Neue Erkenntnisse zur Kanzerogenität von Glyphosat

Die Kontroverse über die Kanzerogenität von Glyphosat und Herbiziden auf Basis von Glyphosat (Glyphosate-Based Herbicides – GBHs) hält an. Während die Krebsagentur der Weltgesundheitsagentur (IARC) 2015 Glyphosat/GBH als „wahrscheinlich krebserregend“ für Menschen einstufte[1], vertreten die meisten Regulierungsbehörden die Auffassung, dass dem Wirkstoff nur ein geringes oder gar kein Krebsrisiko innewohnt. Eine der Schlüsselfragen in diesem Zusammenhang ist, ob es einen Wirkungsmechanismus gibt, der die Verursachung von Krebs durch Glyphosat erklären kann. Der wichtigste generelle Mechanismus bei der Verursachung von Krebs durch Chemikalien ist eine Schädigung des Erbguts, wodurch es zu unkontrollierter Zellvermehrung und damit zur Entstehung von Tumoren kommen kann.

Eine in diesem Monat im Fachmagazin Agrochemicals veröffentlichte Studie überprüfte die seit 2016 erschienenen Publikationen zur Erbgutschädigung durch Glyphosat und GBHs. Die von Charles Benbrook, Robin Mesnage und William Sawyer durchgeführte Analyse zeigt, dass in 24 der 33 Studien mit Glyphosat und 56 der 61 Studien mit GBH eine Erbgutschädigung nachgewiesen wurde. Außerdem wurden in sieben epidemiologischen Studien (Untersuchung von Glyphosat-exponierten Menschen im Vergleich zu einer Kontrollpopulation) erbgutschädigende Effekte festgestellt. Die Autoren vertreten die Ansicht, dass die Schlussfolgerung der Behörden, Glyphosat und GBHs seien nicht erbgutschädigend, unhaltbar ist[2].

Hintergrund der Befassung ist die Entscheidung eines Bundesberufungsgerichts in den USA, das 2022 die Glyphosat-Bewertung der U.S.-Umweltbehörde (EPA) annullierte und die EPA aufforderte, die alten Daten zu überprüfen und neue Daten in ihre bevorstehende, möglicherweise endgültige Entscheidung über die erneute Zulassung von Glyphosat/GBH einzubeziehen.

Die US-Umweltbehörde EPA stufte Glyphosat 1991 als „nicht wahrscheinlich“ krebserregend ein[3]. Eine Entscheidung, die in Behördenberichten aus den Jahren 2017 und 2020 bekräftigt wurde. Die behördliche Anerkennung des Potenzials zur Erbgutschädigung durch Glyphosat hätte erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung von Glyphosat als „nicht (bzw. nicht wahrscheinlich) krebserregend“.

Auch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) schlussfolgerte im Rahmen des laufenden Wiedergenehmigungsverfahren von Glyphosat im Juni 2022, dass weder Beweise für eine Erbgutschädigung noch für die Erzeugung von Krebs durch Glyphosat vorlägen. Eine von unabhängigen Wissenschaftler*innen durchgeführte Analyse der behördlichen Bewertung zeigte, dass erneut das gehäufte Auftreten von Krebs in sämtlichen Mäuse- und mehreren Rattenstudien, mit ähnlich verzerrten Argumenten begründet wurde, wie in der vorangegangenen Bewertung im Jahr 2017. Nachzulesen ist dies in dem gemeinsamen Bericht von HEAL und PAN Germany[4]. Die Behauptung, Glyphosat sei nicht erbgutschädigend, ist ein Grundpfeiler der behördlichen Argumentation. Insofern ist die Publikation von Charles Benbrook und seinen Kollegen ein wichtiger Beitrag zur korrekten Beurteilung der Situation. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass nach EU-Recht eine Einstufung als „wahrscheinlich erbgutschädigend beim Menschen“ ein Glyphosatverbot zur Folge haben müsste.

Quelle: Benbrook, C.; Mesnage, R.; Sawyer, W. Genotoxicity Assays Published since 2016 Shed New Light on the Oncogenic Potential of Glyphosate-Based Herbicides. Agrochemicals 2023, 2, 47–68. https://doi.org/10.3390/agrochemicals2010005

[1] https://www.iarc.who.int/featured-news/media-centre-iarc-news-glyphosate/

[2] https://www.mdpi.com/2813-3145/2/1/5

[3] https://www.iarc.who.int/featured-news/media-centre-iarc-news-glyphosate/

[4] https://pan-germany.org/download/heal-report-how-the-eu-risks-greenlighting-a-pesticide-linked-to-cancer/




Exportverbot für Hochgefährliche Pestizide (HHPs): UN-Sonderberichterstatter drängt die deutsche Regierung

In einem fünfseitigen Brief[1] an die deutsche Regierung erläuterte Dr. Marcos Orellana, UN-Sonderberichterstatter für die Auswirkungen giftiger Substanzen und Abfälle auf die Menschenrechte, die Notwendigkeit und die Möglichkeiten eines Exportverbots für HHPs.[2]

PAN Germany Pestizid-Brief 1 – 2021

Die Forderung nach einem Exportverbot für HHPs, die in der EU aus Umwelt- oder Gesundheitsgründen keine Genehmigung haben bzw. bereits verboten sind, fällt nicht vom Himmel. Wie bereits berichtet[3], ging Frankreich mit gutem Beispiel voran: Dort verbietet das Gesetz Nr. 2018-938 ab dem 01.01.2022 Produktion, Lagerung und Export von Pestiziden mit Wirkstoffen, die zum Schutz der Gesundheit bzw. der Umwelt in der EU nicht genehmigt sind.[4]

Auf internationaler Ebene gibt es den International Code of Conduct on Pesticide Management als globale Leitlinie für den Umgang mit Pestiziden. In dessen 2016 veröffentlichten Richtlinien zu den HHPs wird darauf hingewiesen, dass die „effektivste Möglichkeit“ zur Einschränkung der von HHPs ausgehenden Risiken „oftmals die Beendigung ihrer Nutzung durch gesetzliche Regelungen“ darstellt.[5] Das Problem ist, dass dieser Code of Conduct keine „Regulierung“ darstellt, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auf seiner Website suggeriert,[6] sondern nur Empfehlungen. Das ist der Grund, warum Dr. Marcos Orellana in seinem Brief die aktuellen Bemühungen in Deutschland begrüßt, die Empfehlungen des International Code of Conduct verbindlich zu machen und ein Exportverbot für verbotene Pestizide gesetzlich umzusetzen. Konkret handelt es sich bei diesen Bemühungen um den gemeinsam von den Fraktionen Bündnis90/Die Grünen und Die Linke im November 2020 eingebrachten Antrag „Gefährliche Pestizidexporte stoppen – Internationale Abkommen zum Schutz vor Pestizidfolgen stärken”.[7] Orellana unterstützt in seinem Brief die dort formulierten Vorschläge für die Bundesregierung, nämlich

  • „eine verbindliche Regelung zu erlassen, die den Export von Pestizidwirkstoffen, Zwischenprodukten und Pestizidformulierungen verbietet, die in der EU und/oder in Deutschland aus Umwelt- bzw. Gesundheitsgründen keine Zulassung oder Genehmigung haben;
  • ähnliche Maßnahmen auf EU-Ebene zu unterstützen;
  • eine strengere Regulierung auf globaler Ebene anzustreben, z. B. ein internationales Abkommen über das Lebenszyklusmanagement von Pestiziden;
  • die freiwilligen Verpflichtungen des International Code of Conduct on Pesticide Management in verbindliche Regulierungen umzuwandeln;
  • sich auf internationaler Ebene und im Rahmen einschlägiger internationaler Gremien für eine wirksame verbindliche Regulierung des Pestizidhandels einzusetzen, u.a. mit dem Ziel, ein unabhängiges Überwachungssystem über den Einsatz von Pestiziden und die daraus resultierenden negativen Gesundheits- und Umweltfolgen in Ländern des Globalen Südens zu etablieren.“

Orellana verweist auf die Berichte anderer Expert*innen bzw. Gremien der Vereinten Nationen, die ebenfalls auf die von Pestiziden ausgehenden Gefahren hinwiesen, so wie die Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung im Januar 2017,[8] und das Komitee für das Recht des Kindes.[9]

Während der Brief verschiedene internationale Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich des Umweltschutzes lobt, wird sie zugleich aufgefordert, im eigenen Land aktiv zu werden, um „die verabscheuungswürdige Doppelmoral zu beenden, die aus dem Export von verbotenen hochgefährlichen Pestiziden resultiert“. Die Doppelstandards werden derzeit auf globaler Ebene durch den Export von Pestiziden oder anderen toxischen Substanzen praktiziert, wenn diese auf nationaler Ebene verboten sind. Sie verschärfen die Umweltungerechtigkeit und stellen diskriminierende Praktiken dar, die laut Orellana „gegen internationale Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen. Solche Praktiken verhindern den vollen und gleichberechtigten Genuss der Menschenrechte eines jeden Menschen.“

In diesem Zusammenhang verweist der UN-Sonderberichterstatter darauf, dass einige europäische Länder diesem „alarmierenden Tatbestand“ bereits Rechnung getragen haben, und zwar mit der Begründung, dass eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit gerechtfertigt ist, wenn es Schäden für die menschliche Gesundheit und die Umwelt betrifft.

Solche Maßnahmen sind mit der Gesetzeslage in der EU kompatibel, was durch den Entwurf der EU-Kommission einer „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit”[10] noch einmal unterstrichen wird. Dort steht unter den in Punkt 2.5.2. aufgelisteten, geplanten Maßnahmen der EU: „Vorangehen mit gutem Beispiel und im Einklang mit internationalen Verpflichtungen Gewährleistung, dass gefährliche Chemikalien, die in der Europäischen Union verboten sind, nicht für den Export hergestellt werden, erforderlichenfalls auch durch Änderung einschlägiger Rechtsvorschriften.“

Am Ende seines Schreibens drängt Marcos Orellana die Bundesregierung, die in dem Antrag der Grünen und Linken gemachten Vorschläge zu implementieren und ihn über Fortschritte in dieser Angelegenheit zu informieren.

Da sich in der Plenardebatte des Bundestags am 11.02.2021 auch Abgeordnete der Regierungsparteien für ein solches Exportverbot ausgesprochen haben,[11] sollte man hoffen, dass ein solches Gesetz in greifbarer Nähe ist.

(Dr. Peter Clausing)

[1] https://www.ohchr.org/Documents/Issues/ToxicWaste/Communications/OL-DEU-09-02-21.pdf

[2] Anm.: Wörtliche Zitate aus englischen Quellen sind eigene Übersetzungen

[3] https://pan-germany.org/download/kurzinformation-zu-hhps-und-doppelstandards-im-pestizidhandel/?ind=1613046461302&filename=FS_pestizidhandel_DE_210201_web.pdf&wpdmdl=2636&refresh=602df867caaf01613625447

[4] https://www.legif­rance.gouv.fr/dossierlegislatif/JORFDOLE000036562265/

[5] http://www.fao.org/3/i5566e/i5566e.pdf, Seite 14

[6]https://www.bvl.bund.de/EN/Tasks/04_Plant_protection_products/03_Applicants/13_LegalRegulations/03_InternationalAgreements/01_CodeOfConduct/ppp_intern_agreements_CoC_En_node.html

[7] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923988.pdf

[8] https://undocs.org/en/A/HRC/34/48

[9] http://daccess-ods.un.org/access.nsf/Get?Open&DS=CRC/C/MEX/CO/4-5&Lang=E

[10] https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:f815479a-0f01-11eb-bc07-01aa75ed71a1.0002.02/DOC_1&format=PDF

[11] Konkret waren es Peter Stein/CDU (https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7502170#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk=&mod=mod536668)
und Sascha Raabe/SPD (https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7502172#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk=&mod=mod536668)

Hintergrundinformationen:




Pestizidatlas 2022 zeigt: Neue Bundesregierung muss Pestizidwende einleiten

Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft
Gemeinsame Pressemitteilung vom 12. Januar 2022

Berlin. Die Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) fordern von der Bundesregierung, den Einsatz von Pestiziden konsequent zu reduzieren. Vor allem besonders toxische Pestizide müssen verboten werden und bereits in der EU verbotene Pestizide dürfen nicht länger exportiert werden, wie die Organisationen bei der heutigen Vorstellung des „Pestizidatlas 2022“ betonten.

Der „Pestizidatlas 2022“ zeigt, dass die Menge weltweit eingesetzter Pestizide seit 1990 um
80 Prozent gestiegen ist. In einigen Regionen wie Südamerika sogar um fast 150 Prozent. Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, wie zum Beispiel Soja als wichtiges Futtermittel für die Tierhaltung, hat in Ländern mit großer Artenvielfalt zu einer gravierenden Ausweitung des Einsatzes an Herbiziden geführt. Auch in der EU liegt der Einsatz mit rund 350.000 Tonnen auf hohem Niveau. In Deutschland werden zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe pro Jahr verkauft. Die Menge schwankt vor allem aufgrund von Witterungsbedingungen und aufgrund von unterschiedlichen Preisen für Agrar- und Pestizidprodukte.

Der Einsatz von Pestiziden führt zu anhaltenden Belastungen von Mensch, Natur und Umwelt. So lassen sich an Luftmessstellen Pestizide nachweisen, die bis zu 1000 Kilometer weit entfernt ausgebracht wurden. Auch in Naturschutzgebieten finden sich Pestizidrückstände. Insbesondere Gewässer in der Nähe landwirtschaftlich genutzter Gebiete weisen hohe Pestizidbelastungen auf. Meeressäuger an deutschen Küsten sind bis heute mit Pestiziden belastet, die seit 40 Jahren verboten sind. Eine fatale Wirkung hat der Einsatz von Pestiziden auf die biologische Vielfalt: konventionell bewirtschaftete Äcker weisen nur drei Prozent der floristischen Artenvielfalt auf, die auf Äckern zu finden ist, die noch nie mit Pestiziden behandelt wurden. Auf biologisch bewirtschafteten Äckern liegt die Vielfalt mit 53 Prozent erheblich höher.

Die global wachsende Menge an eingesetzten Pestiziden führt weltweit zu einem Anstieg an Pestizidvergiftungen – insbesondere im Globalen Süden, wo Arbeiter*innen oftmals nicht ausreichend geschützt sind. So sei konservativen Berechnungen zufolge in Asien von jährlich rund 255 Millionen Vergiftungsunfällen auszugehen, in Afrika von knapp über 100 Millionen und in Europa von rund 1,6 Millionen.

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sagt: „Auch in Europa sprühen wir viel zu viel: Alleine Äpfel, das Lieblingsobst der Deutschen, werden etwa 30-mal pro Saison gespritzt, Weinreben bis zu 17 mal und Kartoffeln bis zu 11 mal.  Vor allem in Ländern mit großer Artenvielfalt wie Brasilien, Argentinien und Paraguay ist der Herbizideinsatz insbesondere seit der großflächigen Einführung von gentechnisch verändertem, pestizidresistenten Soja, das als billiges Futtermittel für die Tiermast eingesetzt wird, dramatisch gestiegen. Damit wurde auch das zentrale Versprechen der Agro-Gentechnik, Ackergifte mit Hilfe von Gentechnik deutlich zu reduzieren, auf groteske Weise konterkariert.

Wir brauchen dringend eine Trendumkehr – dafür ist jetzt die europäische und deutsche Politik in der Verantwortung. Die Bundesregierung hat von der jungen Bevölkerung dafür einen klaren Handlungsauftrag, wie eine repräsentative Umfrage in unserem Pestizidatlas 2022 zeigt: Mehr als 70 Prozent der Befragten fordern eine deutliche Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland. Und fast genauso viele wollen den Export von in Europa nicht zugelassenen Pestiziden in andere Weltregionen verbieten.“

Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender, erklärt: „Der Verlust der Artenvielfalt weltweit, aber auch in Deutschland ist dramatisch und kann nur gestoppt werden, wenn der Einsatz von Ackergiften deutlich reduziert wird. Hierzu erwarten wir gesetzgeberisches Handeln von der neuen Bundesregierung. Dabei muss die Gesamtmenge der Pestizide um 50 Prozent gesenkt und besonders gefährliche Pestizide verboten werden. Es müssen innerhalb der jetzigen Legislaturperiode konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, um die Erfolge der Pestizidreduktion zu kontrollieren. Entscheidend dabei ist, dass die landwirtschaftlichen Betriebe dabei unterstützt werden mit weniger Pestiziden wirtschaftlich tragfähig zu arbeiten. Weniger Pestizide und mehr biologische Vielfalt auf dem Acker soll sich für alle Betriebe lohnen.

Ein Umdenken ist dringend notwendig, denn der hohe Pestizideinsatz schadet der Biodiversität. Er trägt zum Verlust zahlreicher Nützlinge bei, ohne die wiederum noch mehr Pestizide notwendig sind. Der damit verbundene Rückgang bestimmter Wildpflanzenarten führt zum Verlust von Lebensraum und Nahrung für spezialisierte Insekten. Zudem führt der Einsatz von in geringen Mengen hochwirksamen Neonikotinoiden zum Sterben von Wildbienen.“

Doris Günther, Vorstand von PAN Germany, sagt: „Mit dem massiven Pestizideinsatz weltweit vergiften wir Menschen und Natur. 385 Millionen jährliche Pestizidvergiftungen weltweit sind ein Skandal. Pestizidkonzerne haben längst den Globalen Süden als neuen Wachstumsmarkt für ihre Produkte ausgemacht. Auch deutsche Firmen exportieren hochgefährliche Pestizide nach Afrika, Asien und Lateinamerika, die bei uns zum Schutze der Bevölkerung und der Umwelt verboten wurden. Diesen unhaltbaren Zustand müssen die deutsche und europäische Politik beenden und konsequent den Export verbotener Pestizide gesetzlich untersagen. Dass die neue Bundesregierung sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet hat entsprechend zu handeln, lässt hoffen.“

Die Zustimmung zu konsequentem Handeln hat die deutsche Politik jedenfalls von den jüngeren Generationen: Die repräsentative Umfrage unter Leitung der Universität Göttingen und Zühlsdorf & Partner für den Pestizidatlas 2022 bei der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen zeigt, dass die Bundesregierung von der jungen Bevölkerung einen klaren Handlungsauftrag hat. Mehr als 70 Prozent der Befragten fordern eine deutliche Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland. Sie unterstützen die Entscheidung der EU, die die Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 eingeleitet hat. Mehr als 60 Prozent der Befragten sind sogar dafür die Nutzung von Pestiziden insgesamt bis 2035 zu verbieten, wenn Bäuerinnen und Bauern beim Umstieg auf eine umweltfreundliche Landwirtschaft unterstützt werden. Fast 80 Prozent der Befragten befürwortet eine stärkere finanzielle Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte, wenn weniger Pestizide eingesetzt werden.

Weitere Informationen: Der Pestizidatlas 2022 steht unter www.boell.de/pestizidatlas bzw. www.bund.net/pestizidatlas und www.pan-germany.org/pestizidatlas zum Download bereit.

Der Atlas bietet auf über 50 Seiten und in über 80 Grafiken zahlreiche Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft in Deutschland und weltweit. Der Atlas kann für Unterrichtszwecke auch klassensatzweise bei der Heinrich-Böll-Stiftung bestellt werden.

Pressekontakte

Heinrich-Böll-Stiftung: Michael Alvarez, Pressesprecher Heinrich-Böll-Stiftung, Tel.: 030-28534-202, Mobil 0160-365 77 22, E-Mail: alvarez@boell.de, www.boell.de

BUND: Sigrid Wolff | Daniel Jahn, BUND Pressestelle
Tel. 030-27586-425 |-497| -531 E-Mail: presse@bund.net, www.bund.net
Katrin Wenz, BUND-Expertin für Agrarpolitik, Mobil 0176 47684162,  E-Mail: Katrin.Wenz@bund.net

PAN Germany: Birgit Wulff, PAN Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: 040-3991910-0, presse@pan-germany.org, www.pan-germany.org;
Susan Haffmans, Referentin für Pestizide, Tel: 049157 315 640 17, susan.haffmans@pan-germany.org




Global Network Releases Updated List of Highly Hazardous Pesticides

PAN International Press Release

Stockholm, March 15, 2018
Pesticide Action Network (PAN) International released an updated version of its List of Highly Hazardous Pesticides (HHPs) to coincide with a key meeting in Stockholm of the Strategic Approach for International Chemicals Management (SAICM) process. The expanded list now includes 306 chemicals.

These hazardous pesticides (HHPs) threaten people and the environment around the world. The global community must act to stop the continuing exposure of people and the planet to these HHPs. PAN calls on the global community for an internationally binding treaty on pesticides.

Among the nine newly listed pesticides in the updated version of the HHP list are carbetamide for being classified as a presumed human reproductive toxicant according to the EU, cyanamide for its hormone disrupting properties and emamectin benzoate for its threat to the environment and bees.

Following the addition of a new criterion, the list now includes pesticides which are recognised by the UN Rotterdam Convention as meeting the Convention’s criteria for global trade restrictions. These pesticides have however not yet been officially listed in the Rotterdam Convention for political reasons.

Pesticides are the only toxic chemicals that are intentionally released into the environment. Today pesticides contaminate every environmental medium even in locations remote from their use. Susan Haffmans of PAN Germany says „These pesticides are having a devastating effect on biodiversity, including on beneficial insects. They are undermining the sustainability of food production systems and harm an unknown number of farmers, workers, children and animals every year.“

„We are deeply concerned about the negative impact of hazardous pesticides on the health of children around the world, especially from rural and farming communities. There is a critical need for global action to curtail the use of the worst pesticides to protect the wellbeing of children.“ says Kristin Schafer of PAN North America.

Keith Tyrell from PAN UK adds „Though pesticides have been recognized as a global threat to health, development and the environment, and despite a variety of pesticide Conventions and agreements, global governance of pesticides is weak, leaving large gaps in overall management.“

In the Global South there is daily proof of the devasting effects of pesticides on families and their livelihoods. Maimouna Diene of PAN Africa says „If SAICM wants to fulfill its goal of achieving sound management of chemicals throughout their whole lifecycle and to protect human health and ecosystems, it has to intensify its actions on HHPs and provide trainings to farmers, including women farmers, on agroecological practices. The past few years have shown that the global pesticides problem cannot be tackled adequately with voluntary agreements.“

PAN Asia Pacific’s Sarojeni Rengam says „The Sustainable Development Goals, in particular to end hunger, achieve food security and promote sustainable agriculture; to ensure healthy lives and to halt and reverse land degradation and biodiversity loss cannot be achieved until the widespread use of HHPs is replaced by agroecological practices“.

From the experience of longstanding work in Latin America on agroecological practices, Javier Souza of PAN Latin America says „It is time for undertaking concerted efforts to phase out HHPs and replace their use with agroecology. In Argentina we have shown that by replacing HHPs with agroecology we can decrease costs of inputs, improve incomes and community health, bolster food security and climate resilience, improve gender equity, enhance biodiversity, and reduce pollution.“

The PAN HHP list includes pesticides with high levels of acute or chronic hazards to health or environment according to internationally accepted classification systems. With the HHP list, PAN provides authorities, cultivation organisations, advisers, farmers and other interested parties with a tool to identify highly dangerous pesticides and then to replace them with safer and more sustainable alternatives.

For the PAN HHP list, visit http://www.pan-germany.org/download/PAN_HHP_List.pdf

For more about PAN International and the 500+ organizations in more than 100 countries that have joined the global call to ban highly hazardous pesticides and replace them with agroecological alternatives, visit http://pan-international.org/.

 

Available for interview:

Maimouna Diene, PAN Africa, maimounadiene@pan-afrique.org; +223 64898163
Sarojeni Rengam, PAN Asia Pacific, sarojeni.rengam@panap.net
Susan Haffmans, PAN Germany, susan.haffmans@pan-germany.org , +49(0)40-3991910-25
Javier Souza Casadinho, PAN Latin America, javierrapal@yahoo.com.ar ,+11 15 3617 1782
Kristin Schafer, PAN North America, kristins@panna.org , +10119165883100
Keith Tyrell, PAN United Kingdom, keith@pan-uk.org , +447588706224




Weltweite Pestizidvergiftungen im Fokus – TEIL 2

PAN Germany Pestizid-Brief 3 – 2023

Die Erhebung und Veröffentlichung der weltweiten unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen durch Boedeker W, Watts M, Clausing P, Marquez E im Jahr 2020 hat weltweit große Aufmerksamkeit auf ein lange von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigtes Thema gelenkt. Nach Auswertung von Vergiftungsdaten kamen die Forscher*innen zu dem Schluss, dass es jedes Jahr global rund 385 Millionen Fälle akuter Pestizid-Vergiftungen gibt. Neben dem Interesse an der Problematik an sich, hat die Studie auch Interesse an dem Zustandekommen der Zahlen geweckt. Der PAN Germany Pestizid-Brief erläutert daher in zwei Teilen das wissenschaftliche Vorgehen und das Zustandekommen der Studienergebnisse.

Teil 2 – Vergiftungsdaten – Erfassung und Qualität

1  Hintergrund

Die Vergiftung von Menschen durch Pestizide wird seit langem als ernstes Problem gesehen. Bereits 1990 schätzte eine Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass jährlich etwa eine Million unbeabsichtigte Pestizidvergiftungen auftreten, die zu etwa 20.000 Todesfällen führen. Noch dreißig Jahre später gab es keine Aktualisierung dieser Zahlen, obwohl der Pestizideinsatz weltweit gestiegen ist. Veranlasst durch das international Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) wurde im Jahr 2020 eine Studie veröffentlicht, deren Ziel es war, die Anzahl akuten Pestizidvergiftungen neu zu bestimmen. Nach der Studie ist von jährlich weltweit etwa 385 Millionen Fällen von akuten, unabsichtlichen Pestizidvergiftungen auszugehen, darunter etwa 11.000 Todesfälle. Bei einer weltweiten landwirtschaftlichen Bevölkerung von etwa 860 Millionen bedeutet dies, dass etwa 44 % der Landwirte jedes Jahr durch Pestizide vergiftet werden.

Die Ergebnisse liegen deutlich über den früheren Schätzungen. Ursache hierfür dürfte sein, dass die Schätzungen der aktuellen Studie auf eine bessere Datenlage in vielen Ländern und der Berücksichtigung mehrerer Datenquellen basieren. Zudem hat sich der Pestizideinsatz weltweit inzwischen nahezu verdoppelt, sodass heute mehr Menschen Pestiziden ausgesetzt sind und sie durch häufigere Anwendung stärker exponiert sind.

Das wissenschaftlich fundierte Verfahren zur Ermittlung der Anzahl von Pestizidvergiftungen stellt hohe Anforderungen an die Datenbasis und Datenqualität. Im Folgenden wird ausgeführt, welche Datenquellen hierfür verfügbar sind und welche Herausforderungen sich für die Schätzung im Hinblick auf die Identifikation, Erhebung und Dokumentation von Pestizidvergiftungen stellen.

2  Herausforderung: Identifikation von akuten Pestizidvergiftungen

Pestizidvergiftungen gehen oft mit unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Übelkeit einher. Für die Identifikation von Pestizidvergiftungen ist es daher erforderlich, das Auftreten der Symptome in einen Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Pestiziden zu stellen. Bei akuten Pestizidvergiftungen ist eine unmittelbare zeitliche Abfolge ausschlaggebend und die Latenzzeit von der Exposition bis zum Auftreten der Symptome ist entscheidend für die Identifikation einer Vergiftung. Würde eine zu kurze Zeitspanne gewählt, so könnten Symptome mit längerer Latenzzeit ausgeschlossen werden und eine Pestizidvergiftung unerkannt bleiben. Eine zu lang gewählte Zeitspanne dagegen könnte Symptome, die auf eine andere Ursache zurückzuführen sind, fälschlicherweise als Folge einer Pestizidexposition erfassen. Entsprechend besteht kein allgemeines Einvernehmen darüber, was eine akute Pestizidvergiftung ist. Häufig wird für die Identifikation von Pestizidvergiftungen auf ein Klassifizierungsinstrument des von der WHO eingerichteten Intergovernmental Forum on Chemical Safety (IFCS) zurückgegriffen . Eine akute Pestizidvergiftung ist nach dieser IFCS-Definition jede Erkrankung oder gesundheitliche Auswirkung, die auf eine vermutete oder bestätigte Exposition gegenüber einem Pestizid innerhalb von 48 Stunden zurückzuführen ist. Die IFCS-Definition stellt zudem beispielhaft für einige Pestizidwirkstoffklassen Symptome und Befunde zusammen, die mit einer Vergiftung einhergehen können. Für die einzelnen Organsysteme (z.B. Nervensystem) werden die Symptome nach hohem, moderaten und niedrigem Schweregrad unterschieden. Schließlich ermöglicht das IFCS-Klassifizierungsinstrument eine Einstufung der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Pestizidvergiftung, indem Kriterien für Exposition, Symptome/medizinische Befunde und deren zeitliche Abfolge zusammengestellt werden. Je nach Anzahl erfüllter Kriterien kann dann im Einzelfall von einer wahrscheinlichen, möglichen oder unwahrscheinlichen Pestizidvergiftung ausgegangen werden.

3  Herausforderung: Erhebung von akuten Pestizidvergiftungen

Schätzungen der Anzahl von Pestizidvergiftungen basieren zumeist auf Befragungen von Anwender*innen oder auf sogenannten Registerdaten. Während Befragungen in ausgewählten Bevölkerungsgruppen zu ausgewählten Zeitpunkten mit Hilfe vorab konzipierter Fragebögen vorgenommen werden, handelt es sich bei Registern um bestehende Datenbanken (z. B. Sterbefälle oder Krankenhausentlassungen), die oft für große Populationen über einen längeren Zeitraum angelegt sind.

3.1 Erhebungen durch Befragungen

Eine Standardmethode zur Erfassung von Pestizidvergiftungen ist die Befragung von ausgewählten Teilnehmer*innen. Die Zielsetzungen der Studien können sehr verschieden sein und entsprechend werden unterschiedliche Studiendesigns gewählt. Besteht das Interesse etwa lediglich darin, das Ausmaß und die Umstände von Vergiftungen in einer bestimmten Gruppe zu erfassen, so kann die Studienplanung geringere Anforderungen vorsehen als wenn auf Grundlage der Ergebnisse eine allgemeine Aussage oder gar eine Hochrechnung für anderen Gruppen erfolgen soll (siehe Beispiele für Studiendesign im Textkasten). Im letzteren Fall wäre eine repräsentative, ausreichend große und möglichst zufällig ausgewählte Stichprobe erforderlich. Tatsächlich zeigt die aktuelle Studie, dass die Mehrzahl der einbezogenen Studien mit Zufallsstichproben arbeitete, um eine gewisse Repräsentativität für die Studienpopulation zu erreichen. Die Studien richten sich zumeist mit einem Fragebogen direkt an die Teilnehmer*innen und bitten diese darum, aus vorab erstellten Symptomlisten diejenigen auszuwählen, die sie in einem bestimmten Zeitraum nach dem Anwenden von Pestiziden bei sich beobachtet haben. Die Symptomlisten und Fragestellungen beziehen sich häufig auf die IFCS-Definition von akuten Pestizidvergiftungen. Allerdings verwenden nicht alle Studien die gleichen Latenzzeiten, erfassen also z. B. nur Symptome unmittelbar nach dem Sprühen, innerhalb von 24 Stunden oder von bis zu einem Monat. Wenige Studien erfassen zudem so genannte Biomarker, z.B. das Enzym Cholinesterase, das von Organophoshat- und Carbamat-Pestiziden gehemmt wird, so dass eine Vergiftung zusätzlich zur Befragung anhand der Blutwerte der Betroffenen erkannt werden kann: Gelegentlich wird auch versucht, die Pestizide direkt z.B. im Blut der Befragten nachzuweisen. Solche Studienansätze sind indes wenig verbreitet, da hierdurch nur ein Teil der Pestizide erfasst werden kann und die Studien aufwändig und teuer werden.

Die Qualität, mit der Erhebungen geplant und durchführt werden, kann die Ergebnisse beeinflussen. So zeigte die Studie, dass in Erhebungen mit einer repräsentativen Stichprobe der Anteil der Vergiftungen geringer war als bei einfachen Stichproben. Wenn die Identifikation der Vergiftungen durch die Wissenschaftler erfolgte, war zudem der Anteil von Vergiftungen etwa 10 % niedriger als bei Erhebungen in denen die Teilnehmer*innen selbst berichteten.

Beispiele für Erhebungsmethoden bei Pestizidvergiftungen

  • Ohne Zufallsauswahl der Befragten
    “The field study was limited to a manageable geographical area where female cotton pickers are living and have a great potential to be exposed to pesticides. The villages selected on the willingness of the female workers that participate in the study … After preliminary survey two female groups (13–35 years of age) were selected as cotton pickers and non-pickers (30–37 female in each group) from the selected area.”[1]
  • “Participants were recruited with the assistance of community leaders, churches, and local groups in the study area. Letters were sent to each of these entities, which contained a clear explanation of reasons for the study, study objectives, inclusion criteria, consent to participate, and voluntary participation. These leaders and groups made announcements to the general public or community gatherings for a month. Those farmers who expressed interest in participation were invited to meet at the community leaders’ residence, group meeting locations, or church premises. At these meetings, the principal investigator reviewed the study and explained the content. If the farmer wished to participate, the consent form was signed, and the questionnaire was given to complete.”[2]
  • Mit Zufallsauswahl der Befragten
    “From a universe of approximately 3,500 subjects, a random sample of about 1,100 workers directly exposed to pesticides was performed, considering as such those subjects who mix/load and/or apply pesticides.… As mentioned, applicators are professional workers authorized by the Agriculture, Livestock and Food Ministry to perform their tasks. They usually work in several extensive crops in the same area of the province, as independent professionals (the owners of the machinery) or as employees of an agrarian company.”[3]
  • “The 2005 and 2006 surveys were conducted by a market research company and included 6,359 users in 24 countries … Approximately, 250 users were sampled from each country. In each country, a local market research team identified regions where the use of pesticides was moderate to intensive… The selection of respondents was on the basis of quota sampling and targeted users on smallholdings of below average size and contract spray operators in countries where there were significant numbers of such users. The local market research teams designed their target smallholder farmers in terms of farm size and typical crops grown. Screening questions were used to ensure that the sample satisfied the quota requirements.”[4]
  • “The target population of this survey included male farmers residing in rural areas in South Korea. The sampling frame for this survey was constructed by use of 2010 Korean Agricultural Household Registry data. Primary sampling units were formed out of the local administrative districts. We stratified primary sampling units into three strata based on three variables, which were the number of farm households, the farm household population by age group (<15, 15–65, >65) and the proportion of households residing in apartments. The selection of a 3% limit of error in the estimate yielded a needed sample size of roughly 2,000. A total of 197 primary sampling units were selected by probability proportional to size sampling method. In the final sampling stage, the sample size in a primary sampling unit was 10. Trained interviewers visited each selected household and explained about the study.”[5]

3.2 Erhebungen durch Register

Unter Register versteht man strukturierte Datensammlungen, die etwa Teil der amtlichen Statistik (z.B. Todesursachenstatistik) sein können oder zur Erfassung und zum Monitoring von Krankheiten eigens eingerichtet wurden (z.B. Krebsregister). Als Registerdaten bezeichnet man auch solche Daten, die primär etwa zu Abrechnungszwecken erhoben werden und sekundär für Fragen des Gesundheitsmonitorings und der Gesundheitsforschung herangezogen werden (z.B. Krankenhausentlassungen, Arbeitsunfähigkeit, Berufskrankheiten). Registerdaten kennzeichnet, dass sie standardisiert erfasst, über längere Zeiträume und für verschiedene Regionen und Bevölkerungsgruppen vorliegen.

In einigen dieser Register sind auch Angaben zu Pestizidvergiftungen enthalten oder diese wurden eigens zum Monitoring von Pestizidvergiftungen angelegt. Die eigentliche Identifikation von Pestizidvergiftungen erfolgt aber immer bereits vor Erfassung der Daten, nämlich z.B. bei der Behandlung im Krankenhaus oder der Leichenschau. Werden Pestizidvergiftungen auf ärztlichen Dokumenten spezifiziert, so muss davon ausgegangen werden, dass hierfür hinreichende medizinische oder forensische Evidenz vorgelegen hat. Registerdaten zu Pestizidvergiftungen basieren daher vornehmlich auf einer verlässlichen Identifikation von Vergiftungsfällen.

Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass Pestizidvergiftungen in Registern untererfasst sind, da sie von einer Dokumentation der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten und der Effektivität von Meldesystemen abhängen. Beides ist in vielen Ländern der Welt nur begrenzt vorhanden. Die Inanspruchnahme wird dadurch behindert, dass Personen, die an einer akuten Pestizidvergiftung leiden, aus einer Vielzahl von Gründen oft keine medizinische Versorgung erhalten. Fehlende Transportmöglichkeiten, fehlende medizinischer Einrichtungen, mangelnde finanzielle Mittel, sprachliche und kulturelle Barrieren oder der Angst vor dem Verlust der bezahlten Arbeit sind hierfür bekannte Barrieren. Die länderspezifischen Meldesysteme können weitere Ursachen für die Untererfassung sein, darunter das Fehlen einer allgemeinen, verbindlichen gesetzlichen Pflicht zur Meldung von Vorfällen, oder eine regionale Eingrenzung. Schließlich ist eine erhebliche Untererfassung von arbeitsbedingten Pestizidvergiftungen zu erwarten, weil die entsprechende Klassifikation der Krankheiten, der sogenannte ICD-Schlüssel, (ICD für englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) nicht verwendet oder entsprechende Daten nicht gemeldet werden.

4  Herausforderung: Dokumentation und Verschlüsselung akuter Pestizidvergiftungen

Nachdem Pestizidvergiftungen als solche erkannt worden sind, stellt sich die Frage der Benennung und Dokumentation. Hierfür wird auf Systematiken zurückgegriffen, die Krankheitsbilder nach feststehenden Kriterien bezeichnen und hierarchisch gruppieren. Die Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO (ICD) ist die weit verbreitete und insbesondere für Registerdaten übliche Systematik, die derzeit noch in ihrer 10. Revision (ICD10) verwendet wird. Die ICD10 ermöglicht nicht nur eine je nach Verwendungszweck unterschiedliche Differenzierung, sondern auch die Kennzeichnung, ob eine Pestizidvergiftung vorsätzlich oder unabsichtlich erfolgte (vgl. Tabelle). Über eine weitere Verfeinerung des ICD-Schlüssels lässt sich z.B. auch ein Ort an dem sich der Vorfall ereignete, hinzufügen. ICD10-Code „X487“ steht für landwirtschaftliche Betriebe, umfasst jedoch nur Gebäude und Anbauflächen, nicht aber Wohnhaus und Hausgrundstück. Die Kodierung des Ortes von Vergiftungen hängt von Kontextinformationen zu den spezifischen Vergiftungsfällen ab; diese Daten stehen der kodierenden Einrichtung jedoch häufig nicht zur Verfügung.

Die Eignung der ICD10 zum Monitoring von Pestizidvergiftungen ist begrenzt, da nur wenig Wirkstoffgruppen (vgl. Tabelle) explizit erwähnt sind und damit eine Identifikation besonders bedeutsamer Wirkstoffe nicht erfolgen kann. Die ICD10 regelt auch nicht, in welcher Tiefe eine Verschlüsselung zu erfolgen hat oder in welcher Reihenfolge mehrere Krankheiten verschlüsselt werden. Dies wird durch die jeweiligen Register und Statistiken vorgegeben und richtig sich im Wesentlichen nach dem primären Verwendungszweck. In der deutschen Krankenhausentlassungsstatistik etwa kann nicht zwischen suizidalen und unabsichtlichen Vergiftungen unterschieden werden. Auch die Verschlüsselungsprinzipien sind unterschiedlich. So wird in der Todesursachenstatistik die sogenannte Grunderkrankung kodiert, also die Erkrankung, die direkt zum Tod führte. Im Gegensatz dazu wird in der Krankenhausentlassungsstatistik die Einweisungsursache als so genannte Hauptdiagnose erfasst. So könnte möglicherweise eine tödliche Pestizidvergiftung nach einer depressiven Episode in der Sterbeurkunde als depressive Störung und in der Krankenhausentlassungsstatistik als Pestizidvergiftung kodiert werden.

Am 1. Januar 2022 ist die neuste ICD Version, ICD-11, in Kraft getreten. Im Vergleich zu früheren Versionen bietet die ICD-11 völlig neue Möglichkeiten für die Kodierung von Krankheiten. Durch die Einführung sogenannter Erweiterungsschlüssel ist eine sehr detaillierte Erfassung von Informationen auch bei Vergiftungen möglich. Die Erweiterungsschlüssel umfassen bei Pestiziden auch eine große Anzahl von einzelnen Wirkstoffen, wodurch das Monitoring von Pestizidvergiftungen deutlich verbessert werden könnte. Allerdings ist derzeit noch nicht klar, ob die Erweiterungsschlüssel zwingend etwa in der Todesursachenstatistik geführt werden müssen. Die Umsetzung der ICD-11 setzt in allen Ländern die Änderung einer Vielzahl von Meldesystemen voraus, die Verwendung der ICD-11 wird daher erst in etlichen Jahren erfolgen.

Tabelle: ICD10-Schlüssel zur Kennzeichnung von Pestizidvergiftungen

T60 Toxische Wirkung von Schädlingsbekämpfungsmitteln (Pestiziden) inkl. Holzschutzmittel
T60.0 Organophosphat- und Carbamat-Insektizide
T60.1 Halogenierte Insektizide (exkl. Chlorierte Kohlenwasserstoffe
T60.2 Sonstige Insektizide
T60.3 Herbizide und Fungizide
T60.4 Rodentizide Thallium (exkl. Strychnin und dessen Salze)
T60.8 Andere Schädlingsbekämpfungsmittel
T60.9 Schädlingsbekämpfungsmittel, nicht näher bezeichnet
X48 Akzidentelle Vergiftung durch und Exposition gegenüber Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide)
X68 Vorsätzliche Selbstvergiftung durch und Exposition gegenüber Schädlingsbekämpfungsmittel

 

Quelle: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10th revisions.  https://icd.who.int/browse10/2016/en#/XIX

5  Schlussfolgerungen

Die Ermittlung der Anzahl der weltweiten vorkommenden Pestizidvergiftungen hängen von der Qualität der Datenquellen und der Vollständigkeit der Datenbanken ab. In wie weit es durch die beschriebenen Herausforderungen zu einer Über- oder Unterschätzung von akuten Pestizidvergiftungen kommt, lässt sich nicht grundsätzlich beurteilen. Aus den beschriebenen Gründen muss allerdings zumindest bei den Registerdaten von einer Unterschätzung ausgegangen werden. Derzeit reichen weder die Daten aus Registern noch aus Befragungen aus, um Unsicherheiten bei der Ermittlung der globalen Vergiftungszahlen auszuschließen. Es fehlt an qualitativ hochwertigen Daten, die alle Länder und Pestizidanwendung abdecken.

Die bestehenden internationalen Datenbanken – wie die über Todesfälle der WHO- sind unvollständig, weil sich nicht alle Länder hieran beteiligen oder ungenau erfasste Daten liefern. Hier sollte verstärkt über die internationale Gemeinschaft Einfluss genommen werden und Länder beim Kapazitätenaufbau unterstützt werden. Nationale Register, die sich auf Krankenhausdaten oder Giftnotrufzentralen stützen, sind oft nicht vollständig, weil sie lediglich bestimmte Regionen oder Meldeanlässe abdecken. Auch sind in den Datenbanken zumeist keine Angaben über Berufe oder zu Kindern zu finden, was für ein wirkungsvolles Vergiftungsmonitoring erforderlich wäre. Die verwendeten Dokumentationssysteme, wie die ICD10, sind für Pestizidvergiftungen nicht ausreichend ausgestaltet, da eine Identifikation relevanter Wirkstoffe und -gruppen nicht möglich ist. Die bestehenden Register zu Pestizidvergiftungen sollten daher dahingehend geprüft und so erweitert werden, dass auch ausreichende Differenzierungen möglich werden. Die internationale Gemeinschaft sollte auf eine zeitnahe Umsetzung der ICD-11 mit verbindlicher Nutzung der Erweiterungsschlüssel hinwirken.

In vielen Ländern gibt es keine Befragungen zu Vergiftungen bei Pestizidanwender*innen. Darüber hinaus fehlt bei Erhebungen eine standardisierte Falldefinition für akute Vergiftungen. Zudem mangelt es an prospektiven Studien, um langfristige Auswirkungen akuter Vergiftungen zu untersuchen. Eine Verbesserung der Datenbasis würde ein regelmäßiges und zuverlässiges Monitoring von Pestizidvergiftungen ermöglichen und die Einschätzung präventiver Maßnahmen unterstützen. Eine entsprechende Forschungsförderung zur Durchführung epidemiologischer Studien sollte erfolgen.

Zu den Ländern mit defizitärer Datenlage gehört auch Deutschland. So konnte in die aktuelle Studie zur Ermittlung der weltweiten unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen lediglich Angaben aus der deutschen Todesursachenstatistik einbezogen werden, obwohl die Krankenhausentlassungsstatistik eine Vielfach höhere Anzahl tödlicher Pestizidvergiftungen ausweist. Diese Daten sowie Angaben aus den Giftinformationszentralen mussten unberücksichtigt bleiben, da keine ausreichende Differenzierung in der Statistik möglich ist (z.B. Unfall oder suizidal). Auch das Meldesystem der ärztlichen Mitteilungen bei Vergiftungen, die zwingend durch das Chemikaliengesetz vorgeschrieben sind, ist höchst defizitär. Diese Statistik ist durch eine massive Untererfassung der Fälle und unzureichender Dokumentation und Auswertung gekennzeichnet. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) hat die Berichterstattung auf Basis dieser Meldungen bereits vor etlichen Jahren ersatzlos eingestellt.[6] Für Deutschland gibt es zudem keinerlei Befragungen zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Einsatzes von Pestiziden.

Die verfügbaren Datenquellen und deren Auswertung machen trotz aller Defizite bereits jetzt deutlich, dass Pestizidvergiftungen ein immenses internationales Gesundheitsproblem darstellen, das sofortiges politisches Handeln erfordert. Die in den letzten Jahren international unternommenen Anstrengungen, Programme zur Verbesserung der Sicherheit bei der Verwendung von Pestiziden aufzulegen, haben offenbar nicht zu einer ausreichenden Verbesserung geführt. Es bedarf größerer Anstrengungen beim Umbau zu einer ökologischen Landwirtschaft. Denn es ist klar: Am effektivsten lassen sich Pestizidvergiftungen vermeiden, wenn keine Pestizide eingesetzt werden.

(Dr. Wolfgang Bödeker)

Teil 1 des Beitrags erschien im Pestizid-Briefs Nr 2 – 2023. Beide Teile des Beitrags stehen in einem Gesamtdokument auch hier zum Download bereit.

[1] Tahir S, Anwar T. Bull Environ Contam Toxicol. 2012 Dec;89(6):1138–41.

[2] Tandi TE, Wook CJ, Shendeh TT, Eko EA, Afoh CO. Health. 2014;06(21):2945–58.

[3] Butinof M, Fernandez RA, Stimolo MI, Lantieri MJ, Blanco M, Machado AL, et al. Cad Saude Publica. 2015 Mar;31(3):633–46.

[4] Tomenson JA, Matthews GA. Int Arch Occup Environ Health. 2009 Aug;82(8):935–49.

[5] Lee WJ, Cha ES, Park J, Ko Y, Kim HJ, Kim J. Am J Ind Med. 2012 Sep;55(9):799–807.

[6] https://www.pan-germany.org/download/pestizid-brief/PB1_2016_Vergiftungen_%20%C2%A716e_Meldungen_F.pdf

 

 




Public Eye Report deckt Syngentas Milliardengeschäft mit hochgefährlichen Pestiziden auf

In einem aktuell veröffentlichten Bericht „Highly hazardous profits“  zeigt Public Eye detailliert auf, welch zentrale Rolle der Basler Konzern Syngenta beim Handel von hochgefährlichen Pestiziden insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern spielt. Die Schweizer NGO, die seit 50 Jahren von Schweizer Unternehmen im Ausland verursachte Menschenrechtsverletzungen aufdeckt, hat Pestizid-Verkaufszahlen mit der PAN International Liste der hochgefährlichen Pestizide (HHPs)  abgeglichen: 15 der 32 Pestizide, die Syngenta als ihre Bestseller präsentiert, stehen auf der HHP-Liste von PAN. 2017 hat der Konzern gemäß Schätzungen der Schweizer NGO einen Umsatz von ca. 3,9 Milliarden US-Dollar mit dem Verkauf von HHPs erzielt.

Public Eye verdeutlicht, wie Syngenta von schwachen Regulierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern profitiert, um dort ihre giftigen Bestseller zu verkaufen, von denen viele in der Schweiz oder in der Europäischen Union aufgrund ihrer Gefährdung von Mensch und Natur nicht mehr zugelassen sind. Um die Konsequenzen des massiven Einsatzes dieser hochgiftigen Pestizide besser zu verstehen, hat Public Eye einen besonderen Fokus auf Brasilien gelegt – den größten Markt Syngentas. Hier hat Public Eye mit Eltern erkrankter Kinder im Bundesstaat Mato Grosso gesprochen und in Kooperation mit dem Fernsehjournal Repórter Brasil die Daten des brasilianischen Programms zur Kontrolle der Trinkwasserqualität analysiert. Die Resultate zeigen, dass Millionen Brasilianer*innen einem Cocktail an Pestiziden ausgesetzt sind, dessen langfristige Effekte nicht absehbar sind. Eine der am häufigsten nachgewiesenen Substanzen ist Atrazin, ein als hormonverändernd und fortpflanzungsgefährdend eingestuftes Herbizid, das in der Schweiz und der EU nach massiver Kontamination von Trinkwasserquellen vor Jahren verboten wurde. In Brasilien wurde die Substanz in 85 Prozent aller getesteten Wasserproben nachgewiesen. Syngenta ist globale Marktführerin beim Verkauf dieses hochumstrittenen Pestizids.

Um künftige Generationen zu schützen, sieht Public Eye es als unabdingbar an, dass die giftigsten Pestizide vom Markt genommen und durch sicherere Alternativen ersetzt werden. In einer Petition fordert Public Eye Syngenta dazu auf, sich zu verpflichten, die Produktion und den Verkauf hochgefährlicher Pestizide einzustellen. Zudem sieht Public Eye den Staat in der Pflicht und fordert von der Schweiz, Verantwortung zu übernehmen und den Export von Pestiziden zu verbieten, die im eigenen Land wegen ihrer Gefahr für Gesundheit oder Umwelt verboten sind und sich für ein verbindliches internationales Abkommen zu hochgefährlichen Pestiziden einzusetzen. Damit unterstütz Public Eye die Forderungen von PAN International nach der Abschaffung von Doppelstandards im Pestizidhandel und für einen verbindlichen internationalen Pestizid-Vertrag.

Public Eye ist eine der mehr als 560 Organisationen weltweit, die bislang den Aufruf gegen hochgefährliche Pestizide von PAN International unterzeichnet haben. Wer als Organisation den Aufruf unterstützen möchte, wendet sich bitte an susan.haffmans[at]pan-germany.

Public Eye (2019): Highly hazardous profits. How Syngenta makes billions by selling toxic pesticides. (4 MB)
https://www.publiceye.ch/fileadmin/doc/Pestizide/2019_PublicEye_Highly-hazardous-profits_Report.pdf

Public Eye Magazin «Syngentas Giftgeschäfte in Brasilien» (7 MB)  https://www.publiceye.ch/fileadmin/doc/Pestizide/2019_PublicEye_Magazin17_Pestizid.pdf

 




Legal opinion on the implementation of an export ban of certain hazardous pesticides from Germany

The German government has announced it will implement an export ban on certain hazardous pesticides. A draft of the implementation policy will be presented during the spring of 2023. The goal of the export ban is to eliminate double standards in the pesticide trade. Double standards arise when active ingredients and pesticide products that are not approved or authorised in the European Union (EU) because of their environmental and health hazards or risks are nevertheless exported from Germany to countries outside the EU.

A legal opinion written by Mirka Fries (LL.M.) and Ida Westphal (Ass. Iur.) and commissioned by the European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), the Heinrich Böll Stiftung, INKOTA netzwerk, the Pesticide Action Network Germany (PAN Germany), and the Rosa Luxemburg Stiftung examines the potential scope of such an export ban and if it could be compatible with the law of the European Union as well as the General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) of the World Trade organization (WTO).

A German export ban – but also national export bans by other EU member states – will be particularly effective in countering double standards in the pesticide trade as long as: 1) both active ingredients and pesticide products are covered; and 2) export rights are only granted for substances that were approved or authorised as a result of a thorough assessment of their hazard levels and risks to humans and the environment under current EU regulatory framework. In this way, the same standards of health and environmental protection applicable for marketing within the EU would apply to the export of such pesticides.

The legal opinion (english version) at hand is a shortened version of the original legal opinion written in German.

More information:

 




Pressekonferenz: Pestizidatlas – Daten und Fakten über Gifte in der Landwirtschaft

Heinrich-Böll-Stiftung, BUND und PAN Germany laden ein:

Termin:
Pressekonferenz zur Vorstellung „Pestizidatlas – Daten und Fakten über Gifte in der Landwirtschaft“

Datum/Zeit:
Mittwoch, 12. Januar 2022
10:30 Uhr

Ort:
Hybrid: Präsenz-PK (2G plus FFP2) und Zoom
Heinrich-Böll-Stiftung, Großer Saal 1-2, Schumannstr. 8, 10117 Berlin

Achtung: Akkreditierung für Präsenz und Zoom-Teilnahme erforderlich.

Mehrere Plätze für TV/Radio/Foto stehen gesondert zur Verfügung.
Vor Ort begrenzte Plätze aufgrund von Abstandsregelung, FFP2 Mund-Nasenschutz erforderlich! Akkreditierten Zoom-Teilnehmer:innen senden wir den Zugangslink rechtzeitig vor Beginn der PK zu und vermitteln auch gerne Interviews mit Podium und unseren Expert*innen.

mit:
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Olaf Bandt
, BUND-Vorsitzender
Doris Günther,
Vorstand von PAN Germany

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleg*innen,

wir laden Sie herzlich zur Vorstellung des „Pestizidatlas 2022 – Daten und Fakten über Gifte in der Landwirtschaft“, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und dem Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) ein.

Im Bier und im Honig, auf Obst und Gemüse, im Gras auf Spielplätzen und sogar im Urin oder in der Luft – überall lassen sich mittlerweile Spuren von Pestiziden aus der Landwirtschaft nachweisen, in Deutschland, Argentinien oder Kenia. Weltweit steigt der Pestizideinsatz Jahr für Jahr. Dabei verfestigt sich die wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich Pestizide negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken, massiv Insekten und Pflanzen schädigen und Gewässer kontaminieren.

Ambitionslos hat die Politik das Thema viel zu lange weitestgehend ignoriert. Nun fordert die EU eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030. Eine europäische Bürgerinitiative geht weiter und fordert den vollständigen Ausstieg der europäischen Landwirtschaft aus der Nutzung chemischer Pestizide.

Mit unserem Pestizidatlas 2022 liefern wir Daten und Fakten rund um die bisherigen und aktuellsten Entwicklungen, Zusammenhänge und Folgen des weltweiten Pestizidhandels und -einsatzes in der Landwirtschaft und möchten damit zu einer lebendigen und informierten öffentlichen Debatte zur zukünftigen Gestaltung der Landwirtschaft beitragen.

Zur Vorstellung des Pestizidatlas laden wir Sie herzlich ein. Über eine Anmeldung unter presse@bund.net, presse@boell.de oder presse@pan-germany.org freuen wir uns.

Eine zeitgerechte Print- oder Online-Produktion unterstützen wir gern. Bitte sprechen Sie uns an. Der Atlas, Bilder und Grafiken stehen regulär ab Mittwoch, 12.01.2022, 10.30 Uhr, unter www.boell.de/pestizidatlas/, www.bund.net/pestizidatlas und www.pan-germany.org/pestizidatlas zum Download bereit.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Wulff, Michael Alvarez und Daniel Jahn

Kontakt:




Redebeitrag auf der BASF-Hauptversammlung am 25.04.2024

Rede von Dr. Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) auf der Hauptversammlung der BASF AG am 25.04.2024 in Mannheim

Sehr geehrte Damen und Herren Aktionäre, sehr geehrte Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats.

Mein Name ist Dr. Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerks e.V. Ich bin Toxikologe und ich bin sehr besorgt, dass die BASF in anderen Weltregionen weiterhin Produkte anbietet, die in der Europäischen Union aus Gesundheits- und Umweltgründen verboten sind.

Das Unternehmen scheint sich darauf spezialisiert zu haben, Menschen im Globalen Süden weiterhin Wirkstoffen auszusetzen, die von den Behörden als „wahrscheinlich fruchtbarkeitsschädigend beim Menschen“ oder „gefährlich für das Kind im Mutterleib“ eingestuft wurden. Dazu zählen das Herbizid Glufosinat (in der EU seit 2018 nicht mehr genehmigt) sowie die Fungizide Epoxiconazol (in der EU seit 2020 nicht mehr genehmigt) und Mancozeb (in der EU seit 2021 nicht mehr genehmigt), aber auch Fenpropimorph, das in der EU seit 2019 verboten und reproduktionstoxischer Stoff der Kategorie 2 ist. Damit nicht genug, wurden Epoxiconazol und Mancozeb von den Behörden außerdem als vermutlich krebserregend bewertet und Mancozeb obendrein auch noch als nerven- und hormonschädigend.

In Kenia zum Beispiel sind Produkte, die Glufosinat oder Epoxiconazol enthalten, BASFs Bestseller.

Es ist sehr irritierend, dass die BASF mit Revysol (Mefentrifluconazol) eine – nach eigenen Worten – nachhaltigere Alternative zu Epoxiconazol auf den Markt gebracht hat, Epoxiconazol aber in Ländern wie Argentinien, Kenia oder Südafrika ohne Not weiter vermarktet.

Und ich war schockiert als ich von gentechnisch verändertem, Glufosinat-resistentem Raps las, wobei das Glufosinat mit Flugzeugen versprüht wird. Bei herbizid-resistenten Sorten wird erfahrungsgemäß deutlich mehr versprüht als bei konventionellen Sorten und das dann auch noch mit dem Flugzeug. Das Ausbringen mit dem Flugzeug ist in der Europäischen Union aus gutem Grund auf Notfälle in der Forstwirtschaft beschränkt, denn die Gefahr der Verdriftung ist um ein Vielfaches größer als bei der Ausbringung mit Bodenmaschinen. Ich nehme an, Sie kennen die Berichte über die „Pueblos Fumigados“, die „begasten Dörfer“, in Argentinien. Der Dokumentarfilm wurde 2018 auf der Berlinale gezeigt. Da ging es zwar nicht um Glufosinat, aber wie wollen Sie ausschließen, dass mit

Glufosinat, einem Herbizid, das „wahrscheinlich fruchtbarkeitsschädigend beim Menschen“ ist und eine „Gefahr für das Kind im Mutterleib“ darstellt, das Gleiche passiert?

Inzwischen gibt es zwei Studien zu exponierten Bevölkerungsgruppen aus der Zeit als Glufosinat in der EU noch zugelassen war – eine aus Spanien und eine aus den Niederlanden.[1] Beide Studien weisen auf Schädigungen beim ungeborenen Kinde hin. Niemand hat das bislang für Länder mit Glufosinat-resistenten Kulturen und Flugzeugausbringung untersucht. Dort dürften diese Effekte noch deutlicher ausfallen

Ich habe deshalb folgende Fragen:

  1. In welchen Ländern werden Glufosinat-resistente Sorten angebaut und in welchen Ländern werden Glufosinat-haltige Präparate mit dem Flugzeug ausgebracht?
  2. Wäre die BASF bereit, dort eine epidemiologische Studie zu finanzieren, wobei die Durchführung und Auswertung der Studie transparent und unabhängig vom Geldgeber sein müsste
  3. Besteht die Absicht epoxiconazol-haltige Fungizide weltweit vom Markt zu nehmen und durch das deutlich weniger toxische Fungizid Revysol (Mefentrifluconazol) zu ersetzen? Falls ja, was bedeutet das konkret?

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

[1] Garcia, A.M. et al. (1998): Paternal exposure to pesticides and congenital malformations. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health 24: 473-480;
Simões, M. et al. (2023): Exploring associations between residential exposure to pesticides and birth outcomes using the Dutch birth registry. Environment International 178,  https://doi.org/10.1016/j.envint.2023.108085

 




Pesticide Action Network Calls for Legally Binding Treaty for Highly Hazardous Pesticides

Montevideo, 26.03.2019. Press release.

On the eve of the upcoming 3rd Open Ended Working Group  of the Strategic Approach to International Chemicals Management (SAICM), PAN redoubles its call for a global legally binding mechanism for the lifecycle management of pesticides, either as a new standalone treaty or as a legally binding protocol within a new overarching chemicals framework to phase out Highly Hazardous Pesticides (HHPs).

PAN expresses its deep concern that SAICM has failed to achieve sound management of pesticides and that pesticide poisoning continues in countries all around the world. PAN is releasing updated versions of two documents underlining the strong need for a legally binding treaty to ban HHPs. These are a PAN International List of Highly Hazardous Pesticides (1) and a PAN International Consolidated List of Banned Pesticides. These two documents together show the large numbers of hazardous pesticides used around the world and the very uneven nature of regulation of hazardous pesticides around the globe.

An example illustrating such uneven regulation of pesticides is the highly toxic pesticide monocrotophos. Of the 154 countries for which information was available for the Consolidated List of Banned Pesticides, at least 112 have banned the insecticide monocrotophos, but its use in other countries continues to harm many people. It was responsible for killing 23 school children in India in 2013, implicated in the deaths of cotton growers in India in 2018, and in numerous other poisonings – despite the WHO calling on India to ban it 10 years ago. This is just one example of a HHP that should have been banned long ago, but remains in use and continues to poison people in countries where it is still used. PAN asks that companies still manufacturing monocrotophos should stop its manufacture and all remaining countries should ban it.

This situation occurs in many countries around the world, and Ms. Maimouna Diene, Director of PAN Africa says, “In many African countries we see high rates of poisonings of farmers and communities by HHPs. It is not possible to adequately protect communities, as well as their air, soil and water unless a legally binding mechanism for regulating HHPs is developed.”

Ms. Sarojeni Rengam, Executive Director of PAN Asia Pacific (PANAP) echoes this frustration and says  “The continued use of HHPs in Asian countries causes widespread poisonings of children, farmers, women and agricultural workers.  Recently PANAP and partners interviewed 2025 respondents in 7 countries, and found that 7 out of 10 people interviewed were poisoned by pesticides (3).  Rural people are poisoned by pesticides such as paraquat, lambda-cyhalothrin, chlorpyrifos and glyphosate.” She expressed dismay at the lack of action to prevent occupational poisonings and said “Continuing the sad saga of occupational pesticide poisonings of agricultural workers, a record number of such cases were reported last year in the Yavatmal district in Maharashtra state of India.”

Mr. Javier Souza, Regional Coordinator of PAN Latin America says „The use of HHPs in agriculture has led to frequent exposure and accidental poisoning of children throughout Latin America, for example when pesticide applications are made near schools or homes. Empty pesticide containers are discarded in the fields and rivers, contaminating the drinking water and increasing the plastic pollution of the sea because the users do not return them to their manufacturers, often violating current regulations.”

The lack of accountability of transnational pesticide corporations for the HHPs they produce and sell, especially in the Global South, led Ms. Susan Haffmans of PAN Germany to say “It is absolutely unethical that European countries like Germany, Switzerland, France and U.K. continue to export pesticides banned for use in these countries due to their toxicity. The exports to countries in the Global South continue to put communities there in danger from the hazards of exposure to HHPs.”

Ms. Kristin Schafer, Executive Director of PAN North America added “The consolidation of the pesticide industry has created giant corporations that have no interest in voluntary control measures, and put profits above all else. Years of evidence show us that these corporate actors aggressively undermine policies that protect public health and the environment. It’s time for the global community to act.”

PAN International calls on the global community to step up to the challenge and protect people across the world from HHPs by putting in place a legally binding treaty against HHPs.

Available for interview:

Dr. Meriel Watts, PAN Asia Pacific +64-21-1807830; meriel@merielwatts.net

Ms. Susan Haffmans, PAN Germany susan.haffmans@pan-germany.org, +49(0)40-3991910-25

Ms. Sarojeni Rengam, PAN Asia Pacific, sarojeni.rengam@panap.net
Javier Souza Casadinho, PAN Latin America, javierrapal@yahoo.com.ar ,+11 15 3617 1782

Ms. Kristin Schafer, PAN North America kristins@panna.org

Ms. Maimouna Diene, PAN Africa maimounadiene@pan-afrique.org

 

(1) The PAN International List of Highly Hazardous Pesticides is available at: http://pan-international.org/wp-content/uploads/PAN_HHP_List.pdf

(2) The PAN International Consolidated List of Banned Pesticide is available at: http://pan-international.org/pan-international-consolidated-list-of-banned-pesticides/

(3) Rights and Poisons is available at: https://panap.net/2018/10/of-rights-and-poisons-accountability-of-the-agrochemical-industry/