemikalien (EDCs) ausgesetzt sind und präsentierten einen Forderungskatalog an die jetzige und zukünftige Bundesregierung. Die Moderation übernahm Wolfgang Obenland (FUE). Die Aufzeichnung der Veranstaltung: Video zum Talk 1  ist jetzt online verfügbar. Die Präsentation „Hormongifte stoppen!“ ist als PDF-Download abrufbar.

Zum Hintergrund: Die Initiative „Für das Recht auf eine giftfreie Zukunft“ stellt einen Zusammenschluss von fünf Nichtregierungsorganisationen (BUND, Forum Umwelt und Entwicklung, HEJSupport, WECF und PAN Germany) dar, die sich gemeinsam für einen zukünftig besseren Schutz der Umwelt und Gesundheit vor Chemikalienbelastungen einsetzen.
Als Organisationen der Zivilgesellschaft stellen sie Informationen bereit und verhelfen dem Thema Chemikalien zu mehr Aufmerksamkeit. Ein Fokus dabei ist die fünfte Internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement, die im Juli 2021 in Bonn ein globales Rahmenabkommen für den sicheren und nachhaltigen Umgang mit Chemikalien auf den Weg bringen sollte. Auch wenn die Konferenz aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden musste, bleiben ihre Themen von Bedeutung.