Neues aus dem europäischen Pestizid-Recht

 

Hin zu mehr Transparenz in der Pestizidbewertung

Jahrelang hat sich die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) verweigert, den Inhalt von Industriestudien im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Pestizide zu veröffentlichen. Die Studien seien „geistiges Eigentum“ der Unternehmen, hieß es gebetsmühlenartig. Jetzt zeichnet sich ein Wandel ab, denn in der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 2019 konnte eine vorläufige Einigung zwischen dem Ratsvorsitz und Vertretern des Europäischen Parlaments über eine neue Verordnung in Brüssel erreicht werden. Allerdings muss das sogenannte General Food Law, das zukünftig Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelkette regeln soll, noch die Hürden der förmlichen Bestätigung durch den EU-Rat und das EU-Parlament nehmen.

Nach den neuen Vorschriften muss die EFSA alle Studien veröffentlichen, die von der Industrie zwecks Vermarktungsgenehmigung von Pestiziden, gentechnisch veränderten Produkten und Lebensmittelzusatzstoffen eingereicht werden. Es wird eine gemeinsame europäische Datenbank für Auftragsstudien eingerichtet, um Unternehmen, die eine Genehmigung beantragen, davon abzuhalten, für sie ungünstige Studien zurückzuhalten. Außerdem kann die EU-Kommission die EFSA in Ausnahmefällen von großer gesellschaftlicher Bedeutung ersuchen, eigene Studien in Auftrag zu geben. Diese und weitere Regelungen sollen die Verlässlichkeit und Unabhängigkeit der Risikobewertung verbessern und das angekratzte Vertrauen der BürgerInnen in das Bewertungssystem nach dem Glyphosat-Debakel wiederherstellen.

Dieser Meilenstein ist ein entscheidender Erfolg der europäischen Bürgerinitiative Stopp Glyphosat mit über 1 Million UnterzeichnerInnen. Denn obwohl die Bürgerinitiative vor allem wegen der Forderung nach einem Glyphosatverbot in der Erinnerung haftet, geht es um wesentlich mehr – um eine Reform des Genehmigungsverfahrens von Pestiziden in der EU. Die erfolgreiche Bürgerinitiative nahm die EU in die Pflicht, tätig zu werden. Die breite Koalition Citizens for Science in Pesticide Regulation mit rund 150 gesellschaftlichen Organisationen und 25 ExpertInnen formulierte daraufhin konkrete Forderungen an die EntscheidungsträgerInnen in einem Manifest. Die Berücksichtigung der Empfehlungen in den Regelungen des General Food Law könnten tatsächlich eine Verbesserung der in absehbarer Zeit bewirken.

EU-Parlamentarier fordern mehr Pestizidreduktion

Neben den absehbaren Fortschritten auf der Zulassungsebene wächst der Druck für striktere Maßnahmen auf der Anwendungsebene hin zu einer Pestizidreduktion. Das Europäische Parlament hat am 12. Februar 2019 einen Initiativbericht über die Umsetzung der EU-Richtlinie 2009/128/EG zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden angenommen. Der Bericht ist ein Weckruf an die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten, die Maßnahmen der Rahmenrichtlinie endlich adäquat umzusetzen. In der Richtlinie sind verschiedene Maßnahmen vereinbart, um nicht nur die Pestizidrisiken für Menschen, Umwelt und Artenvielfalt zu reduzieren, sondern auch gleichermaßen die Abhängigkeit vom chemischen Pflanzenschutz zu reduzieren. Passiert ist enttäuschend wenig – zu wenig, so lassen sich die Aussagen der Resolution zusammenfassen, die von einer großen Mehrheit der Abgeordneten verabschiedet wurde.

Mit großer Zeitverzögerung hatte Ende 2017 die EU-Kommission den Stand der Implementierung der Richtlinie evaluiert und eine unzureichende Umsetzung festgestellt. In diesem Rahmen hatte PAN Europe mit Unterstützung einiger seiner Mitgliedsorganisationen, darunter auch PAN Germany, den Kommissionsbericht zur Evaluierung in ausgewählten Mitgliedsstaaten unter die Lupe genommen und die Ergebnisse zusammengefasst: Monitoring EU SUD compliance in Sweden, Denmark, Poland, Germany, Italy and the Netherlands: PAN’s suggestions for better future auditing and implementation. Große Defizite lassen sich – auch und insbesondere in Deutschland – bei der Etablierung und Kontrolle des Integrierten Pflanzenschutzes (IPM) feststellen, dessen Grundsätze mit Inkrafttreten der Richtlinie im Jahr 2012 für alle europäischen Landwirte rechtsverbindlich wurden. Ein zweiter wesentlicher Kritikpunkt sind die unzureichenden Ziele und Fristen von Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz (NAP). Die Kritik der EU-Parlamentarier zielt in dieselbe Richtung. Es bleibt zu hoffen, dass der Bericht des EU-Parlaments den Druck auf die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten erhöht und die längst überfällige, vollständige Umsetzung der Maßnahmen der Rahmenrichtlinie beschleunigt. Klare Zeichen zu setzen, ist besonders jetzt wichtig, da zurzeit über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2020 verhandelt wird. Die Ziele und Maßnahmen der Rahmen-Richtlinien sollten vollständig in die GAP integriert werden und insofern Subventionen an Maßnahmen zur Verringerung der Abhängigkeit vom chemischen Pflanzenschutz koppeln, so PAN Europe in der aktuellen Presseerklärung zur Parlamentsresolution.

EU-Umweltausschuss macht sich stark für eine nachhaltige Agrarpolitik

Der Umweltausschuss im EU-Parlament (ENVI) hat am Donnerstag, den 14. Februar 2019, seine Stellungnahme zur Reform der GAP ab 2021 verabschiedet und ein deutliches Signal für eine nachhaltigere Landwirtschaftspolitik und für eine Pestizidreduktion gesendet. Während bislang lediglich zwei bis drei Milliarden Euro in konkrete Naturschutzmaßnahmen fließen, bedarf es nach Auffassung des Umweltausschusses rund 15 Milliarden Euro pro Jahr, um das rasante Artensterben in Europa aufzuhalten. Außerdem soll unter anderem die Reduzierung von Pestiziden forciert werden und Grundsätze des IPM wie eine mindestens vierjährige Fruchtfolge einschließlich Leguminosen festgeschrieben werden. Mehr zur Stellungnahme und die Stimmen verschiedener Umweltverbände dazu, finden sich im DNR-Beitrag „EU-Abgeordnete stimmen für eine nachhaltige Agrarpolitik“. Der EU-Agrarausschuss wird voraussichtlich im März über die Vorschläge aus dem Umweltausschuss abstimmen. Eine starke Aufweichung der Empfehlungen durch den EU-Agrarausschuss ist leider wahrscheinlich.

 

Mehr Infos zur Arbeit der Citizens for Science in Pesticide Regulation:
White paper – Ensuring a higher level of protection from pesticides in Europe