Regulierung hormonschädlicher Pestizide & Biozide: Leitlinienentwurf bleibt unzureichend

Die Ausarbeitung einer Prüf- und Bewertungsleitlinie („Guidance“) zur Identifizierung von hormonschädlichen Pestiziden und Bioziden durch die EU-Behörden EFSA und ECHA läuft bereits rund ein Jahr. Im Dezember 2017 wurde ein Entwurf für Kommentierungen bereitgestellt. Am 1. Februar, ein Tag nach Ende der Kommentierungsfrist, treffen sich auf Einladung der Generaldirektion Gesundheit (DG SANTE) Interessensverbände in Brüssel, um über den Entwurf zu diskutieren. PAN Europe, CHEM Trust und HEAL werden in einer gemeinsamen Präsentation ihre Positionen vorstellen und Verbesserungen aus Sicht des Umwelt- und Gesundheitsschutzes anmahnen.

Von den Umweltverbänden, aber auch von der anerkannten Endocrine Society wird starke Kritik an dem Leitlinienentwurf geäußert. Diese regelt quasi die Detailfragen für ein einheitliches Prüf- und Bewertungsverfahren bei den europäischen und nationalen Behörden und ist insofern das entscheidende Werkzeug, um den verankerten Schutz von Mensch und Umwelt gegenüber hormonschädlichen Pestiziden und Bioziden umzusetzen … oder eben nicht.

Die Hauptkritikpunkte am Bewertungskonzept sind, dass es nicht dem Vorsorgeprinzip folgt und die vorgeschlagenen Verfahren zur Entscheidungsfindung mangelhaft sind. So sollen Entscheidungen auf Beweisen beruhen, die die verfügbaren Daten und Erkenntnisse gar nicht hergeben. Bei Unkenntnis oder Zweifel über die detaillierte initiale Wirkweise (mode of action, MoE) der Substanz – und das ist derzeit faktisch die Norm – soll stets zugunsten der Chemikalie bzw. des Herstellers entschieden werden, auch wenn erwiesen ist, dass die Substanz schädliche Effekte auf hormonelle Funktionen hat. Damit geht die Leitlinie deutlich über das Notwendige für eine Plausibilitätsprüfung hinaus, die nicht verlangt, den gesamten biologischen Weg einer endokrinen Schädigung in einem Organismus nachvollziehen zu können.

Des Weiteren wird in der Leitlinie der Prüfbereich begrenzt und berücksichtigt nur Effekte, die über spezifische Hormone, konkret über Östrogene, Androgene, Schilddrüsenhormone und Steroide (EATS) vermittelt werden. Das bedeutet, dass andere endokrin vermittelte Effekte, die zu anderen komplexen hormonbedingten Erkrankungen beitragen, wie Diabetes, Adipositas, kognitive oder Verhaltensdysfunktionen, nicht bewertet werden bzw. Verdachtsmomente keine regulativen Konsequenzen haben. Es mangelt auch an Prüfstandards, wie Substanzen mit hormonschädlichen Effekten auf Nichtsäugetiere bzw. auf wirbellose Tiere wie Insekten, Weichtiere u.ä. identifiziert werden können. Dabei schreiben die EU-Verordnungen die Identifizierung ALLER für Menschen und Nichtzielorganismen hormonschädlichen Pestizide und Biozide vor. Zu erwarten wäre zumindest ein konkretes Konzept, wie man solchen Bewertungslücken angemessen Rechnung trägt und wann sie geschlossen werden sollen.

Die Ende 2017 verabschiedeten Verordnungen zur Identifizierung hormonschädlicher Chemikalien (s. PAN-Blog), die die Ziele des Biozid- und Pestizidrechts konkretisieren, sollen im Juni 2018 in Kraft treten. Bis dahin soll die Leitlinie den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen. Gerade die Ausarbeitung der Detailfragen zum Prüf- und Bewertungsprozess entscheiden maßgeblich darüber, ob die Regelungen zu Papiertiger werden oder ob tatsächlich der notwendige Fortschritt im Gesundheits- und im Umweltschutz erreicht wird. Nach Auffassung der Umweltverbände und der Endocrine Society bedarf es deutlicher Nachbesserungen.

Positionen und Kommentierungen von:

PAN Europe
Chem Trust
HEAL
Client Earth
Endocrine Society